Hängepartie: Die deutsche Games-Förderung in der Schwebe

Wie geht es mit der Bundesförderung weiter? Darüber wird gerade viel spekuliert. Das Kanzleramt soll einen eigenen Fördertopf bekommen – und zwar zusätzlich zum bereits existierenden, für dieses und für nächstes Jahr bereits ausgeschöpften BMWK-Fonds. Nach welchen Kriterien diese Töpfe künftig Geld ausschütten, ist nur eine von vielen offenen Fragen. Ganz grundlegend stand (bei Redaktionsschluss) auch die Frage im Raum, ob das massive Haushaltsloch die Förderpläne nicht doch noch sabotiert. Wir haben ExpertInnen befragt, wie sie die Lage beurteilen – und schauen uns an, wie Spielestudios mit der Situation umgehen.
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Am 16. November war die Spannung groß: Der Haushaltsausschuss des Bundestages kam zusammen, um in einer Bereinigungssitzung über künftige Zuschüsse zu beraten. Auch die deutsche Games-Branche wartete gespannt auf die Sitzungsergebnisse – schließlich ging es darum, ob der Ausschuss die Bundesförderung doch noch aufstocken würde. Am 17. November sickerte dann langsam durch, dass es tatsächlich frische Gelder geben wird: Und zwar 100 Millionen Euro zusätzlich, verteilt auf die Jahre 2024, 2025 und 2026. Hurra?

Unklares Procedere
Die rund 33 Millionen Euro pro Jahr sind natürlich weit entfernt von den 125 Millionen Euro, die der game noch vor kurzem als „unerlässlich“ bezeichnet hatte – allein für 2024, wohlgemerkt. (Die aktuelle Zusage bezeichnet der Verband nun erstaunlicherweise als „starkes Signal“.) Tatsächlich aber war vielen Branchen-Akteuren eine gewisse Erleichterung anzumerken, dass es überhaupt wieder neues Geld vom Bund geben soll – immerhin gilt seit Mai dieses Jahres ein Stopp für die Förderung des BMWK, weil die Mittel für 2023 und 2024 bereits ausgeschöpft sind. Die allermeisten Industrieangehörigen dürfte aber überrascht haben, dass der zusätzliche Fördertopf beim Kanzleramt angesiedelt wird – genauer gesagt bei der Beauftragten für Kultur und Medien (BKM), Claudia Roth. Daraus ergeben sich viele Fragen für das weitere Procedere – und nicht nur das: So lange die Regierung noch keinen Weg gefunden hat, mit dem 60-Milliarden-Euro-Defizit im Haushalt klarzukommen, besteht auch immer noch die Möglichkeit, dass die Fördertöpfe verschlossen bleiben. Die Aufgleisung des Bundeshaushalts für 2024 wird wohl erst in den nächsten Monaten stattfinden. Bis dahin heißt es auch für die Games-Branche: Abwarten, Tee trinken – und irgendwie mit der fehlenden Planbarkeit klarkommen.

Was gar nicht so einfach ist, wenn man sich die Situation anschaut, in der sich förderungswillige Games-Firmen gerade befinden. Bevor wir aber deren Situation beleuchten, geht es zunächst um eine Expertenmeinung zur aktuellen Lage: Machen die neuen Förderpläne – vorbehaltlich des Haushalt-Damoklesschwerts – überhaupt Sinn? Und wenn ja: Wie könnte es konkret weitergehen? Nun, Förder-Experte Malte Behrmann sieht einen „riesigen Prestige-Gewinn“ für die Games-Branche in der Tatsache, dass ein Teil des Förderbudgets zum BKM transferiert wurde. Behrmann, Rechtsanwalt und Professor an der bbw Hochschule Berlin, bezeichnet die Entscheidung der Ampelkoalition gar als einen „Adelsschlag“, für den die Branche dankbar sein könne. Der Experte begrüßt beispielsweise, dass Claudia Roth für den Fördertopf zuständig sein soll. Die Grünen-Politikerin sei schon „in ihrer Zeit als Parteivorsitzende eine große Freundin vom kulturellen Verständnis unserer Branche und insoweit eine Politikerin der ersten Stunde“ gewesen, so Behrmann. „Damals sagten erst ganz wenige öffentlich, dass Games zur Kultur gehören.“ Der Anwalt glaubt denn auch, dass sich Roth mit viel Verve hinter die neue Förderung klemmen wird. Aber was passiert eigentlich mit der bestehenden BMWK-Förderung?

 

In der Branche liegen wegen des Förderstopps die Nerven ziemlich blank

Förderfonds-Fragen
Momentan ist es ja so: Der beim DLR angesiedelte Fördertopf ist auch für 2024 bereits ausgeschöpft, neue Förderanträge können nicht eingereicht werden, eine Aufstockung wurde erhofft, kam aber nicht. Verkompliziert es die Dinge nicht noch unnötig, wenn nun ein zweiter Fördertopf beim BKM aufgemacht wird? „Was das jetzt im Einzelnen zu bedeuten hat, dass der Etat in zwei Ministerien zu verorten ist, muss man abwarten“, kommentiert Malte Behrmann. „Ein Förder-Fonds kann möglicherweise auch aus unterschiedlichen Einzelplänen gefüllt werden. In Frankreich ist das ja auch so, dass die Fördermittel sowohl aus dem Kultur- also auch aus dem Wirtschaftsministerium kommen – und trotzdem in einer Institution verwaltet werden.“ Claudia Roth habe mittlerweile signalisiert, eine Förderung stärker kulturell verankern zu wollen, so Behrmann. „Dafür habe ich grundsätzlich natürlich Sympathie. Mein Vorschlag wäre aber, die große Reform erst für 2025 anzugehen – und im kommenden Jahr pragmatisch die Mittel aus dem BKM dem DLR für das laufende Programm zu geben.“ Besonders wichtig findet der Experte, dass die Gelder nun zügig an den Start gebracht werden – wenn sie denn die weiteren Haushaltsberatungen „überleben“. Denn: „In der Branche liegen wegen des Förderstopps die Nerven ziemlich blank.“

Konkrete Auswirkungen hat die Bundes-Hängepartie beispielsweise auf die Regionalförderung. In vielen Bundesländern können Spielefirmen bekanntlich Fördergelder beantragen, zum Beispiel für die Entwicklung von Prototypen. Unter bestimmten Voraussetzungen können diese Gelder mit der Bundesförderung kombiniert werden, Stichwort: „Kumulierung“. Dennis Schoubye, Leiter von Gamecity Hamburg, beschreibt die gängigen Fördermöglichkeiten: Laut Schoubye erhalten Hamburger Firmen und Privatpersonen im Rahmen der Prototypenförderung maximal 80.000 Euro pro Projekt. Bis zu 80 Prozent der veranschlagten Projektkosten können als nicht rückzahlbare Zuwendung gewährt werden. „Bei größeren Projekten, die zusätzliche Mittel beispielsweise aus der Computerspieleförderung des Bundes erhalten, kann ein Projekt von Gamecity Hamburg mit maximal 120.000 Euro gefördert werden“, erläutert der Gamecity-Leiter. Der aktuelle Antragsstopp bei der Bundesförderung verhindere aber derzeit eine solche Kumulierung, so Schoubye: „In Hamburg genauso wie bundesweit macht es der aktuelle Zustand der Bundesförderung Unternehmen und Start-ups unmöglich, verlässlich zu planen und internationale Partner für Projekte ‚Made in Germany‘ zu gewinnen.“

Lokales Ökosystem
In dieser schwierigen Situation – und auch schon davor – unterstützt Gamecity Hamburg die lokalen Spieleproduzenten nach Kräften. Neben der Prototypenförderung gibt es beispielsweise auch den „Games Lift Incubator“, der Nachwuchs-EntwicklerInnen finanzielle Unterstützung, Workshops, individuelles Mentoring und Raum für Zusammenarbeit mit anderen Teams bietet. Schoubye betont auch die Bedeutung des lokalen Ökosystems: „In Hamburg profitieren die Studios und EntwicklerInnen von einem starken Netzwerk aus 200 Games- und Tech-Unternehmen, das seit mehr als 20 Jahren gewachsen ist. Und auch von einer großen Indie-EntwicklerInnen-Szene, die mit neuen, kreativen Ideen die Branche antreibt.“ Neben der Hamburg Games Conference gebe es zahlreiche Networking-Events, so Schoubye – etwa den Gamecity Treff, den Games Compass und den Indie Treff.

Allerdings: Die schwächelnde Bundesförderung kann regional bestenfalls abgefedert, nicht aber ersetzt werden. Diese Erfahrung hat das Hamburger Studio Psycraft gemacht, das 2019 gegründet wurde und heute fünf MitarbeiterInnen hat. Mit dem Rätsel-Platformer The Treepoids bewarb sich Psycraft im Januar 2020 erfolgreich für die De-Minimis-Prototypenförderung des Bundes, für die damals noch das BMVI zuständig war. Ab September 2021 nahm das Studio für drei Monate am Games Lift Incubator von Gamecity Hamburg teil. Sabotiert wurde Treepoids dann allerdings durch den Antragsstopp bei der Bundesförderung. „Das hat uns einen wichtigen Punkt bei den Verhandlungen mit potenziellen Publishern genommen“, berichtet Psycraft-Mitgründer Gerrit Henschel. The Treepoids sei ein grafisch aufwendiges Projekt, dessen Budget denn auch höher liege als bei kleineren Produktionen. Die Aussicht auf eine förderbedingte Halbierung der Produktionskosten sei für Investoren und Publisher durchaus attraktiv, so Henschel. „Durch den Antragsstopp bleibt das Risiko aber zum größten Teil beim Publisher, was gerade in der momentanen Situation im Games-Bereich zu Absagen und Aussagen wie ‚Lasst uns nächstes Jahr nochmal sprechen‘ führt.“

 

Lasst uns nächstes Jahr nochmal sprechen

Lob für Hamburg
Trotz dieser widrigen Umstände arbeitet Psycraft weiter an Treepoids. „Auch wenn das natürlich bedeutet, dass es länger dauern wird“, wie Gerrit Henschels Bruder, Psycraft-Mitgründer Patrick Henschel, betont. Zudem habe die schwierige Situation der Games-Branche dazu geführt, dass einige Kunden ihre Projekte und Aufträge eingestellt hätten. „Die Finanzierung wird dadurch für uns immer schwieriger“, sagt Patrick Henschel. „Wir müssen – neben der Projektarbeit – alternative Finanzierungsmöglichkeiten finden.“ Mut macht den Brüdern, dass sie gerade mit ihrem neuen Projekt Thumblemania bei den German Dev Days für das „best concept“ ausgezeichnet wurden. Auch für Thumblemania würde Psycraft gerne die Prototypenförderung nutzen – so könnte man sich ganz auf die Entwicklung des Projekts konzentrieren, die IP-Rechte behalten und besser mit möglichen Publishern verhandeln. „Die Unterstützung durch die Gamecity Hamburg ist sehr wichtig, das kann man nicht anders sagen“, lobt Gerrit Henschel. Nicht nur wegen der finanziellen Anschubfinanzierung, sondern auch wegen Networking und Workshops.

Auch in anderen Bundesländern erhalten Spielestudios verstärkt Unterstützung. In Bayern werden Games bereits seit 15 Jahren gefördert, was sich an der Zahl der Industriebeschäftigten ablesen lässt. Aktuell sind im Freistaat rund 3480 Fachkräfte in der Games-Branche beschäftigt, berichtet Michaela Haberlander, Funding Advisor Digital Games beim FilmFernsehFonds Bayern (FFF). Laut Haberlander ist der Erfolg des Standorts auf etliche Faktoren zurückzuführen – die finanzielle Förderung, das Networking und die Öffentlichkeitsarbeit, um nur einige zu nennen. „Auch die Einführung der bundesweiten Games-Förderung war ein großer Schritt für die bayerischen Studios, die von dieser Förderung in hohem Maße bislang profitieren konnten“, so die Förder-Expertin.

Schwieriges Genre
Allerdings ist auch in Bayern so manches Studio vom Stopp der Bundesförderung betroffen. Das Garchinger Studio Irox Games etwa musste seinen Puzzle-Platformer Thief of Smiles deswegen auf Eis legen. „Wir haben uns auf die Planbarkeit sehr verlassen“, sagt CEO und Mitgründer Marcel Zurawka. „Im Nachgang war das ein großer Fehler.“ Thief of Smiles war das erste kommerzielle Studioprojekt gewesen – und war zudem in einem eher schwierigen Genre angesiedelt. „Die zwei Punkte haben uns auch die Publisher-Suche enorm erschwert“, berichtet Zurawka. Zwar habe Irox Games die Projektkosten durch Bundesförderung und FFF-Förderung auf ein für Publisher akzeptables Niveau bringen und auch mit Publishern sprechen können. Als die Bundesförderung aber wegbrach, stand Irox Games plötzlich mit leeren Händen da. Marcel Zurawka und Co-Founder Lars Grevsmühl haben daraus ihre Schlüsse gezogen. „Wir werden zukünftig die Projekte in kleinerem Umfang und nur mit regionaler Förderung planen“, so Zurawka. Zusätzlich haben wir immer einen Plan B zur Hand, falls die regionale Förderung auch wegbrechen sollte.“

 

Zusätzlich haben wir immer einen Plan B

 

Inzwischen arbeitet das vierköpfige Team von Irox Games an einem neuen Spiel: dem Roguelite-Strategy-City-Builder EcoGnomics. „Die Prototypenförderung für EcoGnomics läuft noch bis Ende Februar“, berichtet Zurawka. „Im März soll dann die Produktion starten.“ Der Antragstermin für die regionale Produktionsförderung sei Mitte Februar, so der Co-Founder – was aus Sicht von Irox Games viele Fragen offen lässt. „Ich glaube nicht, dass die Bundesförderung bis dahin geklärt wird – geschweige denn, dass die Fördertöpfe dann schon offen sind“, vermutet Zurawka. Falls sich einer der Töpfe im Frühjahr öffne, werde man definitiv einen Förderantrag einreichen, so der Game-Designer. „Wenn es aber später als März wird, ist der Zug für uns sowieso schon abgefahren, weil wir dann schon in der Produktion sind und die Förderung beim FFF eingereicht haben.“

Henne-Ei-Problem
Grundsätzlich sieht Zurawka die Kumulierung durchaus als Privileg. „70 Prozent Produktionsförderung sind im internationalen Vergleich unangefochten viel, das bringt einen großen Wettbewerbsvorteil“, lobt er. Dem Publisher könne man dann sagen: „Okay, wir brauchen 100.000 Euro von euch – und können das Geld verdreifachen.“ Allerdings ist das Ganze ein klassisches Henne-Ei-Problem. „Ich kann ein Projekt kalkulieren und damit auf mögliche Investoren oder Publisher zugehen. Das erhöht meine Chancen, einen Vertrag zu bekommen. In dem Vertrag wird dann aber wahrscheinlich drinstehen, dass wir das Geld erst dann bekommen, wenn wir auch die staatliche Förderung bekommen.“ Zwar könne man den Förderantrag schon einreichen, so Zurawka. „Wenn ich dann aber beim DLR nicht nachweisen kann, das ich das Geld habe, dann ist das ein Problem. Und das ist für kleine und mittlere Unternehmen nicht stemmbar.“ Ganz grundsätzlich wünscht sich der Spielemacher mehr Kommunikation in Sachen Förderung: „Das DLR weiß doch, wie viele Projekte in der Pipeline stecken. Es würde die Sache viel angenehmer machen, wenn man da als Antragsteller mehr Transparenz hätte.“

Das Hin und Her bei der Bundesförderung hat also weitreichende Folgen: Für die Studios – und auch für das Ansehen des Produktionsstandorts. „Das Stop-and-go-Spiel ist nicht nur für deutsche wie internationale Geldgeber nervig, sondern für alle Beteiligten, zum Teil sogar existenziell“, kritisiert Förder-Experte Behrmann. „Das würde sich nur ändern, wenn wir ungedeckelte Förderungen oder Tax Credits haben.“ Was die bisherige Bundesförderung gebracht hat, darüber wird hoffentlich bald etwas mehr Klarheit herrschen – noch dieses Jahr soll nämlich eine Förder-Evaluation erscheinen, die das BMWK in Auftrag gegeben hat. Wann genau welche Fördergelder (wieder) fließen, ist aktuell allerdings kaum abzusehen. Den betroffenen Spielestudios ist zu wünschen, dass die Hängepartie bald ein Ende hat. (Achim Fehrenbach)

IGM 16/23
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