Stefan Dettmering, BXDXO: „Die Inhalte müssen der Zielgruppe schmecken“

Stefan Dettmering zählt zu den erfahrensten Kräften der deutschen Games-Branche. Der 43-Jährige arbeitet seit gut zweieinhalb Jahrzehnten in Marketing- und Produkt­management – unter anderem für Sony, ZeniMax, EA und diverse Agenturen. 2018 gründete Dettmering in München seine eigene Firma BXDXO Marketing Services, die inzwischen zu einem fünfköpfigen Team gewachsen ist. Mit IGM spricht Dettmering über ganzheitliche Ansätze, lokale Inhalte und die Bedeutung von TikTok.
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BXDXO-Chef Stefan Dettmering

IGM: Stefan, der Spielemarkt ist so fragmentiert wie nie zuvor. Wie erreicht man da als Spielefirma seine Zielgruppe?

Stefan Dettmering: Das Wichtigste ist zunächst, dass man seine Zielgruppe kennt. Die soziodemografische Segmentierung gibt es nicht mehr, aber es gibt verschiedene andere Indikatoren, beispielsweise andere Genre-Vertreter, Präferenzen und so weiter. Am besten erreicht man eine Zielgruppe, wenn man selbst Teil von ihr ist – davon war ich immer ein Fan. Wenn man die Spiele, die man vermarktet, auch selbst spielt, dann weiß man ziemlich genau, wie die Zielgruppe tickt. Wenn das nicht der Fall ist, sollte man sich jemanden holen, der Teil der Zielgruppe ist.

IGM: Und an diesem Punkt kommt BXDXO ins Spiel …?

Dettmering: Genau. In unserem Team haben alle ganz unterschiedliche Präferenzen. Wir schauen uns die Spiele genau an und recherchieren auch sehr viel. Wir schauen uns auch an, wo die Zielgruppen anzutreffen sind – denn sie kommunizieren ja ganz unterschiedlich. Fans von Aufbaustrategiespielen sind in der Regel etwas älter und vorwiegend auf Facebook oder klassischen Gaming-Websites unterwegs. Fortnite hingegen spricht eine sehr junge Zielgruppe, die schnelle, bunte und action-orientierte Spiele mag. Die ist dann wieder auf anderen Kanälen unterwegs, zum Beispiel auf TikTok. Aufgabe ist immer, die relevanten Kanäle ausfindig zu machen. Ich habe ja in den Neunzigern die Anfangsphase von PlayStation miterlebt. Unser Motto war immer: „Wir sind dort, wo die Zielgruppe ist.“ Aus diesem Motto hat sich damals für PlayStation sehr viel abgeleitet. Wir waren bei Musikveranstaltungen, bei Skateboard-Events und so weiter. Überall dort, wo die Relevanz für die Marke am größten war. Und das gilt heute eigentlich noch genauso wie damals. Bei BXDXO übernehmen wir die Segmentierung und unterfüttern das mit Daten. Es kommt auch extrem darauf an, in welcher Region wir unterwegs sind. Ist es Deutschland, Nordamerika oder der Nahe Osten? Da gibt es unterschiedliche Präferenzen. Das recherchieren wir dann – und machen unseren Kunden Vorschläge für die Planung und Umsetzung von zielgruppengerechten Marketing-Strategien.

Deutschland, Nordamerika oder der Nahe Osten?

IGM: Welche Services bietet ihr noch?

Dettmering: Was wir anbieten – und das unterscheidet uns von einer klassischen Agentur –, ist externes Produktmanagement. Wir betreuen das jeweilige Produkt ganzheitlich. Das heißt, wir arbeiten nicht nur auf der taktischen Ebene, sondern schauen uns das Spiel strategisch an – und entwickeln einen richtigen Marketing-Plan. Bei großen Firmen macht das natürlich der interne Produktmanager. Aber es gibt auch Unternehmen, die keinen Produktmanager oder Brand Manager haben – und diese Lücke füllen wir. Je nach Produkt, Zielgruppe und Budget entstehen da völlig unterschiedliche Marketing-Ansätze. Bei dem einen Kunden ist das Thema „Influencer“ größer, bei dem anderen wiederum das Thema „Preisgestaltung“.

IGM: Wie sieht die ganzheitliche Herangehensweise aus, von der du gesprochen hast?

Dettmering: Im Marketing spricht man von den vier Ps: Also Product, Price, Place und Promotion. „Promotion“ ist ein Thema für sich – das umfasst die Dinge, die man am ehesten mit Marketing in Verbindung bringt, also Online-Banner, Anzeigen, Events und so weiter. Aber es gibt ja auch noch andere Aspekte, beispielsweise die Preisgestaltung oder die Plattform der Distribution. Wir schauen uns das ganzheitlich an – und setzen dann gemeinsam mit dem Kunden bestimmte Schwerpunkte. Unser Ziel ist, den kompletten Teil aus Strategie und taktischer Umsetzung aus einer Hand anzubieten. Manchmal existiert aber bereits ein Agentur-Setup, das wir dann nutzen. Und in Bereichen, in denen wir keine Kernkompetenz haben, holen wir zusätzlich Leute an Bord. die uns dabei unterstützen, das Bestmögliche rauszuholen.

IGM: Welche Vorteile hat das für eure Kunden?

Dettmering: Für den Kunden ist es ein enormer Zeitgewinn, wenn sie oder er nur einen Ansprechpartner hat. Wenn wir die Koordination übernehmen – und nicht noch die vielen losen Enden zusammengepackt werden müssen. Dieser Service ist offenbar sehr gefragt. Allerdings skalieren wir nicht mit der Brechstange – es ist ganz wichtig, dass wir organisch wachsen. Wenn aber ein großes Projekt reinkommt, können wir auf weitere Ressourcen zurückgreifen. Wenn man schon so lange in der Branche unterwegs ist, hat man mit vielen Leuten zusammengearbeitet, denen man vertraut. Auf dieses Netzwerk greifen wir dann zurück.

IGM: Ihr habt sowohl große als auch kleinere Kunden. Wie unterscheidet sich da die Herangehensweise?

Dettmering: Die Grundkonzepte sind ähnlich. Wir machen uns Gedanken über die Zielgruppen und über die Value Proposition, also den Mehrwert des Spiels. Und letztendlich dann auch über die guten alten USPs, die man daraus ableiten kann. Also: Was macht das Spiel besonders? Was unterscheidet es von anderen Spielen? Diese Herangehensweise ist bei großen und kleinen Projekten ziemlich ähnlich. Der Hauptunterschied ist, dass wir bei großen Firmen eher in einem Konstrukt mitarbeiten. Diese Firmen haben meistens ein Setup für alle möglichen Regionen – und da ist dann unsere lokale Expertise im deutschsprachigen Raum sehr gefragt. Wir setzen also ihre internationalen Strategien lokal um. Die kleineren Firmen – zum Beispiel Indie-Studios – brauchen eher ganzheitliche Unterstützung.

IGM: Wie sieht die lokale Umsetzung einer internationalen Strategie beispielsweise aus?

Dettmering: Wir haben PUBG dabei unterstützt, mehr lokale Inhalte in Social Media und Content-Marketing zu generieren. Also Inhalte, die eine deutsche Zielgruppe ansprechen. Beispielsweise haben wir mit dem Gaming-Rapper Tirow einen Community-Rap gemacht. Die Produktion fand in enger Abstimmung mit dem deutschen Community-Management von PUBG statt. Das Youtube-Video wurde in der Community stark abgefeiert. Den Fans gefällt, dass eine solch große Firma wie PUBG die deutsche Community derart wertschätzt, dass sie dafür einen eigenen Rap produziert – in dem auch einzelne SpielerInnen und Clans Erwähnung finden.

Das Youtube-Video wurde in der Community stark abgefeiert

IGM: Werden solch lokalen Konzepte immer wichtiger?

Dettmering: Ja. Wir sehen schon seit einigen Jahren die Tendenz, dass sich alles immer mehr zentralisiert. Einige Firmen haben auch gar keine Büros mehr in Deutschland. Diese Firmen holen das ganze Thema „Digitalmarketing“ in die Headquarter rein. Natürlich haben sie damit auch lokal einen gewissen Erfolg. Aber einen richtig durchschlagenden Erfolg hat man eigentlich nur, wenn man wirklich nahbar ist. Nahbarkeit beginnt damit, dass es die Social-Media-Kanäle und Trailer in der lokalen Sprache gibt. Dass die Interaktion mit der lokalen Community in deren Sprache stattfindet – und dass es für sie auch eigene Inhalte gibt. Man ist dann für die Community nicht einfach eine Firma, die irgendwo sitzt und versucht, hierzulande Umsätze zu generieren. Es fühlt sich einfach ehrlicher und nahbarer an.

IGM: Du hast erwähnt, dass ihr auch für Indie-Studios arbeitet. Ein Beispiel?

Dettmering: Zum Beispiel arbeiten wir für ByteRockers‘ Games. Das ist ein ganz tolles Studio aus Berlin, das klassisch Spiele entwickelt und über Publisher vermarktet. Aber einige Spiele publishen sie auch selbst. Wir haben ByteRockers‘ bereits bei einigen Produkt-Launches unterstützt, unter anderem bei Insurmountable, einem Roguelike-Bergsteiger-Game. Das war dann allgemeines Marketing, also Zielgruppenpositionierung und Produktion von Werbemitteln. Besonders stolz bin ich aber auf unsere Unterstützung beim Storytelling – also das Erzählen einer Geschichte, die das Spiel emotionaler und greifbarer macht. Natürlich haben auch Trailer mit dem Appell „Preorder now!“ einen Impact, diese Awareness-Effekte sind wichtig. Aber es ist auch wichtig, eine Story zu erzählen.

IGM: Wie sah die bei Insurmountable konkret aus?

Dettmering: Wir haben gemeinsam mit dem Studio folgenden Claim entwickelt: „Death always climbs with you“, „Der Tod klettert immer mit“. Insurmountable ist ein Roguelike – wenn man stirbt, ist es vorbei. Mit diesem Claim haben wir dann versucht, das Spiel in einen größeren Kontext zu stellen – und haben Kontakt zu Reinhold Messner aufgenommen. Er fand das Spiel und das Konzept dahinter sehr spannend, obwohl es keine Bergsteiger-Simulation ist und keinen Anspruch auf Realismus hat. Wir haben dann einen Twitch-Talk zwischen Messner, dem Head of Marketing Maik Reichelt und dem Game-Designer Maxim Suckow organisiert. Darin schaut sich Messner Spielszenen an und erklärt anschließend, wie realistisch sie sind, ob der Tod da wirklich immer mitklettert. Messner hat auch ganz klar gesagt, dass bestimmte Szenen absolut unrealistisch sind (lacht). Der Live-Stream kam sehr gut an und war ein schönes Content Piece, das man sich auf Youtube anschauen kann. Darum geht es beim Storytelling: Verschiedene Dinge zusammenzubringen, aus denen dann etwas Besonderes entsteht.

Wichtig, eine Story zu erzählen

IGM: Twitch ist für die Games-Branche sehr wichtig. Welche Bedeutung hat TikTok mittlerweile?

Dettmering: TikTok hat sich innerhalb kürzester Zeit zu einem „Must“ entwickelt – es ist inzwischen ein Teil von fast jedem Marketing-Plan. Die Reichweite von TikTok gehen schon seit längerem steil nach oben. Auch die Zielgruppe verbreitert sich – es ist nicht mehr nur das Kids- oder Mädels-Ding. Außerdem funktionieren die TikTok-Algorithmen komplett anders als bei Youtube oder anderen Social-Media-Kanälen. Also kann im Prinzip jeder, der ein Video hochlädt, damit ein Millionenpublikum erreichen – auch wenn er oder sie vorher noch keine zwei Millionen Follower hatte. Das macht TikTok aus Marketing-Sicht extrem spannend. Wir sprechen mit Content Creatorn, die gar keine riesengroßen Influencer sein müssen. Sondern einfach Leute, die bewiesen haben, dass sie unterhaltsamen Content produzieren – und dadurch auch eine gewisse Reichweite erzielen. Das sind dann keine Let‘s Plays, sondern einfach lustige Stories. Für das Mobile Game BitLife, eine Lebenssimulation, haben wir auf TikTok eine große Kampagne umgesetzt, die auch sehr erfolgreich war.

IGM: Wie sah die konkret aus?

Dettmering: BitLife ist eine textbasierte Lebenssimulation, in der man im Prinzip alles werden kann – vom Kapitän einer Fluggesellschaft bis hin zum Verbrecher. Damit haben wir einfach gespielt. Gemeinsam mit dem Team bei Goodgame Studios haben wir ein Briefing geschrieben, ohne dabei die Inhalte vorzugeben – wir wollten ja, dass die Leute kreativ sind. Einige haben dann Situationen aus BitLife nachgespielt, dabei sind lustige Dinge entstanden. Zum Beispiel ein Mädel, das seiner Mutter beichtet, sie sei schwanger. Die Mutter flippt völlig aus, dreht komplett am Rad – und erfährt schließlich, dass die Tochter nur in BitLife schwanger ist. Solche Sketches werden meistens von einer Person gespielt, die sich unterschiedlich verkleidet, in diesem Fall als Mutter und Tochter, mit Zwischenschnitten. Qualitativ war das natürlich kein Hochglanz-TV-Spot – aber genau das, was die Zielgruppe gut findet. Und darum geht es ja: Die Inhalte müssen der Zielgruppe schmecken.

IGM: Gibt es Games-Inhalte, die sich absolut nicht für TikTok eignen?

Dettmering: Es kommt auf die Inhalte an. Man kann selbst ein – im positiven Sinne – „staubtrockenes“ Browser-Strategiespiel mit einem coolen Video interessant machen. Die Frage ist – und das ist eine Black Box: Inwieweit konvertiert das Ganze denn überhaupt? Denn darauf kommt es ja letztendlich am meisten an: Auf Konvertierung im Sinne von Käufen oder Wishlist-Einträgen. Aber im Prinzip kann man auf TikTok wirklich alles machen. Wichtig ist übrigens auch, dass sich TikTok vor einiger Zeit für Werbung geöffnet hat – es gibt mittlerweile auch ein deutsches TikTok-Büro in Hamburg. Man kann Werbung schalten, also 6- bis 15-sekündige Trailer. Wenn das schön an das Format angepasst ist, dann erreichen wir damit bei den meisten Produkten absolute Traumwerte – in Bezug auf Reichweite, Interaktionen, Klicks und so weiter.

 

Inwieweit konvertiert das Ganze denn überhaupt?

IGM: Sprechen wir über ein weiteres Projekt, an dem du beteiligt bist, nämlich „The Games Marketing Lab“. Worum geht es da?

Dettmering: Das TGML ist ein gemeinsames Projekt von BXDXO und der Agentur Juli. Ich habe immer schon gerne Konferenzen und Events besucht und mich von Speakern inspirieren lassen. Ich habe aber gemerkt, dass es für Games-Marketing fast keine Plattform gibt – und in Deutschland schon mal gar nicht. Wenn etwas in der Art stattfindet, dann irgendwo auf Dev-Konferenzen im hintersten Zimmer. Meistens geht es da auch um sehr mainstreamige Marketing-Themen, zum Beispiel ganz allgemein um User Acquisition oder Influencer Marketing. Also um Dinge, die für Leute interessant sind, die sich im Marketing noch nicht so gut auskennen. Aber wenn man jeden Tag Marketing macht, dann kratzt das nur an der Oberfläche. Mit TGML wollen wir diese Lücke schließen und ganz tief in das Thema „Games-Marketing“ einsteigen. Wir wollen Fachbegriffe wie CPM, CPC, Conversion Rate und so weiter nicht mehr erklären müssen, sondern direkt auf die Kernpunkte zu sprechen kommen. Deshalb haben Andreas Kaljo und ich ein Format gegründet, das den Erfahrungsaustausch im Games-Marketing forcieren soll. Wir wollen Marketing-Leuten im weitesten Sinne – also Event-Manager, PR-Manager und so weiter – vernetzen und ihnen Mehrwerte bieten. Außerdem wollen wir Marketing-Leute einbinden, die von außerhalb der Games-Branche kommen – und dort für einen Business-Transfer sorgen. TGML konzentriert sich dabei auf den deutschsprachigen Markt, denn die zweite wichtige Mission von TGML ist, den Marketing-Standort Deutschland zu stärken. Warum müssen richtig coole Marketing-Ideen immer von anderswo her kommen, warum können sie nicht auch in Deutschland entstehen? Das sind unsere Hauptziele mit TGML.

IGM: Welche Events habt ihr schon mit TGML organisiert?

Dettmering: Ursprünglich hatten wir ein physisches Konferenzformat geplant – aber dann kam uns die Pandemie in die Quere. Wir sind immer noch in der Ausprobierphase – auch die TGML-Website ist noch keine Plattform im eigentlichen Sinne. Zu Beginn haben wir verschiedene Live-Podcasts produziert, beispielsweise auf Clubhouse. Als dann aber Clubhouse nicht mehr so gut lief, haben wir die Strategie gewechselt. Es gab dann doch wieder vereinzelt kleinere und mittlere Hybrid-Formate, mit denen wir kooperiert haben – so kam auch die Koop mit dem ESB und Sascha Komaromy von der Swiss Games Industry Association zustande. Bei diesen Events haben wir TGML-Themen kuratiert – das heißt, wir haben eigene Speaker eingeladen. Beim eSport & Gamification Forum 2021 waren vor Ort eine Handvoll Leute, das Event wurde gestreamt. Dieses Jahr sind wir beim Forum auch wieder dabei, es findet in Bern statt. Wir sind Partner, präsentieren Games-Marketing-Themen und haben ein TGML-Branding.

IGM: Das E-Sport-Wachstum wurde durch Corona ausgebremst, in den vergangenen zwei Jahren fanden kaum physische Events mit Publikum statt. Wie groß ist das Potenzial für die kommenden Jahre?

Dettmering: E-Sport wird riesig – und es wird niemand daran vorbeikommen. Ich selbst bin nicht so tief in der Materie drin, dass ich verstehen würde, was genau bei einem LoL-Match passiert. Aber dafür haben wir unsere Leute, die sich damit auskennen. Mich selbst interessiert mehr der geschäftliche Aspekt – und der ist immens. Es gibt enorm viele Menschen, die sich für E-Sport interessieren, die das Geschehen verfolgen. E-Sport ist ein richtiger Sport, für den die AthletInnen trainieren müssen – daraus entstehen viele Stories, siehe Storytelling. Außerdem spielt das Thema „Celebrity“ ein große Rolle, die Top-Profis sind als Influencer auch für Werbetreibende relevant. Warum das so wichtig ist? Weil wir es mit nachwachsenden Zielgruppen zu tun haben, die jetzt im Teenager-Alter oder Anfang 20 sind. Und die sind für klassische Werbung komplett blind – sie werden auch die „Unerreichbaren“ genannt. Als ich vor 20 Jahren Videospiel-Marketing gemacht habe, habe ich Anzeigen in Print-Magazinen geschaltet. Wenn etwas Geld übrig war, habe ich auch noch TV-Werbung geschaltet  – und damit die relevante Zielgruppe auf jeden Fall erreicht. Heute ist das nicht mehr so. Um dennoch Awareness zu schaffen, muss man dahin gehen, wo die Zielgruppe ist. Das ist für nicht-endemische Firmen sogar noch viel wichtiger als für die Games-Firmen selbst.

IGM: Inwiefern?

Dettmering: Wie hat denn Porsche früher eine Markenbegehrlichkeit aufgebaut? Die Kids haben Spielzeugautos bekommen, später waren sie mit dem Papa auf der IAA und beim 24-Stunden-Rennen, haben die Auto Bild gelesen und so weiter. Über viele Jahre hinweg ist so die Begehrlichkeit entstanden, einen Porsche fahren zu wollen. Dieser Trichter ist aber inzwischen komplett weg! Wie soll eine Firma wie Porsche jetzt ihre potenziellen Zielgruppen von morgen erreichen? Es geht darum, diese Markenemotionalität über einen sehr langen Zeitraum aufzubauen. Genau dafür ist E-Sport prädestiniert – und deshalb wird es aus Marketing-Sicht auch immer wichtiger werden.

IGM: Du bist seit über 20 Jahren in der Branche. Was sind für dich die spannendsten Entwicklungen aus dieser Zeit?

Dettmering: Für mich persönlich ist am spannendsten, dass Gaming so ein großes Thema geworden ist. Ich erinnere mich an meine Anfänge bei PlayStation Mitte der Neunziger, als Gaming eine wirklich nischige Sache war – da wurde man noch schräg angeschaut, wenn man sagte, dass man gerne Videospiele zockt. Aber das hat sich ja komplett gewandelt – mittlerweile ist wirklich jeder irgendwie am Spielen, und wenn es nur auf dem Smartphone ist. Aus Marketing-Sicht ist das eine Herausforderung – und ich finde diese Entwicklung sehr gut. Gerade in der Pandemie hat man die positiven Seiten des Gaming ganz stark gesehen – dass man mit anderen in Kontakt bleibt, dass man sich von all den schlechten Nachrichten ein bisschen ablenken kann. Es wurde deutlich, was Gaming für die Gesellschaft leistet – und das hat mich sehr stolz gemacht. Außerdem hat sich erneut gezeigt, dass die Games-Branche ziemlich krisenfest ist.

IGM: Was hältst du von aktuellen Trends, zum Beispiel Crypto-Gaming?

Dettmering: Spannend ist die unfassbare Dynamik, mit der sich die Geschäftsmodelle ändern. Zum Beispiel, dass bestimmte Games gefühlt aus dem Nichts erscheinen und sofort omnipräsent sind. Wo man sich fragt: „Was ist da eigentlich gerade passiert?“ Nehmen wir als Beispiel Fall Guys – die wurden von heute auf morgen riesig. Es macht „Bumm!“ und plötzlich ist ein Game da, über das jeder spricht – das aber genauso schnell auch wieder verschwinden kann. So etwas gab früher auch schon – aber ich habe das Gefühl, dass das mittlerweile sehr viel schneller passiert. Themen wie Crypto-Gaming sind zwar momentan noch sehr emotional und haben einen teils negativen Beigeschmack. Aber auch solche Themen werden sich etablieren. Wir sind momentan in einer Phase, in der viele Dinge ausprobiert werden. Vieles ist noch nicht richtig durchdacht – und die Leute versuchen, auf den Hype Train aufzuspringen. Ich vergleiche das gerne mit der Dotcom-Blase um das Jahr 2000, als alle Firmen wie wild auf das Internet waren und alles Mögliche ausprobiert haben. Die Blase ist plötzlich geplatzt – und daraus entstanden dann die nachhaltigen Geschäftsmodelle. Ich kann mir vorstellen, dass das bei den NFTs genauso sein wird. Man wird vieles ausprobieren, vieles davon wird nicht funktionieren. Aber in ein paar Jahren könnten Gaming-NFTs durchaus eine Daseinsberechtigung haben – vielleicht sogar mehr als das. (Achim Fehrenbach)

IGM 09/22
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