Sid Meier, Sohn eines Schweizers und einer Niederländerin, erblickt am 23. Februar 1954 in der Provinzstadt Sarnia im Südwesten des kanadischen Bundesstaates Ontario das Licht der Welt. Schon in jungen Jahren hat er eine große Vorliebe für Strategiespiele. Vor allem die Hexfeld-Brettspiele des amerikanischen Brettspielverlags Avalon Hill stehen ganz oben auf seiner Favoritenliste. Aber auch Computer faszinieren ihn seit seiner Kindheit, weshalb er direkt nach der Highschool an der renommierten University of Michigan Informatik studiert. Wenn es ums Programmieren geht, ist Meier ein Naturtalent, und so wundert es niemanden, dass er gleich nach dem Studium beim Elektronikhersteller General Instruments anheuert, um dort Kassensysteme für Kaufhäuser zu entwickeln.
Privat begeistert sich Meier in dieser Zeit für seinen 1981 gekauften Heimcomputer Atari 800, auf dem er mit viel Elan eigene kleine Spiele entwickelt. Dazu gehören Klone von damaligen Arcade-Hits wie „Pac-Man“ und „Space Invaders“, aber auch ein selbst konzipiertes Weltraumspiel. Letzteres installiert Meier eines Tages zum Spaß auf den Rechnern seiner Arbeitskollegen – sehr zu deren Freude. Und zum Leidwesen seines Chefs, der das Spiel als sinnlosen Zeitfresser abtut und kurz darauf die Löschung anordnet – ein erstes Anzeichen, wo für ihn die Reise hingehen sollte.
Meier taucht Anfang der 1980er-Jahre immer tiefer in die Welt der Computerspiele ein und lernt auf der Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas einen Gleichgesinnten kennen: John Wilbur Stealey. Die beiden sind sofort auf einer Wellenlänge und beschließen – nach einer gemeinsamen Münzfresser-Session am Atari-Spielautomaten „Red Baron“ – gemeinsam ein Start-up namens MicroProse zu gründen, das fortan eifrig Computerspiele entwickelt. Zunächst kleine 2D-Actionspiele wie „Floyd of the Jungle“ (1982), dann zunehmend Flugsimulationen wie „Hellcat Ace“ (1982), „Solo Flight“ (1983), „F-15 Strike Eagle“ (1984) oder die Hubschrauber-Sim „Gunship“ (1985). Mit Titeln wie der Seeräuber-Simulation „Sid Meier’s Pirates!“ (1987) oder dem Eisenbahn-Aufbauspiel „Sid Meier’s Railroad Tycoon“ (1990) beweist der Kanadier, dass er auch für andere Genres ein Händchen hat.
Sofort auf einer Wellenlänge
Erst Eisenbahn-Imperium, dann Weltherrschaft
Vor allem „Railroad Tycoon“, welches Meier zusammen mit dem Brettspielveteranen Bruce Shelley von Avalon Hills entwickelt, schlägt in der Branche hohe Wellen, verkauft sich blendend und lässt das Duo fieberhaft überlegen, wie man diesen Erfolg noch toppen könnte. Das Ergebnis heißt „Civilization“ – und der Titel machte seinem Namen alle Ehre. Die Idee: Statt die Expansion eines Eisenbahnkonzerns voranzutreiben, koordinieren die Spielerinnen und Spieler das Schicksal einer ganzen Zivilisation – angefangen im Jahr 4000 v. Chr. hin zum Bau eines Raumschiffs, das in der Lage ist, den bewohnbaren Planeten Alpha Centauri zu erreichen.
„Civilization“ wird zunächst als Echtzeitstrategiespiel konzipiert. Da dieser Ansatz jedoch weniger Spaß macht als erhofft, nehmen sich Meier und Shelley eine Auszeit, widmen sich der Fertigstellung des Agentenspiels „Covert Action“ und trimmen „Civilization“ anschließend in Richtung Rundenstrategie. Kombiniert mit Elementen aus dem gleichnamigen Brettspiel von Avalon Hill, dem Genre-Klassiker „Empire“, der Städtebau-Simulation „SimCity“ und dem Geschichtsbuch „The Macmillan World History Factfinder“ (das als Inspirationsquelle für einen umfangreichen Technologiebaum dient) entsteht das Gameplay-Gerüst für eines der bahnbrechendsten, motivierendsten und komplexesten Strategiespiele seiner Zeit.
Kritiker und Konsumenten sind bei der Veröffentlichung im September 1991 weltweit gleichermaßen fasziniert. „Civ“ – wie es von vielen Fans liebevoll abgekürzt wird – braucht zwar einige Monate, bis es auch im Handel an Fahrt aufnimmt, geht dann aber dank kontinuierlicher Mundpropaganda durch die Decke, spielt die Entwicklungskosten von rund 170.000 Dollar schnell wieder ein und sorgt dafür, dass das Subgenre der 4X-Strategiespiele („eXplore, eXpand, eXploit, eXterminate“) endgültig im Massenmarkt Fuß fasst.
Kritiker und Konsumenten sind im September 1991 weltweit gleichermaßen fasziniert
Die Marke „Civilization“ wächst und wächst
Doch Meier ruht sich nicht auf seinen Lorbeeren aus, sondern entwickelt die Marke kontinuierlich weiter. Zunächst mit einem in der Neuen Welt angesiedelten Spin-Off namens „Colonization“ (1994), dann mit „Sid Meier’s CivNet“ (1995), das „Civ“ mit einer onlinefähigen Multiplayer-Komponente für bis zu sieben Teilnehmer ausstattet. Spätestens mit der Veröffentlichung des offiziellen Sequels „Civilization II“ im März 1996 ist die Marke endgültig in aller Munde – und Sid Meier wenig später Miteigentümer eines Studios namens Firaxis Software, das er zusammen mit seinen treuen Mitarbeitern Jeff Briggs und Brian Reynolds am 1. Mai 1996 in Hunt Valley, Maryland, eröffnet.
Losgelöst von MicroProse entwickelt sich „Civilization“ zu einer Spielereihe, die von Firaxis mit viel Herzblut und kreativen Ideen etwa alle fünf bis sechs Jahre fortgeführt wird. So führt das grafisch überarbeitete „Civilization III“ (2001) unter anderem eine übersichtlichere Benutzeroberfläche, neue Siegvarianten, ein verbessertes Diplomatie- und Handelssystem, neue Einheiten und Weltwunder sowie einen leistungsfähigen Karten-, Szenario- und Regel-Editor ein.
Mit „Civilization IV“ (2005) wagt Firaxis hingegen den Sprung von isometrischen 2D-Karten zu einer 3D-Darstellung der Spielwelt. Hinzu kommen neue Features wie die Einführung großer Persönlichkeiten, Religion, heilige Städte, Missionare, weitere Staatsform-Optionen, neue Land-, See- und Lufteinheiten, aufwendig gestaltete Weltwunder-Filme, ein Interface im RTS-Stil und ein stark verbesserter Mehrspielermodus.
4X-Strategie für Konsoleros
Da auch Konsolenspieler zunehmend Interesse an der bisher nur für PC, Mac und Linux erhältlichen Serie zeigen, kündigt Firaxis im Juni 2007 erstmals auch einen Konsolenableger an, den Sid Meier höchstpersönlich designt. „Civilization Revolution“ behält die Kernelemente der Hit-Serie bei, vereinfacht aber einige Details, bietet eine Controller-optimierte Steuerung und setzt auf eine comicartige Optik. „Civilization Revolution“ wird bei seinem Erscheinen im Sommer 2008 zwar etwas schlechter bewertet als die Vorgänger, findet aber dennoch seine Käufer und sorgt dafür, dass sich immer mehr Entwickler auch auf Konsole an die 4X-Strategie wagen.
Zwei Jahre später heißt es dann schließlich Vorhang auf für „Civilization V“ (2010), das erstmals auf die eigens dafür entwickelte LORE-Engine setzt und auch sonst viel Neues zu bieten hat. Die Karten setzen sich nun aus sechseckigen Geländefeldern zusammen, Firaxis führt erstmals Stadtstaaten und Forschungsabkommen ein, das Diplomatiesystem wird weiter verfeinert, das Kampfsystem unter anderem um Langstreckenbombardements sowie neue Verteidigungsoptionen für belagerte Städte erweitert und die Multiplayer- und Mod-Integration nochmals verbessert. Lohn der Mühe: Mehr als acht Millionen verkaufte Einheiten.
Wer nun dachte, Firaxis hätte keine neuen Ideen mehr für ein weiteres „Civ“, der irrt. Bis zum Erscheinen von „Civilization VI“ sollten zwar noch sechs Jahre vergehen, doch diese Zeit nutzten die Macher sehr effektiv, um das Konzept erneut weiterzuentwickeln und spannende neue Ideen einzubauen. So verfügen die Städte im sechsten Teil beispielsweise über Distrikte, die deutlich mehr Weitsicht bei der Stadtgründung und -planung erfordern. Hinzu kommen ein stark überarbeiteter, flexiblerer Technologiebaum, die Einführung einer Siegbedingung, die nur auf religiösem Weg ergattert werden kann, sowie KI-Gegner, die alle eine ganz eigene Agenda verfolgen und damit als Kontrahenten deutlich interessanter werden. Der sechste Teil erscheint am 21. Oktober 2016 und ist mit über elf Millionen verkauften Exemplaren der bisher erfolgreichste Titel der Reihe.
Mehr als 70 Millionen – und keine Anzeichen für Stillstand
Stichwort Verkaufszahlen: Bis Juni 2024 wurden weltweit mehr als 70 Millionen „Civilization“-Spiele ausgeliefert. Und dieser Trend dürfte sich fortsetzen, denn am 11. Februar 2025 kommt „Civilization VII“ auf den Markt. Als Weltpremiere erstmals für alle Systeme gleichzeitig, also PlayStation 4 und PlayStation 5, Xbox One und Xbox Series XIS, Nintendo Switch sowie Windows, Mac OS und Linux.
Inhaltlich geht Firaxis mit dem siebten Teil bewusst viele Risiken ein, um neue Spielerlebnisse zu schaffen. Ganz oben auf der Agenda steht dabei die Einführung der sogenannten Zeitalter. Darunter versteht man die Unterteilung der Kampagne in drei eigenständige Abschnitte. Diese kann man entweder chronologisch durchlaufen oder alternativ die Kampagne in einem späteren Zeitalter starten.
Inhaltlich geht Firaxis mit dem siebten Teil bewusst viele Risiken ein
Wer chronologisch spielt, beginnt in der Antike. Hier liegt der Fokus auf landwirtschaftlichen Gesellschaften, die erste Siedlungen gründen und diese langsam zu Städten ausbauen. Im anschließenden „Zeitalter der Entdeckungen“ sorgen der verbesserte Schiffbau und die Suche nach immer neuen Rohstoffen dafür, dass die Zivilisationen nicht mehr nur die küstennahen Gebiete erkunden, sondern auch die großen Ozeane bereisen. Bleibt das Zeitalter der Moderne. Hier macht die Wissenschaft noch einmal immense Fortschritte – etwa durch die Erfindung der Dampfmaschine oder das Wissen um die Spaltung der Atome. Diese und andere Errungenschaften treiben das weltweite Wachstum weiter voran, führen aber auch zu immer mehr geopolitischen Konflikten.
Das Spannende an dieser neuen Aufteilung ist, dass jedes Zeitalter nicht nur seine eigenen Technologien, Gebäude, Einheiten und Ausrichtungsbäume mit sich bringt, sondern auch spezifische Ressourcen, neue unabhängige Mächte und Spielmechaniken. Je weiter das Zeitalter fortgeschritten ist, desto größer ist zudem der erkundbare Kartenbereich. Um jedoch von einem Zeitalter zum nächsten wechseln zu können, muss zunächst der sogenannte Zeitalter-Fortschritt vorangetrieben werden. Dies geschieht zum einen – wenn auch nur langsam – durch das Absolvieren klassischer Runden. Zum anderen durch die Bewältigung zeitalterspezifischer Herausforderungen in den Bereichen Militär, Kultur, Volkswirtschaft und Wissenschaft. Wer diese Herausforderungen erfolgreich meistert, sorgt für größere Sprünge im Zeitalter-Fortschritt und erhält wertvolle Belohnungen, die bis zum Ende eines Zeitalters wirken.
In der Endphase eines Zeitalters wird es noch mal richtig spannend, denn dann wird in der Regel eine thematisch auf das Zeitalter zugeschnittene Krise ausgelöst, die eine Zivilisation auf eine besonders harte Probe stellt. Im Falle der Antike kann das zum Beispiel eine Überbevölkerung bei gleichzeitigem Nahrungsmangel sein. Nun müssen Lösungen gefunden werden, um die Krise zu überwinden. Gelingt dies nicht, verstärken sich die Kriseneffekte. In der Praxis müssen sich diese Systeme noch bewähren. In der Theorie klingen sie jedoch bereits überaus vielversprechend und nach genau dem neuen Schwung, den die Serie zuletzt brauchte.
Zivilisations-Evolution: Erst Römer, dann Normannen, dann Franzosen
Ist ein Zeitalter gemeistert, greift eine weitere Neuerung, die man so noch nicht aus Sid Meiers langjähriger Spielereihe kennt. Denn nun gilt es, eine neue Zivilisation auszuwählen, die das Reich des Spielers in diesem Zeitalter repräsentiert – ähnlich wie man es von Segas „Humankind“ kennt. Wer beispielsweise in der Antike mit Ägypten begonnen hat, kann im Zeitalter der Erkundung das Abbasiden-Reich freischalten. Unter bestimmten Voraussetzungen stehen dann auch die Mongolen und andere Zivilisationen zur Verfügung.
Zugegeben, dass die Ägypter im Laufe der Geschichte zu Mongolen werden, mag unrealistisch erscheinen. Dennoch hat sich Firaxis dafür entschieden, solche Wahlmöglichkeiten beizubehalten, da sie nicht nur dynamische Strategiewechsel im Spielverlauf ermöglichen, sondern auch hochinteressante „Was wäre, wenn“-Szenarien bieten, die Strategiespiele wie „Civ“ seit jeher auszeichnen. Darüber hinaus soll diese Herangehensweise den „Geschichte ist vielfältig“-Ansatz unterstreichen. Studio-Argumente, denen wir uneingeschränkt zustimmen können.
Außerdem müssen bei einem Zeitalterwechsel Vermächtnisse ausgewählt werden, die in das neue Zeitalter übernommen werden. Voraussetzung hierfür sind ausreichend Vermächtnispunkte, die wiederum an die Erfüllung von besagten Zeitalter-Fortschritten geknüpft sind. Ein schönes Beispiel für ein solches Vermächtnis ist „Hauptstadt ändern“: Wer sich dafür entscheidet, kann anschließend eine andere Stadt zu seiner Hauptstadt machen und sie so beispielsweise aus der Schusslinie von Konflikten nehmen. Kurzum: Ein Zeitalterwechsel krempelt jede Partie gehörig um. Laut Firaxis wird jedes Zeitalter etwa 150 bis 200 Runden dauern, was einer Spielzeit von mindestens drei bis vier Stunden entspricht.
Ein Zeitalterwechsel krempelt jede Partie gehörig um
Das zu Spielbeginn gewählte Zivilisationsoberhaupt – das in Teil sieben nicht mehr an eine Zivilisation geknüpft ist – bleibt nach einem Zeitalterwechsel stets dasselbe, erhält jedoch jeweils zusätzliche Attribute, die Spielerinnen und Spieler selbst auswählen. Apropos Anführer: Bislang sind ein Dutzend bestätigt, darunter der römische Kaiser Augustus, die ägyptische Pharaonin Hatschepsut, der persische Herrscher Xerxes, der chinesische Philosoph Konfuzius, die spanische Königin Isabella oder Ashoka – ein Herrscher der indischen Maurya-Dynastie.
Weitere spannende Neuerungen in „Civilization VII“ sind Kommandanten, ein stark überarbeitetes Tutorial, schiffbare Flüsse, neue Diplomatie-Optionen sowie ein Crossplay-fähiger Mehrspielermodus – erstmals können PC- und Konsolen-Strategen also gegeneinander antreten. Zusammen mit der massiv verbesserten Grafik stehen die Chancen hervorragend, dass „Civilization VII“ weitere Rekorde bricht und die Kultmarke Sid Meier auch in den nächsten Jahren ihren Siegeszug fortsetzt. (soe/bpf)