IGM: Winny, 30 Jahre Aerosoft, das ist ohne Zweifel eine Hausnummer. Du selbst bist als Gründer seit Tag eins an dabei. Was bedeutet dir dieses Jubiläum?
Winfried Diekmann: Leider bedeutet dieses Jubiläum, dass ich wohl echt alt geworden bin. Auf der anderen Seite ist es aber auch schön, dass mittlerweile viele Kollegen mehr als 20 Jahre dabei sind und wir das Jubiläum quasi als Familienfeier begehen können.
IGM: Wie war das damals, als du vor 30 Jahren zusammen mit Bernward Suermann und Ralf Hartmann Aerosoft gegründet hast? Was waren das für Zeiten?
Diekmann: Ich war ja weder Game-affin noch in der Luftfahrt engagiert und bin daher zu Aerosoft gekommen, wie die Jungfrau zum Kinde. In den ersten Jahren wurde sehr viel ausprobiert, viele Pläne geschmiedet und vieles auch wieder verworfen. Erst ab 2000 haben wir uns mehr auf den Game-Bereich konzentriert. Aber immer noch fühlen wir uns auch in der realen Luftfahrt zu Hause.
IGM: Man stelle sich vor: 1991 wurde der erste Web Browser der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Hattet ihr das Internet damals schon irgendwie auf dem Schirm?
Diekmann: Das Internet als Begriff kam ja erst Mitte der 90er Jahre in Deutschland an. Wir haben immer auf Versand-/Online-Handel gesetzt und haben früh Dinge wie CompuServ auf dem Schirm gehabt. Den eigenen Download-Shop gibt es seit 2003.
Für unsere Produkte gibt es keine homogene Zielgruppe
IGM: Angefangen habt ihr mit der Entwicklung und Vermarktung von Software zur Pilotenausbildung und Add-ons für den Microsoft Flugsimulator. Woher kommt eigentlich deine Affinität zur Fliegerei?
Diekmann: Bernward Suermann hatte gerade seinen Pilotenschein gemacht und kam auf die Idee, die Theorieausbildung mit Software zu unterstützen. Ralf Hartmann und ich hatten nichts mit der Fliegerei am Hut, fanden das Thema aber sehr interessant. Daher kommt auch unser Standort am Flughafen.
IGM: War das denn damals schon ein Markt? Konnte man damit Geld verdienen? Oder handelte es sich eher um eine Nische?
Diekmann: Natürlich war das Thema damals – wie auch heute – eine Nische und wir wurden ja anfangs auch gar nicht als Game-Company wahrgenommen. Aber es gibt seit dem Flugsimulator 4 eine wachsende Community, die Flugsimulation als Hobby betreibt und auch bereits ist, dafür Geld auszugeben.
IGM: Es folgte die Veröffentlichung eurer ersten Hardware ACP (Aircraft Control Panel). Wo wurde es gefertigt? Und wie kam es bei der potenziellen Käuferschicht an?
Diekmann: Das ACP wurde schon auf unserer ersten Messe, der ILA 1992 in Berlin, als Prototyp vorgestellt. Es wurde dann später in der Nähe von Bielefeld in Kleinserie gefertigt und war eines unserer ersten Produkte, die den Namen Aerosoft international bekannt machten.
IGM: Von 2002 bis 2007 habt ihr dann das erste Train-Sim Add-on entwickelt und weitere Simulationen wie den Bus-Simulator und World of Subways auf den Markt gebracht. Welche Idee steckte dahinter? Wenn wir Flüge simulieren können, dann auch alles andere?
Diekmann: Die Idee kam gar nicht von uns, sondern direkt von Microsoft. Die haben uns den TrainSimulator vorgestellt und auf die Möglichkeit von "deutschen" Addons hingewiesen, weil es keine deutsche Strecke im Simulator gab. Unter anderem haben wir in der Zeit auch ein U-Bahn Addon gepublisht. Das war das erste Produkt von TML. Daraus entstanden dann die Serie Word of Subways und erste eigenständige Bus-Simulatoren.
IGM: Wie kamst du generell darauf, die berufliche Realität von Piloten, Busfahrern, Feuerwehrmännern, Autobahnpolizisten etc. möglichst realitätsnah simulieren zu wollen?
Diekmann: Während wir anfangs doch eher im Verkehrsbereich unterwegs waren, kamen durch Dirk Ohler, der seit 2014 bei uns als Head of Productmanagement arbeitet, neue Ideen für "Berufssimulationen" in unsere Produktpalette.
IGM: Kannst du deine Zielgruppe bestimmen bzw. eingrenzen? Handelt es sich hier eher um die Ü-30-Fraktion oder begeistert sich auch "die Jugend" für Simulationen dieser Art?
Diekmann: Für unsere Produkte gibt es keine homogene Zielgruppe. Während in der Flug- und Bahnsimulation 50% der User über 50 sind, findet man im Bereich Polizei, Landwirtschaft und Bus deutlich jüngere Kunden. Gemeinsam haben alle Kunden, dass sie zu über 90% männlich sind, leider.
IGM: Gibt es bestimmte Situationen in den vergangenen Jahrzehnten, die dir besonders im Gedächtnis geblieben sind – positiver wie negativer Natur?
Diekmann: In all den Jahren gab es viele positive Situationen, vor allem auf Messen und Veranstaltungen, wo ich langjährige Geschäftspartner und Freunde treffen konnte und man – gerade in der Flugsimulation – sich wie in einer großen Familie fühlen durfte. Besonders negativ waren dann die Situationen, wo alte Freunde die Familie für immer verlassen haben.
Leider wird das jetzt wohl immer häufiger geschehen.
IGM: Hattest du nie die Sehnsucht nach einem beruflichen Tapetenwechsel, mal raus aus der recht beschaulichen Paderborner Gegend?
Diekmann: Die Tapeten wurden bei uns eigentlich häufig gewechselt, weil wir in den ersten 20 Jahren alle paar Jahre im Gebäude umgezogen sind. Zudem war ich vorher einige Jahre in Berlin und anschließend in Bonn im Bankensektor beschäftigt. Da war ich froh, im Game-Bereich und in der Luftfahrt nur sehr selten einen Anzug tragen zu müssen.
IGM: Wie hat man sich einen ganz normalen Tag im Leben des Winfried Diekmann vorzustellen?
Diekmann: Nicht allzu spannend. Gegen 9 Uhr ins Büro und oft dort auch den ersten Kaffee und das obligatorische Käsebrötchen. Wenn keine Calls mit USA oder Südamerika anstehen, ist für mich auch um 17 Uhr Feierabend. Jetzt mit Impfung werden auch wieder mehr Termine bei Partnern und Entwicklern hinzukommen.
IGM: Wo steht Aerosoft heute? Ein durch und durch gesundes Unternehmen?
Diekmann: Aerosoft hat sich sicherlich am Markt etabliert und gehört zu den führenden Unternehmen weltweit im Bereich Simulationen. Unter anderem durch unsere Zusammenarbeit mit Microsoft als weltweitem Retailpartner für den Microsoft Flugsimulator konnten wir unseren Bekanntheitsgrad und Umsatz deutlich steigern. Auch der Einstieg in die exklusive Vermarktung von speziellen Steuergeräten für die Flugsimulation war eine sehr fruchtbare Entscheidung. Daher stehen wir heute sehr solide und breit aufgestellt im Markt.
IGM: Wie siehst du generell die Situation von PC- und Konsolenspielen im stationären Handel? Online rules the world? Oder ist das Verlangen nach Haptik noch da?
Diekmann: Ich bin fest davon überzeugt, dass es noch immer eine Nachfrage nach boxed Produkten gibt, gerade bei älteren Kunden und relativ hochpreisigen Produkten. Das große Problem ist der Handel, der in vorauseilendem Gehorsam dem Onlinehandel kampflos das Feld überlassen hat und jetzt seinem eigenen Niedergang zuschaut. Die "Simulationsecke" in vielen Märkten war lange für die Fans dieses Genres ein wichtiger Anlaufpunkt beim Einkauf und würde sicherlich auch weiter funktionieren.
IGM: Abschließend: Wo siehst du die größten Herausforderungen für Aerosoft in naher Zukunft? Muss man sich immer neu erfinden?
Diekmann: Der Schritt zur Konsole und die internationale Vermarktung von Simulationen auf der Konsole sind aktuell unsere größten Baustellen. Darüber hinaus ist es wichtig, die oft schnellen Veränderungen im Markt und in den relevanten Medien früh zu erkennen und darauf zu reagieren. Gott sei Dank sind wir personell gut aufgestellt und haben mit Andreas Mügge als weiteren Geschäftsführer einen kompetenten Informatiker mit langer Erfahrung an Bord, der dafür sorgt, dass unser Online- und Downloadshop immer zeitgemäß ist und wir das direkte Geschäft mit Endkunden langfristig weiter ausbauen können. Er darf dann auch unser 40-jähriges Jubiläum in 10 Jahren organisieren und mich gerne einladen. (Marius Hopp)