Stundenlange Zock-Sessions in tageslichtlosen Untergeschossen, dazu nur Energy-Drinks, Kartoffelchips und Tiefkühlpizza: Dieses Klischee von bleichen, übergewichtigen Computerspielfans gehört glücklicherweise der Vergangenheit an. Auch wenn die Berichterstattung hier und da noch ins Sensationalistische umschlägt, vermitteln die Medien doch inzwischen ein deutlich ausgewogeneres Bild davon, was Computerspiele sein können: Nämlich ein ganz normales Hobby, das den Alltag vieler Menschen bereichert. Was aber nicht heißt, dass nicht noch Aufklärungsbedarf besteht: Wer an Computer und Konsole sitzt, kann zweifellos von wissenschaftlich fundierten Gesundheitstipps zu Ruhepausen, Ernährung sowie körperlicher und geistiger Fitness profitieren. Besonders die kompetitiv ausgerichteten GamerInnen erkennen, dass Konzentrationsvermögen und Motorik Fortschritte machen, wenn das Training in einen nachhaltigen Lebensstil eingebettet ist. Immer mehr E-Sport-Teams beschäftigen eigene Fitness- und Mental-Trainer – und werden dadurch zu Gesundheitsvorbildern für die ganze Community.
Brückenschlag
Dass sich immer mehr Krankenkassen im E-Sport engagieren, ergibt also durchaus Sinn – als Gesundheitspartner von Teams und Ligen können sie eine Brücke zu ihren jugendlichen Zielgruppen schlagen. 2021 erforschte IGM in einer achtteiligen Serie die verschiedenen Aspekte von „Games und Gesundheit“ – und stellte in diesem Rahmen auch die Aktivitäten etlicher nicht-endemischer Partner vor. Im vorliegenden Artikel geht es nun um einen weiteren Aspekt, der immer mehr an Bedeutung gewinnt: die Content-Vermittlung von Gesundheitsinformationen über Social Media. Denn wer seine Zielgruppen erreichen möchte, muss bekanntlich dort sein, wo sie sich vorwiegend aufhalten (vgl. das Interview auf S 26 ff.) Wie also lassen sich auf Plattformen wie YouTube, Twitch und Instagram Gesundheitsinformationen vermitteln, die von der Community auch wirklich als nützliche Tipps wahrgenommen werden – und nicht etwa als störende Werbung?
Wie das funktionieren kann, zeigt das Beispiel der TK, die sich schon seit den späten Neunzigern mit dem Thema Games beschäftigt. In den Anfängen ging es vor allem darum, wie sich Gamification-Elemente und Serious Games in die Produktentwicklung einbauen lassen. Später kooperierte die TK mit EA Games und veröffentlichte sogar eigene Titel, etwa das Sarah Wiener Kochspiel. Auch in den Folgejahren engagiert sich die Krankenkasse im rapide wachsenden E-Sport-Segment. Seit Juni 2019 ist die TK offizieller Gesundheitspartner der größten deutschen E-Sport-Liga, ESL. Im August 2019 kam dann auch eine Gesundheitspartnerschaft mit der Uniliga hinzu, die E-Sport-Wettbewerbe für Studierende organisiert. 2021 begann die TK eine Kooperation mit der esports player foundation (epf), die Nachwuchstalente im E-Sport fördert. „E-Sport ist Teil der Gaming-Geschichte und Teil der Alltagskultur“, erläutert Bruno Kollhorst, der das Kooperations- und Eventmarketing der TK leitet. „Wir wollen unsere Versicherten immer da abholen, wo sie sich gerade im Leben befinden – und sie dann darin unterstützen, das, was sie tun, gesund zu tun.“ Mit Engagement in Sport und E-Sport erreicht die TK vor allem Studierende und jüngere ArbeitnehmerInnen. „Wir erzählen Geschichten, die eine Brücke zwischen E-Sport, Gaming und Gesundheitsthemen bauen, und weisen so auf unsere Leistungen und Services hin“, sagt Kollhorst. Krankenkassen seien nun mal nicht unbedingt sexy, räumt der Marketing-Experte ein. E-Sport sei aber genau das High-Involvement-Produkt, an das man auch als nicht-endemischer Partner sehr gut andocken könne.
Unsere Versicherten immer da abholen, wo sie sich gerade im Leben befinden
Gefragte Live-Aktivitäten
Fakt ist: In den letzten zwei Jahren fanden pandemiebedingt nur sehr wenige Vor-Ort-Events statt. Die ohnehin schon große Bedeutung digitaler Markenkommunikation ist dadurch noch einmal gewachsen. Entsprechend nutzt die TK alle großen Social-Media-Kanäle, um unter anderem Games-Interessierte mit Gesundheitsinformationen zu versorgen. Die Krankenkasse ist mit verschiedenen Formaten und Inhalten auf Discord, Twitch und TikTok unterwegs – aber auch auf klassischen Social-Media-Plattformen wie YouTube und Facebook. „Am meisten ist bei Live-Aktivitäten los, also auf Discord und Twitch“, berichtet Bruno Kollhorst. „In den Spielpausen der Uniliga veranstalten wir beispielsweise Fitness-Challenges.“ Zunächst wird kurz eine Übung eingespielt, dann startet die Challenge vor den heimischen Bildschirmen. „Dann sieht man, wie die Teilnehmenden zuhause Liegestützen machen“, berichtet Kollhorst. „Das ist total genial.“ Solch unmittelbare Live-Formate erzeugen ein Involvement, das fast schon an das von Vor-Ort-Events heranreicht.
Ein weiterer Baustein der TK-Strategie ist die Kooperation mit bekannten Persönlichkeiten aus Gaming, E-Sport und Internet. „Wir wollen natürlich mit Leuten zusammenarbeiten, die eine große Reichweite und Wirkung in ihrer jeweiligen Zielgruppe haben – einer Zielgruppe, die wir sonst nur schwer erreichen können“, sagt Kollhorst. Zur Riege prominenter TK-Kooperationspartner zählen die Moderatorin Melek „m3lly“ Balgün sowie die YouTuber Paluten und LeFloid – um nur einige zu nennen. Ganz grundsätzlich prüft die TK zunächst, ob die jeweilige Person das Thema glaubwürdig transportieren kann und auch die passende Motivation mitbringt. „Einfach Krankenversicherungen über einen Influencer zu verkaufen – das wäre uns zu plump“, betont der Marketing-Experte. Es sei auch nicht sinnvoll, sich ausschließlich auf Fitness- und Ernährungs-Influencer zu fokussieren – dann nämlich erreiche man nur die Leute, die sich ohnehin schon für Sport und Ernährung interessieren. Die TK möchte aber auch all jene ansprechen, die sich noch nicht eingehend mit diversen gesundheitlichen Themen beschäftigt haben – und auch jene, die Vorbilder und Anleitungen brauchen. „Wer E-Sport-Profi werden will und sieht, dass sich die Stars mit Ernährungsplänen und Mentaltraining fit halten müssen, entwickelt selbst ein ganz anderes Bewusstsein darüber, wie man mit seinem Körper umgeht“, sagt Kollhorst. Diese Vorbildfunktion der Profis kann gar nicht hoch genug bewertet werden.
Koop mit „m3lly“
Mit Melek Balgün arbeitet die TK schon seit einigen Jahren zusammen. Früher selbst Profi-Gamerin, ist „m3lly“ heute freiberufliche Moderatorin und Journalistin für Gaming- und E-Sport-Themen. Sie moderierte jahrelang das Format ESL.tv sowie die Turniere der ESL Pro Series und machte auch mit dem Webmagazin „Art of Gaming“ bei arte von sich reden. Für die TK hat sie unter anderem schon „Kochen mit m3lly“ sowie den Gamers Guide moderiert – und auch Interviews mit Persönlichkeiten aus der Games-Branche geführt. „Sie hat Credibility und unbestrittene Qualitäten als Moderatorin“, begründet Bruno Kollhorst die Zusammenarbeit. „M3lly hat eine intrinsische Motivation, Gesundheitsthemen in den Vordergrund zu rücken. Und so ist sie als Co-Star in unseren Videos immer dabei, moderiert, schiebt an, stellt die richtigen Fragen.“
M3llys Zusammenarbeit mit der TK begann 2018 in Los Angeles. „Dort habe ich für den Gamers Guide mehrere Videos mit dem Personal Trainer und Physiotherapeuten Dr. Matthew Hwu gedreht“, berichtet sie. Hwu betreut viele E-Sport-Profis, die er fit macht und fit hält – für den Gamers Guide war er also genau der Richtige. „Matthew konnte uns viele Einblicke in seine Arbeit mit den Profis geben – und auch viele Tipps, die man sehr einfach in den Alltag integrieren kann“, berichtet m3lly. In der Videoreihe sprach sie mit Dr. Hwu unter anderem über richtige Pausen, Entspannungsübungen für Augen und Dehnübungen für Handgelenke, Arme und Rücken. Das Format richtet sich nicht nur an Spielende, die während langer Gaming-Sessions gesund bleiben wollen – sondern zum Beispiel auch an ArbeitnehmerInnen, die täglich viele Stunden vor dem PC verbringen.
Viele Tipps, die man sehr einfach in den Alltag integrieren kann
Rezepte-Brainstorming
Ein ebenfalls sehr populäres Format ist „Kochen mit m3lly“. Die Videoreihe stellt Rezepte in den Vordergrund, die sich einerseits in wenigen Minuten umsetzen lassen – und andererseits alles bieten, was man den Tag über braucht. „Ich erarbeite die Rezepte gemeinsam mit der TK“, berichtet m3lly. „Es gibt dann ein Brainstorming mit dem Produktionsteam, in welche Richtung das gehen soll. Oft kommen die Rezepte auch von mir selbst – oder auch von Partnern, mit denen wir bei der Sendung zusammenarbeiten.“ Für „Kochen mit m3lly“ wurden unter anderem Rezepte ausgewählt, die speziell E-Sport-Profis zugutekommen – sei es als Vorbereitung auf die Belastungen eines offiziellen Matches oder als Energiespender für lange Trainingseinheiten. Auch m3lly betont, dass die meisten Klischees über Gamer-Ernährung längst nicht mehr zutreffen: „Im Gegenteil! Spielende achten sehr darauf, welche Lebensmittel sie zu sich nehmen, was sie ihrem Körper zuführen – um dann auf dem Server die bestmögliche Leistung bringen zu können.“ Genau wie der Gamers Guide soll auch das Koch-Format neben Spielenden eine erweiterte Zielgruppe ansprechen – also zum Beispiel Menschen, die sich im Home-Office gesund ernähren, aber dafür nicht stundenlang in der Küche stehen wollen. Die bisherigen Folgen von „Kochen mit m3lly“ wurden zusammen mit dem Moderator Tim Feldner produziert, der als Dauergast und Food-Experte fungierte.
Ein drittes Content-Format der TK-Kooperation sind die Interviews, die m3lly mit Leuten von innerhalb und außerhalb der Games-Branche geführt hat. „In dieser Reihe ging es uns darum, mit Menschen zu sprechen, die unterschiedliche Berührungspunkte mit dem Thema ‚Gaming‘ haben“, erläutert die Journalistin. „In den Videos wollten wir deren Perspektiven darstellen – und natürlich auch Aufklärungsarbeit leisten.“ Teil der Reihe war beispielsweise ein Video-Beitrag, in dem Professor Roland Rosenstock von der Uni Greifswald über seine Games-Forschung sprach. Weitere Videos stellten unterschiedliche Berufsbilder der Branche vor. Primäre Zielgruppe der Interview-Reihe sind Menschen, die zwar grundsätzliches Interesse an Gaming haben, die damit aber selbst noch nicht wirklich in Berührung gekommen sind. Wieder stärker in Richtung der Gamer-Zielgruppe ging ein Interview, das m3lly kürzlich mit dem Sportpsychologen Edgar Chekera führte – hier ging es um Mental Coaching und mentale Stärke, die man auch jenseits des E-Sports brauchen kann. Eine grundsätzliche Einordnung der Themen E-Sport und Gaming in die TK-Strategie bot m3llys Interview mit dem Vorstandsvorsitzenden der TK, Dr. Jens Baas – auch dieses Video ist auf YouTube und auf den E-Sport-Seiten der TK zu finden. „Konstruktives Feedback aus der Community ist übrigens durchaus willkommen. Schließlich produzieren wir diese Formate und Inhalte ja für unsere ZuschauerInnen“, sagt m3lly. „Ich lese die YouTube-Kommentare immer, denn das ist ja Teil meines Jobs.“
Wandern und impfen
Paluten – mit bürgerlichem Namen Patrick Mayer – zählt zu den erfolgreichsten Influencern aus Deutschland: Allein sein YouTube-Channel hat rund 4,5 Millionen Follower. 2021 kooperierte Paluten erstmals mit der TK: Auf einer Wanderung in den bayerischen Bergen sprach er unter anderem über Zeckenbisse und die Wichtigkeit einer FSME-Impfung. Für das YouTube-Video schaltete er einen Arzt zu, der eine Reihe von Fragen beantwortete. „So wurde eine runde Geschichte daraus, die authentisch ist, weil sie so ist, wie Paluten sie erzählen möchte“, freut sich Bruno Kollhorst. Da Paluten ohnehin als Hiking-Fan bekannt ist, passte das Video gut in seinen Channel. „Die Zielgruppe fasst das dann nicht als störende Werbung auf, sondern als gewinnbringende Information“, so Kollhorst. Genau das wolle die TK erreichen: Nämlich nicht als Werbepartner, sondern als ein Gesundheitspartner wahrgenommen zu werden, der „auf Augenhöhe mit der Zielgruppe über das Thema ‚Gesundheit‘ kommuniziert“. So wie eben bei Palutens Wanderung.
Ein weiteres Aushängeschild der TK ist Dr. Johannes Wimmer. In kurzen Videoclips erklärt der Charité-Arzt Volkskrankheiten, räumt mit Medizin-Mythen auf und gibt praktische Gesundheitstipps – hin und wieder auch zum Themenkomplex Gaming/E-Sport. Bis heute hat Wimmer schon über 200 Videos für den YouTube-Channel der TK produziert – einige der Beiträge erreichen sechsstellige Klickzahlen. „Johannes Wimmer ist einfach nicht der Otto-Normalarzt, sondern kommt eher nerdy und flapsig rüber“, sagt Bruno Kollhorst. „Das war auch der Grund, warum wir uns damals auf eine Zusammenarbeit geeinigt haben. Er kommt unglaublich gut an – und zwar altersunabhängig.“ In Wimmers Videos geht es zum Beispiel darum, was die Corona-Zeit mit den Menschen macht – und wie sie da psychisch gut durchkommen. Er nimmt sich aber auch weniger bekannten Themen an, die durchaus edgy sein können. Bereits 2018 beschäftigte sich Wimmer in einem Video mit der Frage, was E-Sport mit Sport zu tun hat. „Endlich mal ein objektiver und sachlicher Beitrag zu eSports. Danke schön, weiter so“ ist nur einer von vielen positiven Kommentaren, die der Beitrag auf YouTube einsammelte.
Marken-Emotionalisierung
Wird die TK künftig auch wieder stärker auf physische Events setzen können, um Gesundheitsthemen in den Vordergrund zu rücken? „Wir hoffen natürlich, dass die Corona-Situation uns das ermöglicht“, sagt Bruno Kollhorst. Schließlich gäbe es keine bessere Form der Marken-Emotionalisierung als ein Live-Event vor Ort. „Man kann viel digital machen, man kann Twitch-Streams veranstalten und Werbung einblenden“, so der Experte. All das erziele auch Wirkung und lasse sich gut messen. „Aber dieses Erlebnis, was ich auf der gamescom oder in einer E-Sport-Arena habe, generiert ein ganz anderes Momentum“, schwärmt Kollhorst. Gerade als nicht-endemische Marke könne man hier sehr gut eine Verbindung zur Community aufbauen.
Keine bessere Form der Marken-Emotionalisierung als ein Live-Event vor Ort
Bei der diesjährigen gamescom am 23. bis 28. August wird die TK übrigens auch wieder dabei sein – und dort unter anderem ihren „Rage Cage“ präsentieren. Der Rage Cage sei aus der Beschäftigung mit dem Phänomen „Rage Quitting“ entstanden, so Kollhorst. „Wir haben gesagt: „Das kann nicht gesund sein – weder im echten Leben noch im Spiel. Lasst die Wut doch ganz bewusst raus.“ In dem Käfig können TeilnehmerInnen mit Schutzanzug und Vorschlaghammer nach Lust und Laune auf alten Routern und Computern herumdreschen – wenn auch nur für 30 Sekunden. Bei der Wüterei wird ihr Stress-Level dokumentiert, anschließend erhalten sie dann ein Anti-Stress-Training mit Tipps für entsprechende TK-Produkte. „Dieses Konzept haben wir zuerst 2019 auf der ESL One in Hamburg getestet – und dann auch auf der Dreamhack 2020“, berichtet Kollhorst. „Das kam unglaublich gut an, viele konnten sich damit identifizieren.“ Videos vom Rage Cage eignen sich übrigens ausgezeichnet als Meme – das zeigte sich unter anderem, als die Rocket Beans ihren Käfigbesuch filmten. „Solch ein positives Feedback geht dann in Richtung Earned Media“, so Kollhorst, „und wird entsprechend häufig in den sozialen Medien geteilt“.
Wie wird es für die TK bei Gaming und E-Sport weitergehen? Momentan stehe man noch in Verhandlungen mit den bisherigen Kooperationspartnern, so Kollhorst. Klar ist allerdings, dass die gamescom dieses Jahr eine große Rolle in puncto Gesundheitsaufklärung spielen wird. Am Rage Cage und auf Social Media will die TK Spielende deshalb – noch intensiver als bisher – mit dem Thema „mentale Stärke“ vertraut machen. (Achim Fehrenbach)