
2023 war die LSG-Welt noch in Ordnung – zumindest, wenn es nach einer Studie von Griffin Gaming Partners geht. Die VC-Firma hatte – in Zusammenarbeit mit Rendered VC – insgesamt 537 Studios rund um den Globus zu Live Service Games befragt. Ergebnis: Satte 95 Prozent der Befragten entwickelten gerade ein LSG – oder betrieben bereits eines. Außerdem waren 66 Prozent der Befragten davon überzeugt, dass Live-Services für den langfristigen Erfolg eines Spiels notwendig seien. „In der gesamten Branche gaben die Live-Service-Teams an, dass ihre idealen Produktionszeitpläne wöchentlich bis zweiwöchentlich für LiveOps und zweiwöchentlich bis monatlich für Aktualisierungen von Spielinhalten sind“, heißt es in der Studie weiter. Die Produktionszeitpläne hätten inzwischen eine „halsbrecherische Geschwindigkeit“.
Weniger Euphorie
Offenbar wurde diese Geschwindigkeit für einige Marktteilnehmer in den Folgemonaten zu hoch. Jedenfalls waren die Reaktionen deutlich verhaltener, als die Teilnehmer des „2025 2025 State of the Game Industry Report“ nach ihrem Verhältnis zu LSG gefragt wurden. Zwar berichteten 33 Prozent der befragten AAA-Studios, sie würden derzeit an einem Live Service Game arbeiten. Doch von allen Befragten waren es zu dem Zeitpunkt nur 16 Prozent. Nun ist es eine Binsenweisheit, dass LSG vergleichsweise hohe (und kontinuierliche) Investitionen erfordern – etwas, das ein Indie-Studio meist nicht stemmen kann. Allerdings zeigt sich in der Umfrage ein Trend: Von allen Teilnehmenden sagten nur 13 Prozent, sie würden als Nächstes ein Live Service Game entwickeln wollen; immerhin 42 Prozent gaben zu Protokoll, sich künftig eher nicht auf LSG zu konzentrieren.
Was war passiert? Nun, der Markt hatte das Scheitern einiger vielversprechender Titel miterlebt. Die LSG-Euphorie, die Helldivers 2 im Frühjahr 2024 neu entfachte, verflog bald wieder. Der größte Schock war zweifellos, dass Sony seinen (angeblich 200 Millionen US-Dollar) teuren Hero Shooter Concord nur zwei Wochen nach dem Launch (23. August) schon wieder einstampfte. Aber auch das langsame Ende von Suicide Squad: Kill the Justice League ging nicht spurlos an der Branche vorüber: Am 2. Februar 2024 gestartet, wurde das Action-Adventure aus dem DC-Universum noch bis Januar 2025 mit neuen Inhalten beliefert – dann aber setzten Publisher Warner Bros. Games und Entwickler Rocksteady Studios einen Content-Schlussstrich. Kurz zuvor, am 18. Dezember 2024, hatte Ubisofts Online-FPS XDefiant (VÖ: 21. Mai 2024) sein drittes und letztes Saison-Update erhalten. Alle diese Spiele waren immerhin kurzzeitig am Markt – im Gegensatz zum Extraction-Shooter Hyenas, den Publisher Sega 2023 schon vor dem Release einstellte.
Vor allem große Publisher denken zu teuer
Ziemlich satt
Ist der Markt für Live Service Games schlichtweg übersättigt? Diese Frage drängt sich auf, wenn man die Fails der letzten Monate in Gänze betrachtet. Für die Übersättigungsthese spricht, dass etliche Live Service Games dick und fett in ihren jeweiligen Nischen (bzw. auf der Mainstream-Promenade) sitzen. Titel wie Fortnite, Genshin Impact, Destiny 2, Overwatch 2, Diablo IV, The Elder Scrolls Online, Valorant, Dead by Dealight und Final Fantasy XIV Online haben es – über einen kurzen oder längeren Zeitraum – geschafft, sich eine treue Fan-Community zu erarbeiten. Und natürlich wollen sie von ihren Online-Futterplätzen jetzt nicht mehr weg. Branchen-Urgestein Teut Weidemann, der selbst etliche Online-Games auf den Weg gebracht hat (Die Siedler Online, Panzer Elite etc.),sieht folglich eine klare Übersättigung. „Die Spieler ihres Lieblings-LSG sind sehr schwer davon wegzubringen, ein anderes zu spielen“, sagt er. „Die Spielerbindung ist einer der Vorteile von LiveOps-Spielen.“ Als weiteren Grund für das Scheitern neuer Projekte sieht Weidemann die LifeOps-Unerfahrenheit vieler Publisher und Entwickler. „Vor allem große Publisher denken zu teuer, weil sie glauben, man müsse ihre AAA-Prozesse auch an einen Life Service koppeln“, so der Experte. Alte AAA-Entwicklungsstrukturen hätten im LSG-Bereich auch deshalb nichts zu suchen, weil sie schlichtweg zu träge seien. In jedem Fall sei es klug, betont Weidemann, sich ein Business-Case-Hintertürchen offenzuhalten: „Denn wenn der LifeOPs nicht abgeht, muss man umschwenken und es halt anders vermarkten.“ Weidemann verweist auf die 2010er-Jahre, als viele Abo-MMOs zum F2P-Modell wechselten – sie hätten sich sonst auch kaum halten können.
Eine dauerhafte Monetarisierung ist also Teil der Definition von „Live Service Games“. Zugleich handelt es sich bei „LSG“ um einen potenziell sehr weit gefassten Begriff. Aus Sicht von Michael Pachter bedeutet „Live Service“ vor allem kontinuierliches Engagement seitens der verantwortlichen Firmen. „Alle Free-to-Play-Games – mit Ausnahme der werbeunterstützten Hyper-Casual-Games – sind Live Service Games“, betont der Marktanalyst von Wedbush Securities. „Das heißt der Spieler macht Fortschritte und wird aufgefordert, Geld auszugeben, um weiterzukommen. Man denke nur an Games wie Candy Crush oder Fortnite.“ Beide Titel – so unterschiedlich sie auch sein mögen – hätten es geschafft, die permanente Balance zwischen Motivation und Monetarisierung zu halten. Bei Live Service Games bevorzugt Pachter grundsätzlich das F2P-Modell – er nennt dafür beispielhaft Apex Legends, CoD Warzone, LoL und Fortnite – gegenüber Modellen mit Bezahlschranke (FC Ultimate Team, GTA Online etc.). „Ich denke, dass Concord gescheitert ist, weil es versucht hat, einen Live Service hinter einer Bezahlschranke einzubauen“, sagt Pachter. „Und weil das Spiel einfach nicht gut genug war, um die Leute zu binden.“ Die Teilgründe für das Scheitern von Concord hat IGM übrigens in Ausgabe 11/2024 analysiert. Dazu zählen unter anderem kaum Originalität im Gameplay, ein langweiliges Helden-Lineup, besagter Kaufpreis (40 Euro), die Bindung an den PSN-Account, das zögerliche Marketing von Sony, ein übervolles Release-Fenster und ein Trailer, der völlig falsche Erwartungen weckte.
Sie sind der Mount Everest der Games
Fragile Systeme
Viele dieser Fehler wurden also schon vor dem Release gemacht. Im laufenden Betrieb kommen sie dann so richtig zum Tragen. Lewis Ward bezeichnet LSGs als „die komplexeste Art von Games, die es gibt“. Ward, Research Director (XR, Gaming, and Interactive 3D Software) der Firma IDC, vergleicht Live Service Games sogar mit „kleinen Volkswirtschaften“, die jederzeit aus dem Ruder laufen könnten, wenn das Zusammenspiel der Einzelteile nicht funktioniert. Entwickler erfolgreicher LSGs machten jeden Tag „mehr als 500 Dinge richtig“, so Ward. „Das Grinden muss Spaß machen. Die sozialen Interaktionen müssen sinnvoll sein. Man muss den SpielerInnen eine Herausforderung bieten, die aber nicht zu groß sein darf. Die Spiele müssen einzigartig, aber auch vertraut sein. Die Liste lässt sich endlos fortsetzen – und sie variiert von Spiel zu Spiel.“ Für die Leistung, die ein LSG erfordert, hat Ward auch noch einen besonders markanten Vergleich parat: „Sie sind der Mount Everest der Games: Erreicht man man den Gipfel, blickt man auf die ganze Welt hinunter. Aber der Himalaya kann selbst für erfahrene Bergsteiger eine Todesfalle sein.“
Das mag jetzt sehr martialisch klingen. Doch dass LSG-Entwicklung ein zunehmend heißes Pflaster ist, bestätigt auch ein aktuelles Whitepaper, das GamesIndustry.biz gerade zusammen mit der Firma IQPC veröffentlicht hat. (IQPC organisiert den jährlich stattfindenden Live Service Gaming Summit.) In dem Report heißt es unter anderem: „Die Entwickler von Live Service Games sind zwar erfolgreich, haben aber auch mit verschiedenen Herausforderungen zu kämpfen, zum Beispiel den hohen Entwicklungskosten, festen Vorabkosten, Arbeitskräftemangel und risikoscheuen Entwicklern.“ Die Entwicklung von LiveOps erfordere – im Gegensatz zu Premium-Titeln – „eine neue Spielentwicklungsinfrastruktur, die eine kontinuierliche Iteration und Verbesserung des Spiels ermöglicht, sowie zusätzliche Tools und Personal mit unterschiedlichen Fähigkeiten, die allesamt teuer sind“. Dass selbst hochgradig erfolgreiche LSG-Anbieter stark auf laufende Kosten achten müssen, zeigt das Beispiel Marvel Rivals: Der Hero Shooter von NetEase Games zog binnen dreier Tage nach dem Launch bereits über 10 Millionen SpielerInnen an. Ein Support-Studio von NetEase in den USA gab gleichwohl Mitte Februar 2025 bekannt, man werde das Design-Team „aus organisatorischen Gründen“ signifikant verkleinern müssen …
Arbeitskräftemangel und risikoscheue Entwickler
MAUs und DAUs
Als „A und O“ für Live Service Games bezeichnet Lewis Ward die Aufrechterhaltung und Vergrößerung der Reichweite – also ein Wachstum bei MAUs, DAUs und natürlich den Einnahmen. „Je mehr Plattformen sie bedienen können, desto besser – das ist ein Netzwerkeffekt“, betont Ward. Crossplay zwischen PC und Konsolen sei allerdings extrem schwierig zu bewerkstelligen, so der Experte: „Letztendlich möchte man, dass das Spiel auf so vielen Plattformen wie möglich – mit Millionen von SpielerInnen – verfügbar ist.“ Auch Ward plädiert hier ganz klar für Free to Play.
Wie schwierig es ist, ein LSG zu betreiben, hat Teut Weidemann am eigenen Leib erfahren. Denn bei der Planung von Panzer Elite (1999) habe man den Aufwand nicht ausreichend berücksichtigt – und sei dann mit dem Launch in die Service-Falle getappt. „Unsere Lösung war, den Source Code der Community zu geben“, erzählt Weidemann. „Die schrieben ihre Erweiterungen dann selbst – und wir durften es vermarkten. Dieser Schritt führte dazu, dass Panzer Elite ein Shelflife von weit über 15 Jahren hatte. Sowas geht aber heute wohl nicht mehr – außer man unterstützt Modding.“ Heutzutage gebe es allerdings auch gute Pipelines und Tools, um günstig Content zu produzieren – gerade auch im Bereich KI. „Meiner Meinung nach ist die Entwicklung so teuer geworden, dass man KI als Tool benutzen muss“, sagt Weidemann. „Wer das jetzt noch nicht macht, wird bald ins Hintertreffen geraten.“ Mit KI könne man Inhalte vergleichsweise schnell skalieren – zum Beispiel Dialoge, Voiceovers, Lokalisation und Gegnervarianten. „Selbst Programmierung ist da im Vorteil“, ergänzt er. Pair-Programmierung könne verhindern, dass Fehler im Code bleiben – und auch als schnelles Nachschlagewerk für alles dienen, was die Developer brauchen.
Burnout und Alzheimer
Wie tricky das Design von Live Service Games dennoch sein kann, veranschaulicht Weidemann an zwei Aspekten. Zum einen nennt er den „Produkt-Burnout“: „Wenn ein Team Jahre an einem Life Service Game gearbeitet hat, sinkt die Motivation“, gibt er zu bedenken. „Wer will das schon? Also muss man rechtzeitig ein B-Team einarbeiten und stückweise den Leuten, die das Spiel erschaffen haben, die Gelegenheit geben, etwas anderes zu tun.“ Werde das Thema aber zu schnell ausgewechselt, komme es dabei leicht zum zweiten Problem – einer Art „Entwicklungs-Alzheimer“: „Das neue Team wiederholt Fehler, die das alte eigentlich schon gemeistert hat.“ Als Beispiel für mangelhaftes Knowledge-Management nennt Weidemann die erste Version von WoW: Wrath oft the Lich King: „Da waren viele Fehlentscheidungen drin, die WoW eigentlich schon korrigiert hatte.“ Grundsätzlich sei es auch unabdingbar, dem Community-Willen stets nachzufühlen – und ganz genau darauf zu hören, was die SpielerInnen wollen. Das, so Weidemann, sei aber nicht selbstverständlich: Schließlich gebe es in der Branche viele diva-artigen Game-Designer – und viele schlechte Zuhörer.
Rechtzeitig ein B-Team einarbeiten
Bei LSGs sieht Weidemann noch eine weitere Gesetzmäßigkeit: „Je näher ein Spiel am RPG ist, desto wahrscheinlicher ist ein Erfolg.“ Selbst ein Shooter wie PUBG sei auf seine Art ein Rollenspiel, so der Experte. „Selbst Call of Duty hat mehr RPG-Elemente, als Shooter jemals hatten.“ Und wie sieht es beim Thema „LSGs“ eigentlich mit Titeln aus DACH aus? Weidemann nennt hier beispielhaft drei Titel, die teils schon lange im Geschäft sind – und alle sehr erfolgreich seien: Tibia (1997) von CipSoft, Hunt: Showdown (2019) von Crytek sowie Forge of Empires (2012) von InnoGames. „Kaum zu glauben, aber eines der ältesten noch laufenden LifeOps-Spiele kommt aus Deutschland“, freut sich Weidemann über den Erfolg von Tibia. „Es macht Jahr für Jahr mehr Umsatz, so dass die Firma nicht nur inzwischen über 80 Leute hat, sondern diese auch am Gewinn teilhaben lässt.“
Neues wagen
Dass auch alte Spiele wie Tibia noch erfolgreich sind, bekräftigt indirekt die Übersättigungsthese: Viele SpielerInnen sind „ihrem“ Spiel treu und sind kaum zu einem Wechsel zu bewegen. Um so wichtiger sei es, bei einem Launch etwas wirklich Neues zu bieten, so Weidemann: „Man sollte da hingehen, wo noch niemand ist.“ Oder anders formuliert: Mehr Risiko bei Spielideen und Inhalten kann die Chance aufs Überleben merklich steigern. (Achim Fehrenbach)