Was ist eigentlich dieses Metaversum?

Spätestens seit sich Facebook im Jahr 2021 in Meta Platforms umbenannte und seine Pläne für die nächste Evolutionsstufe des Internets im Detail vorstellte, ist das Buzzword „Metaversum“ in aller Munde. Doch woher kommt der Begriff überhaupt, was genau ist damit gemeint und welche Vorstufen des Metaversums gibt es schon? IGM klärt auf.
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Die Wortschöpfung Metaverse, zu Deutsch Metaversum, hat mittlerweile schon knapp 30 Jahre auf dem Buckel. In seiner Science-Fiction-Novelle „Snow Crash“ von 1992 griff der US-Autor Neal Stephenson den Begriff erstmals auf und umschrieb damit eine virtuelle, hochauflösende, komplett dreidimensionale Welt, in der die Bürger des 21. Jahrhunderts sich von privaten oder öffentlichen Terminals einklinken können, um auf vielfältige Art und Weise aus First-Person-Perspektive miteinander zu interagieren. Das Metaverse selbst konzipiert Stephenson dabei als eine 65.536 Kilometer lange und 100 Meter breite Straße, die kreisförmig um einen sphärenförmigen Planeten führt. Eingeloggte Avatare können sich in dieser Welt größtenteils frei bewegen (etwa zu Fuß, mit Fahrzeugen oder einer Einschienenbahn), mit einer Kryptowährung Grundstücke kaufen, Häuser bauen und vieles mehr. „Snow Crash“ umfasst nahezu 500 Seiten und fand aufgrund seiner packend erzählten Geschichte sowie seiner detailliert ausstaffierten Zukunftsvision großen Anklang.

Aber auch andere Schriftsteller haben sich bereits intensiv mit dem Metaversum ausein­andergesetzt. Allen voran Ernest Cline in seinem 2011 veröffentlichten und sieben Jahre später von Steven Spielberg verfilmten Zukunftsroman „Ready Player One“. Die virtuelle Welt, in die sich die Menschen im Jahr 2045 immer wieder zurückziehen, trägt dort den Namen OASIS und präsentiert sich als nahezu makelloses VR-Gegenstück zur tatsächlichen Realität – eine Realität, in der die Kluft zwischen Arm und Reich durch Ausbeutung, Umweltkatastrophen sowie Energie- und Wirtschaftskrisen immer größer geworden ist. Weitere Besonderheit des Metaversums in „Ready Player One“: Wer diese Welt betrifft, tut dies nicht nur mit einer hochmodernen VR-Brille und futuristischen Datenhandschuhen, sondern trägt obendrein einen haptischen Anzug, der Berührungen tatsächlich spürbar macht.

Nahezu makelloses VR-Gegenstück zur tatsächlichen Realität

Second Life: Der erste Vorbote
Sucht man dagegen in der Spielebranche nach ersten Vorläufern des Metaversums, stößt man recht schnell auf den Namen „Second Life“. Im Juni 2003 erstmals vom kalifornischen Entwickler Linden Lab an den Start gebracht, tummelten sich in dieser Online-Welt zu Hochzeiten in den frühen 2010er-Jahren bis zu eine Million Nutzer. Feste Spielziele, storybezogene Missionen oder von den Entwicklern inszenierte Konflikte gibt es in „Second Life“ nicht. Vielmehr geht es darum, mit anderen Bewohnern der Welt Kontakte zu knüpfen, virtuelle Waren zu kaufen oder zu verkaufen, mit Gleichgesinnten Gruppen zu bilden, an interaktiven Schulungen oder Events teilzunehmen und dergleichen mehr. Stand heute hat „Second Life“ mehr als 70 Millionen registriere Nutzer, von denen sich laut Linden Labs pro Tag im Durchschnitt 200.000 Personen aus 200 verschiedenen Ländern einloggen. Schöpfer Philip Rosedale ist darauf sichtlich stolz und arbeitet daran, diese Zahlen in Zukunft noch deutlich zu steigern.

Und das ist auch bitter nötig, denn die Konkurrenz schläft nicht. Insbesondere Plattformen wie „The Sandbox“ und „Decentraland“ wachsen derzeit in hohem Tempo und sorgen dabei immer wieder für mediale Aufmerksamkeit. So hat beispielsweise der karibische Inselstaat Barbados Ende 2021 angekündigt, in „Decentraland“ eine offizielle digitale Botschaft zu eröffnen. Wichtige Gemeinsamkeit dieser frühen Mini-Metaversen: Sie sind beide an die sogenannte Ethereum-Blockchain gekoppelt, was Nutzern unter anderem die Möglichkeit eröffnet, digitale Objekte und Grundstücke zu erwerben und auf Wunsch auch außerhalb der jeweiligen Plattform wieder zu verkaufen. Zertifizierter Besitz virtueller Güter, wie er auch schon in „Snow Crash“ beschrieben wird, wird also in der Tat immer populärer – und zieht vermehrt große Unternehmen an, die hier neue Chancen im Werbemarkt wittern.

Die Konkurrenz schläft nicht

Doch sind die genannten Plattformen wirklich schon das Metaversum, von dem derzeit alle sprechen? Nein, denn dafür sind verschiedene Kriterien, die auch der Internet-Experte und Investor Matthew Ball in einem hervorragenden Aufsatz von Anfang 2020 skizziert, nicht erfüllt. Dies gilt insbesondere für das Stichwort „beispiellose Interoperabilität“, sprich die Möglichkeit, digitale Inhalte, Güter und Avatare nach Belieben von einer Erfahrung mit in die nächste zu übernehmen. Als Beispiel nennt Ball einen Waffen-Skin aus dem Multiplayer-Shooter „Counter-Strike“, den man problemlos auch im Battle-Royale-Hit „Fortnite“ verwenden kann. Oder aber ein Fahrzeug aus „Rocket League“, das man auf Knopfdruck in „Roblox“ importiert.

Mit anderen Worten: Erst wenn Online-Plattformen wie die eben genannten nahtlos ineinandergreifen, ein Güteraustausch problemlos möglich ist und man sich zwischen all diesen „Experiences“ frei bewegen kann, nähert sich die Branche dem Konstrukt des Metaversums weiter an. Andere von Ball benannte Kriterien sind Persistenz (es pausiert niemals), Synchronität (alles läuft in Echtzeit ab), eine unbegrenzte Nutzerzahl (jeder kann mitmachen), eine voll funktionsfähige Ökonomie (man kann Dinge erschaffen, besitzen, verkaufen, investieren und für Arbeit entlohnt werden), plattformübergreifende Nutzbarkeit sowie das Vorhandensein von „Inhalten und Erfahrungen, die von einer unglaublich breiten Paletten von Kontributoren erschaffen und verwaltet werden“.

Das Interessante an Balls Kriterienkatalog: Er deckt sich schon jetzt in großen Teilen mit dem, was auch Facebook-Gründer Mark Zuckerberg vorschwebt und woran er mit seinem Unternehmen Meta Platforms derzeit unter Hochdruck arbeitet. „Im Metaverse kann man fast alles nur Vorstellbare tun: sich mit Freunden und der Familie treffen, arbeiten, lernen, spielen, einkaufen, Dinge erschaffen sowie völlig neue Kategorien, die nicht wirklich zu unserer heutigen Vorstellung von Computern oder Telefonen passen“, schwärmte Zuckerberg während der Connect Conference am 28. Oktober 2021. Zuckerbergs viel diskutierte, durchaus sehenswerte Metaverse-Präsentation dauert knapp 76 Minuten und greift alle zuvor zitierten Themengebiete mit adäquat visualisierten Beispielen gezielt auf.

Man kann fast alles nur Vorstellbare tun

AR und VR sind Schlüsseltechnologien
Wie ernst es Meta Platforms mit dem Metaversum meint, zeigt auch das Engagement des Unternehmens im Software-Tools- und Hardware-Sektor. So werkelt beispielsweise die sogenannte „Reality Labs“-Abteilung aktuell nicht nur an offenen Gesten-Tracking- und Sprachsteuerungs-Schnittstellen, sondern auch an einer Next-Generation Mixed-Reality-Brille. Projekt Cambria soll noch 2022 erscheinen, über vollständiges Augen- und Gesichts-Tracking verfügen und Nutzern dadurch erlauben, ihre Mimik in Echtzeit auf ihren virtuellen Avatar zu übertragen. Hinzu kommt ein stark erweiterter Passthrough-Modus. Letzterer gestattet es – ohne die VR-Brille abnehmen zu müssen –, die reale Umgebung auf Knopfdruck in Farbe zu sehen und mit ihr zu interagieren. Ein weiterer Knopfdruck und schon ist man zurück im VR-Modus.

Neben Cambria arbeiten Meta-Ingenieure derzeit außerdem an Projekt Nazare, einer Highend-Augmented-Reality-Brille, die nicht größer und kaum schwerer sein soll als eine herkömmliche Brille. Einmal fertiggestellt (voraussichtlich 2024), soll sie in der Lage sein, hochaufgelöste 3D-Grafiken direkt ins Sichtfeld des Anwenders zu projizieren – 3D-Grafiken, mit denen man dann in Echtzeit durch Fingergesten interagieren kann. Zuckerberg selbst sieht darin bereits jetzt den „heiligen Gral“ der Technik und eines der wichtigsten Sprungbretter, um die nächste Evolutionsstufe des Internets endgültig ins Rollen zu bringen. Schenkt man seiner Vision Glauben, dann hat das Metaversum bereits in den nächsten zehn Jahren eine Milliarde Menschen erreicht, Einnahmen von hunderten Milliarden Dollar generiert und Millionen neue Jobs erschaffen.

Ob er Recht behält? Abwarten. Denn mit Apple, Epic Games und Microsoft arbeiten noch weitere Tech-Riesen an ihrer Version des Metaverse. Unternehmen, die allesamt ebenfalls große Ambitionen hegen, eine marktführende Stellung in diesem Sektor einzunehmen. Vor diesem Hintergrund wäre es daher durchaus möglich, dass es irgendwann nicht nur „das eine“ Metaversum gibt, sondern gleich mehrere große, die allesamt um die Gunst ihrer Kunden buhlen. (soe/bpf)

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