Happy birthday! Black Forest Games wird zehn

Von den Giana Sisters bis zu den Dieselstörmers, von Fade to Silence bis Destroy All Humans!: Seit 2012 entwickelt Black Forest Games in Offenburg Computerspiele. Mittlerweile zählt BFG, das 2017 von THQ Nordic übernommen wurde, zu den größten deutschen Spielestudios – und hat für die nächsten Jahren einiges vor. Ein Porträt zum Jubiläum.
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© Corri Seizinger /stock.adobe.com
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Mit einem sardonischen Grinsen blickt Crypto über den Times Square. Er formt Herzchensymbole, wirft Kusshände ins Publikum und fläzt sich genüsslich in seinem Sessel. Das 14 Meter hohe LCD-Billboard, das zwei Seiten des Bertelsmann Building bedeckt, verleiht Cryptos Faxen einen beeindruckenden 3D-Effekt: Fast wirkt es so, als würde das grimmige Alien jeden Moment auf den Times Square hinabsteigen ...

Cryptos Aufritt zählt zu den spektakulärsten PR-Aktionen rund um den Release von Destroy All Humans! 2 – Reprobed. Das Spiel erschien am 30. August für PS5, Xbox Series X/S und PC – und ist die bisher aufwändigste Produktion von Black Forest Games. BFG, das 2012 aus der Insolvenz von Spellbound Entertainment hervorging, hat sich mittlerweile als eines der wichtigsten deutschen Spielestudios etabliert – auch dank der Übernahme durch THQ Nordic im Jahr 2017. Mitte September feierte die südbadische Firma in Offenburg nun ihr zehnjähriges Bestehen: Mit heutigen und früheren Mitarbeitern, mit Freunden aus der Konzernfamilie (Piranha Bytes, Massive Miniteam etc.) ... und auch ganz zünftig mit einem Konzert der schwedischen Band Machinae Supremacy, die ja – gemeinsam mit Chris Huelsbeck – den Soundtrack zu Giana Sisters: Twisted Dreams beigesteuert hatten. Zum runden Jubiläum schauen wir uns genauer an, wie sich BFG über die Jahre entwickelt hat – und auch, was das Studio in den nächsten Jahren vorhat.

Start in Offenburg
Gegründet wurde BFG eigentlich schon im Dezember 2011, erzählt Managing Director Adrian Goersch. Das Gründerteam nutzte die Mantelgesellschaft, die noch von Spellbound übrig war, und hob ein neues Unternehmen aus der Taufe. Am 1. Mai 2012 nahm die Firma ihre Geschäftstätigkeit auf, am 2. August desselben Jahres wurde sie offiziell in „Black Forest Games“ umbenannt. BFG übernahm 35 MitarbeiterInnen von Spellbound, das seinen Sitz in Kehl gehabt hatte, und bezog neue Räumlichkeiten im früheren Postgebäude am Hauptbahnhof Offenburg. Gleich im Oktober erschien das Klassiker-Remake Giana Sisters: Twisted Dreams, Publisher war Bitcomposer. Das Jump‘n‘Run erhielt gute Kritiken und diverse Preise – und bildete so etwas wie die Grundlage dessen, was darauf noch folgen sollte.

 

2012 waren wir im Survival Mode

 

Die Anfangszeit des Studios sei jedoch keineswegs einfach gewesen, erzählt Adrian Goersch. „2012 waren wir im Survival Mode. Bis zur Übernahme durch THQ Nordic ging es eigentlich nur darum, alles zu machen, was irgendwie Aufträge und Geld reinbrachte – sei es jetzt im Games-Bereich oder außerhalb.“ Neben Spielen entwickelte BFG unter anderem auch einen Fahrschul-Simulator und Simulations-Assets für Rheinmetall. „Wir übernahmen ganz viele kleine Projekte – einfach, um zu überleben“, erinnert sich Goersch. Nach dem Kickstarter-Erfolg der Giana Sisters setzte BFG auf Steam Early Access, um sein Projekt Dieselstörmers zu verwirklichen – eine Mischung aus Roguelike, Shooter und RPG. 2015 musste BFG das Spiel allerdings in „Rogue Störmers“ umbenennen, weil die Modefirma Diesel mit rechtlichen Schritten drohte; BFG nutzte das für eine augenzwinkernde PR-Aktion, bei der sich das Führungsteam in Unterhosen (ohne Jeans) ablichten ließ.

Projekt-Jonglage
Diese Anfangszeit des Studios empfindet Goersch im Rückblick als spannend, aber auch als sehr anstrengend. „Es herrschte teilweise Panik, wenn das ganze Team an einem Projekt arbeitete – und wir dann Leute abziehen mussten, um das nächste Projekt zu pitchen“, berichtet er. „Das war sehr schwierig, weil man schon beim bisherigen Projekt in Zeitverzug war.“ Für BFG war das Jonglieren mit großen und kleinen Projekten eine ständige Herausforderung, die ordentlich an den Kräften zehrte. 2017 änderte sich die Situation grundlegend, als THQ Nordic – heute Embracer – das Studio übernahm. Der Deal wurde pünktlich zur gamescom verkündet – und läutete die nächste Phase der BFG-Geschichte ein. „Die Übernahme durch THQ Nordic hat Ruhe ins Studio gebracht“, konstatiert der Geschäftsführer. „Danach konnten wir uns tatsächlich auf unsere Projekte konzentrieren, Fade to Silence fertigstellen und das Remake von DAH! in Angriff nehmen.“ Die Konzentration auf das Wesentliche habe BFG sehr geholfen, die Workflows, die Tools und die Qualität der Produkte zu verbessern. Das Team wuchs von 55 auf mittlerweile rund 110 Leute – genauso wie die Räumlichkeiten im früheren Postgebäude. Inzwischen belegt das Studio 1800 Quadratmeter auf zwei Etagen – nicht zu vergessen die imposante, 500 Quadratmeter große Dachterrasse. Demnächst werden weitere Räume im Nebengebäude angemietet ...

Bleiben wir aber vorerst noch bei Studio-Phase 2. Bei der E3 2019 verkündete THQ Nordic, das Alien-Franchise Destroy All Humans! wieder aufleben zu lassen. BFG arbeitet zu diesem Zeitpunkt bereits am Remake von Teil 1, der dann auch schon Mitte 2020 plattformübergreifend in die Stores kam. Die Neuauflage war so erfolgreich, dass BFG gleich mit dem Remake des zweiten Teils weitermachen durfte – und dafür unter anderem eine Bundesförderung von rund 2,3 Millionen Euro erhielt (Deckname: „Project Cattleprod 2“).

Neuer Fokus
2021 begann die dritte und jüngste Phase der Firmengeschichte. „Wir wollen an dem Studio arbeiten“, beschreibt Goersch den neuen Fokus. „Wir wollen kein besseres Studio werden, WEIL wir bessere Projekte machen – sondern wir wollen ein besseres Studio werden, UM bessere Projekte machen zu können.“ Dafür hat BFG eine Reihe von Reformen in die Wege geleitet, die den Produktionsprozess in allen Belangen verbessern sollen. „Wir bauen zum Beispiel eine Abteilung für R & D auf, die unabhängig von Projekten schaut, was in der Industrie passiert – und welche Dinge wir ausprobieren wollen“, berichtet der Managing Director. „Ziel ist, Prozesse unabhängig von Projekten zu etablieren. Damit wir sagen können: ‚Das ist ein Standard-Prozess, der für jedes unserer Projekte gilt.‘“ Ein weiteres Beispiel ist der Aufbau der HR-Abteilung. Die kümmert sich um sämtliche Aspekte des Employee Lifecycle – vom Recruiting über Onboarding, Learning, Weiterbildung und HR-Administration bis hin zum Offboarding. BFG kann hier im Konzern auch eine Leuchtturmfunktion übernehmen, so Goersch: „Wir sind das größte Studio im THQ-Nordic-Verbund. Wir haben in vielen Bereichen eine gewisse Leadership, machen also Dinge, die vielleicht auch andere Studios einführen wollen.“ So sei BFG beispielsweise das erste interne Studio mit einer Projektförderung gewesen. „Viele kamen dann zu uns und haben uns gefragt, wie wir den Förderantrag gestellt haben.“ Diese Art von Erfahrungsaustausch sieht Goersch als einen enormen Vorteil des Verbundes: „Man kann ganz offen über Probleme und anstehende Projekte sprechen.“ Mittlerweile umfasst THQ Nordic 25 Entwicklerstudios mit rund 1000 Fachkräften (vgl. IGM 11/2022) – das Potenzial für Erfahrungsaustausch ist also riesig.

Bei der Bundesförderung will BFG übrigens am Ball bleiben, sagt Goersch: „Die ist wichtig für uns, weil wir auch innerhalb von THQ Nordic und Embracer im Wettbewerb stehen.“ Die Konzernführung prüfe genau, wohin sie die nächsten großen Projekte vergebe – zur Auswahl stünden unter anderem auch Studios in UK und Kanada, wo besonders große Fördermittel fließen. „Angesichts dieser Konkurrenz hilft uns die Bundesförderung natürlich, spannende Projekte mit hohem Qualitätsanspruch zu bekommen“, sagt Goersch. Auch künftig will BFG Bundesfördermittel nutzen.

 

Spannende Projekte mit hohem Qualitätsanspruch

Personelle Konstanz
Ein Charakteristikum des Offenburger Studios ist seine personelle Konstanz in der Führungsebene. Alle fünf Gründer sind immer noch dabei: Neben den Managing Directors Adrian Goersch und Andreas Speer sind das Creative Director Jean-Marc Haessig, Art Director Eric Urocki und Tech Director Johan Conradie. „Black Forest Games wurde von Menschen mit Leidenschaft für Spiele gegründet“, sagt Conradie. „Wir haben den Ehrgeiz, uns mit jedem Projekt zu verbessern – und uns immer neue Möglichkeiten zu erschließen.“ Die Geschäftsführer Speer und Goersch sind ein eingespieltes Team. „Andreas stellt sicher, dass wir gute Spiele entwickeln – und ich stelle sicher, dass wir ein Studio haben, das gute Spiele entwickeln kann“, fasst Goersch die Aufgabenverteilung zusammen. Andreas Speer ist also primär fürs Development zuständig – und Adrian Goersch für Dinge wie Strategie, Strukturen, HR, Förderung, Finanzen, Marketing und PR.

In der Organisationsstruktur des Studios hat sich mit der Zeit so einiges geändert. Zu Beginn liefen viele Entscheidungen noch über die eigentliche Gründergruppe – in den letzten Jahren hat BFG jedoch ein Middle Management mit Team Leads aufgebaut. „Das war auch ganz wichtig“, betont Goersch. „Einerseits, um den Leuten kreativen Spielraum zu geben, damit sie nicht alles absegnen lassen müssen. Und andererseits, um dem Top-Management zu ermöglichen, die strategische Entwicklung voranzutreiben.“

Die Führungsriege muss jetzt – überspitzt formuliert – nicht mehr jeden Bug selbst fixen, sondern kann sich auf die Trends und Strömungen der Branche konzentrieren. Im Gegenzug erhalten die Team-Mitglieder mehr Spielraum, um sowohl operative als auch kreative Entscheidungen zu treffen. Doch wie sieht die Middle-Management-Ebene bei BFG eigentlich konkret aus? „Zum Beispiel hatten wir früher den Art Director“, erläutert Goersch. „Inzwischen haben wir aber auch einen VFX Lead, einen Animation Lead, einen 3D Environment Lead und einen Character Art Lead.“ Man habe nun also stärker spezialisierte Teams mit Leads und Principals. „Principals sind Senior-Leute, die zwar keine Personalverantwortung haben, die ein Spiel aber als Mentoren und Entscheidungsträger vorantreiben.“

Mehr Transparenz
Die Reorganisation von BFG hat ein Zauberwort: Empowerment. „Empowerment bedeutet: Delegieren, Verantwortung abgeben. Aber im Gegenzug auch: sehr viel Transparenz schaffen“, betont der MD. Konkret bedeutet das, dass auf jeder Ebene intensiver kommuniziert wird, so dass jeder im Unternehmen über alle Entwicklungen bestmöglich Bescheid weiß. Und es bedeutet auch, dass mehr Leute mehr Verantwortung übernehmen. „Wenn ich in einem Bereich Entscheidungen treffen kann, dann heißt das auch, dass ich die Dinge vorantreiben und die Rolle ausfüllen muss“, fordert Goersch. Ein weiterer wichtiger Aspekt sei die Auslagerung von Produktionsprozessen. „Wir arbeiten inzwischen sehr stark mit Outsourcing-Teams zusammen, in allen möglichen Bereichen – von Art Production über Coding bis hin zu VFX.“ Das wiederum bedeutet, dass BFG selbst mehr Outsourcing-Manager beschäftigt – und auch Leads, die externe Teams führen, die Vorgaben machen, Dinge checken, Management und Kommunikation sicherstellen. Die Übernahme durch THQ Nordic hat daran übrigens nichts Grundlegendes geändert – auch wenn es hier und da Synergieeffekte gibt. Ein Beispiel: Mit der Frankfurter Firma metricminds hat BFG schon früher zusammengearbeitet – seit diesem Jahr ist sie nun auch Teil von THQ Nordic. Für BFG hat Metricminds zuletzt die Cutscenes in DAH! und DAH! 2 – Reprobed produziert.

Andreas Speer zufolge die Übernahme auch beim Business Development einiges geändert. „Als wir noch ein unabhängiger Entwickler waren, nahm Business Development mit Publishern einen relevanten Teil meiner Zeit ein“, so Speer. „Seit der Übernahme ist das zwar immer noch ein wichtiger Teil der Arbeit, hat sich auf kontinuierlich in den Outsourcing-Bereich verlagert.“ Auch interne Management-Themen nähmen wegen des wachsenden Teams immer mehr Zeit in Anspruch, so Speer.

 

Wir arbeiten inzwischen sehr stark mit Outsourcing-Teams zusammen

 

Fachkräfte gesucht
BFG will nun kontrolliert und gemäßigt weiter wachsen. „Wir suchen Fachkräfte in jedem Bereich“, sagt Adrian Goersch. „Allerdings ist es gerade sehr schwierig, für Programmierung und VFX Leute zu bekommen, weil die überall sehr gefragt sind.“ Aktives Headhunting betreibt BFG nicht. „Wir arbeiten mit Agenturen zusammen, außerdem bewerben sich natürlich auch Leute bei uns“, so die HR-Managerin Sarah Cavoleau-Traub (vgl. IGM 03/2022). Eine Herausforderung ist in jedem Fall der Standort Offenburg, ergänzt Adrian Goersch: „Wir haben den Nachteil, dass wir keine Großstadt sind – wir sind nicht Berlin, München oder London.“ BFG sei zudem das einzige größere Studio im Umkreis von knapp 100 Kilometern – die nächsten säßen in Karlsruhe. Ein großer Vorteil ist jedoch, dass Frankreich direkt um die Ecke liegt. „Das heißt, wir können Leute rekrutieren, die weiterhin in Frankreich leben können, weil sie aus Strasbourg und Umgebung pendeln“, erläutert der MD. Momentan sind immerhin 25 Prozent der Belegschaft Pendler aus Frankreich. Und noch andere Gewichte wirft BFG bei der Rekrutierung in die Waagschale. „Wir haben ein bestimmtes Profil, das wir auch verkaufen“, so Goersch. „Wir sagen: ‚Das hier ist ein familienfreundliches Umfeld. Wenn du eine Familie gründen willst, dann kannst du hier noch eine Wohnung finden und deine Kinder mit dem Fahrrad auf die Straße lassen.‘“ Viele Menschen schätzten auch die Natur und die Naherholungsmöglichkeiten der Region. „Wir versuchen, das aktiv zu bewerben, um Leute zu finden, die hier auch glücklich werden – und die nicht sagen: ‚Ok, ich brauche jetzt Barcelona oder London, wo richtig was abgeht.‘“ Nicht jeder Entwickler sei auf den Trubel der Metropolregionen angewiesen.

Genug zu tun
Was die Zukunft von BFG betrifft, zeigt sich Goersch sehr optimistisch: „Wir haben immer noch die kreative Freiheit, die wir als unabhängiges Studio hatten. Aber wir haben jetzt auch einen starken finanziellen Background, der uns Stabilität verleiht – sowohl faktisch als auch vom Gefühl her.“ Endlich könne man sich nun voll auf die Spieleentwicklung konzentrieren. Dass BFG die Arbeit ausgeht, hält Goersch für ausgesprochen unwahrscheinlich: „THQ Nordic hat genügend Projekte für uns. Wir können aber auch unsere eigenen Projekte pitchen. Das heißt, wir haben nie eine Lücke zwischen den Projekten.“ BFG bekomme nun Aufträge am laufenden Band – das sei der große, entscheidende Unterschied zu früher. (Achim Fehrenbach)

IGM 13/22
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