Starke Geschichten: Die afrikanische Games-Branche, Teil 2

Als Absatzmarkt für Games hat Afrika jede Menge Potenzial – und nicht nur das: Afrikanische Studios erzählen mit ihren Games Geschichten, die Mythologie mit modernen Settings verbinden – und damit auch westliche Märkte ansprechen. Zugleich steht die Industrie des Kontinents vor großen Herausforderungen. In Teil 2 unseres Specials beleuchten wir beide Aspekte.
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Copyright: JuJu Games
Copyright: JuJu Games

Strahlend stehen sie auf der Bühne und nehmen stolz den Hauptpreis – einen Playtesting-Gutschein – entgegen: Gerade hat das nigerianische Studio JuJu Games die „Pitch Competition“ beim Games Ground Festival in Berlin gewonnen. JuJu Games ist eines von mehreren Start-ups, die an „The Rabbit“ teilgenommen haben, einem Fortbildungsprogamm im brandenburgischen Bad Belzig. „The Rabbit“ wird seit mehreren Jahren vom Medienboard Berlin-Brandenburg gefördert; insgesamt 15 EntwicklerInnenkonnten dieses Jahr im „Coconat Space“ an ihren Projekten feilen und erhielten dabei auch Mentoring, zum Beispiel in Sachen Game-Design und Marketing. Die „Pitch Competition“ beim Games Ground Festival Mitte November war ein Höhepunkt des Förderprogramms: JuJu Games überzeugte die Jury (Valentina Birke, Rami Ismail, Adam Snook) mit ihrem Spiel Vodou – A Space Odyssey.

Gute Erfahrungen
Dass Juju Games zu „The Rabbit“ eingeladen wurde, hat den Studio-Gründer überrascht. „Wir gehören zu einer Community namens Africacomicade“, erzählt Tobe Max Ezeogu im IGM-Interview. „Eines der Ziele von Africacomicade ist, afrikanische Games weltweit zu verbreiten, also suchen sie nach entsprechenden Möglichkeiten. Eines Tages haben wir uns für ‚The Rabbit‘ beworben  – und wurden dann auch angenommen.“ Das Workation Retreat in Brandenburg bezeichnet Ezeogu als tolle Erfahrung: „Die Leute hier waren super nett.“ Ezeogu und seine MitgründerInnen Victory Chukwuma und Chijioke Aaron hoffen nun darauf, bald einen Investor und/oder Publisher für das Spiel zu finden.

„Vodou – A Space Odyssey ist im Grunde eine Space Opera, die afrikanische Mythologie mit ihrer Rahmenhandlung verbindet“, erzählt Ezeogu. „Wir haben uns dafür entschieden, verschiedene Genres zu kombinieren, um etwas zu schaffen, das es unserer Meinung nach noch nicht gab – oder das noch nicht so weit verbreitet ist.“ In Anlehnung an das Genre „Spaghetti-Western“ ordnet Ezeogu sein Spiel als „Jollof-Western“ ein: Jollof ist ein traditionelles westafrikanisches Reisgericht und in Nigeria sehr beliebt. Im Mittelpunkt von Vodou stehen die beiden KopfgeldjägerInnen Bazz Reeves und Amani, die auf historischen Figuren basieren. „Die Teenage Mutant Ninja Turtles beziehen sich auf Maler der Renaissance“, erläutert Ezeogu. „Ich wollte etwas Ähnliches machen, indem ich historische Persönlichkeiten heranziehe, ohne aber die Figuren auf die Handlungen der echten Personen aufzubauen. Es soll nur locker daran angelehnt sein.“ Das historische Vorbild für den Kopfgeldjäger Bazz ist der afroamerikanische Deputy U.S. Marshal Bass Reeves, der im 19. Jahrhundert westlich des Mississippi River für Recht und Ordnung sorgte – und dabei äußerst produktiv war: Er verhaftete im Lauf seiner Karriere mehr als 3000 DelinquentInnen. „Er war so gut, dass die Leute schon von selbst ins Gefängnis liefen, sobald sie hörten, dass er hinter ihnen her war“, sagt Ezeogu. „Warum haben wir nicht mehr Filme über ihn?“ Das historische Vorbild für die Kopfgeldjägerin Amani ist die nubische Königin Amanirenas Kandake. „Sie wehrte mehrere römische Invasionen ab und sorgte dafür, dass das Königreich Kusch während ihrer Herrschaft unbesiegt blieb“, berichtet Ezeogu voller Bewunderung. „Sie hatte nur ein Auge, benutzte aber Pfeil und Bogen.“

Ein Jollof-Western

 

Totalitäres Szenario
In Vodou begeben sich Amani und Bazz auf eine Reise durch den Weltraum. „Ihr Ziel ist es, das höchste Kopfgeld zu erhalten, das es in ihrer Galaxie gibt: für das Oberhaupt des herrschenden Imperiums“, erläutert Ezeogu. Vodou sei zwar kein politische Spiel im engeren Sinne, biete aber ein totalitäres Szenario „ähnlich dem, das wir in Afrika oft erleben“, so der CEO. Mit Vodou wolle das Studio eine Welt erschaffen, in der es Geschichten über verschiedene Figuren erzählen könne, zum Beispiel Schurken und Piraten. „In dieser Hinsicht bin ich stark von Tolkien, George Lucas und Brandon Sanderson inspiriert“, sagt er. Vodou werde keine offene Spielwelt haben, sondern lineares Gameplay und eine feste Handlung mit vielen Dialogen und Zwischensequenzen. „Die Ansicht ist top-down, wechselt aber in den Third-Person-Modus, sobald man gegen Feinde kämpft“, erläutert der Game-Designer. Parallel zum Spiel entwickelt JuJu Games auch einen digitalen Comic: Ezeogu ist – als Creative Director des nigerianischen Verlags Comic Republic – seit langem in dieser Branche tätig.

Nigeria zählt zu den größten Ländern Afrikas – und auch zu den dynamischsten Märkten der dortigen Games-Branche. „In Nigeria breitet sich Mobile Gaming rasch aus“, berichtet Eyram Tawia, Co-Initiator des 2022 gegründeten Netzwerks Pan Africa Gaming Group (PAGG). Zu den führenden afrikanischen Spielemärkten zählt laut Tawia auch Südafrika, das zahlreiche Studios hat und Veranstaltungsort wichtiger Branchen-Events ist, zum Beispiel der Africa Games Week (2. bis 5.12.) oder von Playtopia (6./7.12.). Als weitere Hotspots der afrikanischen Games-Industrie nennt Tawia das Land Kenia, das für seine technologischen Innovationen im Bildungsbereich bekannt sei, und auch sein eigenes Heimatland Ghana, wo Tawia das Studio Leti Arts leitet (vgl. IGM 13/2024). Zu den besonders einflussreichen Entwicklerstudios des Kontinents zählt Tawia auch Maliyo Games (Nigeria), Kiro‘o Games (Kamerun) sowie Free Lives und Nyamakop, beide aus Südafrika. Alexandra Pattison, Event Director der Africa Games Week, verweist zudem auf besonders umtriebige Games-Firmen in Tunesien (Lantern Studios), Kenia (Mekan Games), Madagaskar (Red Raketa Studio) und Südafrika (24 Bit Games). „Diese Studios stehen in puncto Innovation und Kreativität im afrikanischen Gaming-Ökosystem an der Spitze“, sagt Pattison. Etliche dieser Firmen werden auch an der African Games Week in Kapstadt teilnehmen.

Große Herausforderungen
Mobile Games sind der größte Wachstumstreiber der afrikanischen Spielebranche: Smartphones sind auf dem Kontintent weit verbreitet, hinzu kommen sinkende Preise für mobile Datentarife, die Downloads und Online-Gaming attraktiver machen. Mit seinen 55 Staaten und über 1,4 Milliarden Menschen ist Afrika ein riesiger Absatzmarkt für Games – und auch eine Produktionsstätte mit riesigem Potenzial. Gleichwohl stehen lokale Spielefirmen vor großen Herausforderungen. „Die aktuellen Probleme in der globalen Branche erschweren es der afrikanischen Industrie, neue Märkte zu erschließen“, sagt Rex Bowden, Co-Founder und Director der Africa Games Week. „Der ständige Brain Drain aus der Games-Industrie in andere Technologiebranchen wie Fintech, Gambling und so weiter bedeutet, dass wir immer wieder großartige Leute verlieren.“ Eine der größten Herausforderungen sei die Spielefinanzierung, ergänzt Bowdens Kollegin Alexandra Pattison. „Der Zugang zu Kapital ist nach wie vor begrenzt, und für viele Entwicklerstudios ist es schwierig, die finanzielle Unterstützung zu erhalten, die sie für den Ausbau ihrer Projekte benötigen.“ Außerdem gebe es auf dem internationalen Markt immer noch ein Wahrnehmungsproblem, so Pattison: Afrika werden häufig nicht als Produktionsstätte für Games gesehen. „Das unterstreicht die Notwendigkeit, die Fähigkeiten und Leistungen der Branche stärker herauszustellen“, sagt Pattison. Eyram Tawia nennt – neben dem begrenzten Funding – noch eine weitere Herausforderung: Die ausbaufähige Internet-Infrastruktur vieler ländlicher Regionen, die eine digitale Kluft verursacht. „Zwar gibt es eine gewisse Unterstützung durch die Regierungen“ sagt Tawia. „Aber das Fehlen gezielter politischer Maßnahmen für den Gaming-Sektor ist ein Hindernis für nachhaltigen Fortschritt.“

 

Die Fähigkeiten und Leistungen der Branche stärker herausstellen

Dennoch erkennen laut Tawia afrikanische Regierung immer häufiger, welches Potenzial in der Games-Branche steckt. „In Nigeria gibt es Initiativen, die die Kreativwirtschaft durch Zuschüsse unterstützen. Südafrikas Ministerium für Handel, Industrie und Wettbewerb (DTIC) bietet Anreize für die Games-Entwicklung“, berichtet er – und nennt gleich noch zwei weitere Beispiele: In Kenia etwa unterstützten Tech-Hubs Innovationen im Bereich digitaler Medien; in Ghana arbeite sein Studio Leti Arts mit verschiedenen Organisationen zusammen, um digitale Bildung und Kreativität zu fördern. Häufig sind es private Initiativen, die etwas in der afrikanischen Games-Branche bewegen: Ein Beispiel ist das Programm GameUp Africa von Maliyo Games, das nunmehr im vierten Jahr stattfindet – und das kostenlose, afrikaweite Fortbildungen in Programmierung, Art, Audio und Marketing bietet. Gerade erst hat Maliyo Games ein neues Event angekündigt: In Zusammenarbeit mit dem US-Konsulat in Lagos und dem Global Game Jam wird es vom 9. bis 20. Dezember den „GameUp Africa Jam for Democracy“ ausrichten.  Die Anmeldung läuft noch bis zum 4. Dezember, die TeilnehmerInnen können an Showcases teilnehmen, Preise gewinnen und auch im Anschluss Unterstützung für ihre Wettbewerbsbeiträge erhalten.

Suche nach Investitionen
Hugo Obi ist Geschäftsführer von Maliyo Games  – und ein profunder Kenner der afrikanischen Games-Branche. Obi stellt fest, dass es auf dem Kontinent immer mehr talentierte Nachwuchskräfte gibt. „Wir brauchen aber mehr erfahrene EntwicklerInnen und Studios, die kontinuierlich qualitativ hochwertige Games herausbringen, die auch auf globaler Ebene konkurrieren können“, fordert er. Dafür seien kontinuierliche Investitionen in Ausbildung, Mentoring und Wissensaustausch nötig. „Initiativen wie GameUp Africa sind von entscheidender Bedeutung, um diese Lücke zu schließen und eine neue Generation qualifizierter SpieleentwicklerInnen heranzubilden“, sagt Obi. Sein eigenes Studio Maliyo Games (vgl. IGM 13/2024) entwickelte in Partnerschaft mit Disney das Mobile Game Disney Iwájú: Rising Chef – und konnte dabei viele wertvolle Erfahrungen sammeln. Als unerlässlich sieht Obi auch höhere Investitionen in die Branche. „Da immer mehr qualitativ hochwertige Games aus Afrika kommen, müssen wir Kapital von lokalen und internationalen Investoren anziehen, um das Wachstum der Studios, die Marketing-Bemühungen und die globale Expansion zu unterstützen“, sagt er. Genau deshalb sei es so wichtig, Erfolgsgeschichten wie die Disney-Kooperation auch auf internationaler Ebene zu präsentieren. Regierungen komme bei der Förderung der Games-Industrie eine Schlüsselrolle zu, betont Obi. „Dazu gehören politische Maßnahmen zur Innovationsförderung, der Zugang zu Funding, der Schutz des geistigen Eigentums und die Entwicklung einer digitalen Infrastruktur.“ Um für mehr Transparenz zu sorgen und Fördermöglichkeiten aufzuzeigen, hat Maliyo Games gerade den „2024 Africa Games Industry Report“ erstellt. Der Report ist bereits online abrufbar – und wird auch bei der Africa Games Week präsentiert werden.

Frauen sind in der afrikanischen Games-Branche noch unterrepräsentiert. „Zurzeit gibt es in Afrika nicht viele Firmen, die von Frauen geführt werden“, berichtet Sithe Ncube, Producerin beim südafrikanischen Studio Nyamakop (Semblance). Einige wenige Studios mit weiblichen CEOs gebe es aber bereits – und zwar vor allem in Südafrika, berichtet Ncube. Als Beispiel nennt sie Tiny Baby Crown, das eine ausschließlich weibliche Belegschaft hat, von Estelle Makhoba geleitet wird und 2023 Unterstützung vom Black Game Developer Fund der Firma Humble Games erhielt. „Ein weiteres südafrikanisches Studio ist SouthGame Studio, das 2021 von Avuzwa Ntshongana, Nkateko Nompumelelo und Tenyeko Mosikili gegründet wurde“, erzählt Ncube. „Avuzwa veranstaltet in Johannesburg auch regelmäßige Treffen für Frauen aus der Games-Branche. Das spricht für das Wachstum der Community in der Region.“ Die größten Hindernisse für eine Karriere in der Games-Branche betreffen laut Ncube nicht nur Frauen: „Der Mangel an finanziellen Mitteln und an Möglichkeiten für eine Vollzeitbeschäftigung macht es schwierig, sich auf Dauer in der Games-Industrie zu behaupten.“ Allerdings hätten Frauen die zusätzliche Herausforderung, dass Teile des globalen Games-Publikums der Darstellung und Einbeziehung von Frauen in Spielen – speziell im Online-Bereich – mitunter feindich gegenüberstünden.

Weibliche Netzwerke
Als positiv sieht Ncube, dass für Frauen in der afrikanischen Games-Branche immer mehr Networking-Möglichkeiten entstehen. Als Beispiele nennt die Expertin Gruppen wie „Women in Games“ und den „Women Game Jam“, die auch lokale Chapter betreiben. „Am Women Game Jam haben sich Länder wie Südafrika, Sambia, Nigeria und Namibia beteiligt“, erläutert Ncube. „Weitere Vernetzungsgelegenheiten sind internationale Initiativen wie das Programm ‚She Got Game‘ von Pro Helvetia.“ Dieses Programm ermögliche Frauen, an einem persönlichen Mentoring, an Vorträgen und an Peer-to-Peer-Kreisen teilzunehmen. „Seit seiner Gründung hatte ‚She Got Game‘ Teilnehmerinnen und Mentorinnen aus verschiedenen afrikanischen Ländern“, berichtet Ncube. Gleichwohl gebe es noch jede Menge zu tun.

 

Das bisherige Feedback ist überwältigend positiv

 

Als Mitgründerin und Game UI Designer von JuJu Games ist Victory Chukwuma mit nach Brandenburg gereist. Sie ist sehr zuversichtlich, dass es mit einem Investment für Vodou klappen wird: „Das bisherige Feedback ist überwältigend positiv.“ Alle, die bisher von dem Spiel gehört hätten, seien von der Idee begeistert, so Chukwuma. „Sie sind alle gespannt darauf, einen spielbaren Prototyp in die Hände zu bekommen.“ Gleichwohl werde JuJu Games – der offizielle Name ist „JuJu Labs“ – nun nicht gleich alles auf eine Karte setzen. „Wir haben verschiedene Optionen“, deutet die Mitgründerin an. Ihr Kollege Tobe Max Ezeogu ist ebenfalls sehr optimistisch. „Die größte Chance für die afrikanische Games-Industrie besteht darin, ihre Kultur in eine Welt zu exportieren, in der man im Grunde schon 200 Versionen von Thor und 200 Versionen von Zeus gesehen hat“, sagt er. „Die Leute sind davon gelangweilt.“ Beispiele für neuere Einflüsse auf die Popkultur seien Heldenfiguren wie Susano oder Amaterasu aus Japan oder Sun Wukong aus China. Auch Afrika biete viele spannende Figuren, etwa Xevioso aus Dahomey oder Shango, das Äquivalent zu Thor im nigerianischen Mythos. „Shango zum Beispiel kann Feuer speien und Blitz und Donner kontrollieren, was ihn von Zeus unterscheidet“, erläutert Ezeogu. Genau solche Stories bräuchten eine internationale Bühne.

Neues erzählen
Mit Vodou will JuJu Games keine uralte Geschichte erzählen, betont Ezeogu. „Das ist es ja, was die Leute von uns erwarten. Sie wollen, dass wir Figuren erschaffen, die mit Speeren und Schilden hantieren.“ Diese Erwartungshaltung sei auch völlig in Ordnung, so der Studiogründer. „Ich möchte diese Figuren aber in einem Space-Western sehen, wie sie sich duellieren oder Sci-Fi-Magie einsetzen, um seltsame Voodoo-Dinge zu vollbringen.“ Man darf gespannt sein, wie es mit dem Projekt von JuJu Games weitergeht. (Achim Fehrenbach)

IGM 14/24
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