Kluge Köpfchen: Künstliche Intelligenz in Games, Teil 2

Wie bringt KI die Games-Branche voran – und welche Bereiche könnten am meisten von ihr profitieren? Diesen Fragen geht IGM in einer zweiteiligen Serie nach. In Teil 1 (IGM 08) ging es um den schmalen Grat zwischen Spielspaß und unberechenbarer KI. Im vorliegenden zweiten Teil schauen wir uns genauer an, wo die Talente von Gaming-KI liegen – und wie es künftig mit ihr weitergehen könnte.
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© charles taylor / stock.adobe.com
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Ja, es nervt. Momentan [Ende Juni) sind die Technik-Seiten vieler Online-Magazine voll von Berichten über Googles mysteriöse Sprach-KI. LaMDA, so ihr Name, habe möglicherweise ein menschenähnliches Bewusstsein entwickelt. Einer ihrer Entwickler, der US-Amerikaner Blake Lemoine, bekam daraufhin Muffensausen und kündigte, um nicht mehr weiter an diesem – aus seiner Sicht hochproblematischen – Projekt mitarbeiten zu müssen. Dass er dann auch noch einen Anwalt für „seine“ KI organisierte, war für die Öffentlichkeit ein gefundenes Fressen. Aber was ist dran an dem Hype um die KI, die Lemoine zufolge über die Intelligenz eines siebenjährigen Kindes verfügt? „Was für ein Nonsense!“, kommentiert Dr. Tommy Thompson im IGM-Interview. „Hier wird das Verhalten eines Systems vermenschlicht.“ Der Schotte ist einer der führenden Experten für Gaming-KI, er lehrt am King‘s College in London und arbeitet als Technik-Berater für diverse Firmen – unter anderem für Digital Lode, das derzeit an der Fortsetzung des preisgekrönten VR-Schleichspiels Espire werkelt. Auf Youtube betreibt Thompson den Kanal „AI and Games“ – mit immerhin 175.000 AbonnentInnen.

Eliza-Effekt
Wie kommt Thompson auf sein durchaus ungnädiges LaMDA-Urteil? Nun, er verweist darauf, dass es einen ähnlichen Hype schon in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gab – ausgelöst durch den Chatbot Eliza. „Schon damals haben die Leute gesagt: Oh, dieser Bot kann fühlen! Schau nur, wie intelligent er sich verhält!“, spottet Thompson. Der „Eliza Effect“ entstand, weil der Bot vordergründig sinnvolle Aussagen machte – und die Menschen dann menschliche Motive auf ihn projizierten. „GPT-3 und andere haben fantastische Sprachmodelle“, sagt Thompson. „Diese Sprachmodelle sind so gestaltet, dass sie Struktur und Kontext der Sprache verstehen, die wir sprechen. Allerdings wissen sie nicht wirklich, was wir sagen.“ Sobald man also beginne, ihre Grenzen auszureizen, zeige sich ihre begrenzte Leistungsfähigkeit auch schon sehr deutlich. Thompson vermutet, dass das bei LaMDA auch so wäre – würde man die KI wirklich auf den Prüfstand stellen. Der Forscher jedenfalls liebt es, mit sprachbasierten KIs – etwa AI Dungeon – Schindluder zu treiben. Seine Forschungsfrage: „Kann sie auch mit den Albernheiten, die ich bereithalte, eine konsistente Erzählung aufrechterhalten?“

Gamer lieben über alles, wenn eine KI ihre Handlungen reflektiert

Dies Frage ist für die Entwicklung von Computerspielen durchaus relevant. Schließlich könnte eine talentierte Sprach-KI viele Games deutlich spannender machen – man denke nur an NPCs, die kreativ mit uns plaudern, statt immer nur die gleichen Floskeln herunterzuleiern. Womöglich könnte Schriftsteller-KI dann auch spannende Handlungen verfassen, die sich von User zu User unterscheiden – und dadurch unverwechselbare Spielerfahrungen böten. „Gamer lieben über alles, wenn eine KI ihre Handlungen reflektiert“, sagt Thompson. „Wenn man etwas Bestimmtes macht und das Spiel darauf antwortet, dann ist das für Spielende oft eine kraftvolle Erfahrung – denn es bekräftigt, dass man Teil dieser Spielwelt ist.“ Schon kleine Dinge können viel Bedeutung transportieren, sagt der Experte – und berichtet von seiner eigenen Spider-Man-Session. In dem Spiel gibt es einen Social-Media-Feed, der Event-Updates liefert und dafür Textbausteine verwendet. Werden Schurken von Spider-Man verdroschen oder jemand aus höchster Not gerettet, dann erscheinen genau diese News kurze Zeit später im Feed. „Das ist großartig, weil es sich wie mein eigenes Spiel anfühlt“, sagt Thompson. Auch wenn es von wirklichem KI-Storytelling noch meilenweit entfernt ist.

Computergestützte Kreativität
Mike Cook zählt – wie sein Kollege Thompson – zu den bedeutendsten KI-Forschern Großbritanniens. Seine Spezialgebiete an der University of London sind automatisiertes Game-Design und computergestützte Kreativität. „Ich entwerfe KI-Systeme, die eigenständig Spiele erschaffen können“, fasst Cook zusammen. „Auf diese Weise können wir unsere eigene Kreativität besser verstehen lernen – und eine sehr viel interessantere digitale Zukunft für für alle errichten.“ Eines von Cooks Lieblingsthemen ist Procedural Generation – ein Feld, in dem Gaming-KI laut Cook künftig noch einiges wird leisten können. „Bei Procedural Generation denken die Leute meistens an etwas, das Level erstellt, aber sie wird für so viele verschiedene Aspekte von Games genutzt“, so der Forscher. Als Beispiele nennt er die Erzeugung organischer Räume wie Wälder und Klippen, bei denen Artists dann nicht jedes kleine Detail selbst erschaffen müssen. Ein weiteres Beispiel ist der Game-Soundtrack, dessen Stimmung sich automatisch ans Spielgeschehen anpasst – dank KI.

Komplett neue Spielerfahrungen, Konzepte und Denkweisen

Wenn es um künstliche Intelligenz und Worldbuilding geht, gerät Cook ins Schwärmen. „Sowohl Caves of Qud als auch Dwarf Fortress haben eine unglaublich beeindruckende KI, was die Simulation der Spielwelt und die prozedurale Generierung von Geschichte betrifft.“ Beide Games seien der Beweis, dass Procedural Generation Spielwelten nicht größer machen könne – sondern auch in der Lage sei, „komplett neue Spielerfahrungen, Konzepte und Denkweisen über Spiele zu imaginieren“. Womit wir auch gleich schon beim Thema „Metaversum“ (vgl. IGM 07/2022) wären. Cook glaubt zwar nicht, dass Metaversen in naher Zukunft Wirklichkeit werden – aber wenn, dann würden sie ebenfalls stark von Procedural Generation profitieren. „Die Leute brauchen dann eine Möglichkeit, wie sie die Räume um sich herum dynamisch verändern können – damit sie sie einfach und reibungslos anders nutzen können“, so der Forscher. „Es wäre doch großartig, wenn man nur einen Knopf drücken müsste, um den Raum doppelt so groß zu machen – wenn dabei aber die gesamte Dekoration und die Möbelstile erhalten blieben.“ Solche Skalierungseffekte könnten in Metaversen eine bedeutende Rolle spielen, ist der Experte überzeugt.

Regie-KI
Kehren wir dann aber doch wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Es ist ja nun leider so, dass KI in vielen Games immer noch nicht ganz so clever agiert – vorsichtig formuliert. Eine KI, die Cook allerdings wirklich überzeugt hat, ist die aus Hitman 3. In dem Schleich- und Meuchelspiel von IO Interactive arbeite sie auf drei unterschiedlichen Ebenen, so Cook: „Sie muss sich wie eine normale Person verhalten; sie muss sich wie ein Statist in einem Film verhalten, in dem die Spielerin der Star ist; außerdem muss sie die Skills der Spielerin herausfordern.“ All das gelingt der Hitman-KI mit Bravour – was sicher nicht unwesentlich zu den teils euphorischen Reviews beigetragen hat. In anderen Spielen wiederum ist es vor allem der clevere Einsatz von KI, der für ein denkwürdiges Spielerlebnis sorgt. Tommy Thompson nennt als Beispiel die „Regie-KI“ aus Alien: Isolation. Sie wisse zwar immer, wo sich der Spieler gerade befinde, schicke das Alien aber bewusst in andere Level-Abschnitte, um einen gegenteiligen Eindruck zu erzeugen – mit der Folge, dass die Jagd nie an Spannung verliere. Die Analyse der Alien-KI zählt übrigens zu den beliebtesten Videos auf Tommy Thompsons Youtube-Channel: Wer sich für Gaming-KI interessiert, ist hier wahrlich im Schlaraffenland.

Sie muss sich wie eine normale Person verhalten

Allzu eigenständig sollte Gaming-KI allerdings nicht werden – darauf hat schon Game-Designer Frank Lantz in Teil 1 unserer Serie hingewiesen. „Ein Schlüsselproblem ist, dass die KI in Spielen normalerweise direkt mit SpielerInnen interagiert“, sagt dazu auch Mike Cook. Als Kontrastbeispiel nennt er KI, die in Filmen für Spezialeffekte genutzt wird – denn deren Resultat lässt sich immer noch sorgfältig editieren, bevor es in die Kinos kommt. „Eine KI allerdings, die das Gameplay unmittelbar beeinflusst, könnte jederzeit schiefgehen – und das ist wirklich gefährlich für die Entwickler von großen, teuren Spielen.“ Blockbuster-Produzenten wie Ubisoft nutzen KI jedoch – auf vergleichsweise sicherer Ebene – für ihre Animationssysteme. In Assassin‘s Creed beispielsweise berechnet KI, wie Arme und Beine der kletternden Spielfigur am natürlichsten aussehen. Im Idealfall sieht das einfach nur geschmeidig aus – falls jedoch etwas schiefläuft, sorgt das Slapstick-Gekraksel für Schmunzler. Animationen sind nicht der einzige Bereich, in dem KI Spielen grafisch auf die Sprünge helfen kann. Ein weiterer ist das Texture Upscaling. „Die kürzlich erschienene Legendary Edition von Mass Effect ist ein tolles Beispiel dafür“, sagt Tommy Thompson. Mit KI ließen sich alte Texturen an 1080p- oder 4K-Auflösungen anpassen – und das so viel schneller, als wenn Artists jede einzelne Textur von Hand aufmöbeln.

Lernender Nachbar
Richtig spannend wird es, wenn KI-Methoden wie Deep Learning in Spielen zum Einsatz kommen. Ein Beispiel ist das noch unveröffentlichte Hello Neighbor 2, bei dem sich Spieler und ein NPC-Nachbar ein Katz-und-Maus-Duell liefern. Kamen in Teil 1 noch vorwiegend händisch festlegte Verhaltensregeln zum Einsatz, ist in Teil 2 auch Deep Learing am Start: Die KI analysiert massenhaft Verhaltensmuster von Spielenden, um die NPC-Strategie daran anzupassen.

Auch sonst passiert bei Gaming-KI derzeit eine ganze Menge – zum Beispiel im automatisierten Testing und Bug Squashing. „Das Team vom modlai in Kopenhagen leistet diesbezüglich tolle Arbeit“, lobt Tommy Thompson. Ein weiteres Einsatzgebiet ist Cheat Detection – etwa mit dem KI-System Overwatch in Counter-Strike. „Das ist ein Deep-Learning-System, das die Daten der SpielerInnen beobachtet – und daraus zu schlussfolgern versucht, ob die Leute Hacks oder Bots nutzen“, so Thompson. Unlängst habe auch Call of Duty ein neues Cheat-Detection-System namens Ricochet eingeführt, das solche Dinge erfasse. Darüber hinaus gibt es Firmen wie etwa Spirit AI, die an Systemen für Toxicity Detection arbeiten. „Microsoft kümmert sich nun stärker um Voice- und Text-Chat, um unerwünschtes Verhalten zu erkennen“, berichtet Thompson.

KI-Expansion
Überhaupt bauen die meisten großen Spielefirmen gerade ihre KI-Abteilungen aus. SEED von Electronic Arts beschäftigt mittlerweile ein riesiges Team von Data Scientists, das unter anderem Machine Learning auslotet. „Ich denke, dass das leider langfristig vor allem für Monetarisierungszwecke genutzt werden wird“, sagt Tommy Thompson. Generell werde KI immer stärkeren Einfluss auf Monetarisierungsplattformen erhalten. „Die Gefahren von Microtransactions werden dann an einen Wirtschaftskreislauf gekoppelt sein, der im Hintergrund von einer KI regiert wird“, zeigt sich Thompson pessimistisch. „Die KI sagt dann: Hey, wir bieten dir ein maßgeschneidertes Microtrans­actions-Paket an – denn wir haben herausgefunden, in welche Kategorie du fällst – und wie wir aus dieser Gruppe das meiste Geld herausholen können.“

Auch Ubisoft hat übrigens inzwischen ein eigenes KI-Team aufgestellt: Ubisoft La Forge. Sony AI derweil hat inzwischen Niederlassungen in Tokio und Zürich (vgl. IGM 04/2022). Microsoft wiederum arbeitet mit einem riesigen Team von Gaming-Intelligence-Leuten in Cambridge/UK zusammen: Gemeinsam tüftelt man an der KI von Spielen wie Age of Empires 4 und Halo Infinite. „In den nächsten Jahren werden also spannende Dinge in größerem Umfang von diesen Firmen kommen“, prophezeit Thompson. „Oder auch einfach nur sinnvolle, spaßige Verbesserungen für Dinge aus den letzten Jahren.“

Mike Cook geht ebenfalls davon aus, dass Games immer häufiger Machine Learning nutzen werden. „Vielleicht erleben wir Games, in denen SpielerInnen mit Hilfe von Machine-Learning-Systemen lehren und spielen können“ sagt er. „Das wäre so eine Art Revival von alten Spielen wie Creatures oder Black & White – aber diesmal sehr viel komplexer.“ Klingt durchaus vielversprechend! (Achim Fehrenbach)

IGM 09/22
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