Dynamischer Riese: Die afrikanische Games-Branche, Teil 1

Anfang Dezember steigt in Kapstadt die Africa Games Week, die bedeutendste Branchenkonferenz des Kontinents. In einer zweiteiligen Serie stellen wir die afrikanische Games-Industrie vor – mit ihren Trends, Akteuren und Initiativen, regionalen Schwerpunkten und Herausforderungen.
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Am 2. Dezember ist es soweit: Dann treffen sich in Kapstadt Branchen-Angehörige zur größten afrikanischen EntwicklerInnenkonferenz, der Africa Games Week (AGW). Die TeilnehmerInnen reisen aus über 50 afrikanischen Staaten und der ganzen Welt an, um Fachwissen auszutauschen, Projekte zu präsentieren und Kontakte zu knüpfen. Bis zum 5. Dezember bieten die Veranstalter ein volles Programm – mit mehr als 90 SpeakerInnen, etlichen Workshops, Business-Matchmaking, der Africa Game Exhibition und mit Touren durch die Dev-Szene von Kapstadt. „Hauptziel der AGW ist es, das afrikanische Gaming-Ökosystem weiter ins Rampenlicht zu rücken und alle Beteiligten vorzustellen – von Entwicklerinnen bis hin zu 2D- und 3D-KünstlerInnen, MusikerInnen und StudioleiterInnen“, sagt Event Director Alexandra Pattison. „Unser Ziel ist es, afrikanische Talente zu fördern und das Wachstum in der Branche voranzutreiben.“ Eines der Konferenz-Schwerpunkte sei das von der AGW geförderte B2B-Meeting-Programm, so Pattison: „Es bietet Entwicklern und internationalen Partnern unschätzbar wertvolle Möglichkeiten der Vernetzung.“ Als eines von vielen Highlights nennt Pattison auch den Workshop zum Thema „Designing Emergent Gameplay Systems“ – mit niemand Geringerem als der Game-Design-Legende Warren Spector.   

Die African Games Week wächst von Jahr zu Jahr – und spiegelt damit auch die wachsende Bedeutung der afrikanischen Games-Branche wider. Mit seinen 55 Staaten und über 1,4 Milliarden Menschen ist der Kontinent nicht nur ein riesiger Absatzmarkt für Games, sondern auch eine Produktionsstätte mit enormem Potenzial. „Die afrikanische Games-Industrie ist in letzter Zeit erheblich gewachsen“, sagt Eyram Tawia. „Die Gründe sind ein besserer Zugang zu Technologie, Mobilgeräten und Internetverbindungen.“ Tawia ist CEO des ghanaischen Entwicklerstudios Leti Arts – und Co-Initiator des 2022 gegründeten Netzwerks Pan Africa Gaming Group. „PAGG möchte die afrikanische Games-Industrie einen, indem es die Studios zur Zusammenarbeit ermutigt, innovatives kulturelles Storytelling unterstützt und ein nachhaltiges Gaming-Ökosystem entwickelt“, erläutert Tawia. Ziel sei es, die afrikanischen Games einem internationalen Publikum näher zu bringen – und zwar durch die Schaffung gemeinsamer Ressourcen,  durch Schulungsmöglichkeiten und Vertriebskanäle. Als Plattform für afrikanische Games hat PAGG die Website gara.store geschaffen – dort können Interessierte jede Menge lokal produzierter Spiele online ausprobieren und auch downloaden.

 

Unschätzbar wertvolle Möglichkeiten der Vernetzung

Afrikanische Inhalte
Die Gründungsmitglieder von PAGG kommen aus allen Teilen Afrikas. Neben Leti Arts sind beispielsweise auch Kiro‘o Games aus Kamerun (vgl. IGM 07/2021), Qene Games aus Äthiopien und Digital Mania aus Tunesien mit dabei. Diese Studios zählen in ihren jeweiligen Ländern zu den führenden Spielefirmen, schaffen Arbeitsplätze und haben auch eine Vorbildfunktion. Leti Arts beispielsweise hat in der ghanaischen Hauptstadt Accra ein 23-köpfiges Vollzeit-Team plus diverse PraktikantInnen. Das Studio pflegt internationale Partnerschaften und verantwortet auch Bildungsinitiativen wie das Rubica Bootcamp und die Steam Academy. Als Entwickler habe sich Leti Arts der Bewahrung des afrikanischen Erbes verschrieben, betont Eyram Tawia. In seinen digitalen Produktionen stellt das Studio deshalb Mythologie, Geschichte und moderne HeldInnen des Kontinents in den Mittelpunkt. Eines seiner aktuellen Projekt ist das Mobile Game Sweave, das künstlerisch von den Mustern und Fertigungstechniken afrikanischer Wandteppiche inspiriert ist. In dem Hypercasual Game steuert man eine Kugel, die einem Schiffchen auf einem Webstuhl ähnelt; dabei weicht man zunehmend komplexen Hindernissen aus, die von der westafrikanischen Symbolsprache Adinkra inspiriert sind. Bekannt geworden ist Leti Arts vor allem durch die Serie Africa‘s Legends, in der afrikanische SuperheldInnen gegeneinander antreten – und zwar nicht nur in einem Mobile Game, sondern auch in einem digitalen Comic (vgl. IGM 03/2021). „Außerdem haben wir uns mit internationalen Organisationen zusammengetan, um Serious Games zu den Themen Gesundheit, Bildung und bürgerschaftliches Engagement zu entwickeln“, berichtet Tawia. Die nächsten Projekte stehen also schon in den Startlöchern.

Generell zählen Mobile Games zu den wichtigsten Faktoren des regionalen Industriewachstums. Tawia bezeichnet sie als „die dominierende Kraft auf dem afrikanischen Markt, vor allem wegen der Zugänglichkeit und Erschwinglichkeit von Smartphones im Vergleich zu Konsolen und PCs“. Hinzu kommen sinkende Preise für mobile Datentarife, die Downloads und Online-Gaming attraktiver machen. „Die Developer konzentrieren sich immer mehr auf die Entwicklung kurzweiliger, kostenloser Mobile Games mit lokalen Geschichten, die beim afrikanischen Publikum großen Anklang finden“, erläutert Tawia. „Diese Zugänglichkeit hat Mobile Gaming zum wichtigsten Wachstumstreiber in der afrikanischen Games-Industrie gemacht.“

 

Die afrikanische Games-Industrie ist in letzter Zeit erheblich gewachsen

 

Mobile an der Spitze
Ähnlich sieht das auch Hugo Obi, CEO des nigerianischen Studios Maliyo Games. „In Afrika beliebte Genres wie Action, Puzzles, Adventures und Sport eignen sich perfekt für mobile Plattformen und sprechen die unterschiedlichsten Spielvorlieben an“, sagt er. Zwar spielten in Afrika auch andere Plattformen eine gewisse Rolle; Mobile Gaming stehe in der Consumer-Gunst jedoch unangefochten an der Spitze. „Es ist der Schlüssel, um das Potenzial der afrikanischen Games-Industrie zu erschließen und ein großes und engagiertes Publikum zu erreichen“, unterstreicht Obi. Gerade hat er mit seiner Firma den „2024 Africa Games Industry Report“ herausgebracht, der auch auf der gleichnamigen Website abrufbar ist. Der Report kombiniert Daten von Marktforschungsunternehmen wie Newzoo mit einem Überblick der afrikanischen Games-Geschichte, Porträts verschiedener regionaler Förderinitiativen und auch einer Umfrage, die Maliyo Games mit 118 EntwicklerInnen veranstaltet hat. Die Bedeutung von Mobile Games untermauert Hugo Obi mit den passenden Daten: So seien rund 70 Prozent der 1,4 Milliarden AfrikanerInnen unter 30 Jahre alt und und entsprechend Smartphone-affin. Zudem hätten Mobile Games 2022 in der Subsahara-Region etwa 95 Prozent aller Spieleumsätze generiert, nämlich 778,6 Millionen US-Dollar. „Das unterstreicht die wirtschaftliche Bedeutung der Plattform für die Branche.“

Mobile Games sind wohl der wichtigste, aber beileibe nicht einzige Wachstumsfaktor für Afrikas Games-Branche. Hugo Obi nennt die aus seiner Sicht wichtigsten Trends, die das derzeitige Wachstum kennzeichnen. Als ersten nennt er „aufsteigende Stars“ wie das neu gegründete Studio Dimension11, das mit seinem kommenden PC- und Konsolen-RPG Legends of Orisha jetzt schon für internationales Aufsehen sorgt. Als zweiten Punkt nennt Obi die Expansion bereits etablierter Akteure: So habe Kiro‘o Games aus Kamerun sein Action-Game Aurion: Legacy of Kori-Odan im Xbox Game Pass veröffentlicht und dadurch bewiesen, welch großes Potenzial afrikanische Spiele auf globalen Distributionsplattformen haben. Als dritten Punkt nennt Obi das afrikaweit florierende Ökosystem aus Gaming-Communities und Events wie AGW, GameFEST oder Africomicade. Viertens sei E-Sport in Afrika erkennbar auf dem Vormarsch, beobachtet der Firmengründer: „Die E-Sport-Szene boomt mit Turnieren wie FEJA, Gamr und dem Africa Cup von Carry1st. Das kurbelt die die Nachfrage nach lokalen Inhalten und kompetitiven Spielerlebnissen an.“ Als fünften Punkt nennt Obi Bildungsinitiativen, die talentierte Nachwuchs-Devs gezielt fördern. Ein Beispiel sei das Programm GameUp Africa, das Maliyo Games initiiert habe: Es findet nunmehr im vierten Jahr statt und bietet kostenlose, afrikaweite Fortbildungen in Programmierung, Art, Audio und Marketing.

Kooperation mit Disney
Maliyo Games hat selbst eine der bisher größten Erfolgsgeschichten des Kontinents geschrieben. Das Mobile-Gaming-Studio mit Hauptsitz in Lagos besteht aus aus rund 30 Fachkräften, die vernetzt arbeiten und in verschiedenen Städten des Kontinents leben – unter anderem auch in Nairobi, Accra und Johannesburg. Maliyo Games‘ Vorzeigeprojekt ist eine Partnerschaft mit Disney: Im Auftrag des Entertainment-Riesen hat das Studio die App Disney Iwájú: Rising Chef entwickelt. Auf Basis der Animationsserie Iwájú (Disney+) erschuf die Spielefirma ein kurzweiliges Mobile Game, in dem man sich über verschiedenste Koch- und Service-Herausforderungen zum ultimativen Küchenchef entwickelt. Wir sind stolz auf die Partnerschaft mit Disney“, sagt Hugo Obi. „Das ist eine bahnbrechende Zusammenarbeit – und das erste Mal, dass sich ein großer US-Publisher mit einem afrikanischen Studio zusammengetan hat.“

 

Die E-Sport-Szene boomt

Das Projekt habe Maliyo Games die Chance gegeben, das große Potenzial der afrikanischen Spielebranche auch auf internationaler Bühne zu präsentieren. „Es bestätigte unseren Ansatz, kulturell reichhaltige Spielerlebnisse zu schaffen, eine lokale Talent-Pipeline aufzubauen und Prozesse für die Entwicklung hochwertiger Games auf dem Kontinent zu entwerfen“, freut sich Obi. Die Partnerschaft mit Disney habe seinem Studio ermöglicht, seine Produktionsprozesse zu verfeinern und effizienter zu gestalten; gemeinsam mit einem großen IP-Inhaber an einem solch komplexen Projekt zu arbeiten, sei enorm viel wert. „Diese Erfahrung hat das Selbstvertrauen unseres Teams erheblich gestärkt“, sagt Obi. „Es hat uns in die Lage versetzt, auch ehrgeizigere Projekte in Angriff zu nehmen.“ Noch wichtiger sei jedoch, damit ein starkes Signal setzen zu können, so der Studiochef. „Die Zusammenarbeit hat gezeigt, dass es überall unglaubliche Talente gibt – und dass eine Partnerschaft mit afrikanischen Studios nicht nur eine gute Tat ist, sondern auch ein gutes Geschäft. Sie eröffnet den Zugang zu neuen Märkten, frischen Perspektiven und einzigartigen kreativen Stimmen.“

Bei der Africa Games Week 2024 wird Hugo Obi natürlich auch dabei sein: Er ist seit mehreren Jahren im Beratungsausschuss der AGW tätig und wird auf der Konferenz – neben neuen Games wie Secret Letter und Crazy Ludo – auch besagten Industriereport vorstellen. „Für viele junge Studios auf dem Kontinent ist die AGW eine gute Gelegenheit, mit der globalen Gaming-Community in Kontakt zu treten, ohne dass sie dafür ins Ausland reisen müssen“, lobt Obi. „Es ist unsere lokale GDC, die die Zusammenarbeit fördert und das unglaubliche Potenzial der afrikanischen Spieleentwicklung demonstriert.“ AGW-Mitgründer Rex Bowden möchte mit der Konferenz die Verbindungen zwischen afrikanischen Studios und internationalen Publishern und Investoren fördern. Echte Meilensteine der Konferenzgeschichte seien beispielsweise die Partnerschaften mit Xbox und Epic. „Diese haben das erstaunliche Potenzial erkannt, das es in Afrika gibt“, sagt Bowden. Bei der AGW wird es einmal mehr im Rampenlicht stehen. (Achim Fehrenbach)

In Teil 2 unseres Afrika-Specials (IGM 14/2024) stellen wir weitere Studios und Initiativen vor – und beleuchten auch, vor welchen Herausforderungen die afrikanische Games-Branche noch steht.

IGM 13/24
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