Retro-Games machen nostalgische Wohlfühlorte zu wirtschaftlichen Erfolgen

Nostalgische Spiele wie CrossCode oder Chained Echoes sind beliebt. Aber was reizt EntwicklerInnen und SpielerInnen am Blick zurück?
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Von schwarzweißen Pong-Matches über die Suche nach Prinzessin Peach in Super Mario Land bis zur Verfolgungsjagd durch Venedigs Kanäle in Tomb Raider: Viele SpielerInnen erinnern sich gern an solche Momente der Spielegeschichte zurück. Diese Nostalgie ist beliebt. Remakes von Dead Space und Resident Evil sind vermutlich auch deswegen so erfolgreich, weil sie an längst vergangene, aber positiv erinnerte Gameserlebnisse und tradierte, beliebte Spielereihen anknüpfen.

Kindheitserinnerungen ins Hier und Jetzt holen
Der Blick zurück ist nicht auf AAA-Spiele beschränkt. Gerade im deutschen Raum scheint eine ganz besondere Vorliebe für die alte Schule der Japanese Role-Playing Games (JRPGs) und Super-NES-Ästhetik zu existieren. Indie-Titel wie CrossCode, Signalis oder Chained Echoes greifen tief in die Nostalgiekiste und werden dafür belohnt. Letzeres gewinnt 2023 beispielsweise den Deutschen Computerspielpreis in der Kategorie Bestes Deutsches Spiel.

Warum Nostalgie so gut funktioniert, ist für den Chained-Echoes-Entwickler Matthias Linda klar: SpielerInnen würden „das Gefühl von damals nochmal erleben“ wollen. Chained Echoes sei von seiner eigenen Kindheit inspiriert. Linda sei mit Spielen wie Xenogears, Terranigma und Chrono Trigger aufgewachsen und wollte schlicht „dieses Gefühl, das ich als Kind hatte, noch einmal erleben“. Er möchte, kurz gesagt, „Erinnerungen zurückbringen.“

Nostalgie als Balsam für die Seele
Auch abseits von Videospielen kann das Nacherleben einer verklärten Vergangenheit etwas Positives sein. „Nostalgie kann guttun“, sagt Tobias Becker. Der Historiker forscht an der Freien Universität Berlin und hat seine Beobachtungen im 2023 erschienenen Buch Yesterday: A New History of Nostalgia festgehalten. Darin setzt er sich kritisch mit dem Konzept und seiner Entstehungsgeschichte auseinander. „Das Prinzip ist: Man fühlt sich in der Gegenwart besser, weil man sich an einen vergangenen Moment erinnert, an dem es einem besser ging.“

In der Psychologie wird der Nostalgie-Begriff vor allem positiv gedeutet. „Die Psychologie schaut eher auf das Individuelle und da wird das Nostalgische eher als Ressource beschrieben“, erklärt Becker. Wenn man sich im Corona-Lockdown nostalgisch an FreundInnen und Familie erinnere, sei das schmerzhaft, aber zugleich eine Erinnerung daran, dass man nicht alleine sei und die Dinge wieder besser werden würden. In aktuellen psychologischen Ansätzen gilt Nostalgie also als Resilienzjoker, sagt Becker. „Hier hat sie die positive Funktion, mit kritischen Momenten im eigenen Leben umgehen zu können.“

 

Nostalgie als Resilienzjoker

Große Chance für kleine Studios
Neben der psychologischen hat Nostalgie bei Unterhaltungsmedien auch eine klare ökonomische Komponente. Die heute erwachsenen SpielerInnen wurden durch die vergangenen Jahrzehnte der Videospielhistorie geprägt. Das Durchschnittsalter aller SpielerInnen in Deutschland liegt laut dem Branchenverband game bei 38. Fast die Hälfte sind älter als 40 – eine Zielgruppe, in der hohe Kaufkraft und die Verbindung zu Games aus den 80er und 90er Jahren zusammenkommen.
„Mein Ansatz war, Chained Echoes so zu entwickeln, wie ich mich an die Spiele von damals erinnere“, so Linda. Da viele SpielerInnen mit den selben Titeln wie er aufgewachsen seien, hätte er darauf spekuliert, dass er nicht alleine mit dem Wunsch war, das gleiche Gefühl nochmal erleben zu wollen. „Wie sich herausgestellt hat, sind das nicht nur einige wenige Leute, sondern recht viele, um es mal ganz vorsichtig auszudrücken.“ Belastbare Angaben zu den Verkaufszahlen gibt er nicht, Schätzungen gehen von 150.000 bis 200.000 Verkäufen bei Steam aus – bei einem Preis von 25 Euro wären das auch abzüglich der Gebühr von Steam noch einige Millionen.

Gerade für Indie-EntwicklerInnen bietet Nostalgie darum eine große Chance – auch aus pragmatischen Gründen. Das weiß auch Felix Klein, einer der Gründer von Radical Fish Games, dem Studio hinter dem JRPG CrossCode. „Neben der Tatsache, dass die Nachfrage da ist, ist die Entwicklung von Spielen mit Retro-Optik oft einfacher im Vergleich zu modernen 3D-Spielen“, sagt Klein. „Vor allem kleinere Entwicklerstudios können auf diesem Wege oft größere Spiele entwickeln, die durchaus erfolgreich sein können.“

Der Indie-Games-Szene habe das einen Boost verpasst, so Klein: „Die nutzt nostalgische Elemente, um neue Spiele zu kreieren, die das Gefühl von klassischen Spielen oder Spielmechaniken einfangen, während sie gleichzeitig moderne Technologie und Innovationen nutzt, um etwas Neues und Frisches zu schaffen“. CrossCode habe „deswegen viele Aspekte von modernen Action-RPGs übernommen“, erklärt er.

 

Die Entwicklung von Spielen mit Retro-Optik ist oft einfacher

Nostalgische Fallstricke und Gefahren
Nostalgie wird aber nicht nur positiv, sondern auch kritisch gesehen. Gerade Intellektuelle hätten „oft eine sehr negative Einstellung dazu und lehnen das ab. Die sehen das als falschen Zugang zur Welt, der, statt mit der Gegenwart oder Zukunft umzugehen, sich auf die Vergangenheit richtet“, sagt der Historiker Tobias Becker. „Hier werde Vergangenheit verklärt, damit man sich in der Gegenwart besser fühlt.“

Das kann auch gefährlich werden, nämlich wenn Nostalgie mit Politik verknüpft wird. So entstand die AfD aus der Nostalgie für die D-Mark und bedient ein Früher-War-alles-Besser-Narrativ. Allerdings, darauf weist Becker auch hin, ist die Sache durchaus komplizierter. Nostalgie sei im politischen Gebrauch immer ein Kampfbegriff, der gegen die anderen zielt. Dem eigenen Lager attestiere man stets Fortschrittlichkeit. Nostalgisch im negativen Sinne ist stets nur der Gegner. Und: Auf Vergangenheitsnarrative greifen PolitikerInnen aller Parteien zurück. Nostalgie ist hier vor allem also auch immer Definitionsfrage.

Zwischen Nostalgie als Gefahr und Nostalgie als Resilienzwerkzeug gibt es unzählige Zwischenpositionen. Es wäre zu kurz gegriffen, Nostalgie als bloßes „triviales Wohlgefühl“ zu verstehen. „Oft wird deren Ambivalenz gar nicht mitgedacht“, sagt Becker. „Die liegt aber ja schon im Wortstamm“, nämlich von griechisch nostos – Heimkehr oder Rückkehr – und algos – Schmerz. Zusammen entsteht Heimwehschmerz, also Sehnsucht nach einem Ort, an den wir nicht zurückkehren können. „Der englische Begriff bittersweet beschreibt das gut“, so Historiker Becker. „Wir erinnern uns an etwas Schönes aus unserer Vergangenheit – das ist erstmal sweet. Aber zugleich schwingt immer mit, dass wir diesen vergangenen Moment nicht zurückholen können – das ist der bittere Aspekt.“

 

Der englische Begriff bittersweet beschreibt das gut

 

Das Paradox von Fort- und Rückschritt
Der stetige Blick zurück kann bei Spielen auch paradox wirken. „Man kann es durchaus ein wenig absurd finden, dass ein Medium wie das Videospiel, das […] von seiner beständigen Fortentwicklung lebt, inzwischen eines der am stärksten nostalgisch verklärten Medien ist“, schreibt Sebastian Felzmann in seinem Aufsatz Playing Yesterday: Mediennostalgie und Videospiele. Felzman forschte am Cologne Game Lab der TH Köln und ist mittlerweile für das FZI Forschungszentrum Informatik in Karlsruhe tätig.

„Wie lässt sich also dieser scheinbare Widerspruch zwischen Innovationswille und Sehnsucht nach früheren Zeiten und Formen erklären?“, fragt er. In der Formulierung liegt auch schon ein Teil der Antwort. Der Widerspruch ist nämlich eben nur ein scheinbarer. Felzmann folgert: „Je schneller ein Medium sich weiterentwickelt und je ausgeprägter damit die Differenzen zwischen den medialen Produkten einzelner Epochen sind, desto größer ist anscheinend dessen nostalgisches Potential.“ Bei Videospielen sei dies besonders gut zu beobachten.

Der konstante Wandel der Videospielgegenwart, auch auf Software- und Hardwareebene, verschärft die Heimatlosigkeit des nostalgisch Spielenden. Manche Spiele aus der eigenen Kindheit sind für immer verloren, weil die nötige Konsole nicht mehr produziert wird. Oft bleibt nur noch die Erinnerung, die manchmal allerdings täuscht. Wer sich beispielsweise heute nochmal in die venezianischen Kanäle von Tomb Raider II begibt, spielt anders als 1997 kein modernes 3D-Actionspiel mehr. So einfach ist die Rückkehr in alte Heimaten eben doch nicht.

Auch Matthias Linda weiß das und hat Chained Echoes entsprechend entwickelt. „Ich habe mich zwar an dem orientiert, wie ich mich an diese Spiele erinnert habe“, sagt er. „Aber nicht, wie sie tatsächlich waren.“ Der Grund: „Über die Jahre verklärt man vieles. Sachen sehen rückblickend besser aus, fühlen sich besser an. Und genau an diesen Erinnerungen habe ich mich orientiert.“ Nostalgisch angehauchte Spiele scheinen also genau dann gut zu funktionieren, wenn sie nicht allzu genau auf die Vergangenheit blicken, sondern auch mit einem Bein in der Zukunft stehen. [Nora Beyer]

IGM 06/24
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