Reingehört: Wie Podcasts den Spielejournalismus verändern

GameStar Podcast, The Pod, Stay Forever, Insert Moin, Games Insider und Co.: Gaming-Podcasts sind längst den Kinderschuhen entwachsen und zu Marken herangereift. Doch was bedeutet das Medium Podcast für den Spielejournalismus und wie stehen seine Zukunftsaussichten?
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© seventyfourimages / elements.envato.com
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In den vergangenen Jahren boomten Podcasts. Laut einer repräsentativen Bitkom-Studie hören 43 Prozent der Deutschen Podcasts (Vorjahr: 38 Prozent). In der jüngeren Zielgruppe zwischen 16 und 29 Jahren sind es gar 56 Prozent und damit mehr als die Hälfte der Befragten. „Vor einigen Jahren waren Podcasts totgesagt, jetzt sind sie extrem erfolgreich und der Zuspruch wächst weiter. Mittlerweile bieten viele Redaktionen, Unternehmen und auch Privatpersonen eigene Podcast-Serien an und erschließen sich so ein neues Publikum“, kommentiert Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder.

Dieser Trend machte auch im Bereich der Computer- und Videospiele nicht Halt. Erfahrungsberichte zu aktuellen Titeln, Hintergrundgeschichten zu Retrogaming-Themen oder auch Interviews mit interessanten Größen aus der Branche: Podcasts wie The Pod, der GameStar Podcast oder Stay Forever haben sich längst etabliert und sind zu einem neuen Marktsegment erwachsen. Der Spielejournalismus ist damit um ein weiteres Medium reicher: Nachdem Videoinhalte – egal, ob via YouTube oder als Livestream via Twitch – neben dem geschriebenen Text in Erscheinung traten, sind es nun Podcasts, die immer stärker in den Mittelpunkt des Interesses rücken.

Das Angebot erschlägt Interessierte förmlich

 

Die Suche nach der Nische
Die Podcast-Landschaft ist im Bereich Gaming inzwischen fast schon überlaufen. Neue Formate oder gar Privatprojekte haben es neben etablierten Größen schwer. Beim Blick in die Videospiel-Sektion der Spotify-App erschlägt Interessierte das Angebot förmlich. Zwischen Retro-Talks, munteren Laber-Casts, aktuellen und nischigeren Formaten seinen Platz zu finden, erscheint im Jahr 2022 komplizierter denn je.

Selbst große Verlagshäuser wie Webedia und Computec kämpfen um ihre Position und passen sich dem Markt und dessen Gegebenheiten an. Beispielsweise fasst das Podcast-Team von Computec bestehende Formate zukünftig zu einem großen PC Games Podcast zusammen. Das Ziel dahinter: Die redaktionelle Qualität steigern und ein abwechslungsreicheres Programm präsentieren. Bei Webedia gab man unlängst die „Zerstörung“ des MeinMMO-Podcasts bekannt und bat die Community um Feedback für einen Relaunch.

Wie stark sich die etablierten Verlage inzwischen für das Podcast-Geschäft interessieren, unterstrich Webedia mit einer wichtigen Personalentscheidung im August 2021: Michael Graf, zuvor Teil der GameStar-Chefredaktion, wurde zum Head of Podcast ernannt und verantwortet seitdem das Audio-Angebot. Im IGM-Interview betont Graf, dass Podcasts kein Nebenprodukt sind, sondern sich wirtschaftlich tragen müssen. „Wir wussten schon länger, dass Podcasts spannend sein könnten. So richtig konkret wurde es aber, als meine Stelle geschaffen wurde. Diese hätte nicht geschaffen werden können, wenn es diese Werbeperspektive nicht gegeben hätte.“ Als Maßnahme wechselte man unter anderem den Provider hin zum Anbieter Julep, der etwa das Einspielen von programmierter Werbung beinhaltet. So baute man damit ein Konzept auf, durch das Grafs Stelle, aber auch die entwickelten Audio-Formate finanziert werden konnten.

Spielejournalismus zum Hören
Doch während bei Webedia ein finanzstarkes Unternehmen hinter Formaten wie „Was spielst du so?“ oder dem GameStar Podcast steckt, entstanden andere Projekte ohne diesen Rückhalt. Trotzdem halten etwa Formate wie The Pod, der Spieleveteranen-Podcast, Games Insider, OK COOL oder auch Insert Moin die Fahne des Spielejournalismus hoch.

Seit dem Jahr 2010 sitzt Manuel Fritsch als Podcaster hinter dem Insert-Moin-Mikrofon. Den Anspruch des Spielejournalismus sieht er vor allem in der Unabhängigkeit von der Industrie: „Sie ist für mich der Grundpfeiler für guten Journalismus. Vor allem bei einem so produktfokussierten Themengebiet wie Videospielen spielt dieser Punkt eine noch viel größere Rolle. Dass wir uns und unsere Arbeit als journalistische Herangehensweise definieren bedeutet, dass wir Spiele als Kulturgut wahrnehmen und auch entsprechend behandeln wollen. (…) Wir wollen einordnen und analysieren, beraten und neue Blickwinkel bieten. Daher nennen wir das Spielejournalismus und nicht nur Kaufberatung.“

André Peschke, selbst ehemaliges Mitglied der GameStar-/GamePro-Redaktion, unterstreicht diesen Aspekt auch für The Pod: „Wir wollten von Anfang an einen Gegenentwurf zum Reichweitenjournalismus anbieten. Wir glauben, dass es dem Journalismus schadet, wenn er in erheblichem Maße von Werbetreibenden bezahlt wird, anstatt von den Menschen, für die er gemacht wird. (…) Missstände wie Clickbait und eine Boulevardisierung und Emotionalisierung der Berichterstattung sind direkte Folge dieses Geschäftsmodells und haben das Vertrauen in den Berufsstand bereits schwer beschädigt. Wir müssen davon weg.“

 

Einen Gegenentwurf zum Reichweitenjournalismus anbieten

 

Diese Unabhängigkeit fußt bei Insert Moin und The Pod gleichermaßen auf Crowdfunding-Portalen wie Patreon oder Steady. The Podcast kommt bei über 120.000 Hörern monatlich auf über 6.400 Menschen, die bereit sind, das Projekt finanziell zu unterstützen und im Gegenzug exklusiven Content zu erhalten. The Pod gilt in diesem Bereich als Vorreiter, wie auch Peschke betont: „Als wir gestartet sind, hat kaum einer mit einem großen Erfolg gerechnet – wir selbst eingeschlossen. Wenig später hat jeder einen Podcast gemacht oder seinen existierenden Podcast auch um bezahlte Inhalte erweitert.“

Neue Möglichkeiten erkunden
Dass Podcasts den klassischen, geschriebenen Spielejournalismus ablösen, scheint mehr als unwahrscheinlich. Vielmehr sind Podcasts für Hörerinnen und Hörer eine Ergänzung in Zeiten, wo man keine Artikel lesen oder gar Videos anschauen kann. Genau hier sieht Peschke wichtige Punkte, wie Podcasts den Spielejournalismus beeinflusst haben: „‘Verändert‘ ist da vielleicht ein zu großes Wort. Sie haben ihm auf jeden Fall eine weitere Dimension hinzugefügt. Erstens, weil das reine Hören eine andere Art von Medienkonsum darstellt. Zweitens, weil Podcasts in Lebenssituationen verfügbar sind, in denen andere Medien einfach nicht nutzbar sind – Autofahren, Spülen und so weiter. Und drittens, weil die Podcast-Landschaft in großen Teilen durch Crowdfunding finanziert wird und damit finanziell wirklich unabhängige Medien produziert.“

Den Aspekt der Hörerbindung sieht auch Manuel Fritsch als großes Plus für Podcasts: „Ich denke, sie haben ihn (den Spielejournalismus; Anm, d. Red.) auf jeden Fall bereichert. Sie helfen großen Medien, ihren Redakteur*innen mehr Personality zu geben und stärken meiner Meinung nach so auch die Bindung zur Zielgruppe. Wenn man Leuten, von denen man sonst nur Texte liest, auf einmal stundenlang zuhört, wird man deren Texte danach auch anders wahrnehmen und wird die Stimme im Kopf haben beim Lesen.“

 

 

Spielwiese für kreative Ideen

 

Michael Graf sieht das Medium Podcast vor allem als Spielwiese für kreative Ideen und die zunehmende Professionalisierung der Produktion. Seiner Ansicht nach kratzt man aktuell nur an der Oberfläche: „Ich denke, wir stehen in diesem Bereich speziell in Deutschland noch am Anfang. Sehr oft sind es klassische Gesprächs- und Interviewsituationen. Das kann unterhaltsam und toll sein. Aber es geht mehr, das Medium bietet mehr.“ So könne man beispielsweise mit Sound- oder Musik-Einspielern stärker arbeiten, Hörspielelemente einbinden oder Mini-Serien produzieren. Graf sieht hier auch einen Lernprozess, um den Spielejournalismus zu erweitern: „Gibt es mit dem Medium Audio Dinge, die du mit Videos oder Texten nicht darstellen und umsetzen kannst? Jetzt sagen wir alle: Ja klar, gibt es die. Aber auch die muss man lernen. Jemand, der seit Jahrzehnten beim Radio arbeitet, kann mir Dinge erklären, von denen ich in meinem Redakteursleben noch nie etwas gehört habe.“

Podcasts wie Insert Moin, The Pod oder auch der GameStar Podcast wollen und werden den klassischen Spielejournalismus also nicht ablösen. Vielmehr geht es hier darum, die Thematik auf einem noch jungen Medium und für eine wachsende Zielgruppe neu und unverbraucht aufzubereiten. Der in den vergangenen Jahren wachsende Markt zeigt aber aktuell erste Zeichen einer Konsolidierung. Das erkennt auch André Peschke: „Ich würde spekulieren, dass der Podcast-Markt analog zu YouTube eher personality-driven ist. Was man da gesehen hat ist, dass es selbst für große Firmen schwierig ist, hier Erfolge einfach qua ihrer Reichweite und Geldmittel zu produzieren (…).“ Auf Seiten der Podcast-Macher erkennt auch er, dass es immer schwieriger wird, sich aus der Masse abzuheben. Peschke vermutet, dass Vermarktungsnetzwerke eine größere Rolle spielen könnten als bislang. Die stetige Professionalisierung wird somit ebenfalls ihren Einfluss auf das Medium Podcasts haben. Inwiefern das wiederum Einfluss auf den Spielejournalismus und die Aufbereitung der Themen haben wird, bleibt allerdings abzuwarten. (ob/bpf)

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