Man mag von Mark Zuckerberg halten, was man will – in jedem Fall scheint es dem Facebook-Chef nicht an wie auch immer gearteten Zukunftsvisionen zu mangeln. Auf der Facebook Connect 2021 Ende Oktober verkündete Zuck, das Unternehmen künftig "Meta" nennen zu wollen – und läutete die "nächste Evolution der Geschichte sozialer Technologien" ein. Man wolle mittelfristig ein Metaversum errichten, ein "körperliches Internet" – natürlich (!) mit Datenschutz als höchster Priorität. Den Begriff "Metaversum" hat bekanntlich Science-Fiction-Autor Neal Stephenson mit seinem Roman Snow Crash von 1992 geprägt: Die Idee eines kollektiven, virtuellen Raums wurde zuletzt unter anderem auch vom Autor Ernest Cline aufgegriffen, dessen Roman Ready Player One wiederum recht erfolgreich von Steven Spielberg verfilmt wurde (2018).
Games, die SpielerInnen über soziale Multiplayer-Experiences verbinden
Doch wie könnte das reale Metaversum aussehen? Auf diese Frage hat heute weder Mark Zuckerberg noch irgendein anderer Tech-Papst eine konkrete Antwort. Klar ist jedenfalls, dass die "Oasis" aus Ready Player One nicht unbedingt erstrebenswert ist: Eine gigantische VR-Plattform, in der zwar alles möglich scheint, die ihre User aber von der tristen, kaputten Realwelt ablenkt – ganz abgesehen davon, dass sie technologisch noch in weiter Ferne liegt. Nun wird nicht erst seit Zuckerbergs Ankündigung über die Modalitäten eines Metaversums diskutiert: ExpertInnen wie der US-Amerikaner Matthew Ball veröffentlichen dazu seit Jahren spannende Beiträge, und auch Firmen wie Genvid Technologies (vgl. das Interview in IGM 11/2021) arbeiten an den technischen Voraussetzungen.
Gaming als Schlüsselfaktor
Facebook jedenfalls setzt bei seinem Metaversum sehr stark auf VR: Es soll nicht nur virtuelle Marktplätze und das digitale Wohnzimmer Horizon Home umfassen, sondern auch Gaming-Plattformen und virtuelle Arbeitsräume. Auf der Facebook Connect kündigte Zuckerberg denn auch ein neues AR- und VR-Headset an, das sowohl Eye- als auch Face-Tracking beherrschen soll: Die Mixed-Reality-Brille ("Project Cambria") soll noch 2022 erscheinen. Das Thema "Gaming" werde auf dem Weg zum Metaversum "eine zentrale Rolle spielen", so der Konzern. Er baut seine Oculus-Plattform deshalb weiter aus – und verkündete unter anderem eine Partnerschaft mit Vertigo Games: Die zu Koch Media gehörende Firma (vgl. IGM 14/2020) wird mittelfristig fünf neue Spiele für das VR-Headset Quest produzieren. Auch für das erfolgreiche Battle-Royale-Spiel Population: One soll es schon bald neue Inhalte und Events geben.
Etliche ExpertInnen mögen Zucks Metaverse-Vision nun schnöde, billig oder gar gefährlich finden. Klar ist aber auch, dass die Ankündigung dem Thema "VR-Gaming" weiter Auftrieb geben dürfte – weit über die Quest-Plattform hinaus. Noch immer hat VR mit den überzogenen Erwartungen zu kämpfen, die vor nunmehr fast zehn Jahren mit dem Hype um die Oculus Rift geschürt wurden. Tatsächlich hat VR noch längst nicht den Massenmarkt erobert, wie es verschiedentlich prophezeit wurde, aber: Setzt man die Messlatte etwas niedriger an, dann hat VR – auch kommerziell – erhebliche Fortschritte gemacht. Genaue Zahlen über abverkaufte Headsets werden von Herstellern wie Facebook, Sony (PSVR) oder Valve (Index) nicht genannt – sie dürften jeweils im einstelligen Millionenbereich liegen. Dass die Nachfrage nach VR aber zunimmt, zeigt sich am Erfolg der Software. Zum fünfjährigen PSVR-Jubiläum im Oktober verkündete Sony, im PlayStation Store seien mittlerweile rund 500 VR-Titel verfügbar. (Eine PSVR 2 hat Sony auch schon in der Mache, sie soll nächstes Jahr erscheinen.) Und Facebook verkündete stolz, der VR-Megahit Beat Saber habe unlängst die Schallmauer von 100 Millionen US-Dollar Gesamteinnahmen durchbrochen – was vor allem an den immer zahlreicheren Music Packs für das Rhythmusspiel liegen dürfte. Auch andere Titel sind sehr erfolgreich: Zum Beispiel hat das Zombie-Game The Walking Dead: Saints & Sinners – über alle VR-Plattformen hinweg – bereits mehr als 50 Millionen US-Dollar generiert. Im Februar veröffentlichte Analyst Tipatat Chennavasin eine Marktstudie, nach der inzwischen über 100 VR-Titel die Eine-Million-Dollar-Umsatzmarke geknackt haben. VR mag also (noch) nicht den Durchbruch am Massenmarkt geschafft haben. Eine lukrative Nische ist es definitiv.
Branchenriesen unter sich
Doch wer sind nun eigentlich die wichtigsten Player in der VR-Spieleentwicklung? Klar, da gibt es die Oculus Studios von Facebook, die in den letzten Monaten immer mehr Studios aufgekauft haben – zum Beispiel eben Beat Games (Beat Saber), BigBox VR (Population: One), Sanzaru Games (Asgard's Wrath), Ready at Dawn (Lone Echo) und Downpour Interactive (Onward). Daneben gibt es aber auch größere Publisher wie Vertigo Games, das bereits etliche Erfolgstitel herausgebracht hat (Arizona Sunshine, Skyworld, A Fisherman's Tale etc.). Gerade erst hat Vertigo mit Unplugged ein spektakuläres Air-Guitar-Game mit Hand-Tracking veröffentlicht, am 9. Dezember folgt mit dem Survival-Horror-Titel After The Fall der nächste potenzielle VR-Blockbuster.
Die Quest hat die VR-Landschaft definitiv verändert
Breit aufgestellt ist auch die schwedische Firma Resolution Games: 2015 von Branchenveteran Tommy Palm in Stockholm gegründet, hat der Publisher und Entwickler mittlerweile über 100 Angestellte – und ein Portfolio, das fünf SteamVR- sowie acht Quest-Games umfasst. Zu den erfolgreichsten Titeln der Firma zählt Demeo, ein Koop-Rollenspiel auf einem virtuellen Tabletop – und auch der VR-Shooter Blaston, bei dem sich zwei SpielerInnen in Zeitlupe duellieren. Man habe eine Reihe neuer Projekte in Entwicklung, sagt Mitgründer und CCO Paul Brady im IGM-Interview. "Details kann ich zwar noch nicht verraten", so Brady. "Wir konzentrieren uns weiter auf Games, die SpielerInnen über soziale Multiplayer-Experiences verbinden." Für 2022 habe man neue IPs in petto – und werde auch DLC für Spiele wie Demeo und Blaston liefern.
"Soziales" VR ist also ein wichtiger Baustein der Firmenstrategie. Seit letztem Jahr ist Resolution Games auch als Publisher tätig – und auch da setzt die Firma auf vernetztes Gaming. Ein prominentes Beispiel ist der preisgekrönte Puzzle-Platformer Carly and the Reaperman, bei dem SpielerInnen gemeinsam plattformübergreifend (VR und PC/Mac) im Koop-Modus Rätsel lösen. Entwickelt wurde der Titel von den Odd Raven Studios, die ebenfalls in Stockholm sitzen. Ein weiterer Baustein der Firmenstrategie sei die Einbeziehung bekannter Marken, betont Paul Brady. Diese seien "unglaublich wichtig, um Glaubwürdigkeit beim Mainstream-Publikum aufzubauen". Konkret geht es um das Angry-Birds-Franchise: Mit Isle of Pigs hat Resolution Games bereits eine AR- und ein VR-Version des beliebten Katapultspiels veröffentlicht. Eine Marke wie Angry Birds könne Gamer überhaupt erst auf VR aufmerksam machen, so Brady – das gelte auch für IPs wie Star Wars oder Assassin's Creed. Gamer, die noch kein Headset besäßen, würden dadurch vielleicht vom Hardware-Kauf überzeugt. Wir wollen von Brady wissen, welche VR-Plattform – bzw. welche Zielgruppe – für Resolution Games am wichtigsten ist. Brady betont aber, hier ein möglichst breites Publikum erreichen zu wollen – unabhängig von der Plattform. "Zwar ist Oculus seit einiger Zeit ein starker Player auf dem Markt und hat dazu beigetragen, die Türen für eine stärkere Akzeptanz der Consumer zu öffnen", so Brady. "Dennoch möchten wir unsere Titel nicht nur auf allen großen VR- und AR-Plattformen, sondern auch auf traditionellen 2D-Plattformen wie Mobile, PC und Konsole veröffentlichen, um SpielerInnen den Zugang auf unsere Spiele von ihrem Gerät oder der Plattform ihrer Wahl zu ermöglichen – für ein wirklich soziales Erlebnis." Den CCO freut, dass "immer mehr Hersteller ernsthafte Anstrengungen unternehmen, um VR-Headsets in Verbraucherqualität zu liefern". Dies werde dazu beitragen wird, das Publikum weiter zu vergrößern – und auch zu diversifizieren.
Rätseln in VR
Einen hervorragenden Ruf genießt in der Branche auch die Firma Innerspace VR. Das Studio wurde 2014 in Korea gegründet und verlegte ihr Hauptquartier später nach Paris. Sein bisher erfolgreichster Titel ist das Rätselspiel A Fisherman's Tale, das gekonnt mit verschachtelten Gameplay- und Wahrnehmungsebenen arbeitet. "Unser Studio hat sieben Vollzeitarbeitskräfte", berichtet Richard Turco, General Director und Producer. "Bei großen Projekten verdoppeln wir oft die Belegschaft – zum Beispiel bei unserem jüngsten Titel Maskmaker." Das Spiel erschien am 20. April auf mehreren VR-Plattformen – und erhielt durchweg gute bis sehr gute Kritiken. "Wir arbeiten bereits an einem neuen Projekt", erzählt Turco. "Leider ist das aber noch nicht spruchreif." Als wichtigste Plattform für die Innerspace-Spiele nennt Turco die Oculus Quest, "was wahrscheinlich auch für andere VR-Entwickler gilt". Innerspace veröffentliche seine Spiele aber auch auf Platfformen wie SteamVR und Playstation VR, denn: "Diese Plattformen sind immer noch entscheidend, wenn man ein neues Projekt veröffentlichen und das größte Publikum ansprechen will."
Die Quest habe die VR-Landschaft verändert, indem sie ein breiteres Publikum erschlossen habe, so Turco. "Auch PSVR wird in naher Zukunft eine Rolle spielen, indem es sowohl Gamer als auch Leute mit Interesse an High-End-Inhalten für VR anspricht." Auch Steam werde weiterhin eine anspruchsvolle Kundschaft haben, so Turco. Nur dank der vielen Early Adopter auf Steam sei man überhaupt so weit gekommen. Grundsätzlich werde der Markt für VR-Spiele vom Digitalvertrieb dominiert, berichtet Turco. Allerdings biete der Einzelhandel nach wie vor eine gute Möglichkeit, einen Teil der VR-Zielgruppe zu erreichen – speziell im Premium-Segment. In der Tat sind Headsets wie die PSVR-Brille auch bei Media Markt und Saturn erhältlich. (Die Quest 2 darf derzeit nicht von deutschen Händlern verkauft werden, weil Facebook sich mit Wettbewerbsschützern zofft.) Innerspace-Titel wie A Fisherman's Tale und jetzt Maskmaker sind in jedem Fall auch in Boxed Versions verfügbar, was Turco durchaus mit Stolz erfüllt. Eine Boxed Version im heimischen Regal sei mit der Sonderausgabe eines Lieblingsbuchs vergleichbar – besitze also Sammlerwert.
VR-Schwerpunkt Hamburg
Auch in Deutschland wächst die Zahl der Studios, die VR-Games und -Experiences entwickeln. Zu nennen ist da unter anderem Crytek mit dem Kletterspiel The Climb – oder auch die THQ-Nordic-Tochter HandyGames, die mit Townsmen VR ein Echtzeitstrategiespiel auf den Markt gebracht hat. Ein Schwerpunkt der hiesigen VR-Entwicklung ist Hamburg. Zu den wichtigsten Interessenvertretern vor Ort zählt der Verein nextReality.Hamburg e.V., der sich die Förderung der XR-Technologie auf die Fahnen geschrieben hat. "Eine Kernaufgabe besteht darin, Berührungsängste rund um VR- und AR-Technologien abzubauen, aufzuklären und zu vernetzen", so der Vorsitzende Simon Graff. "Dafür veranstaltet der Verein regelmäßig Meetups, bietet UnternehmerInnen im eigenen Blog, Podcast und Social-Media-Kanälen eine Plattform, verleiht mit dem nextReality.Contest jährlich den höchstdotierten Branchenpreis in Deutschland und veranstaltet 2021 eine eigene Fachkonferenz: die nextReality.Conference." Zwar fördere Hamburg nicht gezielt die Entwickung von VR-Games, so Graff. Dennoch hätten VR-Studios die Möglichkeit, sich bei bestimmten Förderstellen zu bewerben – zum Beispiel bei der IFB (Hamburgische Investitions- und Förderbank) oder bei InnoStarter. "Am naheliegendsten für VR-Dev-Studios sind wohl das Prototype Funding der Gamecity Hamburg sowie der Gamecity Incubator", sagt Graff. "Games-Förderung passiert in Hamburg eher in einem gesamtheitlichen Kontext als VR-spezifisch. Eine weitere Chance ist der Media Lift Inkubator von nextMedia, wo auch Curvature Games dabei waren." Curvature Games entwickelt derzeit das Spiel The Amusement, ein Abenteuer in einem stillgelegten Freizeitpark der Zwanziger Jahre. Dabei kommt auch die Technologie des Redirected Walking zum Einsatz, an der Curvature intensiv forscht (vgl. IGM 07/2020).
Bei großen Projekten verdoppeln wir oft die Belegschaft
Weitere VR-Firmen aus Hamburg sind beispielsweise Phoenix Reality, PatientZero Games und die VR Nerds. Letztere wurden 2016 gegründet und entwickeln sowohl AR- als auch VR-Anwendungen. Bekanntester Titel der VR Nerds ist das Spiel Tower Tag, das ursprünglich als PvP-Shooter für Location-Based VR erschien – also für VR-Arenen in Freizeitparks, Einkaufszentren und an anderen öffentlichen Orten. Dank bestehender Verträge mit Branchengrößen wie Sega, Springboard VR und Hologate sei Tower Tag bereits in mehr als 1.300 Locations weltweit spielbar, berichtet CEO Phillip Steinfatt stolz. "Das macht Tower Tag zum erfolgreichsten PvP-Shooter in den VR-Arcades. Bis heute haben über eine Million Spieler das Spiel weltweit in Arcades gespielt, insgesamt über 120.000 Stunden lang." Für Heimanwender ist Tower Tag bisher im Early Access auf SteamVR verfügbar, berichtet Steinfatt. Derzeit arbeitet das Studio auch an einer Version für die Oculus Quest – was die Zielgruppe noch deutlich erweitern dürfte.
Der Standort Hamburg bietet aus Steinfatts Sicht den Vorteil, "dass hier viele Startups im Bereich VR und AR existieren". Next Reality Hamburg und das VRHQ hätten dazu beigetragen, alle Startups und Unternehmen zu vernetzen. "Zudem lässt sich der Austausch bzw. Zusammenarbeit mit öffentlichen Stellen stets als positiv und zielführend beschreiben." Man sieht: Auch deutsche Studios sind in Sachen VR-Gaming keineswegs untätig – und werden von der lukrativen Nische profitieren. Auf das Metaversum warten wir noch ein Weilchen … (Achim Fehrenbach)