Einstellungssache? Recruitment in der Gamesbranche, Teil 2

An Hiobsbotschaften aus der Games-Branche mangelt es gerade wahrlich nicht. In unschön hoher Frequenz werden bei Spielefirmen rund um den Globus MitarbeiterInnen entlassen, weil Mittel gekürzt oder Projekte gleich ganz eingestampft werden. In unserer zweiteiligen Mini­serie „Re­cruit­ment“ beleuchten wir, wie sich der Markt für Fachkräfte derzeit entwickelt. Teil 1 (IGM 14/2023) bot eine internationale Perspek­tive auf das Geschehen. Für Teil 2 haben wir nun bei deutschen Arbeit­gebern nachgefragt, wie sie die Situation beurteilen – und wie sie ihre Fachkräfte rekrutieren.
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© khosrork/ stock.adobe.com
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Die Liste wird länger – und ein Ende ist nicht abzusehen: Seit Erscheinen von IGM 14 Mitte Oktober sind auf videogamelayoffs.com viele neue Einträge hinzugekommen. Die Website, auf der Tech Artist Farhan Noor größere Entlassungen von Spielefirmen trackt, hat einige prominente Neuzugänge zu verzeichnen: Media Molecule entließ rund 20 Fachkräfte, bei Bungie waren es etwa 100. Chimera Entertainment baute 30 Stellen ab, während Cryptic Studios eine offiziell unbekannte Zahl von MitarbeiterInnen vor die Tür setzte. To be continued ... leider.

Etliche Koproduktionen
Immerhin sind aus Deutschland seit Mitte Oktober keine größeren Entlassungen bekannt geworden. Die Firma Ubisoft Blue Byte beispielsweise taucht in Noors „Layoff-Liste“ noch nirgendwo auf. Was vielleicht auch daran liegt, dass Blue Byte mit Projekten bislang sehr gut ausgelastet war – und eher noch nach neuen Fachkräften suchte. Die Tochterfirma von Ubisoft betreibt in Deutschland bekanntlich drei Studios, nämlich je eines in Berlin, in Düsseldorf und in Mainz. Das Studio Düsseldorf ist beziehungsweise war mit zwei Koproduktionen beschäftigt: Dem VR-Titel Assassin’s Creed Nexus (VÖ: 16.11.) sowie dem Open-World-Game Avatar: Frontiers of Pandora (VÖ: 7.12.). In Mainz werkelt Blue Byte weiterhin am Strategiespiel Anno 1800, in Berlin unter anderem am Piratenabenteuer Skull & Bones, das 2024 erscheinen soll.

Wie also gelingt es der Firma, ihren Bedarf an Fachkräften zu decken? „Wir nutzen vielfältige Rekrutierungskanäle, um Talente in der Gaming-Branche anzuziehen“, sagt Karolina Böhm, Head of Recruitment bei Ubisoft Blue Byte. „Dies schließt die Veröffentlichung von Stellenanzeigen auf unserem Karriereportal und über Job-Aggregatoren ein.“ Darüber hinaus arbeitet Blue Byte mit Plattformen wie LinkedIn zusammen und schreibt Stellen auf Portalen aus, die bestimmte Jobfamilien abdecken. Die Verbindung zu Hochschulen halte Blue Byte derweil über die „Ubisoft Education Initiative“, so Böhm. Die Bekanntheit der Marke helfe natürlich bei der Rekrutierung – allerdings reiche auch das inzwischen nicht mehr aus, um den Bedarf zu decken. Aus diesem Grund setzt Blue Byte stark auf das aktive Sourcing seiner Recruiter, berichtet Böhm. Weitere Möglichkeiten ergäben sich aus persönlichen Netzwerken von MitarbeiterInnen: „Als Firma schaffen wir mit einem Referral-Programm zusätzliche Anreize.“

 

Unsere Suche nach Talenten erstreckt sich über nationale Grenzen hinaus

Trainees und Mentoring-Programme
Neben diesen lokalen Rekrutierungswegen nutzt Blue Byte natürlich auch die Strukturen des Mutterkonzerns. „Globale Programme wie unser Graduate-Programm bieten HochschulabsolventInnen die Möglichkeit, sich in einer zweijährigen Trainee-Position zu entwickeln“, erläutert Böhm. Mit Mentoring-Programmen wie „Develop at Ubi“ engagiere man sich zudem in der Förderung besonders vielversprechender Talente. „Unsere Suche nach Talenten erstreckt sich über nationale Grenzen hinaus“, so die Recruitment-Chefin.

Doch wie attraktiv ist Deutschland überhaupt für ausländische Games-Fachkräfte? Kann der Standort mit internationalen Zentren der Spieleindustrie wie Kanada und UK mithalten – oder sind die Bedingungen für den Zuzug nach wie vor zu schwierig? „Soweit ich weiß, hat Deutschland in den letzten Jahren die Visa-Erteilung für hochqualifizierte Migranten erheblich vereinfacht“, sagt Tanja Loktionova, Mitbegründerin der internationalen Recruitment-Agentur Values Value, die wir auch schon für IGM 15 zu ihrer Markteinschätzung befragt hatten. Die Visa-Erleichterungen hätten zweifellos zu einem signifikanten Zustrom neuer Fachkräfte geführt, beobachtet die Expertin. Zwar würden deutsche Spielefirmen im europäischen Durchschnitt nicht die höchsten Gehälter zahlen. „Aber sie bieten durchweg hervorragende Sozialleistungen.“ Fachkräfte aus Osteuropa und der MENA-Region kämen deswegen gerne nach Deutschland, so Loktionova. Skandinavier seien bei der Standortwahl aber beispielsweise deutlich wählerischer.

Hohe Hilfsbereitschaft
Giles Fenwick sieht Deutschland ebenfalls als attraktiven Standort für internationale Fachkräfte. Deutschland habe „viele innovative Unternehmen, die ihre Abteilungen ausbauen – vor allem im Bereich Entwicklung beziehungsweise Programmierung“, sagt Fenwick, der als Director Games & Interactive bei der britischen Recruitment-Agentur Skillsearch arbeitet. „Nach unseren Erkenntnissen sind deutsche Unternehmen in der Regel offen für die Anwerbung von Arbeitskräften aus dem Ausland“, so der Fachmann. „Und sie sind sehr hilfsbereit, wenn es um finanzielle Unterstützung geht.“ Als Minuspunkt sieht Fenwick die Lebenshaltungskosten: Sie seien höher als in manch anderen europäischen Ländern, würden durch die Gehälter aber nicht vollauf kompensiert.

Halten wir fest: Deutschland ist – international betrachtet – nicht der allerattraktivste Standort für jobsuchende Fachkräfte. Aber kann der Bedarf – falls vorhanden – von den deutschen Hochschulen gedeckt werden? „Das ist ehrlicherweise noch schwierig“, räumt Karolina Böhm ein. Zwar sei zu begrüßen, dass immer mehr Hochschulen und Unis neue Studiengänge mit Games-Bezug einführten, so die Expertin. „Ein Problem ist momentan aber, dass wir keinen festgelegten Rahmen dafür haben, wie ein Curriculum hierfür aussehen sollte.“ Ein AAA-Studio wie Ubisoft benötige nun mal SpezialistInnen – und da könne Deutschland als Ausbildungsstandort noch nicht mithalten. „So sehr wir gerne auch mehr KandidatInnen aus Deutschland hätten, so ist doch die Realität, dass ein Großteil unserer Einstellungen aus dem europäischen und außereuropäischen Ausland geschieht“, konstatiert Böhm. „Im Schnitt – über unsere drei deutschen Standorte hinweg – kommen circa 50 Prozent unserer Mitarbeitenden aus dem Ausland.“

Begehrte Expertise
Grundsätzlich sind Junior-Positionen leichter auch aus Deutschland zu besetzen, so Böhm. „Unser Schwerpunkt liegt jedoch auf erfahrenen Fach- und Führungskräften, die in Deutschland oft nicht in ausreichender Anzahl verfügbar sind.“ Gefragt sind laut Böhm besonders ProgrammiererInnen, speziell aus dem Bereich Graphics Programming. „Darüber hinaus sind Stellen im Bereich Game Art wichtig für uns. Animation beispielsweise ist derzeit eine besondere Herausforderung – und es gibt kaum deutsche KandidatInnen.“ Auch Technical Designer und Technical Artists hätten bei Blue Byte gute Bewerbungschancen, so die Recruitment-Chefin – „ebenso wie erfahrene ProduzentInnen mit AAA-Erfahrung und VR-ExpertInnen“.

 

Ich kann verstehen, dass da momentan Zurückhaltung herrscht

Ubisoft Blue Byte zählt zu den größten Games-Arbeitgebern Deutschlands – und ist schon aus Markengründen ein BewerberInnen-Magnet. Andere Voraussetzungen herrschen natürlich bei Indie-Studios, die nicht auf das Backup eines Mutterkonzerns zurückgreifen können. „Wir wachsen sehr organisch und langsam“, berichtet Michel Wacker, Gründer und CEO von Gentle Troll Entertainment. Das Studio aus Würzburg fährt derzeit eine erfolgreiche Kampagne für sein Spiel Tavern Talk. Die „Kneipensimulation“ lässt SpielerInnen – bei gemütlicher Dungeons-and-Dragons-Atmosphäre – in die Rolle von BarkeeperInnen schlüpfen. Bei der Rekrutierung konzentriert sich Wacker auf Talente, „die uns als PraktikantInnen über den Weg laufen und dann als WerkstudentInnen bleiben – sofern sie top ins Team passen und wir überhaupt noch Platz haben“. Gentle Troll versucht die Talente zu übernehmen, sobald diese die Uni hinter sich haben. „Oder wir bekommen Empfehlungen rein“, so Wacker. „Das sind dann oft Freunde von MitarbeiterInnen oder Leute aus unserem direkten Netzwerk, die neue Herausforderungen suchen.“ Die bisherige Rekrutierungspraxis hat aus Wackers Sicht sehr gut funktioniert – auch deshalb, weil man sich seit längerem bemühe, „bei der Arbeit ein positives, transparentes und respektvolles Umfeld zu schaffen, in dem sich mein diverses Team sehr wohl fühlt“.

Zurückhaltung nach Förderstopp
Momentan hat Gentle Troll zwei Werkstudenten, von denen einer Ende des Jahres fertig wird. „Er ist einfach schon so ins Team gewachsen, dass wir ihn unbedingt halten wollen“, sagt Wacker. „Da hilft natürlich, dass sich die Auftragslage mittlerweile stabilisiert hat – und auch unsere erfolgreiche Kickstarter-Kampagne zu Tavern Talk.“ Zuvor hatte Gentle Troll auf die Computerspieleförderung des Bundes gesetzt – und war bereits durch den ersten Förderstopp massiv sabotiert worden. „Planungstechnisch war das eine Katastrophe“, kritisiert Wacker. Der Förderstopp habe es unmöglich gemacht, einen weiteren, größeren Prototypen auszubauen. „Wenn man nicht weiß, wie es mit der Förderung weitergeht, fällt es deutlich schwerer zu entscheiden, ob man noch jemanden ins Boot holt“, sagt Wacker. „Ich kann verstehen, dass da momentan Zurückhaltung herrscht.“

Bei der Entwicklung von Prototypen greift Gentle Troll mittlerweile vor allem auf Lokalförderung zurück. In Bayern sei eine Förderquote von bis zu 80 Prozent möglich, berichtet Wacker. „Das hilft enorm, das Risiko für diese kritische Entwicklungsphase zu reduzieren.“ Das Programm schreibe allerdings vor, dass die Fördergelder auch wieder in Bayern ausgegeben werden müssen – der sogenannte „KKW-Effekt“. „Alles andere muss aus dem Eigenanteil finanziert werden, was bei vielen Remote-Mitarbeitern außerhalb Bayerns schnell zu einer schlechteren Förderquote führt“, erläutert der CEO. Wegen des KKW-Effekts entwickle man Prototypen hauptsächlich im Würzburger Team – und nicht mit den Fachkräften außerhalb Bayerns.

Grüne Badges
Auch Wacker stellt fest, dass die Lage auf dem Job-Markt derzeit alles andere als rosig ist. „Wenn ich mich in meinem LinkedIn-Netzwerk umschaue, dann haben da sehr viele Leute gerade einen grünen Looking-for-Work-Badge“, berichtet er. Für viele Leute sei Spieleentwicklung eine „Lebensentscheidung“, so Wacker. „Zum Reichwerden ist man nicht hier, es geht mehr um die Leidenschaft, die man in einem herkömmlichen Dayjob nicht unbedingt ausleben kann.“ Wer aber aus bestimmten Gründen (Familie, Haus etc.) bei der Jobsuche nicht so flexibel sei, werde sich nun womöglich doch einen Job in einem anderen Industriezweig suchen. „Bei den technischen Berufen liegen die Gehälter in anderen Branchen oft mindestens 30 Prozent höher.“

 

Zum Reichwerden ist man nicht hier

 

Wie wird sich der Arbeitsmarkt nun also weiterentwickeln? Müssen wir weiter mit nahezu täglichen Entlassungsmeldungen rechnen – oder pendelt sich das Ganze langsam wieder ein? Als wie prekär die Lage wahrgenommen wird, hängt von der individuellen Situation ab: Wer gerade händeringend nach einem neuen Job sucht, der wird die Entwicklung anders beurteilen als jemand, der schon einen oder gar mehrere Posten in Aussicht hat. Auch die Nachfrageperspektive ist natürlich eine andere: Gerade größere Entlassungswellen setzen immer wieder Fachkräfte frei, die dann bereitwillig von Firmen angeheuert werden (vgl. IGM 14/2023). Wie sieht nun als Ubisoft Blue Byte die Situation? „Die Jahre vor Corona und während Corona waren starke Wachstumsjahre – und wir haben sehr viel rekrutiert“, sagt Karolina Böhm. „Der Tech-Markt war aber zuletzt sehr umkämpft und die große Nachfrage hat es auch für uns schwieriger gestaltet.“ Die größte Herausforderung für Blue Byte sei momentan, KandidatInnen mit der richtigen Qualifikation „zu erreichen und zu überzeugen“, wie Böhm sagt. „Es hatte sich klar zu einem Arbeitnehmermarkt entwickelt. Jedoch kann ich auch feststellen, dass sich die Situation 2023 nun wieder etwas entspannt hat.“

Fazit: Die nächsten Monate werden zeigen, ob sich die „Konsolidierungsphase“ ungebremst fortsetzt – oder ob bei den Spielefirmen wieder etwas Ruhe einkehrt. Sämtlichen Beschäftigten der Games-Branche ist natürlich zu wünschen, dass sie auch weiterhin an Projekten arbeiten können – im besten Fall sogar mit viel Leidenschaft. (Achim Fehrenbach)

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