IGM-Report: Wie wichtig LinkedIn für die Games-Branche (noch) ist

LinkedIn ist die weltweit größte Online-Plattform für berufliches Networking. Die Games-Branche ist stark vertreten – auf LinkedIn tummeln sich zahllose Entwicklerstudios, Publisher, PR- und Marketing-Agenturen, Technik-Dienstleister, Verbände und Fachmedien. In letzter Zeit hat das Netzwerk jedoch eine Wandlung durchgemacht: Der Anteil der Posts ohne großen Nutzwert hat erheblich zugenommen, die wirklich branchenrelevanten Beiträge geraten dadurch immer stärker in den Hintergrund. Wie nimmt die Games-Branche diese Veränderungen wahr? Welche Features nutzen die AkteurInnen nach wie vor rege – und welche lassen sie zunehmend links liegen? Darüber haben wir mit mehreren Leuten aus Marketing, Consulting und Journalismus gesprochen.
Image

Vor kurzem gab es auf LinkedIn einen eher ungewöhnlichen Beitrag. „Ich schaue hier nicht mehr so oft rein, weil LinkedIn durch die vielen sinnlosen Ego-Posts und Engagement Bait rapide an Wert verliert“, schrieb Podcaster, Journalist und Unternehmer Gunnar Lott. „Aber wenn ich reinschaue, dann nutze ich die Gelegenheit, Leute aus meiner Kontaktliste zu werfen, die hilflos diese langen, überpolierten KI-Texte ohne rechte Relevanz oder diese typischen Bilder in den immer gleichen KI-Styles posten.“ 

Lott legte dann noch eins drauf – und schrieb: „Wer so desinteressiert an seiner Zielgruppe ist, dass er/sie auf LinkedIn so kommuniziert, ist auch im Geschäftskontakt nicht authentisch und offen.“ Denn: „Wir suchen Partner, die Menschen sind, mit denen man sprechen kann, nicht solche, die mutmaßlich bei der ersten interessanten geschäftlichen Fragestellung erst mal die KI fragen und dann deren Output wiederkäuen.“

Ordentliches Feedback
„Gut gebrüllt, Lott!“, könnte man in Abwandlung des bekannten Sprichworts sagen. Offenbar traf der Branchen-Veteran, Co-Host des beliebten Podcasts „Stay Forever“ (vgl. IGM 03/2025), mit seiner Denkschrift einen veritablen Nerv: Sein LinkedIn-Post erhielt 44 Kommentare, 437 hochgereckte Daumen, 55 Mal Beifall und 39 Herzen – ein ganz ordentliches Feedback. Erfrischend war der Beitrag auch deshalb, weil man auf LinkedIn sonst eher keine deutliche Kritik an den Posting-Praktiken der Community liest. Es überwiegen – wie Lott schrieb – ganz klar die Posts, in denen etwas angepriesen, „spontan“ beobachtet und/oder mit vermeintlichen Lebensweisheiten garniert wird. Obwohl (oder vielleicht weil?) diese „Ego-Posts“ in letzter Zeit stark zugenommen haben, ist LinkedIn das trubeligste Berufs- und Karrierenetzwerk der Welt: 2003 gegründet, hatte es im vergangenen Jahr bereits über eine Milliarde registrierte User. Wie viele davon Karteileichen und Bots sind, wissen wohl nicht mal die Betreiber; schwierig dürfte auch ein bereits erfolgter Exodus genervter UserInnen zu beziffern sein. Aktuell ist LinkedIn – auch für die Games-Branche – ein zentraler Treffpunkt. Allerdings stellt sich die Frage, wie sich das Netzwerk – bei zunehmendem Grundrauschen – weiter sinnvoll nutzen lässt. Eine zeitvernichtende Aufmerksamkeitsschleuder braucht schließlich kaum jemand ... 

 

Diese langen, überpolierten KI-Texte ohne rechte Relevanz

 

Welche Bedeutung LinkedIn hat, lässt sich letztendlich nur individuell beantworten: So unterschiedlich wie seine NutzerInnen selbst sind auch die Use Cases für das Netzwerk. Fragen wir doch gleich einmal Gunnar Lott, wie er die Plattform eigentlich verwendet. Lott sieht sich selbst nicht als klassischen Branchen-Akteur, sondern „eher als Podcaster mit Fokus auf Retrogames“. Für diesen Job sei LinkedIn „nicht entscheidend“, so der Unternehmer. „Aber: Wenn ich Interviews mit Veteranen oder alten Kontakten vorbereite, ist es oft praktisch, die Leute dort zu finden und ansprechen zu können. Dafür nutze ich es.“ Das eigene LinkedIn-Profil sei einfach wichtig, um sichtbar und überprüfbar zu sein, nach dem Motto: „Hier, mich gibt‘s wirklich!“ Alles andere sieht Lott als Beiwerk – so auch die LinkedIn-Gruppen, aus denen er noch nie einen Mehrwert gezogen habe. In den letzten paar Jahren sei LinkedIn immer mehr zu einem normalen Social Network geworden, beobachtet der Podcaster. „Und das meine ich nicht als Kompliment.“ Die Posts seien viel politischer, viel lauter und viel unerfreulicher geworden, so Lott. „Früher war es mehr Fachliches, heute mehr Selbstinszenierung.“ Laut Lott gibt es leider auch keine Alternativen mit ähnlicher Reichweite, zumindest nicht im angelsächsischen Raum. Betrachtet man beispielsweise die User-Zahlen von Xing, wird diese Aussage bestätigt: Statista.com zufolge hatte die Plattform, die früher vor allem in DACH dominierte, im Mai 2025 gerade noch rund 10,7 Millionen Visits.

Gunnar Lott interessieren auf LinkedIn vor allem diese Dinge: „Ehrliche Fragen, echte Diskussionen, Substanz.“ Früher habe es das häufiger gegeben, „heute sehe ich fast nur noch Akquise-Material und Selbstbeweihräucherung“. Leicht verfügbare KI-Werkzeuge für die Bild- und Text-Generierung verstärkten diesen Trend ganz erheblich. Was viele LinkedIn-User unbedarft oder gar mit kindlicher Verspieltheit nutzen, sieht Lott als „belanglos und respektlos gegenüber der eigenen Zielgruppe“. Oder anders formuliert: Wer sich so wenig Mühe gibt, etwas Eigenes (im menschlich-kreativen Sinne) zu erschaffen, der hat womöglich auch kein echtes Interesse an den RezipientInnen. Ein letztlich fatales Signal.

Digitaler Rolodex
Ist LinkedIn also auf dem absteigenden Content-Ast? Schafft es sich vielleicht eines Tages selbst ab, trotz der aktuellen Dominanz? Oder bleibt es (auch) für die Games-Branche ein ergiebiger Tummelplatz? Ruth Lemmen, Spezialistin für Programm-Management, Coaching und Beratung, sieht in LinkedIn ganz grundsätzlich eine gute Sache. Im Vergleich zu früheren Zeiten mit ihren „händisch zu führenden Datenbanken, Rolodex oder Karteikartenhaltern für Business-Karten“ sei das Online-Netzwerk  eine wirkliche Errungenschaft, so Lemmen. Allein schon dass sämtliche Daten ständig durch die NutzerInnen selbst aktualisiert würden, mache das Up-to-date-Sein deutlich einfacher und zeitsparender. Lemmen selbst nutzt LinkedIn „viel und regelmäßig, allerdings nur für gezielte und ausgewählte Tätigkeiten“. Besonders hilfreich findet sie beispielsweise die Möglichkeit, nach Personen in verschiedenen Firmen zu suchen, Direktnachrichten zu verschicken und Leute einander im Chat vorzustellen. „In den letzten Jahren hat sich meine E-Mail-Nutzung für die Kommunikation deutlich reduziert“, berichtet die Netzwerkerin. Die Kommunikation laufe „mittlerweile häufig über LinkedIn, weil viele BranchenteilnehmerInnen hier ansprechbar sind“. Zudem sei die Plattform hervorragend geeignet, eine Community zu spezifischen Themen aufzubauen. Lemmen postet beispielsweise häufig Beiträge zur Event-Reihe „Womenize! Games and Tech“, deren Mitgründerin sie ist. Die Themen umfassen unter anderem Stellenausschreibungen, Netzwerk-Treffen und Förderangebote.

Was Lemmen hingegen kaum auf LinkedIn nutzt, sind Angebote zur Jobsuche und zum Jobcoaching. In diesen Bereichen habe die Plattform in den letzten Jahren deutlich nachgelassen: „Suchende erhalten Angebote, die nicht richtig passen – oder die von den Jobanbietenden dann nicht weiterverfolgt werden. Bewerbungen versanden im LinkedIn-Nirwana.“ Wie auch Branchenkollege Lott beobachtet Lemmen, dass die mit KI erstellten Posts deutlich zunehmen – und auch sie findet das „langweilig und beliebig, weil sich die Posts alle ähneln“. Grundsätzlich stört Lemmen die wachsende Unberechenbarkeit der Plattform – zum Beispiel was die Algorithmen betrifft. „Ähnliche Posts haben ganz verschiedene Reichweiten“, kritisiert sie. „Und man hört immer wieder, dass die Teams von LinkedIn auch die Löschung von Accounts von Personen androhen, die sachliche und informative Hilfestellungen posten, zum Beispiel bei der Jobsuche.“ Generell hätten auch lästige Marketing-Nachrichten von den Betreibern selbst deutlich zugenommen.

 

Suchende erhalten Angebote, die nicht richtig passen

 

Selektivität als Rezept
All das würde Lemmen aber nicht dazu bringen, die Plattform zu boykottieren. Nach wie vor gebe es dort nämlich relevante Informations- und Vernetzungsmöglichkeiten; wichtig sei hier eben die nötige Selektivität. „Mich interessieren Posts, die einen Mehrwert bieten“, so die Beraterin. Als Beispiele nennt sie aktuelle Branchen- und Event-Infos, Tipps und Hilfestellungen für Jobsuchende und mehr. „Wenn man den richtigen Menschen folgt, kann man hier noch ganz viel lernen und neue Impulse bekommen“, sagt Lemmen. Infos aus dem Privatleben hätten jedoch nichts auf LinkedIn verloren: „Wer das Bedürfnis hat, diese zu teilen, sollte eher andere Plattformen nutzen.“

Für Ego-Posts und Engagement Bait auf LinkedIn gibt es gewiss verschiedene Gründe. Schon mit fortgeschrittener Küchenpsychologie findet man etliche Motive, warum sich so viele User an dem wilden Getrommel beteiligen: Naive Begeisterung, Herdentrieb, fear of missing out und mehr. Ein bereits genannter Grund ist, dass KI-Tools das schnelle Erstellen vermeintlich beeindruckender Inhalte massiv beschleunigen – fast jeder Laie kann mit einem „klugen“ KI-Prompt einen wortreichen Text oder eine catchy Grafik erzeugen. Auch quasi-konfuzianische Weisheiten lassen sich – dank KI – in Nullkommanix mit an sich belanglosen Alltagsbegebenheiten verknüpfen: Nach dem Motto: „Kürzlich fiel mir im Bad das Handtuch runter. Was ich dabei über Resilizenz gelernt habe.“ Aufs Schönste verballhornt wird dieser LinkedIn-Sinnsuche-Quark vom Journalistenkollegen Ahmet Iscitürk. In regelmäßigen Postings karikiert Iscitürk genau die Leadership- und Personal-Branding-Prosa, die auf LinkedIn gerade überhand nimmt. Ein Post aus dem September zeigt beispielsweise das Foto eine jungen Mannes mit verunglückter Topffrisur, das Iscitürk sogleich mit einem „Learning“ spickt: „Haare wachsen nach – Chancen im Recruiting nicht.“ Als Recruiting-Profi und Leadership-Coach erlebe er „leider immer wieder, dass Bewerber:innen unterschätzen, wie sehr das Äußere als Silent KPI in die Entscheidungsfindung einfließt“. Er selbst gehe deshalb mit Best Practice voran und gönne sich einmal pro Woche beim Friseur „ein Fresh Cut Update™“. Dies sei „kein Luxus, sondern ein strategisches Investment in mein Personal Branding“. Man wünscht sich, noch mehr Menschen würden diese quasi-kathartischen Satire-Kostbarkeiten goutieren...

Flut von Nonsense-Inhalten
Auch andere Branchen-AkteurInnen beobachten den zunehmenden LinkedIn-Spam sehr kritisch. Indie-Marketing-Spezialistin Irene Preuss aus Berlin bringt die Ambivalenz der Plattformnutzung auf den Punkt: „Die Timeline ist mittlerweile eine Katastrophe. Ich muss durch eine Flut von Nonsense-Inhalten navigieren, um eventuell etwas Interessantes zu finden – aber leider gibt es oft keine bessere Option, um Neuigkeiten von bestimmten Projekten zu folgen.“ Preuss sagt, sie sei noch nie ein Fan von LinkedIn gewesen – in den letzten ein bis zwei Jahren seien die angebotenen Inhalte aber noch schlechter geworden: „Die Inhalte in meiner Timeline entfernen sich immer mehr von der professionellen Welt, der Algorithmus ist komplett durcheinander und es fühlt sich an, als gäbe es keine Moderation mehr.“ Auch Preuss beobachtet die massive Zunahme von KI-generierten Inhalten, Clickbait-Posts, „inspirierenden“ Posts und „persönlichen“ Empfehlungen, die rein gar nichts mit den eigenen Interessen zu tun haben. „Noch schlimmer: Menschenfeindlicher Content ist mittlerweile auf LinkedIn ganz offen erlaubt – unter anderem Transphobie und Rassismus“, kritisiert sie. „Außerdem bekomme ich in letzter Zeit sogar Militarisierungs- und Kriegspropaganda-Posts in meine Timeline.“ Als weiteren Nachteil sieht sie die herrschende Intransparenz beim Datenschutz: „Ab November werden die Daten der LinkedIn-User automatisch verwendet, um eine KI zu füttern, wenn man die Option nicht manuell deaktiviert.“

 

Die Timeline ist mittlerweile eine Katastrophe

 

Trotz dieser vielen Nachteile ist LinkedIn für Preuss immer noch eine wichtige Plattform. „Ich nutze es vor allem, um dort vielen Kontakten und Projekten zu folgen, die mich interessieren und mit denen ich in Verbindung bleiben will“, sagt sie. Ein LinkedIn-Profil sei wie ein digitaler Lebenslauf: „Ich nutze es aktuell als einen digitalen Ort, wo ich meine Erfahrungen und Projekte auflisten kann – also als eine Alternative zu einer professionellen Webseite.“ Aktuell ist Preuss ist freischaffende Indiegame-Marketing-Expertin; sie betreut die PR des niederländischen Studios Roost Games und ist zudem PR Director für The Rabbit, eine Indie Games Residency in Brandenburg. „Mit The Rabbit sind wir auf LinkedIn aktiv und können dort auch viele Leute erreichen“, freut sich Preuss. Ihre Freelance-Tätigkeit bewirbt sie nicht aktiv, erhält aber dennoch hin und wieder Mentoring-Anfragen von Leuten, mit denen sie noch nicht vernetzt ist. Als weiteres hilfreiches LinkedIn-Feature sieht Preuss die Empfehlungen, die man für Arbeits- und Branchen-KollegInnen schreiben kann. „LinkedIn ist nicht die interessanteste Social-Media-Plattform für Indie-EntwicklerInnen, da es einen starken Fokus auf B2B und Vertrieb hat“, betont Preuss. „Es kann allerdings bei der Jobsuche helfen – und man kann sich dort über die Entwicklungen der Games-Branche informieren.“ 

Und noch einen Vorteil legt Preuss für LinkedIn in die Waagschale. „Es hilft tatsächlich, die Arbeit der Videospiel-ÜbersetzerInnen sichtbarer zu machen – und fragwürdige Handlungen von deren Kunden ans Licht zu bringen.“ Zum Beispiel würden ÜbersetzerInnen von den jeweiligen Lokalisierungsagenturen oft nicht in den Credits genannt. Das habe sich – dank vehementer Beschwerden auf LinkedIn – aber mittlerweile geändert. „Ich hätte bestimmt nichts von dieser positiven Entwicklung gewusst, wenn ich nicht auf LinkedIn davon gehört hätte“, lobt Preuss. Dennoch bevorzugt sie Plattformen wie Discord und Bluesky (vgl. IGM 04/2025), um sich über Entwicklungen in der Indie-Community auf dem Laufenden zu halten. „Für die Jobsuche empfehle ich die Webseite Work With Indies.“

Strategische Bedeutung
Branchen-Urgestein Zoran Roso nutzt LinkedIn besonders intensiv. „Es ist für mich als Publishing- und Marketing-Professional in der Games-Branche von zentraler, strategischer Bedeutung“, betont Roso, Gründer und Chef des Boutique-Beraternetzwerk ZR Consulting. Roso sieht LinkedIn als die immer noch „unangefochtene Plattform für professionelles B2B-Networking, Talentakquise und Thought Leadership im Geschäftskontext“. Kreative und Community-Aspekte finde man zwar eher auf Plattformen wie Discord und X oder in speziellen Foren. Allerdings sei LinkedIn der beste Ort, um Partnerschaften mit Plattform-Inhabern, Publishern, Dienstleistern und Presse zu knüpfen und zu pflegen. „Es dient als digitale Visitenkarte und für mich oft als eine der primären Quelle für Branchen-News“, sagt Roso. Besonders nützlich findet er beispielsweise den „LinkedIn Recruiter“ oder Job-Postings: „Sie sind unerlässlich für die Suche nach spezifischen Talenten in der Nische der Games-Entwicklung, des Marketings und des Publishing.“ Roso lobt auch die Artikel- und Newsletter-Funktion der Plattform: Diese ermöglichten es, sich selbst, das eigene Team oder Unternehmen als Experten respektive Thought Leader zu positionieren. Dies sei im Publishing und Marketing besonders wichtig, um Vertrauen bei Partnern und Presse aufzubauen, erläutert Roso. Als weitere wichtige LinkedIn-Features nennt der Münchner Suchfilter und Benachrichtigungen: Mit ihnen könne man Entscheidungsträger und Pressevertreter auch dann schnell identifizieren, wenn sie nicht Teil des eigenen Netzwerk seien. Dies helfe bei Pitches, Partnerschaften und Kampagnen – oder auch einfach dabei, über die Aktivitäten der genannten Branchenleute auf dem Laufenden zu bleiben.

Roso ist allerdings keiner, der LinkedIn einfach nur positiv sieht. Aus seiner Sicht hat die Plattformen viele entbehrliche – oder zumindest nicht sehr nützliche – Features. Als Beispiel nennt er „LinkedIn Learning“: Dies sei zwar grundsätzlich ganz hilfreich, allerdings gebe es im Gaming-Sektor häufig spezialisiertere und praxisnähere Kurse und Tutorials, die über andere Plattformen oder interne Schulungen angeboten würden. Für „oft wenig aussagekräftig und leicht manipulierbar“ hält Roso zudem die „Skill Endorsements“, bei denen bestimmte Fähigkeiten von LinkedIn-Usern bestätigt werden können: „Ein echtes Portfolio oder ein erfolgreiches Projekt ist viel relevanter.“ Entbehrlich findet der Branchenkenner auch die „Reactions“ auf LinkedIn: „Sie können die Engagement-Rate erhöhen, aber sie tragen selten zur inhaltlichen Qualität oder Tiefe des professionellen Austauschs bei und neigen zur Trivialisierung.“

 

Oft wenig aussagekräftig und leicht manipulierbar

 

Gruppen und Deep Dives
Natürlich ist es spannend zu sehen, in welchen LinkedIn-Gruppen ein Branchenprofi wie Roso unterwegs ist. Ganz allgemein seien dies strategische Gruppen mit geschäftlichem Fokus, berichtet er. Als Beispiel nennt Roso die „Video Game Professionals“, bei denen man gut den Puls der Branche spüren könne. Außerdem empfiehlt er Nischengruppen für spezifische Märkte und Disziplinen, etwa „Games Marketing & PR“ oder „Indie Game Business“. Auch regionale Gruppen seien hilfreich, um lokale Partnerschaften und Veranstaltungen zu verfolgen, sagt Roso. „Allerdings hat die Relevanz von LinkedIn-Gruppen abgenommen: „Der direkte Austausch im Feed mit bekannten Kontakten ist oft effektiver.“ Besonders spannend findet Roso auf LinkedIn die Beiträge, die analytisch in die Tiefe gehen. Als Beispiele nennt er „Postmortems von erfolgreichen oder – eventuell noch wichtiger –, gescheiterten Game-Launches, Marktanalysen von Nielsen, Newzoo oder ähnlichen Instituten“. Interessant sind für ihn auch „ehrliche Branchen-Insights“, etwa konstruktive Diskussionen über neue Publishing-Modelle, den Einsatz von KI in der Games-Entwicklung, aktuelle HR-Herausforderungen in großen Studios oder auch die Zukunft des Plattform-Gaming. Roso schätzt zudem Beiträge, die einen Blick hinter die Branchenkulissen ermöglichen. Ganz konkret: „Best Practices und Herausforderungen im Marketing, PR, Community-Management und der Lokalisierung eines Spiels – und zwar von erfahrenen BranchenkollegInnen.“

Natürlich sieht auch Roso, dass sich die Plattform in letzter Zeit nicht unbedingt zum Positiven entwickelt. Er kritisiert vor allem die künstliche Emotionalisierung, die dem ursprünglich professionellen Kontext von LinkedIn zuwiderlaufe: „Clickbait-Moral-Posts“ mit dramatischen Anekdoten und vagen Business-Weisheiten ohne Erkenntnisgewinn, überzogene „Ich-habe-es-geschafft“-Posts und auch unnötig stark personalisierende Posts, „die den Feed mit nichtberuflichen Inhalten überschwemmen und die Suche nach relevanten Business-Informationen erschweren“. In den letzten ein bis zwei Jahren habe sich LinkedIn von einer reinen Lebenslauf- und Job-Plattform hin zu einem Engagement-Netzwerk entwickelt, beobachtet Roso. Die Plattform belohne Beiträge mit hoher Interaktionsrate, „was zu einem Anstieg von Posts führt, die auf emotionale Resonanz, Anekdoten und Moral-Geschichten abzielen – oft zum Nachteil der sachlichen Tiefe“. Roso beobachtet auch den „Weirding-Effekt“, also eine Zunahme von Inhalten, die man früher eher auf Facebook oder gar TikTok erwartet hätte: Persönliche Krisen, esoterische Erfolgsrezepte oder unnötig dramatisierte Geschichten. Der LinkedIn-Algorithmus setze virales Potenzial über strikte professionelle Relevanz, kritisiert Roso: „Das hat das ‚Signal-Rauschen-Verhältnis‘ für Profis verschlechtert.“

Von vielem zu viel
Ähnlich sieht das auch Oliver Redelfs, Gründer und Managing Director der Agentur Red Elf Media. „Zu viel Content, zu viel Marketing, zu viel Kommerzialisierung, zu viele Bullshit-Postings, zu viel unpassende Akquise-Anfragen … von allem zu viel“, fasst Redelfs die Entwicklung des Netzwerks zusammen. „Der Algorithmus wurde hart auf Umsatz optimiert, so dass viele gute und interessante Posts aus dem eigenen Netzwerk untergehen und unsichtbar werden.“ Als besonders störend empfindet Redelfs politische Postings, weshalb er die UrheberInnen auch bittet, „woanders diskutieren“ zu gehen. Auch KI- und „Blabla“-Postings seien notorische Störfaktoren, so Redelfs. Als Strategie empfiehlt der Agenturchef deshalb, aktiv den Inhalt seiner Bubble mitzugestalten. „Wähle deine Kontakte weise und lasse die Nervensägen verstummen“, rät Redelfs. „Interagiere regelmäßig mit deinen Besties, Aktivität wird belohnt. Ist deine Bubble rein, ist alles fein.“ Auch Redelfs schätzt natürlich an LinkedIn so einiges. Der Experte nennt „Insights, Tipps, Tricks, persönliche Erfahrungen und Fails- und Success-Erlebnisse“ aus dem direkten beruflichen Kontext. Die satirischen Beiträge von Ahmet Iscitürk mag Redelfs sehr. „Aber auch Menschliches, persönliche Postings zum Job, zu Familie, Gesundheit – sofern es inhaltlich einen Bezug zum Job gibt.“ Der Hamburger sieht LinkedIn als eine Art digitales Rollodex: „Mit Nachrichtenfunktion, die gepimpt ist mit sozialen Komfortfunktionen. Wie ein großer Flurfunk, um auf dem Laufenden und sichtbar zu bleiben.“

Halten wir fest: Für die Befragten hat LinkedIn teils unterschiedliche Qualitäten – die wiederum vom jeweiligen Fokus abhängen. „Wenn man so möchte, ist LinkedIn das Business-Executive-Summary der Industrie“, fasst Zoran Roso zusammen. „Discord ist die Entwickler-Kantine, ArtStation die digitale Galerie und X das Presse-Büro.“ LinkedIn sei für die Geschäftsbeziehungen unverzichtbar, betont Roso. Es sei aber ebenfalls sehr wichtig, in dezentralen Ökosystemen präsent und aktiv zu sein: „Um das ‚Spiel‘ am Laufen zu halten.“ (Achim Fehrenbach)

IGM 11/25
Die ARD bündelt ihre Gaming-Strategien und hat dafür un­längst das ARD Games Netzwerk gegründet. Grund genug, einmal nachzufragen, wie sich die öffentlich-…
Die Aussichten waren alles andere als rosig: Im Sommer endete der Vertrag zwischen ZDF und der Beans Entertainment GmbH – und damit auch das Format Game Two…
Milliardenschwere Lizenzen, große Entwicklerstudios und bekannte Namen – all diese Faktoren können vor der Veröffentlichung eines Spiels für viel…