Klein, aber oho! Triple-I ist auf dem Vormarsch

Sie sehen fantastisch aus, bieten intensive Spielerlebnisse – und das, obwohl oft nur eine Handvoll Devs dahintersteht: Triple-I-Games sorgen auch weit jenseits der Indie-Community für Aufsehen. Gefühlt hat ihre Zahl in den letzten paar Jahren deutlich zugenommen – was dann auch Einfluss auf die gesamte Games-Branche haben dürfte. Wir untersuchen, was einen Triple-I-Titel eigentlich ausmacht – und welche Faktoren gerade zum Triple-I-Aufschwung beitragen.
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Manor Lords sieht einfach fantastisch aus. Das Mittelalter-Strategiespiel begeistert mit einer hoch detaillierten Grafik, ausgefeilten Städtebau-Mechaniken und epischen Schlachten – eben ganz im Stile eines Triple-A-Titels. Als mittelalterlicher Fürst baut man sein Heimatdorf zu einer belebten Stadt aus, verwaltet Ressourcen und Produktionsketten und erobert fremde Lande, um seinen Einflussbereich zu vergrößern. Rund 300.000 Steam-User sollen die Demo gespielt haben, die das polnische Studio Slavic Magic bis Oktober 2022 zum Download anbot; momentan steht Manor Lords auf Platz 5 der globalen Steam-Rangliste für Wishlist-Einträge. Der Clou: Das ambitionierte Spiel wird nicht etwa von einem vielköpfigen Team entwickelt, sondern im Wesentlichen von einem einzigen Entwickler. „Grzegorz“, so sein Name, will Manor Lords noch 2023 veröffentlichen – die Community wartet bereits gespannt, dass er einen Release-Termin verkündet.

Indie-Juwelen
Manor Lords ist eines von immer mehr Games, die von vergleichsweise kleinen Teams entwickelt werden – die nach außen aber wie aufwändige Großproduktionen anmuten. Noch ein paar aktuelle Beispiele gefällig? Das Horror-Roguelite Blight: Survival protzt mit Unreal-5-Grafik, stammt aber von einem Entwickler-Duo aus Reykjavík (Haenir Studio). Das Abenteuer Reka erzählt in surreal-pittoresken Landschaften eine Geschichte über die Hexe Baba Jaga; das federführende Studio Emberstorm Entertainment aus Berlin besteht laut Website aus einem Kernteam von acht Leuten. Nicht viel mehr Leute sind beim Elysium Game Studio beschäftigt, das gerade mit UE5 ein Hochglanz-Action-RPG namens Neo Berlin 2087 entwickelt. Spiele wie diese werden häufig als „Triple-I-Titel“ bezeichnet – und scheinen gerade auch mächtig auf dem Vormarsch zu sein. Doch was bedeutet „Triple-I“ eigentlich genau – und welche Faktoren begünstigen seinen Boom? Darüber haben wir uns mit mehreren ExpertInnen unterhalten.  

Eines sei vorab verraten: Die Definition von „Triple-I“ gehen ziemlich auseinander – je nachdem, welche Kriterien man wie stark gewichtet. „Wie auch bei Filmgenres, Musik oder anderen Bereichen im Medien- und Unterhaltungssegment ist eine genaue Aufteilung heutzutage recht schwierig, da es schlicht so dermaßen viel gibt und die Grenzen dabei immer mehr verschwimmen“, sagt Marcel „Maci“ Naeem Cheema, Redakteur bei der Zeitschrift PC Games. Unter „Triple-I“ versteht Naeem Cheema grundsätzlich solche Spiele, „die unabhängig, also ohne Publisher im Rücken, finanziert werden – und dennoch ein Qualitätslevel erreichen, das man sonst nur im Triple-A-Bereich findet“. Als leuchtendes Beispiel für ein Triple-I-Game nennt Naeem Cheema das 2017 veröffentlichte Hellblade: Senua‘s Sacrifice: „Ein herausragendes und unabhängig entwickeltes Action-Adventure, das sich auf feinfühlige Art mit komplexen Thematiken wie Mental Health auseinandersetzt. So etwas wäre mit Publisher vermutlich nie möglich gewesen. Zumindest nicht auf so passionierte Weise, wie das bei Hellblade der Fall war.“ Als weitere Beispiele nennt der Journalist die Titel von Supergiant Games (Bastion, Transistor, Pyre, Hades, Hades II), den Platformer Inside von Playdead, das Rätsel-Adventure The Witness von Thekla Inc., den bockschweren Sidescroller Cuphead von StudioMDHR und das hervorragend erzählte Adventure Disco Elysium von ZA/UM.

 

 Ein herausragendes und unabhängig entwickeltes Action-Adventure

 

Definitionssache
Valentina Birke ist ausgewiesene Indie-Expertin: Sie leitet die Indie Arena Booth, die bei der gamescom in Halle 10.2 satte 1.600 Quadratmeter Standfläche belegt und als Präsentationsplattform für weit über 100 Projekte dient. „Triple I sind ‚High-end‘-Indiespiele, die mehr Verkäufe erreichen als andere Spiele von Indie-Entwicklern – sei es durch mehr Polish, ein besonders gelungenes Gesamtpaket oder andere Faktoren“, sagt Birke. „Einige verwenden den Begriff, wenn es um höhere Budgets oder auch erfahrene EntwicklerInnen geht. Ich würde es aber tatsächlich am Erfolg messen und nicht am Budget.“ Nach dieser Definition gehören für sie unter anderem Tunic, Vampire Survivors, Dome Keeper, Stardew Valley und Cult of the Lamb in die Triple-I-Kategorie. Nimmt man hingegen das höhere Budget als zentrales Kriterium, dann gehören laut Birke auch Titel wie Life is Strange, Hade, It Takes Two und Subnautica ins Triple-I-Fach. Birke gibt aber zu bedenken, dass dann die Trennschärfe zu Double-A nicht mehr vorhanden sei ...

Double-A? Die Abgrenzung von Triple-I zu anderen Kategorien scheint doch etwas schwieriger als angenommen. Naeem Cheema versteht unter Double-A-Titeln jedenfalls „kleinere Produktionen von etablierten Publishern, die weniger Ressourcen zur Verfügung haben“. Unter diesen Bedingungen nämlich können laut Naeem Cheema „kleinere Projekte mit mehr kreativem Freiraum sowie niedrigeren Budgets umgesetzt werden und – daraus resultierend – mit einem geschmälerten Risiko“. Als Beispiele nennt der PC-Games-Redakteur die Titel A Plague Tale, Psychonauts 2 und It Takes Two. Wo aber verläuft denn nun genau die Trennlinie zwischen Double-A und Triple-I? „Meiner Meinung nach sprechen wir hier über die zwei Seiten der selben Medaille“, sagt André Bernhardt, der als „Indie Advisor“ kleine und mittelgroße Spielestudios bei der Suche nach einem Publisher oder Investor berät. Bernhardt sieht wenig Sinn darin, als Unterscheidungsmerkmal das Budget, die Team-Größe oder die verfügbaren Marketing-Summen heranzuziehen – aus seiner Sicht ist wichtig, wie sich das jeweilige Team positionieren möchte. Studios würden solche Selbstzuschreibungen vor allem deshalb vornehmen, um die gewachsene Qualität ihrer Produktionen zu verdeutlichen, so der Indie-Berater. Ein Studio wie Deck 13 würde Bernhardt – aufgrund des Firmenalters – eher als Double-A-Studio einstufen, sagt er. „Mimimi Games könnten sich – aus ihrem Selbstverständnis und der kürzeren Historie – hingegen als Triple-I-Studio verstehen.“ Bernhardt hätte aber auch Verständnis dafür, wenn Mimimi den gerade veröffentlichten Titel Shadow Gambit: The Cursed Crew als Double-A-Produktion bezeichnen würde. Immerhin hat das Münchner Studio (laut LinkedIn) aktuell mehr als 30 Beschäftigte – und spielt schon allein deshalb in einer anderen Liga als der Solo-Dev von Manor Lords.

Neue IPs
Private Division wurde 2017 als Publishing-Label von Take-Two Interactive gegründet – und hat seitdem Spiele wie The Outer Worlds und Ancestors: The Humankind Odyssey veröffentlicht. Man habe „von Beginn an Entwickler gesucht, die bereits viel Erfahrung im Triple-A-Bereich hatten – und die ihr eigenes Studio gegründet hatten, um ihre eigene Vision zu verwirklichen“, sagt Markus Wilding, Senior Director International Marketing and Commercial. „Panache war damals ein relativ neu gegründetes Studio – und Ancestors sein erstes Spiel“, erläutert Wilding. „Allerdings hat das Studio nicht irgendjemand gegründet, sondern Patrice Désilets, der Erfinder der Assassin‘s-Creed-Franchise.“ Nach zehn Jahren Ubisoft habe Désilets etwas Eigenes machen wollen; er schuf daraufhin eine neue IP und gründete sein eigenes Studio mit rund 30 Fachkräften. Wilding bezeichnet Ancestors als sehr ambitioniertes Projekt, das für 2K selbst jedoch nicht in Frage kam, denn „dann hätte es noch viel größer werden müssen, dann hätten sie noch wesentlich mehr Leute gebraucht“. Die Grundidee von Ancestors – das Nachspielen der menschlichen Evolution – bezeichnet Wilding als „zu abgefahren und zu nischig für ein Triple-A-Spiel“. Es hätte schlichtweg nicht die Stückzahlen verkauft, die für die Refinanzierung eines Triple-A-Titels nötig gewesen wären. Das Private-Division-Spiel The Outer Worlds hätte unter einem großen Publisher deutlich anders ausgesehen, schätzt der Marketing-Experte. „Es wäre wahrscheinlich doppelt so umfangreich geworden und zwei zusätzliche Jahre Entwicklungszeit gebraucht.“

 

Für die Käufer ist das weniger relevant

 

Wilding misst Begriffen wie „Triple-A“ oder „Triple-I“ nur begrenzte Bedeutung bei: „Sie werden vor allem branchenintern verwendet, für die Käufer ist das weniger relevant.“ Würde man beispielsweise User fragen, was sie mit The Outer Worlds verbinden, dann käme als Assoziation „vielleicht am ehesten Fallout oder ein anderes Triple-A-Spiel“, so Wilding. Er selbst sieht den Production Value und die Größe des Spiels als zentrale Kriterien für Triple-I. Als Beispiel nennt er Hades, das man 30, 40 oder 50 Stunden spielen könne – und dabei ständig neue Inhalte serviert bekomme. Auch die beiden Ori-Spiele sieht Wilding als Triple-I, „einfach vom Production Value, vom Polish her. Das ist alles fein geschliffen und konkurriert durchaus mit jedem anderen Spiel im Vollpreisraum“. Der Preis von Triple-I sei ohnehin gerade ein heißes Thema, berichtet der Experte – die KundInnen seien definitiv preisbewusster geworden. „Ancestors beispielsweise erschien 2019 zu einem Preispunkt von 39,99 Euro“, erinnert sich Wilding. „Ich glaube, ein solcher Preispunkt wäre heutzutage nicht mehr machbar.“ 30 Euro für ein Indie-Game seien heute schon sportlich – selbst wenn dabei einzelne Triple-A-Kriterien erfüllt würden. „Viele Indie-Games – selbst die von hoher Qualität – werden heutzutage von vorneherein für 20 Euro oder weniger angeboten“, berichtet Wilding. Sehe ein Spiel aber aus wie Hellblade, dann schüre das bei den KundInnen auch eine gewisse Erwartungshaltung – und diese KundInnen seien dann womöglich auch eher bereit, 30 Euro auf den Tisch zu blättern. Für aufwändig produzierte Triple-I-Titel ohne 3D-Bombastgrafik sei das dann preislich allerdings schwieriger, so Wilding: „Wir haben letztes Jahr OlliOlliWorld herausgebracht, einen 2,5D-Action-Platformer im Comic-Art-Style. Da haben wir schon gemerkt, dass die Verkäufe deutlich besser liefen, als wir Price Promotions eingeführt haben.“

Stand-Unterschiede
Polish und Umfang von Triple-I-Games mögen generell höher sein als bei „einfachen“ Indie-Games. Doch welche Unterschiede gibt es eigentlich im Marketing? „Erfahrene Entwicklerstudios arbeiten oftmals auch in größeren Teams, mit externen PR-Agenturen und auch größeren Marketing-Budgets“, berichtet Valentina Birke. Meist würden Triple-I-Studios einen größeren Stand buchen und auch mehr Geld in Dekoration investieren, so die IAB-Leiterin. „Allerdings heißt das nicht, dass sich Indies keine Mühe geben“, gibt Birke zu bedenken. „Im Gegenteil dekorieren sie eigentlich alle ihre Stände sehr liebevoll und freuen sich gleichermaßen auf persönliche Treffen sowie Feedback von Endkunden und Presse.“ Einen deutlich wahrnehmbaren Unterschied gibt es laut Birke in der Nutzung der IAB-eigenen B2B Area: „Dort sind größere Teams schon allein wegen der personellen Aufstellung präsenter.“

Nachdem wir uns nun extensiv an Triple-I-Merkmalen abgearbeitet haben, stellt sich natürlich noch eine weitere Frage: Was sind die Gründe für den aktuellen Triple-I-Boom? PC-Games-Redakteur Maci Naeem Cheema sieht hier gleich mehrere Schlüsselfaktoren: „Nützliche und leicht bedienbare Entwickler-Tools werden immer zugänglicher, Gleiches gilt für kostenloses Know-how im Netz“, sagt er. „Mit dem RPG Maker wurden etwa Spiele wie das düstere Omori oder das emotionale To The Moon von Freebird Games gefertigt.“ Ein schönes Beispiel sei auch der DCP-Preisträger Chained Echoes von Matthias Linda, denn: „Seine ersten Berührungspunkte mit der Spieleentwicklung hatte Linda mit dem RPG Maker.“ Als weiteren Faktor sieht Naeem Cheema die große Menge an Feedback, die mittlerweile aus den Online-Communities kommt – und auch die steigende Zugänglichkeit der Unreal Engine. „Blickt man etwa auf das Katzen-Adventure Stray oder das atemberaubend schöne Kena: Bridge of Spirits, dann merkt man schnell, was grafisch im Bereich Indie möglich ist“, freut sich Naeem Cheema. Auch Markus Wilding sieht Unity und die Unreal Engine (vgl. IGM 08/2022) als Programme, die Indie-Entwicklern massiven Anschub geben können. Wilding glaubt auch, dass KI eine immer größere Rolle für kleine und mittelgroße Studios spielen wird. „Uns hat gerade erst ein Indie-Entwickler ein Spiel mit einem sehr großen Umfang gepitcht“, berichtet er. Der Entwickler setze dabei stark auf KI für NPC-Dialoge und für Animationen. Der Private-Division-Mann geht davon aus, dass „das Thema KI gerade im Indie-Bereich in den nächsten Jahren für viel Aufsehen sorgen wird.“ Indie-Entwickler könnten – mit den passenden KI-Tools – sowohl beim Production Value als auch beim Spielumfang stark aufholen.

 

KI für NPC-Dialoge und für Animationen

 

In der Nische gereift
Das momentan größte Triple-I-Spiel von Private Division ist übrigens Kerbal Space Program 2: Die Weltraumflug-Simulation (vgl. IGM 06/2023) befindet sich seit Februar im Early Access und wird kontinuierlich weiterentwickelt. Gerade erst angekündigt hat Private Division das Spiel Penny‘s Big Breakaway. „Das Studio dahinter heißt Evening Star und wurde von Christian Whitehead gegründet, der Sonic Mania gemacht hat“, erzählt Wilding. „Penny‘s Big Breakaway ist ein Full-on-3D-Jump‘n‘Run mit all den Bells and Whistles, die solche 3D-Jump‘n‘Runs heutzutage haben“, sagt er. Es sei also vielleicht nischiger als andere Genres – aber in seiner Nische doch sehr ausgereift.

Werden Triple-I-Games also künftig immer mehr Marktanteile von Triple-A-Games übernehmen? Maci Naeem Cheema sieht da gewisse Hürden: „Jemand, der nur Fifa spielt, der taucht in den meisten Fällen überhaupt nicht tief genug ins Thema Videospiele ein, um attraktive Indies überhaupt auf dem Schirm zu haben.“ Allerdings habe der Triple-A-Markt gerade mit etlichen Problemen zu kämpfen – die Produktionskosten würden immer teurer, thematisch drehe man sich oftmals im Kreis. Laut Naeem Cheema schaffen es Indie-Games dagegen immer wieder, komplexe Thematiken und interessante Ideen zu präsentieren. Das rege zum Nachdenken an und nutze die interaktive Natur deutlich effizienter als das x-te Open-World-Spiel. „Am Ende geht‘s um den Spaß beim Spielen – und qualitativ hochwertige Indie-Spiele ergeben eine größere, buntere und attraktivere Gaming-Industrie“, bilanziert Naeem Cheema. „Ob sich der klassische Fifa-Fan aber in ein paar Jahren ein heißes, kleines Indie-Spiel kauft oder Erling Haaland für sein virtuelles Fußballteam … wer weiß das schon.“ Die Weiterentwicklung des Triple-I-Marktes bleibt in jedem Fall sehr spannend. (Achim Fehrenbach)

IGM 11/23
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