Verbindendes Element: Gemeinnütziger E-Sport: Zwei Beispiele

Seit Jahren engagieren sich Verbände und Vereine dafür, die Gemein­nützigkeit von E-Sport gesetzlich zu verankern. Ein solcher Status hätte handfeste Vorteile für die vielen Projekte, die hierzulande bereits existieren oder noch in Planung sind. Dass die politischen Mühlen in dieser Sache langsam mahlen, hat verschiedene Gründe – unter anderem den, dass es immer noch Vorbehalte hinsichtlich der Sozialverträg­lichkeit gibt. Dabei beweisen schon heute etliche Initiativen, dass E-Sport und Gaming der Gemeinschaft nützen können – vorausgesetzt, sie werden intelligent in die Vereins- und Jugendarbeit eingebettet. IGM hat sich zwei Initiativen genauer angeschaut.
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© 9dreamstudio / stock.adobe.com
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Irgendwann, vor langer, langer Zeit – da galt Gaming noch als asozialer Zeitvertreib. Als etwas, das man in schlecht beleuchteten Hobbykellern tat, Chips essend, Überzuckertes trinkend, vollkommen abgeschnitten von der Gesellschaft. Diese Zeiten (bzw. Klischees) sind zum Glück längst vorbei. Heute spielt so ziemlich jeder, und es ist überdeutlich, dass Gaming Menschen verbindet, anstatt sie zu trennen. Das gilt natürlich erst recht für E-Sport: Eine Tätigkeit, die per definitionem in der Gruppe stattfindet – und in den meisten Fällen auch vor Publikum. Um E-Sport noch stärker in der Gesellschaft zu verankern, müsste er allerdings als regulärer Sport anerkannt werden – denn nur dann profitieren Vereine und Initiativen auch vom Status der „Gemeinnützigkeit“. Der eSport-Bund Deutschland (ESBD) setzt sich seit seiner Gründung im Jahr 2017 für genau dieses Ziel ein. Doch leider ließ die GroKo der angekündigten Unterstützung keine Taten folgen – und so muss der ESBD weiter dicke politische Bretter bohren.

Positiver Beitrag
Dass E-Sport gemeinnützige Wirkung entfalten kann, ist mittlerweile offensichtlich. Immer mehr Projekte beweisen, dass sie einen positiven Beitrag zur Gesellschaft leisten können – sei es nun durch Inklusion, Integration oder die Fähigkeit, Menschen in schwierigen Corona-Zeiten miteinander zu verbinden. Wie lautet doch gleich die Definition von „Gemeinnützigkeit“ aus Paragraph 52 Abs. 1 der deutschen Abgabenordnung? „Eine Körperschaft verfolgt gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern.“ Im vorliegenden Artikel stellt IGM mehrere Projekte vor, die genau diese Merkmale aufweisen – und damit auch eine Vorbildfunktion für ähnliche Initiativen haben.

 

Steht explizit im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition

 

Zunächst aber soll kurz erläutert werden, was dieser Status überhaupt für Vorteile bringt. „Die Folgen einer Zuerkennung der Gemeinnützigkeit im sportlichen Bereich sind für die Vereine im eSport massiv“, heißt es auf der Website des ESBD. „Deutliche Entlastung der buchhalterischen Tätigkeiten, Attraktivität für Mitglieder und Kooperationen mit Partnern durch die Spendenfähigkeit, Zugriff auf kommunale Räume, nationale, europäische und internationale Projekt- und Austauscharbeit, Ehrenamtspauschale für die Menschen, die sich Woche um Woche engagiert in Training und Organisation einsetzen, … – die Liste ist lang.“ Der Status der Gemeinnützigkeit würde E-Sport-Vereine unterstützen – und Breitensportvereine motivieren, eigene E-Sport-Abteilungen zu schaffen; ganz zu schweigen von den vielen anderen Projekten, die von Jugendclubs, Stadtteilzentren und sozialen Einrichtungen initiiert werden. Doch wie ist eigentlich der aktuelle Stand der politischen Bemühungen? Das wollen wir von Martin Müller wissen, dem Vizepräsident des ESBD. Müller ist zuversichtlich, dass es in der Sache weiter vorangeht: „Die Anerkennung der Gemeinnützigkeit für den E-Sport steht explizit im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition“, berichtet er. „Auch die kürzlich gewählten schwarz-grünen Landesregierungen in NRW und Schleswig-Holstein wollen die Gemeinnützigkeit für den E-Sport.“ Dass ehrenamtlich aufgestellter E-Sport offiziell gemeinnützig werden solle, sei politischer Konsens, betont Müller. Die Diskussion darüber, wie das konkret umgesetzt werden könne, sei derweil in vollem Gang. „Sowohl die Bundestagsabgeordneten aus der Parlamentsgruppe ‚E-Sport und Gaming‘ als auch die zuständigen Bundesministerien für Wirtschaft und Finanzen befinden sich hier im engen Austausch“, sagt Müller. Wichtig sei auch, dass Gemeinnützigkeit allen Vereinen mit E-Sport-Bezug zugute komme – ganz unabhängig vom Spieltitel oder Genre.

Sozialer Austausch
Martin Müller fasst zusammen, welche gemeinnützige Wirkung E-Sport im Verein entfalten kann: „Insbesondere junge Menschen kommen dort zusammen, um sich im sportlichen Wettbewerb miteinander und gegeneinander in verschiedenen E-Sport-Titeln zu messen“, so der ESBD-Vize. „Darüber hinaus ist der Verein ein Ort des sozialen Austauschs – sowohl offline wie online.“ E-Sport vermittle nicht nur sportliche Werte wie Fair Play und Respekt, sondern auch technische und digitale Kompetenzen. Außerdem stärke er das demokratische Vereinswesen: „So wachsen Verständnis und Akzeptanz für den demokratisch verfassten Staat.“

Wie aber sieht die gemeinnützige Arbeit mit E-Sport konkret aus? Um das herauszufinden, haben wir uns zwei Initiativen genauer angeschaut. Eine davon: „Handball meets E-Sport“ aus dem Ruhrgebiet. Mitte Mai fiel beim DSC Wanne-Eickel Handball e.V. der Startschuss für das Projekt, das E-Sport im Vereinsleben etablieren soll. In der eigens eingerichteten Sporthalle Eickel präsentierte der DSC sein Konzept der Öffentlichkeit – mit dabei waren nicht nur viele E-Sport-Interessierte, sondern auch OB Frank Dudda und Unterstützer wie die Techniker Krankenkasse. BesucherInnen konnten zum Start in Titel wie Fifa, Rocket League und Clash Royal hineinschnuppern – und sich über das geplante E-Sport-Programm informieren. Mit dem Thema beschäftigt hatte sich der Verein schon seit mehreren Jahren – für „Handball meets E-Sport“ holte er auch die Offene Jugendarbeit der Stadt Herne sowie mehrere TherapeutInnen und PädagogInnen an Bord.

Nachwuchs für Sportvereine
Mike Lautenschläger ist einer der Initiatoren des Projekts. Der stellvertretende Vereinsvorsitzende hat eine klare Vorstellung davon, was E-Sport beim DSC bewirken kann: „Es geht zum einen darum, junge Menschen aus der Isolation zu bewegen und in vorhandene Strukturen des traditio­nellen Sports zu integrieren“, so Lautenschläger. „Zum anderen wird so das Nachwuchs­­problem des Sportvereins gelöst – und im Weiteren auch das Ehrenamtsproblem.“ Man wolle einen Ort bieten, an dem Jugendliche gesundes und sicheres Verhalten im digitalen Raum lernen können, so der Koordinator. Die Schule könne das bis dato noch nicht leisten, auch die Elternhäuser seien mit der Aufgabe in der Regel überfordert. „E-Sport besitzt dabei das Potenzial, eine große Zielgruppe anzusprechen“, betont Lautenschläger. Im Sportverein lasse sich das gut mit körperlicher Ertüchtigung verbinden – und schaffe auch „Motivation durch leistungsorientiertes Arbeiten“. Konkret hat der DSC neben der Sporthalle Eickel ein E-Sport-Zentrum namens „Chat­room“ eingerichtet, dass immer donnerstags zwischen 16 und 18 Uhr, aber auch häufig an anderen Wochentagen besetzt ist. Interessierte können dort einfach vorbeischauen und mitspielen – eine Vereinsmitgliedschaft ist zunächst nicht erforderlich. Um strukturiertes, systematisiertes Training zu ermöglichen, hat der Verein bereits mehrere Fortbildungsseminare für TrainerInnen veranstaltet – beispielsweise zu League of Legends. Organisiert werden die Seminare von der Sportjugend NRW und von eSports Cologne. Und auch ins Wettkampfgeschehen will der DSC baldmöglichst einsteigen – für den ESBD-Vereinspokal 2022/23 sind bereits Teams in Fifa, Rocket League und LoL gemeldet.

Um seine E-Sport-Ziele zu verwirklichen, muss der Verein jedoch noch einige Hürden nehmen. „Die größte Herausforderung ist generell die Komplexität des Themas“, sagt Lautenschläger. In dem Projekt gehe es nicht nur um Spielen, Sport, Gesundheit, Bildung, und Ausbildung, sondern auch um Prävention – etwa bei toxischem Verhalten und Kriminalität. Der Verein könne hier bestenfalls als wichtige Schaltstelle fungieren, so Lautenschläger: „Hierfür bringt er allerdings optimale Bedingungen mit.“ Als vergleichsweise kleine Herausforderungen sieht er die Organisation von Ausrüstung, qualifiziertem Personal, geeigneten Räumlichkeiten und einer schnellen Internetanbindung. Die nächste Etappe sei, geeignete Wettbewerbsformen zu entwickeln – vor allem auf Verbandsebene. „Das ist der – für uns – letzte elementare Baustein, der zum Erfolg notwendig ist“, betont Lautenschläger. „Nur wenn auch der Spielbetrieb eine Verwandtschaft bekommt – etwa zum Fußball- oder Handballgeschehen –, und den bekannten ‚sportlichen‘ Vergleich verspricht, ist die Akzeptanz als Alternativsport zu erwarten.“

Der letzte elementare Baustein, der zum Erfolg notwendig ist
 

Vorzeigeprojekt in Düsseldorf
Ein weiteres Leuchtturmprojekt mit gemeinnütziger Grundorientierung gibt es in Düsseldorf. Das „GG E-Sport und Gaming Jugendzentrum“ wurde im Januar 2020 eröffnet: In der Düsseldorfer Altstadt finden Jugendliche und junge Erwachsene eine Anlaufstelle für breit gefächerte Aktivitäten. Das GG wird vom Evangelischen Kirchenkreis Düsseldorf finanziert, wird aber auch von der Stadt Düsseldorf unterstützt; die Räumlichkeiten in der Akademiestr. 5 sind angemietet. „Mit dem Projekt möchten wir der Lebenswelt von Jugendlichen einen zusätzlichen Raum bieten – und damit auch die offene Kinder- und Jugendarbeit erweitern“, sagt Sarah Fey, die das Projekt gemeinsam mit Ben Schneider hauptamtlich koordiniert. „Die Hypothese dahinter ist: Man kann mit einem Konzept, das auf Gaming und E-Sport aufbaut, eine neue Zielgruppe erreichen“, erläutert Fey. „Man kann damit Jugendliche erreichen, die sonst gar nicht von Jugendzentren angesprochen werden.“ Anfangs war das GG noch ein Pop-up-Projekt, inzwischen aber hat es sich zu einer gemeinnützigen Einrichtung gemausert. Das Angebot ist kostenlos, nicht gewinnorientiert und wird von derzeit acht ehrenamtlichen MitarbeiterInnen gestemmt – wobei auch immer wieder PraktikantInnen zum Team stoßen.

„In den ersten sechs Wochen der Öffnung haben wir das Projekt evaluiert“, erzählt Sarah Fey. „Tatsächlich waren rund 70 Prozent der BesucherInnen vorher noch nie in einem Jugendzentrum gewesen.“ Das GG erstreckt sich über immerhin drei Etagen: Im Erdgeschoss befinden sich Empfangstheke, Küche und insgesamt acht Gaming-PCs. Auf der Zwischenebene stehen – je nach Bedarf – fünf weitere PCs in abgetrennten USK-16- und USK-18-Bereichen. Im Obergeschoss schließlich stehen mehrere PlayStation, Switch und VR-Brillen zur Verfügung. „Tagsüber haben wir eher die 13- bis 14-jährigen, meist männlichen Besucher“, berichtet Fey. „Die spielen beispielsweise Fortnite.“ Abends kämen vor allem ältere Jugendliche vorbei, das Geschlechterverhältnis sei dann auch ausgewogener, gespielt würden dann eher LoL und Overwatch. Das GG bietet BesucherInnen ein wechselndes Programm, das unter anderem auf dem Instagram-Account veröffentlicht wird. Auf dem Programm stehen gesundes Kochen für GamerInnen, Pen-and-Paper-Runden, Cosplay-Wettbewerbe und Aktivitäten im Freien, etwa Parkour oder Bogenschießen; dazu kommen Ferienangebote rund um Düsseldorf. Selbst die Corona-Lockdowns konnte das GG gut kompensieren. „Auf Twitch hatten wir Mitmach-Streams zu Spielen wie LoL oder Fortnite“, erzählt Fey. Auf Discord haben wir Gaming-Runden veranstaltet.“

Jugendschutz gilt
Das GG hält sich an geltende Jugendschutzregeln. „Wir haben für unser Spieleangebot die Grenze zwischen Gewaltdarstellung und Gewaltverherrlichung gezogen“, sagt Fey. „Wir bieten keine Spiele an, die Brutalität besonders belohnen – zum Beispiel durch Finisher Moves.“ Einen Titel wie CS:GO könne man vor Ort also durchaus spielen – das passende Alter vorausgesetzt. Mit seiner Jugendschutzpolitik stoße das Zentrum auf breites Verständnis: „Es gab hier noch niemanden, der das nicht verstehen konnte, wenn wir es erklärt haben.“ Zur öffentlichen Akzeptanz trägt auch bei, dass das GG regelmäßig Fortbildungen und Elternabende veranstaltet – Kooperationspartner ist hier der Spieleratgeber NRW der Fachstelle für Jugend- und Medienkultur. Der Spieleratgeber ist auch am E-Sport-Angebot des GG beteiligt. „Jeden Mittwoch kommt ein Medienpädagoge vorbei und veranstaltet ein E-Sport-Training“, erzählt Fey. „Gemeinsam mit den Jugendlichen trainiert er verschiedene E-Sport-Titel – in Bezug auf Kommunikation, Teamplay, Strategie und so weiter.“ Darüber hinaus veranstaltet das GG regelmäßig eine „Saturday League“, bei der sich E-Sport-Fans in LoL oder CS:GO messen können. Ein hauseigenes E-Sport-Team hat das GG ebenfalls: Es wird mit Training unterstützt, ist jedoch nicht auf kommerzielle Erfolge ausgerichtet.

Jeden Mittwoch kommt ein Medienpädagoge vorbei
 

Sarah Fey ist von dem Projekt begeistert. „Die Jugendlichen, die zu uns kommen, spielen gemeinsam“, schwärmt sie. „Games können ein sehr gutes Medium sein, um Beziehungen zu knüpfen, um am sozialen Leben teilzuhaben.“ Nur leider werde das von manchen Leuten noch nicht erkannt. Als gemeinnütziges Leuchtturmprojekt kann das GG aber dazu beitragen, die Akzeptanz für ähnliche Initiativen zu erhöhen – und davon gibt es in Deutschland immer mehr. In IGM 06/2022 haben wir beispielsweise das „Landeszentrum für eSport und Digitalisierung Schleswig-Holstein“ in Kiel vorgestellt. Das LEZ SH richtet sich zum einen an Organisationen, Unternehmen und Sportvereine, die in Sachen E-Sport aktiv werden wollen –  zum anderen bietet es Fläche, Trainerausbildung und Beratung für SpielerInnen, Eltern und PädagogInnen. Seine Gemeinwohlorientierung stellt das Zentrum unter anderem bei einer Kooperation mit der Helen-Keller-Schule im Ostseebad Damp unter Beweis – dort befindet sich das Landesförderzentrum körperliche und motorische Entwicklung. Lobenswerte Initiativen sind auch ein Geflüchteten-Projekt mit dem freien Bildungsträger isfa in Kiel sowie ein Austauschprogramm für deutsche und dänische E-Sport-Fans.

Man könnte an dieser Stelle noch viele weitere E-Sport-Projekte mit Gemeinwohlorientierung vorstellen – ihre Zahl wächst erfreulicherweise stetig. Entscheidend ist nun, dass die Politik die Chance ergreift – und E-Sport die Gemeinnützigkeit zuerkennt. Mike Lautenschläger vom DSC Wanne-Eickel ist jedenfalls überzeugt: „Das würde der Entwicklung deutlichen Schwung verleihen.“ (Achim Fehrenbach)

IGM 10/22
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