K5 Factory im Interview: „Wir wollen kein Saufspiel machen“

Der Münchner AR-/VR-Spezialist K5 Factory bastelt derzeit hochmotiviert an „Munich Oktoberfest - The Official Game“. IGM hat die Macher getroffen, um mehr über die Historie des Studios, das eigentliche Spiel und die Herausforderungen während der Entwicklung zu erfahren.
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K5-Factory-Gründer Oliver Simon (zweiter von rechts) und sein Kernteam bestehend aus Lead Game Designer Boris Conrad Heisserer (links), COO Thomas Wagner (zweiter v. l.) und Creative Director Jan Lachauer (ganz rechts) waren während des Wiesn-Events sichtlich gut gelaunt

IGM: Seit wann gibt es die K5 Factory GmbH überhaupt und wie kam es zur AR-/VR-Spezialisierung?

Jan Lachauer: Das Ganze fing 2018 an, genauer gesagt schon ein bisschen zuvor. Oliver Simon hatte mit Arri zusammen an einem Projekt zu seinem Film „Anon“ gearbeitet; Regie führte Andrew Niccol. Damals war die Idee, eine Art AR-Promotion-App zum Film zu bauen, in welchem es ja auch um Augmented Reality geht. Durch den Film entstand Olivers Interesse an Dingen wie Extended Reality und Augmented Reality. Die Kollaboration mit Arri hat sich weiterentwickelt und 2018 dazu geführt, dass Oliver die Abteilung bei Arri übernommen hat. Daraus hat sich dann die K5 Factory gegründet. Wir alle kommen ursprünglich aus dem Filmbereich und uns hat die Frage interessiert, wie man in diesem neuen Medium Geschichten erzählen kann. Wir haben dann relativ bald auch Mobile-Apps mit ins Portfolio genommen und unter anderem eine App für die experimenta – ein Science Center in Heilbronn – entwickelt. In der App konnte man das Museum in AR erleben und zudem in einen VR-Modus wechseln. Damals kam die Oculus Quest 1 auf den Markt, woraufhin wir uns intensiver mit dem Medium VR beschäftigt haben. Das war und ist nach wie vor eine Herausforderung, da das Gerät einen Mobile-Prozessor nutzt und hohe Framerates wichtig sind, um Motion Sickness zu vermeiden.

Im Anschluss haben wir die ersten kleineren Projekte wie „Labyrinth deLux“ und „Trailbouncer VR“ realisiert. Danach folgte ein Mobile-Game namens „Unite in Taste“, wieder für die experimenta, die zu diesem Zeitpunkt eine Sonderausstellung zum Thema Geschmack entwickelt hat. Das Spiel ist eine Mischung aus „The Sims“ und „Animal Crossing“. Damals experimentierten wir auch schon ein bisschen Richtung Multiplayer, genauer gesagt asynchroner Multiplayer. Man konnte Avatare bauen, Wohnungen einrichten und dann auch die Avatare und Wohnungen der anderen sehen. Von dort aus sind wir schließlich zum Oktoberfest gekommen. Damals – zur Corona-Zeit – fing es an mit einem Scherz, frei nach dem Motto: Das Oktoberfest wird sicher abgesagt – lass uns doch ein virtuelles Oktoberfest draus machen! Die Idee lag dann erst einmal rum. Doch irgendwie ließ sie uns nicht los und wir merkten, dass sie sich eigentlich perfekt für das Medium VR, als Social-Experience eignet. Es geht ums Beisammensein und um Bewegung, zwei Themen, die kein anderes Medium so gut wie VR abbilden kann.

IGM: Welches waren eure bisher erfolgreichsten Projekte?

Oliver Simon: Projekte, die wir gemacht haben, sind unter anderen „Nachtzug nach Lissabon“, „Cutie and the Boxer“ – was auch eine Oskar-Nominierung erhielt –, dann besagter Film „Anon“ und „Paterson“ von Jim Jarmusch. In der K5 Factory haben wir für Müller Milch „Der kleine Hunger“ gemacht, für BMW gearbeitet, dann das Projekt für die experimenta – das waren so die Großen. Aktuell arbeiten wir an einem VR-Projekt, das im Walled Off Hotel, einem Hotel, das von Banksy gestaltet wurde, spielt. Und natürlich an der Wiesn-Sache, die jetzt schon groß ist. Wenn wir es so weit bringen, wie wir es uns vorstellen, dann ist das Wiesn-Game sicherlich das dickste Brett.

 

Das Wiesn-Game ist sicherlich das dickste Brett
 

IGM: Euer VR-Spiel „Munich Oktoberfest - The Official Game“ befindet sich gerade in Entwicklung und soll im September 2024 erscheinen. Erste Screenshots gibt es bereits, umfangreiche Gameplay-Trailer noch nicht. Wie genau muss man sich den Spielablauf vorstellen?

Jan Lachauer: Wir arbeiten gerade am Prototypen. Es gibt also einen Status quo und etwas, wo wir hinwollen. Ich konzentriere mich im Folgenden mal auf Letzteres und darauf, wie das Spiel anfängt. Wir hatten ursprünglich mal ein Zimmer, in dem man startet – die sogenannte Home Scene. Das haben wir jedoch geändert. Man beginnt jetzt auf einer Anhöhe mit Ausblick auf die Theresienwiese. In der Ferne sieht man von dort das Treiben auf der Wiesn, ist aber noch nicht mittendrin. Man fängt also an einem ruhigen Ort an, der auch dieses typische münchnerische „Englischer Garten“-Feeling versprüht. Es gibt eine Bank, eine kleine Statue, Vogelgezwitscher – sprich eine sehr angenehme Umgebung. Im Hintergrund ist die Party und dort kann man dann hin, indem man sich in typischer VR-Manier teleportiert. Anschließend landet man auf der virtuellen Theresienwiese, die wir der realen zum gewissen Grad nachempfinden. Es gibt also eindeutig Dinge, die man wieder erkennen kann. Jedoch ist unsere Version kleiner, stilisierter und passender für das Medium.

Als Spieler wird man anfangs vom Münchner Kindl willkommen geheißen, das einem die Basics erklärt und einen auf der Theresienwiese herumführt. Dort ist der Spieler auch direkt in Kontakt mit anderen Spielenden, sieht die ersten anderen Avatare – wie sie herumlaufen, an eine Bude gehen, ein Minigame spielen und so weiter. An jeder Bude gibt es einen NPC, der einen auffordert, mitzumachen und den ein oder anderen lustigen Spruch auf Lager hat. Diesbezüglich wollen wir nah an der Realität bleiben. Letztendlich gibt es eine ganze Reihe von Minigames, die man erleben und hauptsächlich zusammen mit anderen spielen kann. Der Fokus liegt also eindeutig auf Multiplayer. Es wird aber auch eine Ebene mit Quests und NPCs geben – damit man auch alleine Spaß haben kann. Man wird kleine Aufgaben lösen können, die einem Hintergrundinfos zum Oktoberfest geben. Beispielsweise erfährt man auf diese Weise, dass es das Fahrgeschäft Krinoline mittlerweile schon seit 99 Jahren existiert und was seine Geschichte ist. Genau solche Geschichten wollen wir im Spiel über das sogenannte „Wiesn-Book“ zugänglich machen, in dem man Kapitel für Kapitel freischalten kann.

 

Der Fokus liegt eindeutig auf Multiplayer

 

IGM: Kann man alle Wiesn-Aktivitäten beliebig oft erleben?

Jan Lachauer: Ja das kann man, allerdings gibt es, wie auf der realen Wiesn, auch auf der virtuellen eine Art Eintrittskarten. Heißt konkret: Man muss für die Fahrgeschäfte mit Tickets bezahlen, die man sich im Spiel verdienen kann. Das Verdienen der Tickets wiederum geschieht in den Bierzelten. Schon als wir anfingen, war klar: Wir wollen kein Saufspiel machen. Das Bier wird bei uns eine untergeordnete Rolle spielen. Trotzdem gibt es natürlich die Bierzelte, die Teil des Ganzen sind. Und wir müssen uns überlegen, was wir damit machen können. Dann sind wir auf die Idee mit den Wiesn Jobs gekommen. Beispielsweise kann man in der Blaskapelle Posaune spielen. Je besser man spielt, desto mehr Tickets für Fahrgeschäfte erhält man. Das ist ein System, das bisher in unseren User-Experience-Tests gut ankam. Es gibt zum Beispiel auch ein Spiel, bei dem man Getränke zapft und so weiter. Das sind Tätigkeiten, die die Spielenden auch allein machen können.

IGM: Auf welchem Weg soll die Monetarisierung stattfinden?

Jan Lachauer: Als Free-2-Play-Titel wollen wir über die Avatar Customization monetarisieren. Denn wie auch auf dem realen Oktoberfest wollen die Spieler ihre Avatare sicher auch virtuell einkleiden. Somit ermöglichen wir allen, das Spiel - zunächst ohne dafür Geld ausgeben zu müssen - spielen zu können. Die, die sich einen neuen Hut kaufen wollen, können das dann über Mikrotransaktionen machen. Dieses Modell hat sich im VR-Bereich bewährt, wie beispielsweise der Titel „Gorilla Tag“ zeigt.

IGM: An welche Art von Outfits habt ihr gedacht? Besonders ausgefallene Trachten?

Jan Lachauer: Es sind nicht nur Trachten. Es wird natürlich auch andere Sachen geben, etwa spezielle Kappen, normale Hosen, Jogginghosen, Hoodies – was eben gerade passt. Vielleicht kann man sich auch mal als Bär verkleiden. Das müssen wir alles noch herausfinden und dabei auch die Community mit einbeziehen.

IGM: Welche Wiesn-Attraktionen sind für die finale Version geplant? Und mit welchem Umfang plant ihr? Hat man nach zwei bis drei Stunden schon alles gesehen oder wie muss man sich das vorstellen?

Jan Lachauer: Guter Punkt. Das ist ein Thema, an dem wir aktuell dran sind. Unser grundsätzliches Konzept ist es, dass wir Minigames im Spiel „Larger Than Life“ gestalten. Heißt: Wenn wir jetzt zum Beispiel Rosenschießen anbieten, dann spielt man die erste Runde ganz klassisch an einer Bude. Erst danach startet dann das richtige Spiel. Die Umgebung verändert sich und man findet sich in einer Landschaft wieder, in der große Rosen herumfliegen, die getroffen werden müssen. Und so kommt man von einem Level in das nächste. Ähnlich verhält es sich mit den Achter- oder Geisterbahnen. Auf dem realen Oktoberfest sind das ja relative kurze Erlebnisse. Wir werden diese Fahrten länger, actionreicher und von der Umgebung spannender gestalten. Man wird Punkte sammeln können oder Monster abwehren müssen. Die Wagen werden über Abgründe oder durch Wasserfälle sausen, über Pirateninseln, Alienraumschiffe, oder Ritterburgen. Diese unbegrenzten Gestaltungsmöglichkeiten sind das Schöne an VR.

IGM: Habt ihr auch Wiesn-Klassiker wie etwa das Riesenrad drin?

Jan Lachauer: Ja, die Klassiker haben wir schon drin. Sie sind auch relativ einfach zu machen. Einfacher jedenfalls, als eine Welt aufzubauen. Wir haben unter anderem den Top Spin drin, dann den Skyfall und natürlich ein Riesenrad. Diese Motion Rides funktionieren wie das jeweils echte Pendant. Man setzt sich ins Top Spin und wird herumgeschaukelt. Das ist ziemlich lustig, allerdings nichts für Menschen, die anfällig für Motion Sickness sind. Aber viele haben da auch gar keine Probleme. Wir hatten erst kürzlich jemanden da, der kein regelmäßiger VR-Nutzer ist und der saß total happy im Top Spin. Das Gefühl der jeweiligen Attraktion kommt auf jeden Fall gut rüber. Die G-Kräfte bleiben leider aus, aber zumindest die Illusion ist da.

IGM: Ihr legt ja auch einen großen Fokus auf die soziale Komponente und Multiplayer-Aspekte. Welche Minispiele kann man denn zu mehreren oder im Team spielen?

Jan Lachauer: Tatsächlich gibt es verschiedene Kategorien von Spielen. Die einen sind Multiplayer-Spiele, wo man zusammen in einer Session gegeneinander spielt – Autoscooter wäre ein Beispiel dafür. Inhaltlich ist es ein bisschen inspiriert vom Ballon-Modus aus „Mario Kart“ – Power-ups inklusive. Ein anderes Multiplayer-Spiel für bis zu acht Teilnehmer heißt „Flying Frogs“. Hier haben wir auch eine reale Attraktion adaptiert, bei der man Gummifrösche über Katapulte in Seerosen schießen muss. Basierend auf den sogenannten „Laufgeschäften“ wie etwa „Jumanji“ oder „Dschungelcamp“ haben wir zudem eine Art Hindernislauf-Spiel, inspiriert von VR-Hits wie „Sprint Vector“ oder „Horizon Call of the Mountain“ auf PS5. Genau wie dort muss man auch bei uns seine Arme hoch und runter bewegen, um sich fortzubewegen. Wer dann als Erster den Parkour gemeistert hat, gewinnt.

Thomas Wagner: Was man vielleicht noch ergänzen sollte, ist, dass man auch alle Motion Rides zusammen erleben kann. Du stellst dich zusammen an, du kannst dich zusammen in den Top Spin setzen, zusammen Dosenwerfen und so weiter. Tatsächlich gibt es nur ganze wenige Sachen, die du allein machst.

Jan Lachauer: Letztendlich unterscheiden wir zwischen richtigem Multiplayer und sogenannten Together-Alone-Erfahrungen. Rosenschießen etwa spielst du für dich. Du siehst aber neben dir jemand anderen spielen und wie viele Punkte die Person hat. Alle Spielerinnen und Spieler können sich zudem über ein Leaderboard messen.

IGM: Die diesjährige Wiesn 2023 habt ihr auch zu Recherchezwecken genutzt. Zu welchen Ergebnissen seid ihr nach zwei verrückten Wiesen-Wochen gekommen?

Jan Lachauer: Hier gab es tatsächlich mehrere Punkte. Zum einen haben wir ganz viele Fotos und Audioaufnahmen gemacht, denn sowohl visuell als auch akustisch ist das Oktoberfest ein sehr spezielles Umfeld. Zudem haben wir Videoaufnahmen aus der First-Person-Perspektive angefertigt, um zu sehen, wie es beispielsweise in der Realität aussieht, Autoscooter zu fahren. Letztendlich ging es darum, so viel Material wie möglich für das kommende Jahr zu sammeln, um damit dann an den diversen Spielelementen zu arbeiten. Und dann gab es noch den direkten Kontakt mit den ganzen Fahrgeschäft-Betreibern.

Thomas Wagner: Uns ist es natürlich wichtig, dass wir maximal authentisch unterwegs sind. Und deswegen haben wir am Ende auch die Zustimmung der Landeshauptstadt München bekommen. Dementsprechend wollen wir natürlich auch möglichst viele der auf dem Oktoberfest ansässigen als Partner gewinnen. Aus diesem Grund haben wir das Projekt ganz vielen Schaustellern vorgestellt, aber auch Wirten sowie Stand- und Budenbetreibern. Viele davon waren sehr aufgeschlossen und dem Projekt gegenüber sehr positiv eingestellt. Wir haben das Spiel dann vor Ort auch schon mal gezeigt und dadurch teils noch mal ganz neue Impulse bekommen. Wir haben mit jedem auch noch mal ein Follow-up-Treffen gehabt, damit sie sich die Erfahrungen noch mal direkt ansehen können und sehen können, welche Anregungen wir zwischenzeitlich implementiert haben.

 

Uns ist es wichtig, dass wir maximal authentisch unterwegs sind

 

IGM: Wie sieht aktuell euer Timing aus? Wann wird man mehr vom Spiel sehen können?

Jan Lachauer: Der Plan ist es, zur nächsten Wiesn mit unserer Version 1.0 rauszugehen. Bis dahin wollen wir zunächst einem ausgewählten Publikum Zugang zu einer Closed Beta geben, um dann vor dem Release in eine Open Beta zu starten und so die Community aufbauen. Bei einem Social-VR-Game, welches von den Spielerinnen und Spielern lebt, ist das besonders wichtig.

IGM: Gibt es spezielle Features für Quest-3-Besitzer?

Jan Lachauer: Wir wollen auf jeden Fall Quest-2-kompatibel bleiben, weil sehr viele dieses Headset besitzen. Anfangs müssen wir mal sehen, wie die Quest 3 angenommen wird. Natürlich versuchen wir aber, die neuen Features zu nutzen. Meta zum Beispiel experimentiert derzeit mit Body Pose Estimation, sprich, dass die Arme und Beine noch besser simuliert werden können.

IGM: Was war die größte Herausforderung während der Entwicklung?

Jan Lachauer: Es gibt viele Herausforderungen. Erst mal natürlich: Ein Multiplayer-Spiel zu machen, ist sehr komplex. Dazu kommt, dass VR die Komplexität nochmals erhöht, denn es muss super performant auf dem Mobile-Chip der Quest 2 laufen. Auch das Testing ist viel komplexer als am Bildschirm mit dem Joypad. Wenn du ein User-Interface konzipierst, dann kannst du es in VR nicht einfach am Bildschirm designen und einfach mal kurz prototypen – du musst es in der Brille testen. Diese ganzen Iterationen sind einfach wesentlich komplizierter. (soe/bpf)

IGM 15/23
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