Das Werkzeug für alles? Wie Discord Spielefirmen die Arbeit erleichtert

Die Social-Media-Plattform Discord verzeichnet einen rasanten Aufstieg. Besonders beliebt ist der Dienst in der Gaming-Community: Sowohl Fans als auch Spieleentwickler nutzen Discord für ihre Rundum-Kommunikation. Doch welche Features sind es eigentlich genau, die Spielefirmen so an Discord schätzen? Und wie nutzen sie die Plattform, um untereinander und mit Fans zu kommunizieren? Um das herauszufinden, haben wir drei Branchen-Vertreter befragt.
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© Dmitry Rukhlenko /stock.adobe.com
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Im Frühjahr 2021 musste das Discord-Management eine richtungsweisende Entscheidung treffen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Dienst bereits eine enorme Erfolgsgeschichte geschrieben: 2015 primär als Chat-Tool für Gamer gestartet, entwickelte sich Discord im Lauf der Jahre zu einer umfangreichen Kommunikationsplattform, auf der sich sowohl private als auch professionelle User zuhause fühlten. Besonders in der Pandemie stiegen die Nutzerzahlen massiv an – und damit auch der Marktwert des Start-ups aus San Francisco, das zahlreiche Funding-Runden erfolgreich absolvierte. Die wachsende Nutzerbasis weckte Begehrlichkeiten bei diversen Spielefirmen: Laut Wall Street Journal gab es im Frühjahr 2021 mindestens drei potenzielle Kaufinteressenten – und einer davon war Microsoft. Was der Konzern zu zahlen bereit gewesen wäre, ist nicht überliefert. Fakt ist: Discord entschied sich gegen die Übernahme, ist bis heute unabhängig unterwegs – und voraussichtlich bald in die Ökosysteme der Konsolen integriert.    

Wachsende Nutzerzahlen
Es gibt unterschiedliche Schätzungen, wie viele User Discord inzwischen hat. Laut businessofapps.com hatte der Dienst im August immerhin 300 Millionen registrierte Nutzer, etwa die Hälfte davon waren „active monthly users“. Bemerkenswert ist, dass Discord sein Geld nicht – wie die meisten anderen Social-Media-Plattformen – mit Werbung verdient, sondern primär mit kostenpflichtigen Features. So wurde bereits 2017 das Bezahlmodell „Nitro“ eingeführt: Wer „Nitro“-Mitglied ist, kann auf dem eigenen Server erweitere Funktionen anbieten. Zwischenzeitlich versuchte sich Discord sogar an einem eigenen Download-Store für Computerspiele, ja sogar an einer Spiele-Flatrate. Allerdings wurden beide Angebote wieder eingestellt, weil die Nachfrage zu gering war. Um so erfolgreicher ist Discord mit seinen zahlreichen, flexiblen Kommunikationsfunktionen: Dem Dienst haftet fast schon das Image einer eierlegenden Wollmilchsau an. Wie aber nutzen Spielefirmen und Fans eigentlich die Plattform? Was sind ihre Vor- und Nachteile? Darüber haben wir uns mit drei Branchen-Vertretern unterhalten.

 

Wir nutzen Discord aktiv für unser Publishing-Label Prime Matter

Steve Coleman ist Global Social Media & Community Manager bei Plaion – und hat dadurch den wohl besten Überblick, wie der Publisher mit den Spielefans kommuniziert. „Wir nutzen Discord aktiv für unser Publishing-Label Prime Matter, seit wir die Marke im Juni 2021 gestartet haben“, berichtet der Brite. „Wir nutzen Discord aber auch für bestimmte Titel, zum Beispiel für das Echtzeit-Strategiespiel Iron Harvest, das eine sehr treue und leidenschaftliche Community hat.“ Laut Coleman besitzt Discord eine hervorragende Customizability – und zwar mit deutlich mehr Features, als man das von anderen Social-Media-Plattformen kennt. Coleman gibt dafür einige Beispiele: So könne man Server-Kanäle passgenau organisieren, eigene Willkommensbildschirme und Server-Regeln einrichten sowie maßgeschneiderte Emojis anlegen – alles, um mehr Leute in die jeweilige Community zu locken und die Markenidentität zu stärken. „Man kann sogar Feeds, Plugins und Bots nutzen, um bestimmte Server-Bereiche zu automatisieren“, lobt Coleman.

Flexible Rollen
Das „Rollen“-Feature von Discord bezeichnet der Plaion-Mann sogar als Game Changer. „Es gibt eine Vielzahl von Bots, mit denen man interaktive Kanäle auf dem eigenen Server einrichten kann“, erläutert Coleman. „Sie ermöglichen den Community-Mitgliedern, sich selbst ‚Rollen‘ zuzuweisen – also maßgeschneiderte Tags für ihre Profile. Damit können sie dann die Server-Inhalte filtern und sich nur die Kanäle anzeigen lassen, die für sie relevant sind.“ Coleman nennt ein Beispiel: So veröffentliche Prime Matter Spiele in verschiedenen Genres – doch sei längst nicht jeder User, der ein Action-RPG möge, sei auch an Strategie- oder Taktik-Titeln interessiert. Die Lösung: „Community-Mitglieder können die Rolle ‚Genre‘ nutzen und damit automatisch alle Genres ausblenden, die sie nicht interessieren“, so Coleman. Die relevanten Titel rücken dadurch automatisch in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Uns interessiert in diesem Kontext natürlich auch, welche Features Coleman noch in Discord vermisst. „Das ist eine schwierige Frage“, so der Community-Manager. „Die meisten Features, die Discord nicht implementiert hat, sind über Third-Party-Bots und -Plugins verfügbar.“ Natürlich wäre es schön, wenn Discord einige dieser Features noch nativ einführen würde, so Coleman. „Weil aber Third-Parties ständig neue Tools erschaffen, gibt es in puncto Community-Engagement immer innovative und kreative Bereiche zu erkunden.“ Oder anders formuliert: Der Discord-Werkzeugkasten ist prall gefüllt – und lässt kaum etwas zu wünschen übrig.

Ähnlich sieht das auch Riad Djemili. Er ist Mitgründer des Berliner Indie-Studios Maschinen-Mensch, das mittlerweile ein 13-köpfiges Team beschäftigt. Der aktuellste und sehr erfolgreiche Titel des Studios ist Curious Expedition 2 – ein rundenbasiertes Strategiespiel für Entdecker fremder Welten. „Wir benutzen Discord recht stark“, berichtet Djemili. „Mit Maschinen-Mensch haben wir dort eine Community von 5.000 bis 6.000 Mitgliedern.“ Djemili ist überzeugt, dass Community-Bindung in der aktuellen Games-Schwemme ein enorm wichtiger Weg ist, um langfristig Kundenkontakt zu pflegen. Discord sei dafür eine großartige Plattform, so Djemili: „Sie kann ein Zuhause für eine solche Community sein.“ Bei Spielefans sei Discord sehr beliebt, weil man dort einfach private Server einrichten und mit Freunden abhängen könne. Das sei auch ein Vorteil für die Entwickler,so Djemili: „Der Server, auf dem die Leute ihrem Lieblingsspiel folgen, ist dann nur einen Klick entfernt. Man hat folglich keinen so großen Mediensprung, wie wenn man Leute ins eigene Forum oder auf den Newsletter ziehen will.“ Der Indie-Dev lobt vor allem die unmittelbare Kommunikation, die Discord ermöglicht: „Ich kann etwas eintippen, kann ‚Return‘ drücken – und erreiche damit direkt 5.000 bis 6.000 Leute. Das ist momentan ziemlich unschlagbar.“ Maschinen-Mensch versucht denn auch, möglichst viele seiner Fans in die Discord-Community zu locken. Im Hauptmenü von Curious Expedition gibt es beispielsweise einen Button, der direkt auf die Plattform führt. Auch auf seiner Website und auf seinem Twitter-Account platziert Maschinen-Mensch gut sichtbare Discord-Links – mit dem Resultat, das die Community kontinuierlich wächst. Maschinen-Mensch nutzt auch einen Bot, der Steam Reviews automatisch auf Discord postet. „Für uns sind Reviews natürlich sehr relevant – und wir wollen immer mehr Reviews bekommen“, erläutert Djemili. „Indem wir sie auf Discord spülen, wo unsere Fans sind, animiert die das vielleicht zum Schreiben weiterer Reviews.“

Kaum Schwachstellen
Auf die Frage, was Discord noch fehlt, muss auch Djemili etwas grübeln. „Früher fehlten noch Threads – das war ein Nachteil gegenüber Slack und anderen Plattformen“, sagt er. „Alles war ein Strom von Nachrichten, in dem es drunter und drüber ging.“ Allerdings unterstützt Discord seit ein paar Wochen auch dieses Feature: Man kann nun aus einer Konversation heraus spontan Neben-Foren aufmachen und dort sachlich ins Detail gehen. „Discord ist seitdem auch für Business-Leute noch relevanter geworden“, berichtet Djemili. So würden immer mehr Geschäftspartner direkt ihren Discord-Namen als Kontakt-Info schicken – und nicht mehr unbedingt E-Mail-Adresse oder Telefonnummer. „Auf Discord kann man sich schreiben, bei komplexeren Unterhaltungen kann man einen Voice Call oder Video Call starten“, so der Entwickler. „Man kann auch Inhalte streamen, ich kann hier sogar unser Spiel präsentieren. Discord ist eine starke Kommunikationsplattform, die viele andere Kanäle ersetzt.“

 

Eine starke Kommunikationsplattform, die viele andere Kanäle ersetzt

 

Ist Discord also wirklich eine eierlegende Wollmilchsau? Für Buntspecht Games jedenfalls ist die Plattform bereits ein wichtiger Bestandteil seiner Kommunikationsstrategie. Das Indie-Studio aus Köln hat gerade mit Fall of Porcupine viel Lob bei der gamescom eingeheimst: Das noch unveröffentlichte 2D-Story-Adventure dreht sich um den jungen Arzt Finley – eine Großstadttaube –, der im Krankenhaus der Kleinstadt Porcupine seine Ausbildung zum Internisten vollenden will. „Bisher nutzen wir Discord nur für die Kommunikation in unseren Teams und zu Partnern“, berichtet Florian Köster, der geschäftsführende Gesellschafter von Buntspecht. Für die Kommunikation nach außen nutze Buntspecht Discord noch nicht, so Köster, weil es zunächst noch eine Community aufbauen müsse. „Mit dem Release von Fall of Porcupine in 2023 planen wir aber, Discord als Portal zur Community fokussiert zu nutzen“, so der CEO. Schon jetzt aber ist Köster voll des Lobes für die Plattform: „Die Kommunikation läuft strukturierter, weil sich einfach Channel im Community-Bereich errichten lassen, die den Austausch zu bestimmten Themen konzentriert bündeln.“ In Kombination mit der Suchfunktion und den Bots lasse sich jede Menge Zeit sparen. Als beste Discord-Features nennt Köster die Bot-Integration, den leistungsfähigen Video Call, die Channel mit einstellbaren Zugriffsrechten, das bereits erwähnte „Rollen“-Feature, die schnelle und einfache Kommunikation mit den Community-Mitgliedern – und auch die einfache, direkte Kommunikation mit Geschäftspartnern.

Mehr Schnittstellen
Was sich Köster von Discord noch wünscht, ist eine „direkte und offizielle Schnittstelle zu anderen Plattformen“. Damit können man dann Interaktionen außerhalb von Discord direkt auf der Plattform abbilden – zum Beispiel, wenn auf einem verknüpften Youtube-Kanal ein neues Video erscheine oder auf Instagram eine Story online sei. „Dadurch könnte Discord für User zum wichtigsten Messenger und gleichzeitig zum zentralen Community-Dashboard werden“, prognostiziert Köster. Generelle glaubt er, dass die Bedeutung des Dienstes weiter zunehmen wird. „Discord legt seinen Fokus auf reine Kommunikation und die Vernetzung von Communitys – nicht auf Werbung“, betont der Entwickler. „Es ist dieses technische, reduzierte und pure Image, das es glaubhaft macht und sicher zukünftig weiter wachsen lässt.“

Riad Djemili ist nicht nur Mitgründer von Maschinen-Mensch – sondern auch von codecks.io. Die Projektmanagement-Software richtet sich primär an Spieleentwickler, die ihre Arbeitsabläufe geschmeidiger und effizienter machen wollen. Codecks.io hat eigens für Discord einen Community-Bot programmiert, mit dem sich Fan-Feedback besser verarbeiten lässt. „Mit dem Codecks-Bot lassen sich unstrukturierte Discord-Nachrichten in Smart Items verwandeln“, berichtet Djemili. „Wir tracken die dann auf codecks.io. Dort wird das ganze Feedback übersichtlich nach der Anzahl der Upvotes sortiert – also danach, wie relevant es für die Community ist.“ Tauchen in der Community also neue Feature-Wünsche auf, kann Maschinen-Mensch blitzschnell reagieren. „Die Community-Integration wird für die Spielefirmen der nächsten Generation eine wichtige Aufgabe sein“, prophezeit Djemili. „Dafür haben wir eine sehr gute Discord-Anbindung, mit der man Feedback auch direkt aus einem Computerspiel aufsammeln kann.“ Codecks funktioniert übrigens im Abo. Die User zahlen pro Person und pro Monat, den Discord-Bot können bis zu fünf Personen kostenfrei nutzen – was besonders kleinen Entwicklerteams zugute kommt.

Push-Nachrichten und Nutzungsrechte
Maschinen-Mensch selbst nutzt Discord auch, um die Community über neue Bug-Fixes und verfügbare Inhalte zu informieren – und zwar per Push-Nachricht. „Da poppt dann bei 5.000 Leuten auf dem Smartphone oder Computer eine Nachricht auf: ‚Achtung, der neue DLC ist draußen‘“, freut sich Djemili. Der Indie-Entwickler findet auch praktisch, dass sich in Discord Nutzungsrechte sehr ausgefeilt konfigurieren lassen: „Für größere Server gibt es eine Vielzahl von Moderatoren – und viele davon sicher auch aus der Community.“ Maschinen-Mensch beispielsweise habe sehr viele chinesische User. Einer dieser User – ein Let‘s Player – sei auch auf dem Discord-Server des Studios sehr aktiv. „Den bezahlen wir mittlerweile auch dafür, dass er das Management für unsere chinesische Community macht“, berichtet Djemili.

 

Achtung, der neue DLC ist draußen

 

Momentan durchläuft Discord ganz offiziell eine Neuausrichtung: Es will eine Zielgruppe erreichen, die deutlich über die Gaming-Community hinausreicht – und Politik, Film, Serien und Musik umfasst. Doch wie wird sich Discord künftig in der Games-Branche schlagen? „Ich glaube, Discord hat eine wirkliche Chance, seinen Platz in der Games-Industrie zu behaupten – als einer der wichtigsten Kanäle für Community-Entwicklung und -Engagement“, sagt Steve Coleman. „Andere Social-Media-Plattformen entwickeln sich zwar weiter, haben aber bei weitem noch nicht das Customization-Level erreicht, das Discord bietet.“ Während man auf anderen Plattformen mit wechselnden Algorithmen zu kämpfen habe, biete Discord einen gut konfigurierbaren Space. „Falls sich Discord weiter schlau entwickelt, werden wir wahrscheinlich erleben, dass die Plattform kontinuierlich wächst – besonders in der Games-Industrie“, urteilt der Plaion-Mann.

Riad Djemili glaubt, dass Discord gerade im Business-Kontext weiter wachsen wird – besonders im Remote Work. „Wir benutzen Discord teilweise auch für unsere Büroarbeit“, so der Entwickler. „Wir haben unsere eigenen Kanäle, die für Fans gesperrt sind – und in denen wir Arbeitsdinge besprechen.“ Als Erfolgsrezept von Discord sieht Djemili, dass die Plattform alles biete: „Die Community, die eigene Kommunikation, Voice- und Video-Chat.“ Offenbar ist Discord also doch nicht so weit weg von der berühmten, eierlegenden Wollmilchsau. (Achim Fehrenbach)

IGM 13/22
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