Interview mit E-Sport-Nachwuchstalent Chris Holthaus

Eintracht Frankfurt ist eine Institution des deutschen Fußballs – und seit 2019 auch im E-Sport aktiv. Profi- und Nachwuchsteams von Eintracht Frankfurt eSports treten in den Disziplinen FIFA (Virtual Bundesliga) und League of Legends (Prime League) an. Getreu dem Motto "Von der Breite in die Spitze" verfolgt der Verein dabei eine Breitensport-Strategie: Er fördert ganz gezielt NachwuchsspielerInnen aus der Rhein-Main-Region, um sie an den professionellen E-Sport heranzuführen. Das entspricht übrigens auch der Philosophie des eSport-Bund Deutschland (ESBD), dessen Mitglied Eintracht Frankfurt eSports ist.
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Chris Holthaus

Eintracht Frankfurt eSports lebt die Breitensport-Idee konsequent: Alle Mitglieder können an Trainingseinheiten teilnehmen, auch Casual Gamer werden über Turniere und Community-Events mit einbezogen. Bei den "Scouting Days" schließlich haben Mitglieder die Chance, sich für den Nachwuchs- und Profi-Kader zu qualifizieren. Genau das hat Chris "Chrisio" Holthaus bereits geschafft: Im Nachwuchsteam von Eintracht Frankfurt eSports spielt er League of Legends in der Prime League. Doch wie sieht der Alltag eines aufstrebenden E-Sportlers aus? Darüber haben wir uns mit Chris unterhalten.

IGM: Chris, wie bist du zum E-Sport gekommen – und wie ist dein persönlicher Background?

Chris: Ich bin Christopher, Chris oder auch "Chrisio" – das ist mein Gamertag. Ich bin 18 Jahre alt, komme aus der Nähe von Frankfurt und habe 2020 mein Abitur gemacht. Ich war schon immer eine sehr kompetitive Person – und habe irgendwann mitbekommen, dass Eintracht Frankfurt mit League of Legends in den Breitensport gehen wollte. Da war ich direkt interessiert! Ich interessierte mich auch schon vorher für E-Sport, wusste aber nicht, dass es so etwas auch für Amateure gibt. Bis ich die Annonce der Eintracht gesehen habe. Ich bin dem Verein beigetreten und seitdem bei der Eintracht. Seit Frühling 2020 spiele ich im League-of-Legends-Nachwuchsteam der Eintracht.

IGM: Seit wann spielst du LoL – und auf welcher Position?

Chris: Ich spiele auf der Jungle-Position. Mit LoL begonnen habe ich Anfang 2017, als ich bei einer Familie in Österreich zu Besuch war. Die haben mir LoL gezeigt – und seitdem spiele ich es.

IGM: Worauf kommt es bei der Jungle-Position besonders an?

Chris: Der Jungler hat die strategisch wichtigste Rolle im Spiel. Es kommt nicht ganz so viel auf Fingerfertigkeit und Reaktionsvermögen an, sondern mehr auf Planung und strategisches Denken. Der Jungler beherrscht praktisch das Geschehen auf der gesamten Karte.

IGM: Wie integrierst du E-Sport in deinen Tagesablauf?

Chris: Mein Tagesablauf unterscheidet sich nicht groß von dem anderer Jugendlicher in meinem Alter. Wir haben – wie in anderen Sportarten auch – feste Trainingszeiten. Außerdem haben wir am Wochenende Spieltage. Ich versuche, mich daran anzupassen. Aber wir sind da natürlich ein bisschen flexibler als beispielsweise ein Fußballspieler. Wir versuchen, das Training und den Wettbewerb möglichst gut in den Alltag aller Team-Mitglieder zu integrieren.

IGM: Wie häufig und wie lang trainierst du?

Chris: Grundsätzlich lässt sich zwischen Einzeltraining und Team-Training unterscheiden. Allein kann man jederzeit trainieren, im Team trainieren wir momentan an drei Wochentagen – mit einem Ligaspiel am Wochenende. Das sind immer zwei bis drei Stunden Training, teilweise auch ein bisschen mehr. Wenn wir ein besonders wichtiges Spiel haben – wie jetzt am Wochenende –, dann ist die Woche ein bisschen voller als sonst.

IGM: Wann beginnt das Training an den Trainingstagen?

Chris: Meistens starten wir um 19 Uhr und spielen dann bis 21 oder 22 Uhr – so, dass man den Tag bis dahin für sich haben kann. Dann kommen noch Einzeltrainingseinheiten hinzu, in denen wir individuell trainieren.
    
IGM: Ihr spielt in der Prime League. Wo steht ihr da gerade?

Chris: In der 3. Division – das ist die insgesamt vierthöchste Spielklasse. Es gibt die Pro Div – und dann noch die 1. bis 3. Division. Über das Jahr verteilt gibt es drei Spielzeiten: den Spring Split, den Summer Split und den Winter Split. Diese Saison haben wir auf dem dritten Platz abgeschlossen und knapp die Play-Offs verpasst. Die Konkurrenz um den Aufstieg war jedoch auch groß. Die 3. Division besteht aus 14 Teildivisionen mit jeweils acht Teams.

IGM: In einem anderen Interview hast du gesagt, dass dein Traum ist, irgendwann in der LEC [League of Legends European Championship] zu spielen ...

Chris: Ob das ein realistisches Ziel ist, lässt sich nur schwer beurteilen. Das hängt davon ab, wie ich mich spielerisch in den nächsten Monaten und Jahren weiterentwickle. Ich habe jetzt noch etwas Zeit, bis im Wintersemester mein Studium beginnt – ich werde Wirtschaftsinformatik in Darmstadt studieren. Bis dahin will ich alles geben. Und dann muss ich eben abwägen. E-Sport ist ein relativ gewagter Karriereplan. Deswegen werde ich auch nicht alles darauf setzen, zumindest nicht in der jetzigen Situation. Es ist einfach noch nicht wirklich absehbar, dass daraus etwas wird, von dem ich auch leben kann. Die Chance ist da und es macht mir natürlich auch Spaß – deswegen werde ich das weiterhin nebenbei machen. Wenn sich da etwas ergibt, kann ich auch mehr investieren. Die Leute von der Eintracht sagen uns auch klar und deutlich, dass es immer wichtig ist, eine gesunde Ausgangslage zu haben, die nicht nur auf dem E-Sport fußt. Nur sehr wenige Spieler schaffen den Sprung in die Top-Ligen, wo man richtig viel Geld verdienen kann. Deshalb ist der Eintracht auch wichtig, dass wir Schule und Ausbildung ernst nehmen.
 

Ich interessiere mich auch noch für andere Dinge als E-Sport

IGM: Wie wichtig ist für dich der Ausgleich zum E-Sport?

Chris: Früher habe ich Basketball im Verein gespielt, musste dann aber wegen gesundheitlicher Probleme damit aufhören. Aber ich achte immer noch darauf, regelmäßig Sport zu treiben. Vielleicht ein bisschen zu wenig (lacht). Ich interessiere mich auch noch für andere Dinge als E-Sport – ich habe also in meiner Freizeit genügend Ausgleich. Die Gefahr eines Burnouts sehe ich also nicht.

IGM: Wie hat sich euer Training durch die Pandemie verändert?

Chris: Wir haben unseren Trainingsraum am Riederwald, im Leistungszentrum der Eintracht. Vor der Pandemie haben wir abwechselnd on- und offline trainiert. Das Offline-Training gefällt mir am besten, weil man dabei die Leute aus dem Team besser kennenlernt. Vor der Pandemie haben wir uns auch viel privat getroffen und sind Freunde geworden. Leider sind diese Treffen wegen Corona nicht mehr so häufig. Im Rahmen des Vereins treffen wir uns leider momentan nur ganz selten. Zum Beispiel bei einem Media Day, bei dem Spielerfotos gemacht werden.

IGM: Wie fühlt es sich an, Teil des Traditionsvereins Eintracht Frankfurt zu sein? Motiviert dich das zusätzlich?

Chris: Das ist schon sehr schön, Teil des Vereins zu sein. Wie man unschwer erkennt, bin ich auch Eintracht-Fan. (Zeigt lachend auf ein Kissen mit Eintracht-Wappen im Hintergrund.) Die Mitgliedschaft hilft mir persönlich sehr viel – und es fühlt sich einfach professioneller an als das, was ich davor erlebt habe. Die Eintracht bietet uns viele Möglichkeiten, uns zu verbessern. Wir haben auch schon viele Fortbildungen zum Thema "Gesundheit" gehabt. Zum Beispiel einen Vortrag darüber, wie schädlich zu langes Sitzen sein kann. So etwas hilft einfach dabei, dass man sich körperlich und mental nicht kaputtmacht.

IGM: Unterstützt dich der Verein auch finanziell?

Chris: Als Nachwuchsspieler erhalten wir keine finanzielle Unterstützung. Dafür werden wir jedoch bei der Entwicklung unserer sportlichen Karriere im und außerhalb des Spiels unterstützt. Beispielsweise hilft mir die Eintracht beim Aufbau meiner Marke auf Social Media. Auch dieses Interview hier bringt mich ja weiter. Generell erhalten wir viel Unterstützung, in die E-Sport-Szene reinzukommen. Gerade erst heute [21. Juli] hatten wir ein Show-Match gegen ein bekanntes Streamer-Team aus Deutschland. Gegen die konnten wir live auf Twitch spielen. Das ist schon schön, so etwas ermöglicht zu bekommen.

IGM: Du bist ja auf Twitter, Twitch und Instagram unterwegs. Solche Show-Matches bringen dir wahrscheinlich neue Follower ...

Chris: Klar. Wenn man in solchen Matches besonders gut spielt, kann das einem schon weiterhelfen. Man bekommt auf Social Media einfach mehr Aufmerksamkeit und erhöht seine Reichweite.

IGM: Wie unterstützt dich Eintracht Frankfurt im Umgang mit Social Media?

Chris: Die Eintracht unterstützt mich da bei der Social Media Arbeit sehr. Ich hatte jetzt schon meine ersten Interviews, die auch professionell aufgezogen wurden – da konnte ich Erfahrungen sammeln. Die Interviews wurden auch auf Instagram und Twitter veröffentlicht. Gerade im E-Sport ist Social Media sehr wichtig. Teilweise ist es im E-Sport sogar wichtiger, eine gute Social-Media-Präsenz zu haben, als wirklich gut zu spielen. Ok, ganz so extrem ist es vielleicht nicht. Aber Leute mit mehr Reichweite bekommen schon häufiger die Chance, entdeckt zu werden.

IGM: Was kannst du von den E-Sport-Profis bei der Eintracht lernen?

Chris: Wir haben die Möglichkeit, an Trainingseinheiten teilzunehmen – und auch zuzuschauen, wenn das Profi-Team trainiert. Da können wir uns einiges abschauen. Gerade Kommunikation ist im E-Sport sehr wichtig – da kann man sehr viel mitnehmen. Grundsätzlich ist es ein großer Vorteil, feste Teams, Spieler und Trainer zu haben. Bei Fragen hat man dann auch mehrere Anlaufstellen. Das kann eine sehr große Hilfe sein.

Gerade Kommunikation ist im E-Sport sehr wichtig

 

IGM: Wie gehst du mit Kritik auf Social Media um? Da herrscht ja nicht immer nur "Friede, Freude, Eierkuchen" ...

Chris: Auf Instagram bin ich nicht so aktiv. Ich hatte noch nie großes Interesse daran, Bilder von mir hochzuladen – da muss man auch ein bisschen seine Grenzen überwinden. Zum Glück hatte ich noch nie wirklich eine Situation, in der ich auf Social Media angegriffen wurde. Wenn das passieren würde, könnte ich mich aber an meinen Verein wenden. Dieses Jahr hat die Eintracht zusammen mit hassmelden.de eine Kampagne gestartet, um auf das Thema aufmerksam zu machen. Im E-Sport sind Hassrede und Beleidigungen durchaus ein Problem. Die Eintracht legt Wert darauf, dass wir uns selbst vorbildlich verhalten – und hilft uns, falls wir angegriffen werden. Wir müssen uns ja nicht alles gefallen lassen – nur weil wir einen gewissen Bekanntheitsgrad haben.

IGM: Wie wichtig sind Sponsorenverträge für deine E-Sport-Karriere – falls du diesen Weg gehst?

Chris: Natürlich war ich schon in gesponserten Werbeclips der Eintracht zu sehen. Aber persönlich hatte ich noch keinen Kontakt zu Sponsoren. Wenn man E-Sport in Vollzeit betreiben möchte, sind Sponsoren auf jeden Fall wichtig. Denn wenn man nicht wirklich an der Spitze mitspielt, sind die Gehälter noch nicht hoch genug, um wirklich davon leben zu können. Man kann E-Sport auch nicht ewig betreiben – irgendwann ist man einfach zu alt oder nicht mehr gut genug. Deshalb muss es einen finanziellen Ausgleich geben.

IGM: Von E-SportlerInnen wird heutzutage erwartet, dass sie Vorbilder sind – zum Beispiel für ihre Fans. Wie siehst du das? Willst du das überhaupt sein?

Chris: Jede Person des öffentlichen Lebens sollte ein Vorbild sein. Natürlich geht damit sehr viel Verantwortung einher, aber so lange ich andere Menschen positiv beeinflussen kann und ihnen in ihren Entscheidungen weiterhelfen kann, bin ich gerne ein Vorbild. (Achim Fehrenbach)

IGM 10/21
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