Handgemachter Horror: Stacy Hirata über The Callisto Protocol

Wir schreiben das Jahr 2320: Auf Jupiters Totenmond Callisto wird Jacob Lee ins überaus ungemütliche Schwarzstahlgefängnis geworfen. So richtig bitter wird es für Jacob jedoch, als eine mysteriöse Krankheit die Mithäftlinge in blutrünstige Kreaturen verwandelt – und in den Verliesen ein unbarmherziger Überlebenskampf beginnt. The Callisto Protocol (TCP) ist das mit viel Spannung erwartete Debüt der kalifornischen Striking Distance Studios, dessen Gründer Glen Schofield schon maßgeblich an Dead Space beteiligt war. TCP erscheint im Dezember dieses Jahres – doch schon jetzt sorgt es mit haarsträubendem Trailer-Material für Aufsehen. Ein Interview mit Chief Operating Officer und Executive Vice President Stacy Hirata – über strategische Kämpfe, Current-Gen-Technologie und die Kunst, SpielerInnen wirklich Angst einzujagen.
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Stacy Hirata, Striking Distance Studios

IGM: Stacy, ihr wollt das bisher gruseligste Game für die neue Konsolengeneration erschaffen. Was ist eigentlich so toll an Grusel-Games?

Stacey Hirata: Wir wollen einfach nur das bestmögliche Spiel machen. Wir denken, dass The Callisto Protocol einige großartige Schreckmomente hat – und hoffen, dass die SpielerInnen das auch so sehen! Von Geistergeschichten am Lagerfeuer über Achterbahnen bis hin zu modernen Horrorfilmen und -spielen: Irgendwas ist dran an diesem Gefühl des Erschrecktwerdens, das die Leute seit tausenden Jahren lieben. Dabei werden urzeitliche Instinkte geweckt! Es macht Spaß, Horror-Games zu entwickeln – das ist ein bisschen wie ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Spielern und Designern. Spieler lieben es herauszufinden, wo der nächste Schreck herkommen könnte – und Entwickler lieben es, sie darüber im Ungewissen zu lassen.

IGM: Die Computerspielgeschichte zeigt, dass sich Horror sehr unterschiedlich erzeugen lässt. Welchen Weg wählt ihr?

Hirata: Starker Horror kommt wirklich aus dem Bauch. Es darf einfach keine Regeln geben. Sobald man bestimmte Regeln aufgestellt hat, nach denen Horror funktioniert, werden die Spieler sich daran machen, diese Regeln herauszufinden. Wir betrachten unsere Arbeit als horror engineering – das bedeutet einfach, dass starker Horror handgemacht ist. Wir denken permanent darüber nach, wie wir unterschiedliche Aspekte von Horror vermischen können, um Spieler auf dem falschen Fuß zu erwischen. Wir diskutieren viel darüber, wie wir Atmosphäre, Spannung und Brutalität richtig ausbalancieren können. Und wir spielen mit den Gefühlen der Spieler – ein Mensch zu sein, hilflos zu sein. Ein tolles Beispiel für unser Horror-Konzept ist: Wir mischen Atmosphäre und Spannung – und verändern dadurch permanent das Action-Tempo und die Frequenz der Schreckmomente. Es kann zum Beispiel vorkommen, dass wir 10 oder 15 Minuten lang keinen größeren Schreckmoment ins Spiel werfen – und den Spieler dann plötzlich mit zwei oder drei solcher Momente direkt hintereinander treffen. Damit das funktioniert, braucht das Entwicklerteam viel Trial and Error.

IGM: TCP hat ein PEGI-18-Rating bekommen. Was erwartet ihr für Deutschland? Eine geschnittene Fassung?

Hirata: Wir sind immer noch an der Fertigstellung des Spiels. Ein offizielles Rating haben wir noch nicht bekommen – aber wir werden uns natürlich nach den Bewertungsgremien vor Ort richten.

 

Dabei werden urzeitliche Instinkte geweckt

IGM: TCP sollte ursprünglich Teil des PUBG-Universums werden. Woher der Sinneswandel?

Hirata: Als wir mit der Arbeit an der Story begannen, war diese mit der PUBG-Zeitachse verbunden – und zwar hunderte Jahre in der Zukunft. Es war toll, dass bereits Fiction und Lore vorhanden waren, als die Entwicklung des Spiels losging – wir konnten an sie andocken. Aber je tiefer wir ins Schreiben der Story eintauchten – und je mehr wir die Lore ausarbeiteten –, desto klarer wurde, dass TCP eine eigenständige Welt, ein eigenständiges Universum und ein eigenständiges Spiel ist. Wir sind große Fans von PUBG – und es wird diesbezüglich auch Easter Eggs und Überraschungen für die Fans geben. Aber TCP existiert auf seiner eigenen Zeitachse. Kraftons CEO CH Kim hat – wie auch das ganze Team dort – diese Entscheidung voll unterstützt. Sie haben uns ermutigt, das zu tun, was am besten für unser Spiel und für unsere kreative Vision ist.

IGM: Wie vermarktet man ein Spiel mit dieser Menge Gore und Gewalt?

Hirata: TCP ist ein Horrorspiel und enthält folglich ein bestimmtes Maß an Blut und Gewalt. Aber das ist nur ein Teil dessen, worum es in dem Spiel geht. Wir verstehen Horror wirklich als Mischung aus Atmosphäre, Spannung und dem Gefühl von Hilflosigkeit – mit brutalen Elementen als weiterer Zutat. Ein Spiel, das nur Blut und Gewalt enthielte, würde ziemlich schnell langweilig werden. Wir konzentrieren uns darauf, eine großartige Sci-Fi-Horror-Story zu erzählen – mit interessanten Charakteren, einer tollen Atmosphäre, jeder Menge Spannung und herausfordernden, strategischen Kämpfen.

IGM: Das bisherige Bild- und Videomaterial von TCP erinnert an Dead Space. Was sind die größten Unterschiede zwischen beiden Spielen?

Hirata: Viele aus unserem Team haben an den Dead-Space-Games mitgearbeitet – unter anderem unser CEO Glen Schofield, unser Chief Development Officer Steve Papoutsis und unser Chief Creative Officer Chris Stone. Auch unser Audio Director, unser Art Director und viele mehr sind Dead-Space-Veteranen. Es ist ganz natürlich, dass ihre kreativen Fingerabdrücke auf beiden Spielen zu finden sind. Allerdings gehen wir mit TCP einen großen Schritt weiter. Es gibt zwei Dinge, die uns besonders begeistern: Die tiefgründige, auf die Figuren fokussierte Story – und unser neues strategisches Kampfsystem. Das Spiel hat tolle Auftritte von Josh Duhamel and Karen Fukuhara. Wir haben uns gerade erst im Studio die finalen Performance-Capture-Szenen angeschaut – und ich kann es kaum erwarten, dass die SpielerInnen das zu Gesicht bekommen, es sieht einfach unglaublich aus! Das Kämpfen haben wir völlig neu durchdacht und ein neues, dynamisches Kampfsystem erschaffen, das Schießen und Nahkampf umfasst – mit einer einzigartigen Gravitationswaffe, die wir die „GRP“ nennen. Wir finden, dass das frisch und tiefgründig ist – und wir hoffen, dass die SpielerInnen das lieben werden. Wir sehen TCP als ein komplett neues Game – mit neuen Figuren, einer neuen Story und neuen Spielmechaniken.

 

Es darf einfach keine Regeln geben

 

IGM: Glen Schofield ist die treibende Kraft hinter TCP. Ist es ein stilistisch einzigartiges „Autorenspiel“ – ähnlich wie die Spiele eines Fumito Ueda, eines Hideo Kojima oder eines Tim Schafer?

Hirata: Glen ist die treibende Kraft – aber er wäre der Erste, der darauf hinweist, dass TCP auf der Leistung des ganzen Teams beruht. In den Striking Distance Studios pflegen wir eine Kultur, bei der großartige Ideen von überall und von jedem kommen können. Glen mag eine coole Idee beisteuern – aber es ist das gesamte Team, das seine Vision verwirklicht.

IGM: Eure Entwickler wollen die technischen Möglichkeiten der neuen Konsolen für mehr Immersion nutzen. Ein Beispiel?

Hirata: Gerne! Immersion ist in Horrorspielen von entscheidender Bedeutung. Wird ein Spieler aus der Erfahrung rausgeworfen, dann wird es schwierig, ihm noch richtig Angst einzujagen. Die neuen Konsolen haben dem Team so viele Möglichkeiten eröffnet – sie fühlen sich wie Kids in einem Süßwarenladen. Das reicht von Ray Tracing über 3D Audio bis zur Haptik und der reinen Rechen-Power – und die Devs müssen nur ganz selten Ideen verwerfen, weil es technische Grenzen gibt. Als ich das erste Mal einen Controller in die Hand nahm und die Knochen eines Gegners brechen fühlte – da wusste ich, das wir an etwas Besonderem dran sind.

IGM: Ok … klingt heftig. Anderes Thema: Wie arbeiten Striking Distance, Krafton und Skybound Entertainment bei TCP konkret zusammen?

Hirata: Striking Distance ist der Entwickler, Krafton der Publisher und Skybound Entertainment unsere strategischer Partner, der bei Marketing und physischer Distribution hilft. Als wir Striking Distance gründeten, hatten wir viele Partner zur Auswahl – und wir sind begeistert, wie sehr uns Krafton unterstützt. Sie verstehen, was Entwickler brauchen, um erfolgreich zu sein – und sie lassen uns die Freiheiten, die wir brauchen, um unsere kreative Vision zu verwirklichen.

 

Die neuen Konsolen haben dem Team so viele Möglichkeiten eröffnet

 

IGM: Wo und wie wird TCP in DACH verfügbar sein?

Hirata: TCP kann bereits vorbestellt werden. In Deutschland, Österreich und der Schweiz erscheint es am 2. Dezember 2022 – und zwar auf PS5, PS4, Xbox Series X/S, Xbox One und PC; sowohl auf allen relevanten Digitalplattformen als auch physisch sehr breitflächig bei allen großen Retailern. Unser Partner beim Vertrieb und beim Handelsmarketing der physischen Versionen ist hier NBG.

IGM: Heutzutage herrscht ja große Nachfrage nach frischen IPs. Ist TCP eine Marke, die sich auch auf Filme, Serien und Comics ausdehnen ließe?

Hirata: Hoffentlich! Momentan sind wir aber voll damit beschäftigt, unser erstes großartiges Spiel abzuliefern. Falls wir das schaffen, erledigt sich der Rest hoffentlich von selbst.

IGM: Wo zeigt ihr TCP auf der gamescom?

Hirata: Glen wird bei der Opening Night Live – an der Seite von Geoff Keighley – einen neuen Gameplay-Clip zu TCP enthüllen. Wir freuen uns sehr, Teil der ONL zu sein – zum ersten Mal seit Jahren vor einem Live-Publikum! In der Business Lounge werden wir auch hinter verschlossenen Türen eine Theater Demo zeigen. In der Entertainment Area wird es für Spieler am Krafton-Stand eine einmalige Gelegenheit für ein Foto-Shooting geben – wir stellen dort die Einweisung in das Gefängnis Schwarzstahl aus dem Spiel nach. Wir können es kaum erwarten, alle wieder auf der Messe zu sehen! (Achim Fehrenbach)

IGM 11/22
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