Sie ist grün, mit spitzer Nase und spitzem Kinn, hat Warzen im Gesicht und ist abgrundtief böse: Gruntilda aus der Banjo-Kazooie-Reihe ist die typische böse Märchenhexe und als solche in einem kunterbunten Jump ’n’ Run gut aufgehoben. Noch hässlicher und böser sind die Hexen in Horror- und Fantasy-Games, wie die Hexe von Hemwick aus Bloodborne, die Muhmen vom Buckelsumpf aus The Witcher 3 oder Ethel aus Baldur’s Gate 3.
Wie in diesen Beispielen sind Hexen in Videospielen häufig monströse Klischees oder sogar Hexenjäger die Helden. Das ist selten historisch fundiert. „Fast jeder glaubt, irgendetwas über Hexenverfolgung zu wissen – und nicht selten ist es falsch“, sagt die Historikerin Rita Voltmer. Denn die Hexe als Monster oder Dämon habe wenig mit dem historischen Hexenglauben zu tun, so die Privatdozentin an der Uni Trier, deren Forschungsschwerpunkt die Hexenverfolgungen im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit in Europa und seinen Kolonien ist.
Wo unser mittelalterliches Hexenbild herkommt
Laut der christlichen Dämonologie und des Hexenglaubens seien die weibliche oder männliche Hexe vom Christentum abgefallene Personen. „Der Teufel ist stets bemüht, Menschen zum Paktschluss und damit zum Abfall von Gott zu verführen“, erklärt Voltmer. Monströse Wesen, die anderen einen Pakt anbieten wie die Muhmen aus The Witcher, seien keine Hexen, sondern Dämonen oder der Teufel selbst.
Eine weitere mögliche Inspiration für die fiktiven Hexen sind Sagenwesen in Gestalt alter Frauen, die im englischsprachigen Raum als hags bezeichnet werden. Im deutschsprachigen Raum gibt es ähnliche Mythen wie Roggenmuhmen oder Mittagsfrauen. Die hags haben über das Rollenspiel Dungeons & Dragons und seine zahlreichen digitalen Umsetzungen den Weg in digitale Spiele gefunden. So wie Ethel in Baldur’s Gate 3, die mit grünlicher Haut, spitzer Nase und Warzen auch eine Cousine von Gruntilda sein könnte – und deren gemeinsame Großmutter dann wohl die Böse Hexe des Westens aus dem Film Der Zauberer von Oz aus dem Jahr 1939 ist.
Reine Männerphantasie
Mit der Teufelin im Bunde
Sobald Hexen zu spielbaren Charakteren in Games werden, verschwinden Warzen und grüne Haut. Als Protagonistinnen sind sie meistens attraktiv und jung – oder sehen zumindest jung aus. Das beste Beispiel dafür ist Bayonetta. Die Hauptfigur der gleichnamigen Reihe kämpft gegen Engel in einer Welt, in der diese nicht unbedingt die Guten sind. Gleichzeitig ist Bayonetta auch mit dem Teufel im Bunde – genau genommen mit einer Dämonin namens Madama Butterfly. Das deckt sich mit der Vorstellung frühneuzeitlicher Dämonologen. „Die magischen Fähigkeiten der Hexe kommen vom Teufel oder werden ihr von ihm vorgegaukelt“, fasst Rita Voltmer deren Standpunkt zusammen. Der Kampf von Bayonetta gegen Engel, die auch noch nach den christlichen Kardinaltugenden benannt sind, spiegelt den Vorwurf gegen Hexerei als das ultimative Verbrechen, als Verbrechen gegen Gott wider. Die Verbindung von Hexerei und Ketzerei wurde auch zur Zeit der Hexenverfolgung geknüpft.
Dieser theologisch-philosophische Überbau der Spielereihe leidet freilich etwas darunter, dass Bayonetta auch als „reine Männerphantasie“ und im „klischeehaften Porno-Look klar übersexualisiert“ kritisiert wurde. Verteidiger dieser modernen Hexen, wie beispielsweise die Autorin Maddy Myers in einem Artikel für das Paste Magazine aus 2014, führen hingegen an, dass Hexen wie Bayonetta von Bösewichten einer archaischen Fantasywelt wie Bloodborne oder The Witcher, zu selbstbestimmten Frauenfiguren werden, die mit Zauberei und Kugeln dutzende Gegner erledigen. Damit passen moderne Interpretationen zur Lesart von Hexen im Feminismus. Durch den wurden die verbrannten Hexen zum Symbol der unterdrückten Frau. Italienische Feministinnen skandierten in den 70er Jahren beispielsweise: „Zittert, zittert, die Hexen sind wieder da.“
Zittert, zittert, die Hexen sind wieder da
Spiele erfinden slawische Hexentraditionen neu
Andere Spiele kehren hingegen zu den Wurzeln der Hexenmythen zurück. „Es gibt immer etwas Böses in den Wäldern – die slawische Baba Jaga hat viele Entsprechungen in anderen Mythologien“, schreibt das polnische Studio The Parasight. In seinem Spiel Blacktail schlüpfen Spieler in die Rolle einer jungen Hexe namens Yaga und können entscheiden, ob sie ihre Kräfte für das Gute oder Böse nutzen. Das Entwicklungsteam hat sich von den widersprüchlichen Erzählungen um Baba Jaga inspirieren lassen: „Man kann nicht genau sagen, ob sie böse oder gut ist. Sie war schon immer irgendwo dazwischen angesiedelt.“
Eine weitere Vertreterin der slawischen Hexentradition ist Vasilisa aus Black Book des russischen Studios Morteshka. Dessen Handlung ist im 19. Jahrhundert angesiedelt. Vasilisa kontrolliert Geister aus der russischen Mythologie wie Leshys und Rusalkas und muss alle sieben Siegel eines magischen schwarzen Buchs öffnen, um ihren toten Verlobten zum Leben zu erwecken. „Ich wollte ein Spiel entwickeln, das auf Balichkas basiert, Volkserzählungen über Begegnungen mit unheiligen Geistern und Dämonen“, schreibt Entwickler Vladimir Beletsky.
Beletsky will die historischen Vorstellungen von volkstümlicher russischer Magie und ihrer Vertreter, der Kolduns, authentisch abbilden. Er sieht diese Darstellung auch als Kontrast zu heutigen Hexendarstellungen in der Popkultur: „Das Thema der historischen Magie wird entweder mit Horroreffekten übertrieben oder niedlich gemacht.“ Gefährlich für die Hexen sind in Black Book die Dämonen, nicht die Menschen. „Hexenverfolgungen waren in Russland selten“, so Beletsky. Der Entwickler erklärt das unter anderem damit, dass Kolduns zum Alltag der Menschen gehörten.
Rita Voltmer sieht noch weitere Faktoren: „Die dämonologische Vorstellung, wie zum Beispiel vom Teufelspakt, hat sich, wenn überhaupt, in Russland erst allmählich durchgesetzt. Es gab im Bereich der orthodoxen Kirche auch keine Ketzerverfolgung, wie wir sie aus dem lateinisch-römischen Kulturkreis kennen.“ Und der moderne Buchdruck, der im Rest Europas eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Schriften wie dem berüchtigten Hexenhammer hatte, kam im slawischen Bereich erst später an.
Es gibt immer etwas Böses in den Wäldern
Hexenklischees sind eine Grabbelkiste an Ideen
Ob Märchenmonster, moderne Powerfrau oder slawische Geistervermittlerin: Die Hexe in Games hat sich weit entfernt vom Bild einer zu Unrecht angeklagten Frau aus der Zeit der Hexenverfolgung. „Die historischen Hintergründe in einem Spiel unterzukriegen, stelle ich mir schwierig vor“, sagt Voltmer. Kaum jemand würde sich wohl für ein Gameplay mit langwierigem Gerichtsprozess, unterbrochen von Folter oder Gefängnisaufenthalt und einem meist tragischen Ende interessieren.
Stattdessen können Hexen in Cozy Games wie Wylde Flowers oder Wytchwood sogar in beschaulicher Atmosphäre Zutaten ernten, Tränke brauen und vor der historischen Realität fliehen, in der zehntausende Menschen in Europa ermordet wurden. Sie erweitert das ohnehin schon vielgestaltige Hexen-Bild um eine neue Facette – und bricht die Klischees vom bösen Monster und sexualisierter Power-Witch. „Die historischen und zeitgenössischen Imaginationen über Magie, Hexerei und Hexen sind als ein Container, als eine Art Grabbelkiste zu verstehen, in der alle möglichen Versatzstücke zu finden sind“, sagt Rita Voltmer. Was auch immer die Designer brauchen, können sie in dieser finden. [Fabian W. W. Mauruschat]