Die Welt der Computer- und Videospiele besteht nicht nur aus „EA Sports FC“, „Dragon Age“ oder „Call of Duty“. Zwischen Großproduktionen mit teilweise dreistelligen Millionenbudgets, Unreal-Engine-Hochglanzgrafiken und aufwendigen Spielkonzepten tummeln sich Titel, die aussehen, als stammten sie aus einer anderen Gaming-Ära. Die Rede ist von modernen Retro-Spielen wie zuletzt „Skald: Against the Black Priory“ oder auch dem im Dezember 2024 erscheinenden „The Edge of Allegoria“. Beide Titel orientieren sich ästhetisch und spielerisch an Klassikern vergangener Tage und versuchen so, die Sehnsucht der Community nach der „guten alten Zeit“ für sich zu nutzen. Die Faszination moderner „Ultra-Retro-Games“ geht jedoch weit über reine Nostalgie hinaus.
Die Sehnsucht der Community nach der ‚guten alten Zeit‘ für sich nutzen
Eine Chance aus der Vergangenheit
Moderne Retro-Games zielen nur bedingt auf eine junge Zielgruppe. Vielmehr spielen diese Projekte mit angenehmen Kindheitserinnerungen und wecken Assoziationen an eine scheinbar bessere, weil einfachere Vergangenheit. Nostalgie ist ein wichtiger Teil der Faszination von Retro-Games und daher auch in diesem Fall ein bedeutender Faktor.
Anders Lauridsen, der norwegische Spieleentwickler hinter „Skald: Against the Black Priory“, bestätigte in Interviews seine Liebe zu klassischen Rollenspielen und deren Vorbildfunktion. „Das Spiel wurde visuell durch Spiele wie Ultima, Wasteland oder auch die Gold-Box-Serie inspiriert. Aber was das Gameplay angeht, würde ich sagen, dass es eher einem modernen cRPG ähnelt. Für mich war es immer wichtig, ein Erlebnis zu bieten, das sich positiv retro anfühlt und gleichzeitig für ein modernes Publikum zugänglich ist“, erklärt Lauridsen gegenüber der französischen Website RPG Jeuxvideo.
Das rundenbasierte RPG „The Edge of Allegoria“ geht einen ähnlichen Weg: Entwickler Button Factory Games setzt auf Game-Boy-Optik und ein Kampfsystem, das sich an den „Pokémon“-Klassikern orientiert, würzt das Ganze aber mit bissigem Humor und erwachsenen Motiven.
Mit dem pixeligen Grafikstil geht natürlich auch der Soundtrack einher. Und wo AAA-Produktionen mit orchestralen Klängen aufwarten, sind bei den aktuellen Ultra-Retro-Games Chiptune-Klänge gefragt, die mit entsprechenden Spieleffekten unterlegt werden. Erst diese Kombination aus Bild und Ton erzeugt die geistige Rückbesinnung auf die 80er- und 90er-Jahre, die es als Initialfunken für das Erlebnis moderner Retro-Spiele benötigt.
Geistige Rückbesinnung auf die 80er- und 90er-Jahre
Pixel treffen Gaming-Moderne
Lauridsen spricht jedoch zwei weitere wichtige Punkte an: Retro-Look und -Feel allein reichen nicht aus. Spielerinnen und Spieler im Jahr 2024 lieben zwar Pixelgrafiken und nostalgische Referenzen, brauchen aber – zumindest in der Masse – einen gewissen Komfort, damit das Erlebnis nicht zu sehr von den inzwischen eingefahrenen Gewohnheiten abweicht. Auch wenn „Skald: Against the Black Priory“ wie ein Fossil vergangener Tage aussieht und klingt, greift es doch auf moderne Tugenden zurück: So gibt es zu Beginn ein recht ausführliches Tutorial und auch die Speicherfunktion ermöglicht dem Konsumenten einen gewissen Rückhalt. Hilfetexte und die Konfigurierbarkeit des Spielerlebnisses, etwa durch die Wahl des Eingabegerätes, gehören ebenfalls zum guten Ton.
Moderne Retro-Games, die ganz bewusst alte Formeln verwenden, haben aber auch einen hohen Wiedererkennungswert. Dieser erfolgt im ersten Schritt oft über die Grafik: Egal, ob 2D-Sidescroller, Rollenspiel-Abenteuer oder Action – Pixel und vielleicht auch eine gewisse Farbgebung müssen sein. Bei der Spielbarkeit gilt es, die richtige Balance zu finden. Fans alter Games sind eine gewisse Herausforderung gewohnt. Deshalb wollen sie auch ein paar Ecken und Kanten – wie bei den Spielvorbildern ihrer Kindheit.
Bei der Spielbarkeit die richtige Balance finden
Gleichzeitig waren die damaligen Spiele aber auch mit einer geringen Einstiegshürde verbunden und hinsichtlich der Steuerung schnell erlernbar. „Skald: Against the Dark Priory“ greift die Vergangenheit beispielsweise durch die Beschaffenheit der Benutzeroberfläche auf: So nehmen die Party-Mitglieder und ihre Pixel-Konterfeis etwa ein Viertel des Bildschirms ein. Der Rest wird von der Karte eingenommen, auf der sich die Gruppe – repräsentiert durch eine Spielfigur – bewegt. Weitere Menüs inklusive Hotkeys verstecken sich am unteren Bildschirmrand. Das Regelwerk ist dezent an „Dungeons & Dragons“ und andere Tabletop-Rollenspiele angelehnt, sodass Kenner auch über diesen Weg einen Einstieg finden.
Eine ähnliche Gratwanderung vollzieht der 2D-Scroller „Shovel Knight“. Die grundlegende Steuerung erinnert stark an Klassiker wie „DuckTales“, die „Mega Man“-Serie, „Castlevania III: Dracula›s Curse“ oder „Super Mario Bros. 3“. Allerdings gibt es hier moderne Komfortfunktionen wie Checkpoints, die einen Einstieg nach dem (häufigen) Bildschirmtod ermöglichen.
Genau in dieser Mischung aus Vergangenheit und Gegenwart liegt der Reiz der modernisierten Retro-Spiele. Man nimmt das Spielgefühl vergangener Zeiten mit und genießt gleichzeitig einige Annehmlichkeiten der Spieleentwicklung der letzten 40 Jahre.
Wenig Geld, große Wirkung?
Moderne Retro-Spiele sind nicht nur für die Spieler selbst interessant, auch für ambitionierte Entwickler bietet diese Konzeptform eine große Chance. Titel wie das 2016 veröffentlichte „Stardew Valley“ oder eben „Skald: Against the Black Priory“ wurden von Einzelpersonen in Eigenregie entwickelt. Als Basis können Tools wie der „RPG Maker“ oder auch die Unity-Engine dienen. Dadurch sind die anfallenden Kosten überschaubar und nicht selten starten solche Titel zunächst als Hobbyprojekt, bevor sie eine gewisse Eigendynamik entwickeln. Der Austausch mit der (hoffentlich) wachsenden Community ist dabei von entscheidender Bedeutung. Plattformen wie Reddit oder Discord bieten vielfältige Möglichkeiten, Interessierte direkt ins Boot zu holen und deren Feedback aus erster Hand zu erfahren. Diese Interaktion kann wiederum durch Playtesting-Sessions oder auch die Veröffentlichung von Demo-Versionen, wie im Falle von „The Edge of Allegoria“, weiter unterstützt werden.
Ein Phänomen der Gaming-Kultur
Dass moderne Ultra-Retro-Spiele eine besondere Gattung sind, zeigen die hier aufgeführten Beispiele sehr gut: Yacht Club Games, der Entwickler des 2D-Plattformers „Shovel Knight“, konnte im Frühjahr 2018 bereits mehr als zwei Millionen Verkäufe verzeichnen. Das Spiel wurde seit seiner Veröffentlichung im Jahr 2014 auf nahezu alle denkbaren Plattformen portiert. Das Vorzeige-Pixelspiel ist aber zweifellos das an „Harvest Moon“ angelehnte Farm-Abenteuer „Stardew Valley“: Das von Eric „ConcernedApe“ Boone entwickelte Indie-Spiel verkaufte sich bis Februar 2024 über 30 Millionen Mal, 19 Millionen Einheiten davon entfielen auf die PC-Version. „Stardew Valley“ ist ein Phänomen der Gaming-Kultur und als solches auch Motivation für kommende Retro-Projekte.
Ob „Skald“ oder auch „The Edge of Allegoria“ in diese großen Fußstapfen treten können? Das scheint aufgrund ihrer nischigen Ausrichtung unwahrscheinlich. Doch für eine bestimmte Zielgruppe ist die Wiederbelebung dieser alten Gaming-Werte zweifellos eine interessante Alternative, für die man gerne Geld ausgibt. (ob/bpf)