HandyGames-CEO Christopher Kassulke über Townsmen VR

Giebelstadt ist ein beschauliches Städtchen in Unterfranken – und Sitz von HandyGames. Der Entwickler und Publisher ist für sein vielfältiges Portfolio bekannt, das Titel wie Endling, El Hijo und One Hand Clapping umfasst. Ende März hat die THQ-Nordic-Tochter nach jahrelanger Entwicklung das Spiel Townsmen VR auf den Markt gebracht. Ein Gespräch mit HandyGames-CEO Christopher Kassulke – über entspanntes Gameplay, Produktionskosten und die Zukunft von VR.
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HandyGames-CEO Christopher Kassulke

IGM: Chris, wie kamt ihr auf die Idee zu Townsmen VR?

Kassulke: 2017/2018 war der VR-Markt noch sehr jung und voll von sogenannten „Experiences“. Es gab viele kleine Spiele oder Apps, die zeigten, was man in VR so alles anstellen kann – die meisten waren aber nicht länger als 15 bis 30 Minuten. Uns fiel auf, dass einfach God Games und Aufbaustrategiespiel fehlten – Shooter gab es ja schon wie Sand am Meer. Wenn man die breite Masse erreichen oder ein bestimmtes Genre etablieren möchte, dann muss man ein Game bauen, das stunden- oder tagelang fesselt – und nicht nur die üblichen 15 Minuten!

IGM: Woher habt ihr euch die VR-Expertise geholt?

Kassulke: Schon vorher hatten wir einige VR-Spiele gebaut und dabei auch viel Erfahrung gesammelt – zum Beispiel mit Panzer Panic VR, Stunt Kite Party, Zombie Shooter und Hidden Temple. In VR musst du dich erst einmal reinfinden und dich fragen: „Macht das überhaupt Sinn?“ Beispiel Panzer Panic VR: Das ist ein Multiplayer-Spiel, ähnlich wie World of Tanks, nur eben in VR. Das war eines der coolsten Spiele, das auch auf allen möglichen VR-Geräten lief – auch auf Mobile VR wie Gear VR. Da haben wir aber schon gemerkt: Wir wollen mehr! Wir wollten aber kein Spiel erschaffen, bei dem man in einem Raumschiff oder im Wilden Westen rumballert – das ist austauschbar. Zu Beginn waren ja gefühlt zwei Drittel aller VR-Titel Ballerspiele. Ich selbst spiele sie auch hin und wieder – aber ich bekomme dabei fast einen Herzinfarkt! Mir liegen Strategie- oder Rollenspiele deutlich mehr. Mit Townsmen VR wollten wir das gute alte Feeling von Black & White, Dungeon Keeper oder den Siedlern aufleben lassen.

Shooter gab es schon wie Sand am Meer
 

IGM: Wie habt ihr das dann umgesetzt?

Kassulke: Stell dir ein Spielzimmer, eine Puppenstube oder einen Sandkasten vor – nur dass darin alles wirklich lebendig ist! Alles wuselt, alles arbeitet – und du überblickst es von ganz oben, als Gottheit. Zoomst du rein, dann kannst du eine Katze streicheln und mit dem Fisch füttern, den du gerade frisch per Hand aus dem Wasser gefischt hast. Du kannst auch Blitze vom Himmel herunterjagen oder Feuer mit einer Regenwolke löschen. Du streckst deinen Finger aus, damit ein Adler darauf landet – oder du schüttelst Hühner, damit sie schneller Eier legen. Du kannst alles beschleunigen, indem du ins Micro-Management eingreifst – oder du genießt einfach im Zen-Stil die Welt.

IGM: Den Wechsel von Micro- und Macro-Management gibt es ja grundsätzlich auch bei Nicht-VR-Spielen ...

Kassulke: Ja, aber VR bietet Möglichkeiten, die es mit einem klassischen Controller oder Tastatur und Maus einfach nicht gibt. Oder hast du in einem herkömmlichen Spiel schon mal Wind gemacht oder mit deinen Townies geredet? Als erstes willst du in VR irgendwie alles berühren. Bei einer Steuerung mit Maus und Tastatur würdest du dich nie fragen: „Was passiert eigentlich, wenn ich mit der Hand durch den Wald streiche? Oder was passiert, wenn ich mit dem Kopf ins Wasser eintauche?“ Wenn du das machst, hört sich plötzlich alles dumpf an – genau wie wenn man wirklich ins Wasser eintaucht. Das Spiel zieht dich komplett in seine Welt hinein und du willst alles ausprobieren – es ist einfach perfekt in VR! Gott zu spielen macht einfach saumäßig Spaß – egal, ob du jetzt der gute oder der böse Gott bist. In Townsmen VR kannst du Figuren, die dich nerven, einfach so mit dem Finger wegschnippen. Du kannst komplett ins Spielgeschehen eintauchen – und nach einer halben Stunde sagst du dir: „Genial, da will ich nicht mehr raus!“

Gott zu spielen macht einfach saumäßig Spaß
 

IGM: Die meisten Interaktionsmöglichkeiten habt ihr erst im Lauf der Entwicklungsjahre hinzugefügt ...

Kassulke: Ja, und deswegen haben wir auch damals den Early Access gemacht, mit allem Drum und Dran. Wir haben ganz lange Zeit kein Update eingespielt – das war ein Fehler, die Community hat uns das anfangs übel genommen. Aber das lag auch daran, dass die ursprüngliche Fassung mit dem aktuellen Spiel fast gar nichts mehr zu tun hatte. Wir haben gemerkt, dass bestimmte Dinge einfach nicht möglich sind. Oder auch, dass das aktuelle VR-System dafür nicht mehr geeignet war. Ganz zu Beginn der Entwicklung war technisch einfach noch nicht alles machbar, was wir auf unserer Wunschliste hatten. Jetzt geht es – und macht Spaß. Ja, es war eine saulange Entwickung. Und wer VR entwickelt, weiß: Damit Geld zu verdienen, ist echt schwer! Deswegen war ich auch so glücklich darüber, dass das Spiel gefördert wurde. Denn genau dafür ist eine Förderung auch da – nämlich wenn man technologische Maßstäbe für die Zukunft setzen will.

IGM: Welche Förderung habt ihr erhalten?

Kassulke: Der FilmFernsehFonds Bayern hat uns eine Produktionsförderzusage für ein Darlehen in Höhe von 300.000 Euro gegeben. Überraschenderweise haben wir auch den DCP 2018 für das beste Game-Design gewonnen – diese Auszeichnung war mit 40.000 Euro dotiert.

IGM: Zurück zum Game-Design. Was waren da die größten Herausforderungen?

Kassulke: Alles! Als wir damit anfingen, gab es vielleicht erst zwei VR-Brillen. Bestimmte Bewegungen in VR musstest du dir erst überlegen, zum Beispiel: Wie machst du das überhaupt, wenn du hinein- oder hinauszoomst? Da sind unterschiedliche Erfahrungen aus dem PC-, dem Konsolen- und dem Mobile-Bereich in die Entwicklung eingeflossen. Dieses Know-How nimmt dir dann auch keiner mehr weg. Das Gleiche gilt für die Grafik: Was ist überhaupt in VR und auf einer bestimmten Plattform möglich? Das waren alles Dinge, die wir herausfinden mussten. Oder auch das Thema Motion Sickness. Bei manchen VR-Games wird mir kotzübel, weil sie einfach zu schnell sind. Bei Racing-Games bin ich zum Beispiel raus. Einer meiner Söhne kann die spielen, der andere nicht. Das sind dann aber auch nicht die Spiele, bei denen ich sagen würde: „Davon kaufe ich mir noch mehr.“

Bei manchen VR-Games wird mir kotzübel

IGM: Wie wichtig sind für euch VR-Arcades? Die leben ja von Action-Titeln ...

Kassulke: In den Arcades sind Spiele wie Panzer Panic VR sehr gut gelaufen. Mit dem Beginn von Corona waren die Arcades aber erledigt. Manche machen zwar jetzt gerade wieder auf. Aber das Spielen in Arcades ist ein bisschen wie in Escape Rooms – da musst du in 15 Minuten durch sein und der nächste User spielen, damit sich das irgendwie rechnet. Da kommt nie wirklich das Gefühl auf: „Ach, ich spiele einfach noch ein Level, weil es Spaß macht.“ Stattdessen muss man immer Geld nachwerfen. VR kann total entspannend sein. Aber die meisten Spiele sind nicht wirklich zum Entspannen da – oder zum langfristigen Spielen. Wenn du in Townsmen VR alle Missionen spielen willst, brauchst du mindestens 15 Stunden. Und dann hast du noch nicht mal den Sandbox-Modus angefangen. Du bist also ganz tief in einem Spiel drin und musst dich damit richtig befassen. Wenn du jedes Easter Egg finden willst, kannst du Wochen in dem Spiel verbringen. Wie bei Anno oder Siedler baust du dir die Stadt immer wieder neu auf. Im Sandbox-Modus kannst du machen, was du möchtest. In der aktuellen Weltlage ist ein Spiel wie Townsmen VR einfach total entspannend.

IGM: Auf welchen Plattformen ist Townsmen VR derzeit spielbar?

Kassulke: Eigentlich kannst du es auf allen Brillen spielen, die mit dem PC verbunden sind. Also OpenVR bzw. Mixed Reality Devices von Microsoft – das sind Geräte von Asus und Co. Es gibt auch Pico, die HTC Vive oder die Rift. Wenn man die Meta Quest 2 per Kabel mit dem PC verbindet, ist sie stärker – und damit kannst du dann auch Townsmen VR spielen.

IGM: Welche weiteren Plattformen sind für euch künftig von Bedeutung?

Kassulke: Am Ende des Tages muss der Content auf allen Geräten laufen, die da draußen verfügbar sind – egal ob das jetzt eine Pimax Vision 8K X oder sonst irgendwas. Der nächste Schritt ist dann natürlich auch die Version auf der unverkabelten Quest 2.

Am Ende des Tages muss der Content auf allen Geräten laufen
 

IGM: Townsmen VR ist als Download erhältlich. Würde auch eine Boxed Version Sinn machen, um auch Retail-User anzusprechen?

Kassulke: Eine Boxed Version für PC VR macht in unseren Augen keinen Sinn. Was andere Plattformen angeht, werden wir sehen, was die Zukunft bringt.

IGM: Mit 39,99 Euro bewegt sich Townsmen VR – zumindest bei VR-Spielen – im oberen Preissegment ...

Kassulke: Das stimmt – aber VR-Spiele sind noch viel zu billig! Bei Townsmen VR sagen viele: „Uh, das ist keine 40 Euro wert. Ich würde dafür nur 10 Euro ausgeben – da kaufe ich es mir lieber im nächsten Steam Sale.“ Ich glaube, die Leute müssen verstehen, dass ein Spiel nicht nur 2,80 Euro kosten kann, wenn es mehr als nur 15 Minuten Unterhaltung bietet. Konsolenspiele kosten heutzutage 70 Euro, die meisten haben mit DLC, Season Passes und so weiter noch zusätzliche Monetarisierungsmöglichkeiten. Ein VR-Spiel zu produzieren, ist auch nicht billig – besonders dann, wenn die Entwicklung so lange gedauert hat wie bei Townsmen VR. Mit dem VR-Markt müssen wir da noch hin. Der Hype ist zwar vorbei, und nicht jeder wird VR nutzen. Aber wer es nutzen möchte, kann es sich heute definitiv leisten.

IGM: Plant ihr weitere VR-Titel, über die du schon reden kannst?

Kassulke: Wir arbeiten immer noch an Townsmen VR. Über weitere Projekte aus dem VR-Bereich darf ich noch nicht reden, da wir diesbezüglich noch nichts angekündigt haben.

IGM: Werden VR-Games in absehbarer Zeit Mainstream – oder bleiben sie in der Nische?

Kassulke: Sagen wir es mal so: Die Phase des Hypes ist vorbei und die Realität hat sich breitgemacht. Die aktuellen Geräte sind nicht mehr so teuer und die Hardware ist auch besser geworden. Wer sich vor den Kosten fürchtet, kann auch einen Blick in den Gebrauchtmarkt werfen, denn da gibt es teils sehr gute Hardware für wenig Geld. Insgesamt können sich also immer mehr Leute VR leisten – und es vor allem auch ausprobieren. Ich glaube, wir werden immer mehr neue VR-Brillen sehen. Und ich bemerke, dass sich immer mehr Leute, die bisher skeptisch waren, jetzt eine VR-Brille kaufen. (Achim Fehrenbach)

IGM 07/22
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