"Can ‚Cansky' – Überraschungszuwachs für Counterstrike." Oder: "Ben ‚Benakyn' – neuer Shooting-Star am Overwatch-Himmel?" Oder auch: "Ben ‚Flewrider' – E-Sport in VR." Auf der Homepage von Munich eSports erhalten Nachwuchstalente viel Aufmerksamkeit. Kurzporträts stellen die eSportlerInnen, ihren Werdegang und ihre Ambitionen vor – so bekommt man schnell einen guten Eindruck davon, was kompetitives Gaming bei Munich eSports ausmacht. "Mit einer Kombination aus Community, Spaß und Sport bieten wir die idealen Voraussetzungen für Erfolg", heißt es programmatisch auf der Startseite. Das Vereinsmotto lautet "E-Sport mit Herz". Auf Social Media ist Munich eSports unter dem Hashtag #PlayYourHeartOut unterwegs.
Gewachsene Strukturen
2019 ist Munich eSports aus Hochschulgaming München (HGM) hervorgegangen. Als lockerer Zusammenschluss mehrerer Hochschulgruppen und Uniliga-Teams hatte HGM das Ziel, den Austausch von Videospiel-Interessierten zu fördern, zum Beispiel durch eSports-Turniere, Gaming-Abende, Messebesuche und Public Viewings. "Die Strukturen sind dann immer weiter gewachsen und die Zahl der Events hat kontinuierlich zugenommen", sagt Thai Phi-Long Pham. "Da war es ein logischer Schritt, aus der Hochschulgruppe heraus einen Verein zu gründen." Phi, Spitzname "Dancy", ist Vorstandsvorsitzender von Munich eSports – und einer derjenigen, die den Verein im August 2019 gründeten. "Im Moment haben wir rund 125 zahlende Mitglieder", berichtet Phi. Um diesen Vereinskern herum existiert allerdings eine deutlich größere Community – im Discord-Channel von Munich eSports sind beispielsweise knapp rund 2000 GamerInnen aktiv.
Die Wurzeln des Vereins sind auch in seiner Demografie erkennbar: Die meisten Vereinsmitglieder sind derzeitige oder frühere Studierende diverser Münchner Hochschulen. Neben dem Discord-Channel bespielt Munich eSports auch Kanäle auf Instagram, Twitch, Facebook, Youtube und Twitter. Der Verein tritt in der Uniliga, der Prime League und in weiteren Turnierserien und Einzelturnieren an. Bereits seit der Gründung betreibt Munich eSports eigene Leistungsabteilungen für League of Legends, Overwatch, CS:GO und Super Smash Bros. 2020 kamen Abteilungen für Rocket League und Valorant hinzu; auch in Hearthstone und Rainbox Six Siege mischt man mit, allerdings (noch) ohne eigene Abteilungen.
Anfängliche Hürden
All das zu organisieren, ist keineswegs nicht trivial. "Die Vereinsgründung war für uns eine größere Herausforderung als erwartet", räumt Phi ein. "Deshalb verging zwischen der Gründungsidee und der tatsächlichen Gründung ein knappes halbes Jahr." Vor allem zwei Punkte hätten die Gründungsmitglieder in der Anfangsphase beschäftigt, berichtet Phi: "Zum einen waren die Meinungen, ob der Verein mehr in Richtung Community oder Leistungssport gehen sollte, vielfältiger als zunächst angenommen. Und zum anderen haben Bürokratie und das Erstellen einer Vereinssatzung mehr Zeit und Nerven beansprucht als gedacht." Dank eines 15-köpfigen, hochmotivierten Teams habe man die anfänglichen Hürden aber souverän gemeistert, freut sich Phi. Wobei der grundsätzliche Spagat zwischen Community und Leistungssport auch weiterhin eine Herausforderung bleibt. "Wir müssen unsere Ressourcen auf die vereinsinterne und auf die öffentlichkeitswirksame Arbeit verteilen", sagt Phi. "Nicht immer kann beides in gleichem Maße verwirklicht werden." Zu den größten Herausforderungen zählt die Pflege der riesigen Community. "Wir möchten auf all unseren Plattformen eine Atmosphäre schaffen, in der sich Mitglieder und Interessierte wohlfühlen", betont Phi. "Das Aufstellen eindeutiger Community-Regeln und auch die Moderation nehmen viel Zeit in Anspruch."
Wachsende Popularität
Natürlich wird das Vereinsleben massiv von der Pandemie beeinflusst. Ab Gründung im Sommer 2019 standen Munich eSports – zur Zwischennutzung – Räumlichkeiten im Projekt i14 in der Schwabinger Infanteriestraße zur Verfügung. "Wegen Covid konnten wir sie aber leider nicht im geplanten Umfang nutzen", so der Vorsitzende. Die fehlenden Offline-Events seien für Munich eSports ein schmerzhafter Verlust – schließlich seien persönliche Treffen ein wesentlicher Teil des Vereinslebens. Der Popularität von Verein und Community habe das aber keinen Abbruch getan, sagt Phi: "Wir waren schon vor der Pandemie online gut vernetzt und präsent. Die Pandemie hat für mehr Reichweite und Zulauf gesorgt." Derzeit sucht Munich eSports nach neuen Räumlichkeiten, in denen sich die Vereinsmitglieder regelmäßig treffen können – sobald die Pandemie zurückgedrängt ist.
Würde eSports als gemeinnützig anerkannt (vgl. IGM 06/2021), dann würde das dem Verein wirklich helfen. "Finanziell brächte uns die Anerkennung der Gemeinnützigkeit steuerrechtliche Vorteile", sagt "Dancy". "Wir hätten eine bessere steuerliche Grundlage für Preisgelder aus Turnieren und Wettkämpfen." Noch wichtiger sei allerdings das Signal, das eine Anerkennung der Gemeinnützigkeit aussenden würde: Dass nämlich eSports generell förderungswürdig sei. "Dann würden unsere SpielerInnen als AthletInnen anerkannt und könnten bei Wettkämpfen leichter Unterstützungsleistungen beziehen", sagt Phi. "Gemeinnützigkeit würde auch die Reichweite steigern und es einfacher machen, auf Sponsoren zuzugehen." Momentan finanziert sich Munich eSports über Mitgliedsbeiträge, Sponsoring, Twitch-Einnahmen und Spenden. Die Mitgliedsbeiträge hält der Verein bewusst niedrig, um Interessenten finanziell nicht zu überfordern. Gleichzeitig bemüht man sich um weitere Sponsoren. "Aktuell finalisieren wir eine Zusammenarbeit mit einem lokalen Unternehmen aus der Automotive-Industrie", berichtet Phi. "Daraus ergeben sich für uns hauptsächlich finanzielle Vorteile."
Gemeinnützigkeit würde auch die Reichweite steigern
Therapie-Koop
Daneben schließt Munich eSports aber auch Partnerschaften, die Sach- oder Dienstleistungen umfassen. Ein Beispiel ist die Kooperation mit dem promovierten Sportwissenschaftler Thore-Björn Haag. "Ich arbeite seit Ende 2019 mit Munich eSports zusammen", berichtet Haag. Der frühere Leistungssportler (Volleyball) leitet heute die Therapieabteilung des Orthopädiezentrums Theresie, berät die Agentur Patparius ("Die zweite Karriere für Sportler") und produziert mit seinem Unternehmen Benefit Service Deutschland Medizinprodukte zur schnelleren Regeneration, Stressreduktion und muskulären Relaxation. Mit Munich eSports kooperiert Haag denn auch vorwiegend im therapeutischen Bereich. "Wir haben eine Abmachung, dass mich Spieler von Munich eSports jederzeit kontaktieren können, sollten sie orthopädische bzw. gesundheitliche Probleme haben oder körperliches Training wünschen", erläutert Haag. "Ich kümmere mich dann um einen kurzfristigen Termin und die Anschlussbehandlung im Orthopädiezentrum Theresie." Außerdem hilft Haag dem Verein organisatorisch – zum Beispiel bei besagter Raumsuche. "Körperliche Fitness war bisher keine Voraussetzung, um eSports auf einem hohen Leistungsniveau zu betreiben", so der Sportwissenschaftler. "Aber ein körperlich fitter Spieler wird bei gleichen Fähigkeiten immer besser sein als ein körperlich unfitter." Physischer Sport könne eSportlerInnen enorm helfen, so Haag. Zum Beispiel durch eine bessere Durchblutung, durch Grundlagenausdauer, durch Hand-Auge-Koordination (Tischtennis!) und durch einen intensivierten Stoffwechsel. Auch auf charakterlicher Ebene können DigitalathletInnen vom klassischen Sport profitieren, so Haag: "Man lernt, mit Niederlagen umzugehen. Teamwork und Teamgeist werden geschult. Außerdem fördert der Sport Toleranz, Respekt, Gerechtigkeitsempfinden und Verantwortung. Was letztendlich auch bessere Leistungen in Team-Wettbewerben bedeutet."
Wechselseitiges Lernen
Körperliche und geistige Fitness spielen im professionellen eSports eine immer größere Rolle (vgl. IGM 06 und 07/2021). Dass sein Verein von dieser Entwicklung profitieren kann, davon ist auch Thai Phi-Long Pham überzeugt. "Breitensport kann vom Leistungs- und Spitzensport lernen, wie SpielerInnen durch kontinuierliches und methodisches Training besser werden können", sagt er. "Die Mentalität ist hier besonders relevant, weil Disziplin und Leistungsstreben im Profisport einen großen Stellenwert haben." Am fokussierten Mindset der Profis können sich auch die BreitensportlerInnen orientieren, so Phi. "Gleichzeitig lebt aber der Breitensport vom Spaß am Spiel, den man alleine oder mit Freunden und Gleichgesinnten erlebt." Dass das erfüllender sein kann als reines Leistungsstreben, sollten sich Profis immer wieder ins Gedächtnis rufen, betont er. "Auch als Ausgleich zum normalen Trainings- und Spielbetrieb."
Munich eSports ist in der Szene vielfältig vernetzt – um Wettkämpfe zu organisieren, professionelles Wissen auszutauschen und eSports insgesamt voranzubringen. Die Münchner pflegen intensive Kontakte zu anderen eSports-Vereinen, zum Beispiel über die bereits erwähnte Uniliga. Außerdem ist Munich eSports Mitglied im eSport-Bund Deutschland (ESBD), im E-Sport Netzwerk DACH (END) und im Zusammenschluss "Gaming und eSport in Bayern" (GesiB). Unterstützt wird der Verein darüber hinaus vom Riot Student Ambassador Program, das speziell Hochschulgruppen fördert. Von der Politik hat Munich eSports allerdings noch keine konkreten Hilfen erhalten. Phi berichtet, es habe immerhin schon erste Gespräche mit dem Bayerischen Staatsministerium für Digitales gegeben – und auch mit dem Referat für Arbeit und Wirtschaft. Wie da eine künftige Förderung aussehen könnte, bleibt abzuwarten – die Pandemie hat auch hier einen gewissen Bremseffekt.
Auch wenn die organisatorischen Hürden teilweise hoch sind: Eine Erfolgsgeschichte ist Munich eSports in jedem Fall. Der Spagat zwischen Community und Leistungssport mag anspruchsvoll sein. Doch bislang hat ihn der Münchner eSports-Verein exzellent gemeistert. (Achim Fehrenbach)