Ein wilder Ritt durch Stimmungen und Settings – so lässt sich der Digital Showcase vielleicht am besten beschreiben, den THQ Nordic am Abend des 12. August veranstaltete. Im Live-Stream wurde die Community Zeuge von Cryptos neuesten Zerstörungsorgien (Destroy All Humans! 2 – Reprobed), stieg in die düstere Mine des Gothic-Remakes hinab und begleitete kuriose Meeresbewohner auf knallbunten Plattform-Abenteuern (SpongeBob SquarePants: The Cosmic Shake). Doch damit nicht genug ...
Im Mittelpunkt der rund einstündigen Präsentation standen vier Neuankündigungen: Erstens die Neuauflage des Horror-Klassikers Alone in the Dark, zweitens das grafisch imposante Echtzeit-Strategiespiel Tempest Rising, drittens das Weltraumerkundungsspiel Space for Sale – und viertens ein Arcade-Racer mit dem schönen Titel Wreckreation, der Stunt-Rennen in einer riesigen Sandbox verspricht. Im Showcase-Stream erlebten Spielefans außerdem, wie grimmige Söldner ihrem Handwerk nachgingen (Jagged Alliance 3), Wrestling-Stars sich nach allen Regeln der Kunst verdroschen (AEW: Fight Forever), mittelalterliche Machtkämpfe um Europa tobten (Knights of Honor II: Sovereign), Ritter auf Kreuzzüge gingen (The Valiant), Jäger durch die Wildnis pirschten (Way of the Hunter) – und wie der legendäre Action-Held Cutter Slade per Jetpack durch bunte Alien-Welten düste (Outcast 2 – A New Beginning).
Gleich zu Beginn des Showcase hatte die THQ-Nordic Tochter HandyGames sieben neue Indie-Games und Updates präsentiert – darunter das putzige A Rat‘s Quest und das garstige Lethal Honor. Angesichts der geballten Spieleladung ging fast schon ein bisschen unter, was THQ Nordic am Ende des Showcase einblendete: Man habe derzeit 43 (!) Games in der Entwicklung, von denen 25 noch gar nicht angekündigt seien. Das Sahnehäubchen: Ein kurzer Verweis auf die South Park Digital Studios, die offenbar auch schon etwas in der Mache haben ...
Große Bühne gamescom
Von Sport bis Survival-Horror, vom Action-Adventure bis zum Jump‘n‘Run, von RTS bis Grand Strategy: Der Showcase demonstrierte eindrucksvoll, in wie vielen Genres und Settings THQ Nordic mittlerweile unterwegs ist. Das äußerst vielfältige Portfolio spiegelt das Wachstum des Publishers wider: Mittlerweile verfügt THQ Nordic über sage und schreibe 25 interne Entwicklerstudios, bei denen rund 1000 Fachkräfte aus knapp 50 Nationen arbeiten. Für die diesjährige gamescom hat man die Standfläche in Halle 8 gegenüber der letzten „echten“ gamescom verdoppelt – nämlich auf gut 1000 Quadratmeter. Nach den Absagen einiger großer Publisher – darunter Sony, Nintendo und EA – könnte die Messe für THQ Nordic zu einem echten Schaulaufen werden …
Ein geschickter Schachzug
Dabei waren die Anfänge des Publishers ja durchaus bescheiden. 2011 musste die österreichische JoWooD Entertainment AG Insolvenz anmelden – dabei kamen unter anderem solch bekannte Marken wie Gothic und Spellforce unter den Hammer. Ein gewisser Lars Wingefors aus Schweden erwarb die JoWooD-Lizenzen – und gründete mit Teilen der früheren Belegschaft die Firma Nordic Games. Managing Director wurde der frühere JoWooD-CFO Klemens Kreuzer, die Firma zog in ein kleines Büro in der Landstraßer Hauptstraße in Wien. Nordic Games konzentrierte sich zunächst darauf, bestehende IPs fortzuführen; als erstes internes Entwicklerstudio wurde die Firma Grimlore Games in München gegründet. Als der bekannte US-Publisher THQ pleite ging, erwarb Wingefors die Markenrechte, damit Nordic Games künftig unter diesem Label publishen konnte. 2016 schließlich benannte sich das Unternehmen in „THQ Nordic“ um – ein geschickter Schachzug, denn das signalisierte gleichermaßen Kontinuität und Fortschritt. Ab 2016 startete die schwedische THQ Nordic AB – sie wurde später in „Embracer Group“ umbenannt – eine beeindruckende Serie von Studio-Akquisitionen, vor allem in Nordamerika, Skandinavien, Osteuropa – und Deutschland. Hierzulande kaufte THQ Nordic gleich fünf Spieleentwickler, nämlich Black Forest Games aus Offenburg (2017), HandyGames aus Giebelstadt (2018), Piranha Bytes aus Essen (2019), Kaiko aus Frankfurt/Main und Massive Miniteam aus Pulheim (beide 2021). Indirekt wurde THQ Nordic so zu einem der größten Arbeitgeber der deutschen Games-Branche.
Kein Selbstzweck
Dass THQ Nordic auf eine derart massive Einkaufstour ging, hat nicht wenige Beobachter verwundert. Denn während andere Publisher zunehmend auf wenige und dafür starke Marken setzen, scheint THQ Nordic genau den umgekehrten Weg zu gehen. „Man kann vielleicht sagen, dass wir Fans einer Portfolio-Diversifikation sind“, sagte Klemens Kreuzer 2020 in einem Interview mit Venturebeat. „Man hat dann viele Eisen im Feuer.“ Natürlich könne er verstehen, warum sich Firmen wie EA auf wenige Franchises konzentrieren, so Kreuzer – vielleicht sei das sogar ein natürlicher Trend. „Allerdings bin ich wirklich froh, dass wir an so vielen verschiedenen Games in so vielen verschiedenen Genres arbeiten können.“
Dieses breite Streuen zwischen Indie und AA ist jedoch kein reiner Selbstzweck: Vielmehr steht dahinter die Strategie, das Geschäftsrisiko auf viele verschiedene Produkte zu verteilen. Warum THQ Nordic (bisher) keine AAA-Blockbuster wie Sony, Microsoft oder Electronic Arts produziert, dazu äußerte sich Kreuzer 2021 in einem Gespräch mit Standard.at. „Bei den ganz teuren Spielen hast du genau eine Chance“, so der Managing Director. „Wenn der Start nicht glückt, versenkst du Millionen.“ Die großen Blockbuster kosteten ab 40 Millionen Dollar aufwärts, so Kreuzer. Man müsse also mindestens eine Million Stück pro Plattform verkaufen, um nicht ins Minus zu geraten – die Kosten für Marketing und physischen Vertrieb noch nicht eingerechnet. „Wir haben hier lokal gar nicht das Kapital, solche Titel zu produzieren, und unsere Historie mit wirtschaftlich turbulenten Zeiten hat uns vieles gelehrt“, konstatiert Kreuzer. „Deshalb setzen wir auf unsere Portfolio-Theorie [...].“ Ziel sei, eine hohe Rendite über einen langen Zeitraum zu erwirtschaften – und eben nicht die reinen One-Hit-Wonder.
Doch wie passt diese „Portfolio-Diversifikation“ eigentlich zur Gesamtstrategie von Embracer? Schließlich dürfte dem börsennotierten Konglomerat (Nasdaq Stockholm) ja durchaus daran gelegen sein, dass seine Bestandteile größtmöglichen Profit abwerfen. Grundsätzlich hat Embracer-Chef Wingefors seine Firmengruppe in Verticals unterteilt, die weitgehend unabhängig voneinander agieren, aber bei Gelegenheit Synergieeffekte nutzen. Ende 2021 umfasste Embracer insgesamt zehn Verticals: Neben THQ Nordic und Koch Media (heute: Plaion) auch noch Saber Interactive, Asmodee, Amplifier Game Invest, Coffee Stain, Dark Horse Media, Deca Games, Easybrain und Gearbox Entertainment. Ein solch weitreichendes Imperium erscheint zunächst wie ein Alptraum der Unübersichtlichkeit – doch funktioniert die Abstimmung mit der Konzernspitze erstaunlich unkompliziert, wie Kreuzer im Venturebeat-Interview berichtet. „[...] das ist eine der Stärken von Embracer: richtig schnell zu sein“, sagt er. „Jeder hat die Mobilnummer von Lars Wingefors. Einige von uns tauschen sich täglich mit ihm und den anderen Leuten bei Embracer aus.“ Man müsse nicht zwei Wochen vorher ein Meeting beantragen, sondern könne schnell Entscheidungen treffen. „Wenn die Dinge klar sind, braucht man keine langen Diskussionen“, so Kreuzer. „Wir erledigen den Deal einfach und machen uns an die Arbeit.“
Wir erledigen den Deal einfach und machen uns an die Arbeit
Vertrauen ins Management
Das funktioniert laut Kreuzer vor allem deshalb, weil Embracer den Verticals eine lange Leine lässt. „Ein Geheimnis ist sicherlich, den Leuten ihre Eigenständigkeit zu geben – dass sie in ihrem Bereich [...] Entscheidungen treffen können“, lobt er. Embracer habe großes Vertrauen in das Management seiner Verticals – und deren Manager vertrauten wiederum ihren Angestellten und KollegInnen. „Wenn man Leuten vertraut, fühlen sie sich verantwortlicher“, betont Kreuzer. „Deshalb arbeiten viele Leute so gerne mit uns zusammen.“
Für Entwicklerstudios biete die Zusammenarbeit mit THQ Nordic auch viele andere Vorteile. So übernimmt das Wiener Publishing-Team all jene Aufgaben, die nicht zu Kernkompetenzen der Studios zählen – also etwa Buchhaltung, Verträge und Vereinbarungen. Dies halte den Studios den Rücken frei – und ermögliche ihnen, sich ganz auf die Spieleentwicklung zu konzentrieren.
Ein grundlegender Vorteil von Embracer ist zudem, dass sich die Verticals in ihren Nischen austoben können – und nicht ständig über den Tellerrand in andere Geschäftsfelder schauen müssen, weil sie sonst etwas verpassen könnten. „Als THQ Nordic würden wir beispielsweise nie in den Free-to-play-Markt einsteigen“, so Kreuzer gegenüber Venturebeat. „Aber ein anderer Pfeiler der Gruppe wie Deca Games weiß, wie man das macht.“ Auch innerhalb von THQ Nordic gibt es Teams und Studios, die sich auf verschiedene Plattformen spezialisiert haben: Bestes Beispiel ist HandyGames, die sowohl Indie- als auch Mobile- und VR-Titel produzieren. Und das mit wachsendem Erfolg: Das Team in Giebelstadt umfasst mittlerweile mehr als 100 Fachkräfte.
Wenn man Leuten vertraut, fühlen sie sich verantwortlicher
Neue Märkte
Bei THQ Nordic hat sich zwar das Tempo der Studio-Akquisitionen in den letzten zwölf Monaten etwas verlangsamt. Gleichwohl setzt der Publisher auch weiterhin auf die Erschließung neuer Märkte und Zielgruppen. Gerade erst im Juni hat er ein Büro in Singapur eröffnet: Von dort aus sollen Marketing, PR und Talentsicherung in Südostasien betreut werden. Bereits im Februar hat THQ Nordic zudem das Frankfurter Studio Metricminds übernommen: Es ist auf Cutscenes, Trailer, Mocap, Animation und VR spezialisiert – alles Fähigkeiten, die jetzt verstärkt dem gesamten Studio-Netzwerk zugute kommen.
Nach dem Studio- und IP-Shopping hat THQ Nordic nun also jede Menge Eisen im Feuer. Welche davon sich gewinnbringend schmieden lassen, wird sich erst mit der Zeit herausstellen. Genau hier jedoch könnte dem Publisher seine spezielle Unternehmenskultur zugute kommen. „Wir sind geduldig“, so Klemens Kreuzer gegenüber Venturebeat. „[...] Ich habe noch nie gesehen, dass es funktioniert hat, wenn man eine Firma unter Druck setzt, etwas abzuliefern.“ Bisweilen brauche man zwar wirklich viel Geduld, so der Managing Director. „Aber der Aufwand lohnt sich immer.“ Genau das mache Embracer und THQ Nordic auch für so viele Firmen attraktiv.
Fazit: Mit seiner „Portfolio-Diversifikation“ geht THQ Nordic einen ganz eigenen Weg. Der Branche tut eine solche Vielfalt in jedem Fall gut. (Achim Fehrenbach)