Schmerz lass nach! ESports und Gesundheit, Teil 5

Digitaler Sport boomt: Vermarktungsmöglichkeiten Zuschauerzahlen und Preisgelder wachsen kontinuierlich. Für eSportlerInnen wächst damit auch der Leistungsdruck. Etliche Stunden Training pro Tag, Sponsorentermine, Social-Media-Aktivitäten und nervenaufreibende Turniere können die physische und geistige Fitness der Digital-AthletInnen angreifen. Gesundheitliche Prävention, Therapie und eine allgemeine Work-Life-Balance werden deshalb immer wichtiger. In unserer Reihe "eSports und Gesundheit" haben wir bereits einige Aspekte des Themas beleuchtet – von der Pflege mentaler Fitness bis zu Sponsoren und Partnern mit Gesundheitsbezug. In diesem und den darauffolgenden Artikeln geht es nun um ergonomisches Zubehör: Eine Physiotherapeutin erläutert, welche typischen eSports-Verletzungen es gibt – und wie sie sich vermeiden lassen. Außerdem haben wir mit diversen Hardware-Herstellern über die Ergonomie ihrer Produkte gesprochen.
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© Jelena/stock.adobe.com
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Auch Hobby-Gamer kennen das: Man hat einen schönen Abend mit dem neuesten Blockbuster verbracht, hat stundenlang unter Hochspannung Controller oder Maus und Tastatur bearbeitet – und verspürt jetzt plötzlich ein Zwicken im Rücken, ein Ziehen im Arm, einen dumpfen Schmerz im Handgelenk – oder alles zusammen. Die Altlasten des spaßigen Zocks schleppt man bisweilen tage- oder wochenlang mit sich herum. Und verschiebt die Folge-Session deshalb lieber so lange, bis der Schmerz abgeklungen ist. Vielleicht reift dann auch irgendwann die Erkenntnis, dass man besser nicht ganz so zusammengekrümmt an der Konsole hocken sollte, dass Spielpausen keine Zeitverschwendung sind – und dass der klobige Controller den Greifapparat übermäßig beansprucht und ersetzt werden sollte. Alles gute Vorsätze – die aber längst nicht immer in die Tat umgesetzt werden. Wird schon ...

Professionelle eSportlerInnen können sich eine solche Haltung (pun intended!) nicht erlauben. Achten sie nicht ausreichend auf Körper und Geist, dann müssen sie irgendwann eine Zwangspause einlegen – was im schnelllebigen eSports-Geschäft das Karriere-Ende bedeuten kann. In den letzten beiden Ausgaben haben wir uns damit beschäftigt, wie eSportlerInnen ihre geistige Fitness stärken und bewahren können. Nun wenden wir uns der Physis zu: Dabei interessiert uns vor allem, wie ergonomisches eSports-Zubehör die körperliche Gesundheit der AthletInnen fördern kann. Zunächst sprechen wir dafür mit einer jenen, die sich mit eSports-Gesundheit besonders gut auskennen. In Deutschland gibt es bereits ExpertInnen für die Gesundheit von EsportlerInnen – zum Beispiel Dr. Thore-Björn Haag aus München. Viele von ihnen behandeln jedoch nicht nur Digital-AthletInnen, sondern auch Teile der nichtspielenden Bevölkerung. In Nordamerika und Asien hingegen gibt es bereits ganze Teams, die auf eSports-Gesundheit spezialisiert sind. Eines davon ist 1HP: 2016 gegründet, beschäftigt das US-Unternehmen mittlerweile fünf PhysiotherapeutInnen, einen Sporttrainer, einen Chiropraktiker, einen klinischen Psychologen und einen registrierten Ernährungsberater – und das zwischen West- und Ostküste. "Wir betreiben – wenig überraschend – jede Menge Aufklärung", erzählt Caitlin McGee, Physiotherapeutin bei 1HP. "Für einige Teams entwickeln wir Krafttrainingsprogramme, bei anderen helfen wir dem Betreuerstab, zehnminütige Walks in die Tagesübungspläne einzubauen."

Stabiles Fundament
1HP will vermitteln, dass selbst High-Tech-Ausrüstung und Nahrungsergänzungsmittel nichts stabilisieren können, wenn das Fundament des Ganzen wackelt. "Stattdessen muss man auf die Grundlagen aufbauen", betont McGee. "Zum Beispiel eine ausgewogene Ernährung, regelmäßige körperliche Betätigung und so weiter." Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt von 1HP sei die muskuläre Ausdauer, so McGee: "Man braucht nicht viel Kraft, um eine erstklassige eSportlerIn zu werden. Stattdessen muss man über lange Zeiträume sehr schnell präzise Bewegungen ausführen können." Darüber hinaus bietet 1HP seinen KundInnen auch ein standardisiertes Reha-Programm: "Dafür stufen wir PatientInnen und ihre Verletzungen ein, erstellen einen Pflegeplan und helfen ihnen bei der Umsetzung – so, dass er zu ihrem jeweiligen Zeitplan passt", sagt McGee. In ihrem Berufsleben hat die Physiotherapeutin schon viele Verletzungen diagnostiziert und behandelt. "Der häufigste Verletzungstyp, den wir erleben, ist die Tendopathie", berichtet sie. "Also jede Art von Sehnenverletzung. Diese Art von Verletzung entwickelt sich im Laufe der Zeit aus kumulierten Stress, mit dem der Körper nicht umgehen kann. Zurückführen lässt sich das auf auf eine schlechte Körperhaltung, schlechte Ergonomie, unzureichende Kraft bzw. Ausdauer – oder eine Kombination aus alledem."

Ein weiteres Problem sei mangelndes Wissen, das durch fadenscheinige Quellen noch verstärkt werde. McGee zufolge kursieren "viele Falschinformationen darüber, was es überhaupt bedeutet, im eSports hochgradig wettbewerbsfähig zu sein – und welcher Leidensdruck zu erwarten ist bzw. geduldet wird". Oder anders formuliert: Welche Menge an Grind AthletInnen für den Erfolg in Kauf nehmen sollten – und wo sie besser eine Grenze ziehen. Zudem herrsche "ein genereller Mangel an Aufklärung darüber, wie Physiotherapie bei eSports-Verletzungen helfen kann – oder auch, wie körperliches Training die spielerische Leistung verbessern kann".

Muskelspiele
Im professionellen eSports gibt es ganz unterschiedliche Disziplinen – vom millimeterpräzisen CS:GO bis hin zum hochstrategischen LoL-Gewimmel. Da drängt sich natürlich die Frage auf, ob es auch typische Verletzungen bei bestimmten eSportarten gibt. "Je nach Spiel gibt es unterschiedliche Verletzungsarten", erläutert McGee. "Das hat aber meist mehr mit den Eingabegeräten – also Tastatur, Maus und Controller – als mit dem Spiel selbst zu tun." Grundsätzlich seien bestimmte Spiele nicht körperlich anspruchsvoller als andere – "wenn man von VR-Spielen absieht". Wobei es durchaus Unterschiede bei der Beanspruchung bestimmter Körperteile gebe, so McGee: "Beim Grip und bei der Daumenbewegung am Controller sind beispielsweise Muskeln beteiligt, die beim Spielen an der Tastatur nicht so stark beansprucht werden. Dort ist kein Grip erforderlich – und die Arbeit ist gleichmäßiger auf mehr Finger verteilt." Verletzungen und Zerrungen seien – rein definitorisch – das Resultat von Beanspruchung über einen bestimmten Zeitraum. "Bestimmte Aspekte dieser Belastung lassen sich nicht reduzieren", betont die Therapeutin. "Wir können weder das Gameplay verändern noch das Spiel verkürzen – und auch nicht bestimmte Bewegungen oder Tastenkombinationen ändern." Möglich sei allerdings, die Belastung durch Modifikation des Zubehörs zu verringern: "Zum Beispiel, indem man eine geteilte Tastatur leicht angewinkelt nutzt, so dass das Handgelenk in einer neutralen Position bleiben kann. Oder durch die Anpassung eines Sessels, so dass die Arme aufliegen – und die Haltungs- bzw. Schultermuskeln nicht so stark für die Stabilisierung beansprucht werden müssen." Natürlich kann auch die Hardware-Ergonomie zu einer Entlastung beitragen. Uns interessiert deshalb, wie Hersteller ihr Zubehör auf die Bedürfnisse von eSports-Profis ausrichten. Im vorliegenden Artikel widmen wir uns zunächst Mäusen, Tastaturen und Controllern. In den kommenden Ausgaben schauen wir uns dann auch Gaming-Sessel, Monitore, Brillen und Headsets genauer an.

Profi-Feedback
Beim Thema "Zubehör-Ergonomie" ist ein Trend klar erkennbar: Die Hersteller setzen zunehmend auf Profi-Feedback. "Wir arbeiten zur Optimierung der Ergonomie eng mit unserer Community und eSportlern aus dem Team Razer zusammen, unter dessen Flagge wir einige der besten Spieler aus der ganzen Welt vereinen und sponsern", sagt Yann Salsedo, Head of E-Sports bei Razer EMEA. Als Beispiel nennt Salsedo die Gaming-Maus Razer Viper: Deren Prototyp wurde von den AthletInnen zunächst im realen Turnierumfeld getestet. "Wenn eSportler über mehrere Stunden mit unseren Prototypen im Turnier spielen können, können wir davon ausgehen, dass eine hohe Ergonomie auch für die breite Masse der Gamer garantiert ist", so Salsedo. Das Profi-Feedback zur Razer Viper – etwa zu "Idealgewicht" und Tastenanordnung – ging in die Entwicklung des finalen Modells ein. Dieses ist mit exakt 69 Gramm ein absolutes Leichtgewicht und ermöglicht schnelle, energiesparende Steuerbewegungen – was wiederum Muskeln und Sehnen schont.

Eine hohe Ergonomie auch für die breite Masse der Gamer

Mit seinen Produkten ist Razer schon seit langem als eSports-Unterstützer aktiv. Schon im Jahr 2000 sponserte die Firma die Cyberathlete Professional League (CPL) und ging eine Partnerschaft mit dem ersten Pro-Gamer der Welt, Johnathan "Fatal1ty" Wendel, ein. Inzwischen arbeitet Razer mit einigen der weltweit erfolgreichsten Teams zusammen, darunter mousesports und Alliance. "Besonders stolz sind wir auf unser eigenes Turnier ‚Razer Invitational', das eine kompetitive Plattform für alle Spieler unabhängig ihres Skill-Levels bietet und dieses Jahr in seine zweite Saison gestartet ist", berichtet Salsedo. "Darüber hinaus sponsern wir auch große Events und Veranstaltungen. Seit dem letzten Jahr statten wir den United Cyber Spaces in Hamburg aus, Europas erstes Trainingszentrum für eSports und Gaming."

Schnelle Klickrate
Als weiteres Beispiel für ergonomisches Zubehör nennt der Head of E-Sports die Gaming-Maus Viper 8 Khz: Deren unerreicht hohe Abtast­rate von 8.000 Hertz ist besonders bei CS:GO gefragt. Bei eSports-Tastaturen sei besonders die Huntsman TE beliebt, weil sie mit ihren optischen Switches Gaming in Lichtgeschwindigkeit biete. "Eine schnelle Klickrate und Auslösegeschwindigkeit werden in League of Legends benötigt, während ein präziser Sensor über Sieg oder Niederlage in CS:GO entscheiden kann", erklärt Salsedo. Um die Vorteile bestmöglich zu kommunizieren, wurde das "Team Razer MasterClass" ins Leben gerufen: In den kurzen Videos geben die Profis der Community hilfreiche Tipps mit auf den Weg –  und stellen die Vorteile der Razer-Peripherie heraus. Wobei natürlich auch der gesundheitliche Aspekt nicht zu kurz kommt.

Auch der französische Hersteller Bigben Interactive legt großen Wert auf ergonomisches eSports-Zubehör. Im Mittelpunkt stehen dabei die Produkte der Marken Nacon. "Ergonomie steht immer in Verbindung mit Gesundheit, weil es dabei um die Beziehung zwischen dem Nutzenden und dem Produkt geht", sagt Axel Florizoone, Geschäftsführer von Bigben Deutschland. Folglich führe ein ergonomisch nicht optimiertes Produkt zu körperlichen Beschwerden: "Rückenschmerzen von einem Stuhl, Gelenkschmerzen von einem Controller oder sogar Kopfschmerzen durch ein Headset." Weil Ergonomie individuell und subjektiv sei, gebe es für passende Hardware aber kein Geheimrezept, so Florizoone weiter. "Das Gewicht des Produkts ist ebenfalls ein wichtiger Faktor, besonders bei einem Controller oder einem Headset." Bigben strebe danach, die Ergonomie seiner Produkte durch kontinuierliche Beta-Tests zu verbessern. "Wir haben eine vielfältige Spielergemeinschaft geschaffen, die verschiedenen Profilen entsprechen, aus Männern, Frauen, Kindern, groß, klein, Amateuren und Profis – um so viele Möglichkeiten wie möglich auszuloten und die Bedürfnisse der Community bestmöglich zu erfüllen."

Besser erreichbar
Als Beispiel für ergonomische Fortentwicklung nennt Florizoone den Controller Revolution Pro, dessen erstes Modell 2016 debütierte: "Wir haben wesentliche Änderungen an den hinteren Shortcut-Tasten vorgenommen, um diese besser erreichbar zu machen. Und wir entwickeln immer noch alternative Designs für künftige Controller." Der Controller liege gut in der Hand und habe weiche Linien. "Scharfe Kanten wurden – so gut es ging – vermieden", sagt Florizoone. "Damit sich der Controller besser in der Hand anfühlt, haben wir ihn mit einer Soft-Touch-Schicht beschichtet." Revolution Pro ist eine erfolgreiche Controller-Reihe geworden: Unter anderem mit dem Unlimited Pro für die PS4, der kabelloses Gaming ermöglicht und beispielsweise austauschbare Gewichte bietet. Auch für Xbox One und Xbox Series X/S wird Nacon bald ergonomisch optimiertes Zubehör anbieten – nämlich das Modell Revolution X. Als eSports-Sponsor ist der Hersteller ebenfalls aktiv: "Seit vielen Jahren unterstützen wir mit Nacon verschiedene eSports-Teams im PC- und Konsolen-Bereich sowie auch Veranstaltungen", berichtet Florizoone. "Seit 2019 ist Nacon Sponsor des Fifa-eSports-Teams #B04eSport des Erstligisten Bayer 04 Leverkusen. Außerdem unterstützen wir vereinzelt kleinere Events und Veranstaltungen mit Hardware und Preisen – wie zum Beispiel die Cowana Academy, Norex Gaming und weitere." Florizoones Fazit: Es sei dem Feedback der SpielerInnen zu verdanken, dass Nacon die Ergonomie seiner Produkte stetig weiter verbessern könne.

Videos und Wärmesignaturen
Ein ebenfalls äußerst prominenter Akteur im professionellen Digitalsport ist die Firma SteelSeries. Und auch der dänischen Firma ist es sehr wichtig, die Gesundheit der SpielerInnen durch passende Hardware zu unterstützen. "Bei der Produktentwicklung sind Ergonomiestudien äußerst wichtig", sagt Tino Soelberg, CTO and VP of Products. "Wir haben da zwei Herangehensweisen: Zum einen die Nutzung objektiver Daten für eine grundlegende Orientierung – und zum anderen Tests durch echte NutzerInnen während des Entwicklungsprozesses." In der Entwicklung führt SteelSeries unterschiedliche Analysen durch – zum Beispiel per Video und Wärmesignatur. "Komfort ist ebenfalls einer der Schlüsselparameter, die wir schon ganz zu Beginn der Produktdefinition setzen", betont Soelberg. "Bei unseren Arctis-Headsets war beispielsweise das Ziel, dass man sie 12 Stunden lang tragen kann, ohne dass sie Beschwerden verursachen." Mit dem Thema "Headset-Ergonomie" werden wir uns ja noch in der folgenden Ausgabe beschäftigen – deshalb werfen wir zunächst einen Blick auf die haptischen Eingaberäte. Bei den Mäusen bietet SteelSeries die Produktlinien Prime, Rival, Aerox und Sensei; bei den Tastaturen setzen die Apex-Produkte zumeist auf mechanische Tasten und hohe Strapazierfähigkeit. "Die meisten unserer Produkte eignen sich sehr gut für eSports-AthletInnen", sagt Tino Soelberg. "Einige Produkte unseres Portfolios haben auch Features, die nicht unbedingt für den reinen eSports benötigt werden, zum Beispiel Bluetooth für eine bessere Mobilanbindung. Dennoch haben wir Produktlinien, die beim Design ohne Zusatz-Features auskommen, was von vielen eSportlerInnen bevorzugt wird."

Profi-Personal
Bei eSports-Teams zählen SteelSeries-Produkte seit langem zur festen Ausstattung – der Performance, aber auch der Ergonomie wegen. "Wir sponsern eSports-Teams und -Turniere seit unserer Gründung im Jahre 2001 – und tun das auch weiterhin", betont Soelberg. Zu den aktuellen Partnern zählen der Faze Clan, Team OG sowie Funplus Phoenix. "Wir haben mehrere Mitarbeiter, die früher Profispieler waren", sagt Soelberg. "Und wir glauben, dass man die Skills aus dem eSports in vielerlei Hinsicht für eine längere Karriere nutzen kann." Ob nun im Management, im Marketing – oder bei der Entwicklung ergonomischer Peripherals.

Die Beispiele zeigen: Ergonomisches eSports-Zubehör ist für die Hersteller keineswegs lästige Pflicht, sondern ein echtes Verkaufsargument – auch deshalb, weil immer mehr Hobby-Gamer die Gesundheitstipps der Profis in sich aufsaugen. Das Ergonomie-Feedback von Profis und Community birgt für die Hersteller enormes Verbesserungspotenzial – und sorgt vielleicht dafür, dass der nächste Feierabendzock gesundheitsschonender verläuft. (Achim Fehrenbach)

In der kommenden Ausgabe (IGM 09/2021) porträtieren wir weitere Hersteller, die auf ergonomisches eSports-Zubehör setzen. Und gehen auch bei den gesundheitlichen Aspekten ins Detail.

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