Boni über Boni: Gamepreorders.com ist ein Schlaraffenland für FrühbestellerInnen. Die Website tut nichts anderes, als Pre-order-Belohnungen bevorstehender Games aufzulisten. Und das sind jede Menge: Wer etwa Marvel's Avengers vorbestellt, erhält dazu nicht nur eine hochexklusive "Marvel Legacy Nameplate", sondern auch ein "Marvel Legacy Outfit Pack", das diverse Exklusiv-Skins für die SuperheldInnen des Square-Enix-Titels (VÖ 4.9.) umfasst. Im Anschluss listet die us-amerikanische Website auf, welche Pre-order-Boni bei bestimmten Retailern winken: Bei Best Buy sind es ein Steelbook Case mit Artwork sowie eine 10-Dollar-Mitgliedsgutschrift, bei Walmart ein "iconic patch set", bei GameStop ein "limited edition pin set" und bei Amazon eine digitale Kopie des ersten Prequel-Comics. So weit, so unübersichtlich. Oder sagen wir doch lieber: so exklusiv.
Frühes Konzept
Das Konzept der Vorbestellung stammt aus den Frühzeiten der Games-Industrie. In den achtziger und neunziger Jahren waren die durchweg physischen Spiele häufig vergriffen, weil sich Publisher bei der Nachfrage verkalkuliert hatten. Gamer bestellten Games nicht etwa wegen irgendwelcher (nicht existierender) Boni, sondern weil sie erwarten mussten, dass das Game am Launch Day tatsächlich vergriffen war. Heute verkauft die Industrie ihren KundInnen das Ganze als rundum logischen Deal ("Du bestellst früh, wir belohnen dich dafür!"). Gleichwohl werden Vorbestelloptionen von Gamern durchaus kritisch beurteilt – bis hin zum waschechten Boykottaufruf ("Kauft keine Pre-order-Games!"). Schaut man sich die verwirrend große Zahl an Boni und Exklusivinhalten an, die sich auf Seiten wie gamepreorders.com tummelt, dann bekommt man eine Ahnung, womit das zusammenhängen könnte: Marktschreierei und kognitive Überlastung. Wo also verläuft der schmale Grat zwischen sinnvoller Kundenbelohnung und unnötigem Boni-Bombardement? Um das auszuloten, haben wir uns mit verschiedenen Branchen-Akteuren unterhalten.
Es sollte zu jedem Zeitpunkt klar sein, wo die passende Fassung eines Spiels vorbestellbar ist
Joachim Hesse ist Chefredakteur von Gronkh – und ein Urgestein des deutschen Spielejournalismus. Für ihn ist die Kritik vieler Consumer absolut nachvollziehbar. "Vorbestellungen geben Herstellern Planungssicherheit. Das verstehe ich", sagt Hesse. "Es wäre vieles möglich, um das für alle Seiten zu einem zufriedenstellenden Modell zu machen. Leider bergen Vorbestellungen momentan für den potenziellen Kunden eher Nachteile. Er kauft die Katze im Sack und gibt den Herstellern einen Vertrauensvorschuss, den diese in der Vergangenheit bereits einige Male enttäuscht haben." Das Problem: Im Moment, in dem der Consumer zahlt, weiß er noch nicht, ob ihn der Inhalt am Ende auch wirklich überzeugt. Das mache die Sache für kommende Spiele eher schwerer als leichter, betont Hesse: "Der Kredit für die Hersteller braucht sich langsam auf, das Vertrauen sinkt." Als Publisher müsse man schon sehr genau darauf achten, die VorbestellerInnen auch bevorzugt zu behandeln – immerhin seien das die treuesten KundInnen. "Mich beschleicht bei Vorbestellungen hingegen mitunter das Gefühl, dass nach Bezahlung das Motto ‚Aus den Augen, aus dem Sinn' greift", kritisiert Hesse. "Etwa dann, wenn Spiele günstiger sind oder früher im Laden stehen als sie bei Vorbestellern ankommen. So etwas geht aus meiner Sicht gar nicht." Für "Verbraucheranwalt" Hesse sind Vorbestellungen nur dann empfehlenswert, wenn die Zahlung erst bei Lieferung fällig wird und wenn der Auftrag bis dahin noch kostenfrei storniert werden darf: "Das beißt sich natürlich mit den Interessen der Hersteller."
Überblick gefragt
Aber es gilt noch weitere Dinge zu beachten. "Generell sind Vorbesteller-Boni nett, solange der potenzielle Käufer den Überblick behält", urteilt Hesse. Seiten wie eben gamepreorders.com tun ihr Bestes, um Licht in den Boni-Dschungel zu bringen. Wer sich die Infos aber mühsam aus dem Netz zusammenklauben oder bei Retailern erfragen muss, fühlt sich womöglich überfordert – und das kann marketing-seitig dann nach hinten losgehen. "Sobald Kunden den Überblick über die Vorbesteller-Editionen eines Spiels verlieren, sinkt das generelle Interesse", konstatiert Hesse. "Wenn nicht sofort, dann bei künftigen Spielen des Herstellers. Es sollte zu jedem Zeitpunkt klar sein, wo die passende Fassung eines Spiels vorbestellbar ist." Die Hersteller müssten deshalb eine transparente Informationspolitik fahren: "Scheinbar kurzfristig aus dem Nichts kommende Aktionen wie ‚Bestelle hier und bekomme noch dies und das dazu' schaden der Marke."
Vorbestellungen gewinnen immer mehr an Bedeutung
Auch die heute gängige Retailer-Exklusivität sieht der Spielejournalist kritisch – besonders dann, wenn sie den stationären Handel ausschließen. "Vorbesteller-Boni dürfen die Standard-KäuferIn nicht benachteiligen", fordert Hesse. "Das bedeutet, dass digital nur kosmetische Inhalte zusätzlich angeboten werden dürfen. Die sollten dann allerdings auch wirklich mal exklusiv und lukrativ sein und nicht überall auftauchen." Allerdings könnte auch der stationäre Handel mit ganz speziellen Dreingaben gegenüber Online punkten, so Hesse: "Bei physischen Exemplaren fände ich beispielsweise eine Urkunde nett, mit der das Entwickler-Team für die Vorbestellung dankt. Auch hier gilt: Exklusives macht den Reiz aus, es muss nicht teuer sein."
Umfangreicher Denkanstoß
Nun, das ist eine ganze Menge Holz. Oder sagen wir: Ein umfangreicher Denkanstoß für Hersteller und Handel. Aber wie sehen stationäre Retailer eigentlich das Pre-order-Geschäft? Was läuft gut, was könnte besser gemacht werden? Wir haben zunächst bei MediaMarktSaturn angefragt, welche Bedeutung Pre-order-Games ganz generell für den Elektronikhändler haben. "Vorbestellungen gewinnen immer mehr an Bedeutung, insbesondere AAA-Titel wie Fifa oder Titel mit einer Core-Gaming-Zielgruppe", so die Unternehmenssprecherin. "Sobald ein Titel offiziell angekündigt wurde, besteht zeitnah die Möglichkeit, ihn online oder im Markt vorzubestellen – sehr häufig mit speziellen digitalen Vorbestellboni." Die Kunden würden dabei von einer "Vorbestelltiefpreisgarantie" (schönes Wort) profitieren: Ändert sich der Preis innerhalb des Vorbestellzeitraums zwischen Bestelldatum und Produkt-Erscheinungsdatum, gilt jeweils der günstigere Preis.
In der Kommunikation gegenüber den KundInnen nutzt MediaMarktSaturn einen "breit gefächerten Marketing-Mix aus internen und externen Maßnahmen", so die Sprecherin. "In unseren Online-Shops bilden wir Vorbestelltitel in eigenen Shop-Kategorien ab. Bei der Vermarktung synchronisieren wir uns im Idealfall mit der Marketing-Planung des Herstellers." Passende Zielgruppen spricht MediaMarktSaturn über seine Newsletter an – dabei lassen sich gezielt KäuferInnen von Vorgängertiteln oder ähnlichen Titeln adressieren. "Hersteller binden uns zudem oft mit Verlinkungen in ihre Marketing-Kampagnen ein, insbesondere wenn wir exklusive Vorbestellboni anbieten", erläutert die Unternehmenssprecherin. Darüber hinaus informiert der Konzern die Consumer über seine hauseigenen Plattformen, etwa das Saturn-Kundenmagazin Turn On und das Content-Portal GameZ.de von MediaMarkt. In seinen Flyern (siehe Abbildung) listen die beiden Konzerntöchter sämtliche Pre-order-Möglichkeiten der kommenden Monate auf. Über die Boni-Details muss man sich dann allerdings direkt auf der Website erkundigen. (Die Flyer wären wohl sonst fliegende Bücher.)
AAA-Unterschiede
Doch was sind denn nun Boni, die man exklusiv bei MediaMarktSaturn erhält? "Zum Sony-Titel Ghost of Tsushima hatten wir beispielsweise einen hochwertigen Pop Socket im Branding des Spiels", erläutert die Konzernsprecherin. Ghost of Tsushima ist ein Titel, der generell stark vorbestellt wurde – das bestätigt uns Stefan Kimmlingen, Inhaber von SK GameNatiX in Trier. Ein Titel wie Cyberpunk 2077 sei hingegen im Pre-Order noch nicht so stark. "Ich denke, das wird zunehmen, je näher der Release rückt", sagt Kimmlingen. "Einige KundInnen sind möglicherweise auch verunsichert, weil das Spiel schon mehrfach verschoben wurde." Grundsätzlich gehe es bei AAA-Titeln mit den Vorbestellungen los, sobald ein Titel angekündigt werde. "Bei TLoU2 gab es schon direkt zur Ankündigung total viele Vorbestellungen", berichtet der Händler. Bei neuen IPs hingegen seien die Vorbestellzahlen "recht moderat", wie Kimmlingen es ausdrückt: "Die Leute schauen sich an, was das überhaupt ist. Die Vorbestellungen nehmen zu, sobald mehr über den Titel bekannt wird – und je näher der Release rückt."
SK GameNatiX kündigt einen Titel über seine Social-Media-Kanäle an, sobald er gelistet wird – sobald Kimmlingen also vom Großhandel Infos erhält. "Natürlich machen wir das nicht bei jedem neuen Titel so – sondern nur dann, wenn wir davon ausgehen, dass er auch viele Vorbestellungen generiert", sagt Kimmlingen. "Das beruht auf Erfahrung und Fingerspitzengefühl. Man weiß schon, was man bewerben muss – und was nicht." Sobald der Händler das Spiel ankündigt, trudeln auch schon die ersten Vorbestellungen ein – entweder telefonisch oder direkt über den Web-Shop. Hin und wieder erlaubt SK GameNatiX Vorbestellungen auch schon vor der Listung. "Dann müssen wir die Spiele ohne Cover, ohne Erscheinungstermin und ohne festen Preis zur Vorbestellung freigeben", erklärt Kimmlingen. "Darauf weisen wir dann natürlich im Web-Shop hin. Das betrifft aber hauptsächlich unsere Abholer-KundInnen. Die Versand-KundInnen bestellen in der Regel erst dann, wenn der Preis bekannt ist." Mit Stornierungen hat der Trierer Spieleladen indes kaum zu kämpfen. "Unsere KundInnnen sind schon sehr treu", freut sich Kimmlingen. "Wenn sie bei uns vorbestellen, bleiben sie auch dabei."
Geheimformel
Für Kimmlingen liegen die Vorteile des Pre-orderns auf der Hand. "Wir brauchen die Vorbestellungen, um unsere Bestellmengen abschätzen zu können", sagt er. "Wir wollen unsere KundInnnen hundertprozentig bedienen können – sowohl die VorbestellerInnen als auch die SpontankäuferInnen und LadenkundInnen, die in den Tagen nach der Lieferung zu uns kommen." Zur Berechnung der Bestellmenge aus den Vorbestellungen hat Kimmlingen eine Formel entwickelt – die er aber natürlich nicht verraten möchte: "Das beruht auf 21 Jahren Erfahrung im Business. Ich weiß: Wenn ich soundsoviele Vorbestellungen habe, brauche ich ungefähr soundsoviele Exemplare des Spiels." Den Vorwurf mancher Consumer, mit Vorbestellungen werde doch nur eine künstliche Nachfrage erzeugt, lässt Kimmlingen so nicht gelten: "Es gibt durchaus Titel, die knapp sein können, zum Beispiel Final Fantasy VII Remake oder Animal Crossing: New Horizons. Das sind natürlich Titel, die während der Pandemie erschienen. Dennoch kommt es immer wieder vor, dass Titel nicht gut ausgeliefert werden." Für seine KundInnen sei einfach wichtig zu wissen, dass das Spiel am Tag X vorrätig ist. "Wir bieten ihnen einen Benachrichtigungs-Service per SMS und E-Mail", so Kimmlingen. "Das ist eine Komfortfunktion, die wir schon seit ewigen Zeiten anbieten. Und das trägt natürlich zur Kundenbindung bei."
Vorbesteller-Boni hält Kimmlingen nicht für "super wichtig". Zu vernachlässigen seien sie die Belohnungen allerdings auch nicht: "Wenn es Vorbesteller-Boni gibt, dann fragen die KundInnen auch danach", berichtet er. "Wir geben sie den KundInnen auch mit, so lange wir sie bekommen." Kimmlingen findet es schade, dass es manche Boni nur für bestimmte Händler gibt: "Das ist ein bisschen ungerecht, das muss nicht sein." Außerdem seien unterschiedliche Vorbestellversionen gegenüber KundInnen gelegentlich schwer zu kommunizieren. "EA gibt uns von Fifa nur zwei Versionen, aber Amazon erhält drei Versionen", so Kimmlingen. Das ist für uns natürlich extrem beratungsintensiv." Die meisten KundInnen wollten erfahrungsgemäß die umfangreichste Fifa-Version. "Und die gibt es bei uns nicht. Das ist natürlich schon doof."
Wir wollen unsere KundInnnen hundertprozentig bedienen können
Grundsätzlich hält Kimmlingen Vorbesteller-Boni für eine schöne Sache, die aber nur begrenzte Wirkung hat. "Das ist gewissermaßen ein Dank für die Vorbestellung. Deshalb kauft niemand ein Spiel. Aber vielleicht kauft sie oder er das Spiel bei einem anderen Händler. Mehr Fairness wäre da gut. Aber wirklich problematisch ist das auch nicht." Joachim Hesse glaubt nicht, dass grundsätzlich viele Boni nötig sind. Nämlich dann nicht, "wenn die VorbestellerInnen sicher wissen, dass sie die Spiele als erste in der Hand halten und am Ende den günstigen Preis zahlen".
Zwischenfazit: Boni sind ein gutes Marketing-Instrument – wenn sie den Bogen nicht überspannen. (Achim Fehrenbach)
Aber was sagen eigentlich die Publisher selbst zu Vorbestellangeboten? Und wie werden Pre-order-Games am PoS präsentiert? Darum wird es in Teil 2 unseres Specials gehen, das in IGM 12/2020 erscheint.