Stranger Things und Co.: Wo bleiben die großen Serien-Umsetzungen?

Serien wie „Stranger Things“, „Squid Game“ oder „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“ erreichen ein Millionenpublikum. Dennoch bleiben die großen Computer- und Videospielumsetzungen dazu aus. Lässt die Industrie hier bares Geld liegen?
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Es ist zum Ausrasten: Zu „Stranger Things“ gibt es keine AAA-Games
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Das am 1. September 2022 auf Amazon Video gestartete „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“ erreichte innerhalb der ersten 24 Stunden nach Ausstrahlung weltweit 25 Millionen Menschen. Die vierte Staffel von „Stranger Things“ knackte bei Netflix zwar nicht ganz den durch „Squid Games“ aufgestellten Streaming-Rekord des US-Anbieters, wurde aber innerhalb der ersten 28 Tage rund 1,4 Milliarden Stunden weltweit geschaut. Bei „Squid Games“ waren es gar 1,7 Milliarden Stunden.

Egal, ob auf Netflix, Amazon Video, Disney+ oder anderen Streaming-Portalen: Serien erreichen ein Millionenpublikum und haben Filme in puncto Popularität längst überflügelt. Umso bemerkenswerter ist die Tatsache, dass die Games-Industrie von dieser Entwicklung bislang nahezu unberührt blieb. Während Filmadaptionen wie zuletzt etwa „Uncharted“, „Monster Hunter“ oder „Mortal Kombat“ weiterhin produziert werden (und dabei leider nur selten die Qualität ihrer Vorlagen erreichen), gab es bislang kaum nennenswerte Spiele zu Serien.

Keine Hits
Dass Serien als Vorlage für große Spieleproduktionen dienten, ist tatsächlich eher eine Ausnahme. Guerilla Cambridge setzte beispielsweise die Erfolgsserie „24“ in einem Third-Person-Actionspiel für die PlayStation 2 um. Der 2006 veröffentlichte Titel blieb jedoch hinter den Erwartungen zurück: Trotz passabler Atmosphäre und Technik war „24: The Game“ abseits der bekannten Lizenz nur eine Ballerei von vielen. Zwei Jahre später folgte die von Ubisoft Montreal entwickelte Abenteuer-Adaption „Lost – Das Spiel“. Und auch wenn das Spieltempo zweifellos gut zum Mystery-Hit passte, so erreichte das fertige Produkt nicht einmal annähernd die Popularität des Serien-Originals.

Die Zombie-Hitserie „The Walking Dead“ diente ebenfalls als Vorlage für diverse Spiele-Umsetzungen. Am bekanntesten sind zweifellos die Narrative-Adventures aus der Feder des US-Studios Telltale Games (ab 2012). Diese basierten allerdings nicht auf der TV-Serie, sondern nahmen sich in erster Linie Robert Kirkmans Comic-Universum zur Vorlage und erzählten innerhalb dieser Welt eine eigene, durch Entscheidungsoptionen des Spielers geprägte Geschichte. Immerhin: Telltale verarbeitete „Game of Thrones“ auf ähnliche Art und Weise und implementierte in dem gleichnamigen, im Jahr 2014 veröffentlichten Episoden-Adventure nicht nur die Charaktere, sondern auch die Original-Schauspieler. Für Serien-Fans bedeutete das beispielsweise ein Wiedersehen mit Kit Harington als Jon Snow oder Lena Headey als Cersei Lannister.

Sowohl „The Walking Dead“ als auch „Game of Thrones“ wurden obendrein in einer Reihe von Mobile-Games umgesetzt. In dem taktischen Aufbauspiel „The Walking Dead: No Man’s Land“ (2015) etwa tauchen zentrale Charaktere wie Negan oder Daryl Dixon als Heldenfiguren mit speziellen Fertigkeiten auf. Bei über zehn Millionen Downloads kann man das Free2Play-Game durchaus als Erfolg bezeichnen. Spannend ist auch die Serien-Umsetzung zu Sonys Endzeit-Drama „The Last of Us“: 2023 geht die Serie exklusiv beim US-Fernsehsender HBO an den Start – der jüngst veröffentlichte Teaser-Trailer sieht durchaus vielversprechend aus.

 

Inoffizielle Nachahmer schossen wie Unkraut aus dem Boden

 

Verschenktes Potenzial?
Was bislang allerdings fehlt, sind die großen AAA-Produktionen auf Basis aktueller Serien. „Squid Games“ beispielsweise faszinierte die Gaming-Community derart, dass inoffizielle Nachahmer wie Unkraut aus dem Boden schossen. Viele Serien bieten allein aufgrund ihrer Figuren und Geschichten die scheinbar ideale Grundlage für ein Videospiel. Siehe etwa „Stranger Things“, in dem der Cast vor Charakteren mit unterschiedlichen Talenten strotzt: Heldin Eleven besitzt telepathische Fähigkeiten, Dustin und Robin sind die Anführer und Planer, Steve und Hopper die Kämpfer. Die Serie führte die Zuschauer zudem an eine Vielzahl von Orten. War in der ersten Staffel noch das verschlafene Nest Hawkins Dreh- und Angelpunkt des Geschehens, zog es die Helden in der vierten Staffel in ein russisches Gefangenenlager, eine Militärbasis in der Wüste oder in die düstere Fantasy-Zwischenwelt des Upside Down. Letztere bietet zudem ausreichend Möglichkeiten für ein mögliches Spin-off mit eigener Story – ähnlich wie etwa in dem 2021 von Square Enix veröffentlichten „Marvel’s Guardians of the Galaxy“.

Das Potenzial wäre also vorhanden, blieb aber bislang ungenutzt. An dieser Stelle sei gesagt: Die Arbeit mit großen Lizenzen birgt stets ein gewaltiges Risiko in sich. Nirgends ist die Zielgruppe derart groß, aber auch derart anspruchsvoll wie hier. Das zeigt sich auch bei Film- und Comic-Umsetzungen. Selbst das bereits angesprochene, qualitativ hochwertige „Guardians of the Galaxy“ floppte – trotz sehr positiver Berichterstattung im Vorfeld.

Da allerdings sowohl Amazon als auch Netflix immer stärker in den Gaming-Sektor drängen, scheint es nur eine Frage der Zeit, bis größere Adaptionen als „Stranger Things 3: Das Spiel“ (2019) an den Start gehen. Netflix-Abonnenten erhalten bereits Zugriff auf eine rund 30 Titel umfassende Spielebibliothek, die allerdings allesamt kein wirklicher Anreiz für den Abschluss einer Mitgliedschaft sind. Zukünftig will und wird der Streaming-Riese Games jedoch stärker in sein Abo-Modell einfließen lassen. So kooperiert Netflix beispielsweise mit Ubisoft: 2023 erscheinen Mobile-Games zu „Assassin’s Creed“, „Mighty Quest“ und „Valiant Hearts“ für Netflix-Abonnenten.

 

Nirgends ist die Zielgruppe derart groß, aber auch derart anspruchsvoll

 

Spielelizenzen als Erfolgsrezept
Umgekehrt wiederum funktioniert das System ausgezeichnet. Serien-Adaptionen bekannter Gaming-Franchises avancierten in den vergangenen Monaten und Jahren zu wahren Publikumsfavoriten, die eine neue Zielgruppe erreichten und Teile der Community reaktivierten. CD Projekt REDs zum Launch gescheitertes Science-Fiction-Abenteuer „Cyberpunk 2077“ feierte dank einer Marketing-Großoffensive im September 2022 ein Comeback auf der Online-Plattform Steam. Zunächst bot der Hersteller das Spiel zum halben Preis an und lieferte dazu auch noch das Update 1.6 mit neuen Waffen, Talenten, Aufträgen und Inventar-Optionen wie dem Transmog-System aus. In einem Crossover-Stunt implementierte man hier auch versteckte Inhalte zu dem am 13. September 2022 auf Netflix gestarteten Anime „Cyberpunk: Edgerunners“. Der Content-Mix aus kostenlosen Ingame-Inhalten und qualitativ hochwertiger Serie sorgte für eine positive Wechselwirkung, die das beinahe zwei Jahre alte Rollenspiel zurück in die Schlagzeilen brachte.

Ein ähnlicher Effekt zeigte sich kurz nach der Veröffentlichung der ersten Staffel der Netflix-Fantasy-Umsetzung „The Witcher“: Es war das Serienerlebnis zum Weihnachtsgeschäft 2019 – und das zeigte sich auch bei den Verkaufszahlen des zu diesem Zeitpunkt vier Jahre alten „The Witcher 3: Wild Hunt“. Im Vergleich zum Vorjahr stiegen die Steam-Verkäufe des Open-World-Abenteuers in den USA um 554 Prozent. Am 29. Dezember 2019 spielten 94.000 Menschen zeitgleich das Rollenspiel auf Valves Online-Plattform. Zum Vergleich: Zum Launch im Mai 2015 waren es rund 92.000 PC-Gamer. CD Projekt RED legte auch 2019 die Einstiegshürde entsprechend niedrig und bot „The Witcher 3: Wild Hunt“ zum Sonderpreis an.
 

Ein Freifahrtschein sind Gaming-Lizenzen also nicht

 

Es zeigt sich: Serien-Umsetzungen auf Basis von Computer- und Videospielen können selbst älteren Titeln neues Leben einhauchen. „Castlevania“ und „Arcane“ sind weitere positive Beispiele für die Umsetzung. „Resident Evil“ scheiterte dagegen zuletzt und wurde von Netflix bereits nach der ersten Staffel abgesetzt. Ein Freifahrtschein sind Gaming-Lizenzen also nicht, jedoch können erfolgreiche Adaptionen, sofern sie geschickt platziert werden, eine positive Wechselwirkung auf die Verkaufszahlen der Spiele haben. Netflix hat dies längst erkannt und etwa mit „Dragon Age: Absolution“, „Devil May Cry“ oder dem schon erwähnten „Assassin’s Creed“ bereits weitere Lizenzrechte eingekauft. Nun bleibt zu hoffen, dass sich auch der umgekehrte Effekt einstellt und künftig erfolgreiche Serien in Spielen umgesetzt werden. Schließlich dürfte es jede Menge Serien-Fans mit Gaming-Affinität geben, die schon immer einmal das Upside Down betreten oder am „Squid Game“ teilnehmen wollten. (ob/bpf)

IGM 13/22
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