Signalwirkung: IGM-Serie: Vorbestell-Games,Teil 2

Das Sommerloch ist vorüber, so langsam geht es wieder los mit den AAA-Releases. Viele Gamer haben ihr Vorweih­nachts­budget aber bereits teilweise oder ganz investiert: Titel wie Star Wars: Squadrons (VÖ 2.10.), Assassin's Creed Valhalla (VÖ 17.11.) und natürlich Cyberpunk 2077 (VÖ 19.11.) erreichen hohe Vorbestell­zahlen. Dass Pre-order-Games immer auch ein schmaler Grat zwischen sinnvoller Belohnung und Boni-Bombarde­ment sind, haben wir in Teil 1 unseres Specials (IGM 11/2020) verdeutlicht: VorbestellerInnen freuen sich über Extras, schätzen aber eine gewisse Übersichtlichkeit. Im vorliegenden zweiten Teil des Specials lassen wir zunächst Publisher und Dienstleister zu Wort kommen. Und untersuchen anschließend, wie Pre-order-Games am PoS platziert werden.
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Software sells hardware: Der Merksatz ist so alt wie die Computerspielbranche selbst. Für First-Party-Publisher sind Pre-order-Games eine gute Sache – natürlich besonders dann, wenn es sich um Eigenproduktionen handelt. "Vorbestellbare Spiele genießen bei uns eine große Bedeutung", sagt Sandro Odak, Communications Manager für Xbox DACH bei Microsoft. "Über Vorbestellungen geben wir unseren Fans die Option, sich bereits früh mit dem Produkt auseinanderzusetzen. So wächst auch die Vorfreude bei Spielern und Spielerinnen und gleichzeitig kann der Handel partizipieren." Durch starke Regalfläche am PoS könne man schon frühzeitig Aufmerksamkeit für das jeweilige Spiel erzeugen, betont Odak. "Die Angebote werden direkt über die jeweiligen Kanäle des Handels in Form von Werbung, Prospekten und Content-Formaten kommuniziert. Wir kommunizieren aber auch selbst, vor allem auf unseren Social-Media-Kanälen sowie über Pressemitteilungen und den hauseigenen Blog Xbox Wire DACH."

IGM wollte nun wissen, wie solche Pre-order-Boni bei Microsoft konkret aussehen. Bekanntlich lassen sich die Boni ja sehr kleinteilig differenzieren, um die Nachfrage gezielt zu steuern. "Wir unterstützen Händler bei Pre-Orders in Form von zusätzlichen digitalen Inhalten", berichtet Odak. "Das bedeutet, wir stellen dedizierte DLC-Inhalte bereit, die exklusiv über den jeweiligen Retailer bezogen werden können. Bei Forza Horizon 4 waren es – je nach Händler – unterschiedliche Fahrzeuge: "Den 2016 Porsche 911 GT3RS gab es bei Amazon, den 2017 Aston Martin DB11 bei GameStop, den  2017 Chevrolet Camaro ZL1 bei Media Markt und den 2018 McLaren 720S im Microsoft Store." Auf Auto-Unvernarrte (wie den Autor dieses Artikels) mögen solche Abstufungen nicht sonderlich trennscharf wirken – doch Auto-Aficionados werden ihre Kaufentscheidung durchaus von der jeweiligen Boliden-Belohnung abhängig machen.

Physisch statt digital
Die meisten Gaming-Fans haben sich auch längst an Retailer-Exklusivitäten gewöhnt – wobei es bei der Art der Exklusivbelohnungen durchaus Unterschiede gibt. CD Projekt Red beispielsweise verzichtet den Fans zuliebe ganz bewusst auf retailer-exklusive In-Game-Inhalte – und setzt stattdessen auf eine Differenzierung bei physischen Items. Schauen wir auf die Vorbestell-Boni von Cyberpunk 2077 in den USA: GameStop-KundInnen erhalten – falls sie "PowerUp Reward Members" sind – ein metallenes Samurai-Medaillon als Bonus. Best-Buy-Kundinnen werden mit einem Steelbook und – im Falle einer My-Best-Buy-Mitgliedschaft – mit einer 10-USD-Gutschrift belohnt. Amazon und Walmart verzichten auf physische Boni, bieten aber ebenfalls 10-USD-Gutschriften. Anderes Beispiel: Wer Fifa 21 bei Best Buy vorbestellt, bekommt eine Funko-Pop!-Figur von Starkicker Kylian Mbappé als Belohnung. Die Figuren mit den Wackelköpfen erfreuen sich ja nach wie vor enormer Beliebtheit.

Gleichzeitig kann der Handel partizipieren

AAA-Publisher haben Pre-order-Kampagnen zum Durchbruch verholfen. Doch inzwischen setzen auch Indie-Entwickler auf Vorbestellungen: Was auch naheliegt, weil sie ja häufig mit Early Access und Crowdfunding arbeiten. Die Firma Xsolla ist auf den Independent-Markt spezialisiert: Zu ihrem Portfolio zählen Bezahldienstleistungen, Distribution und Marketing. Gegründet wurde Xsolla bereits 2005 im russischen Perm, seit 2010 hat der Dienstleister seinen Hauptsitz im kalifornischen Sherman Oaks. Zu den Dienstleistungen von Xsolla zählen auch Pre-order-Kampagnen, die das Unternehmen als Baukastensystem anbietet. "Xsolla entwickelt mit seinen Partnern einzigartige Pre-order-Kampagnen, um Buzz und Aufmerksamkeit bei bestimmten Games zu wecken – aus der Erwartung heraus, die in den Spieler-Communities vor dem Launch herrscht", sagt Chris Hewish, President of Xsolla. "Wir bieten Pre-order-Lösungen, damit unsere Partner ihre Ziele und wirtschaftlichen Pläne verwirklichen können – indem sie schon diesen frühen Schwung, diese Nachfrage mitnehmen, die schon während der Finanzierungs- und Entwicklungsphase eines Games herrscht – vor dem Live-Launch." Xsolla kombiniert die Pre-order-Lösungen mit Produkten wie Site Builder, Buy Button, Pay Station, Anti-Fraud und Partner Network. "Das ermöglicht unseren Partnern, ihre Community binnen weniger Tage zu erreichen und einzubinden – und nicht erst im Laufe von Wochen oder Monaten", erläutert Hewish. "Die Partner profitieren nicht nur von dem Umsatz vor dem Launch, sondern können auch abschätzen, wie ihr Post-Launch-Support und ihr künftiger Absatz aussehen werden."

Schon diesen frühen Schwung, diese Nachfrage mitnehmen

Community-Kommunikation
Gut gemachte Pre-order-Kampagnen können Indie-Entwicklern auf vielfältige Weise nützen, sagt Hewish. "Der offensichtlichste Vorteil ist, dass sie die Entwicklung eines Spiels mitfinanzieren und dafür sorgen können, dass die Vision des Entwicklers voll umgesetzt wird. Weniger offensichtlich, aber genauso wichtig ist: Pre-order-Kampagnen sind ein großartiges Mittel, um Engagement und Support einer Community aufzubauen." Als Beispiel nennt der Konzernchef den Xsolla-Kunden Intrepid, der gerade eine Kampagne für sein bevorstehendes MMO Ashes of Creation fährt. Die Vorbestellzahlen würden unter anderem dadurch erhöht, dass Intrepid den geschlossenen Alpha-Test an bestimmte Inhaltspakete koppelt – und gleichzeitig stark mit der Community kommuniziert: "Wir haben schon oft festgestellt, dass die Pre-Orders ansteigen, wenn Entwickler ihre Community einbinden – über Playtests, Developer-Streams und größere Ankündigungen." Wichtigste Voraussetzung für einen Pre-order-Erfolg sei die genaue Kenntnis der Zielgruppe: Nur so ließen sich die passenden Anreize und Kampagnen erschaffen. "Ziel muss auch sein, verschiedene Pakete für die SpielerInnen zu schnüren", so Hewish. "Pre-orders basieren längst nicht mehr nur auf dem alten Konzept einer Basis- und einer Premium-SKU. Wir haben schon viele erfolgreiche Kampagnen mit drei oder mehr unterschiedlichen Pre-order-Packages gesehen, die unterschiedliche Preispunkte hatten – um unterschiedliche Teile der Community zu bedienen."

Als weitere Beispiele nennt Hewish die Kampagnen zum Battle-Royale-Hit PUBG, zum Mittelalter-MMO Life is Feudal und zum postapokalyptischen Action-Titel Atomic Heart: Die Details der jeweiligen Pre-order-Kampagnen sind auf der Xsolla-Website abrufbar. Bei Atomic Heart beispielsweise können VorbestellerInnen zwischen einer Vielzahl von Packages wählen. Das mag zunächst etwas überladen wirken, macht bei einer gut informierten Community aber durchaus Sinn. Eine ähnlich modulare Herangehensweise ist bei AAA-Titeln kaum möglich: Deren Publisher zielen auf ein Mainstream-Publikum, das derartige Differenzierungen kaum tolerieren würde – und beschränken sich deshalb meist auf die gängigen Basic-Premium-Modelle.

Bei Pre-order-Kampagnen können Indie-Entwickler "wirklich glänzen", so Hewish. AAA-Vorbestellkampagnen würden hingegen meist außerhalb des Entwicklerteams entworfen und "dienen als Datenpunkt für interne Verkaufsprognosen". Das Entwicklerteam des AAA-Titels sei – aufgrund der Komplettfinanzierung durch den Publisher – meist nicht sonderlich motiviert, speziellen "Anker-Content" für eine Pre-order-Kampagne zu entwerfen. "Das ist also eine klassische Schieflage zwischen Anreizen und Zielen", konstatiert Hewish. "Indie-Entwickler erledigen tendenziell die Entwicklung, das Marketing und das Fundig selbst. Folglich sind Anreize und Ziele völlig im Einklang."

PoS-Platzierung
Am PoS schlägt dann allerdings die Stunde der AAA-Publisher. Doch wie präsentieren Publisher und Retailer die Pre-order-Games in den Verkaufsregalen? Umfangreiche Vorbestelloptionen müssen schließlich auch sichtbar sein, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. "Kurz vor Release nutzen viele Hersteller die Möglichkeit, PoS-Flächen in der Fachabteilung des Marktes oder im Eingangsbereich zu buchen und hierbei auf den anstehenden Veröffentlichungstermin hinzuweisen", erläutert eine Sprecherin von MediaMarktSaturn im IGM-Interview. "Alternativ platzieren sie verkaufsfördernde Displays, die zum Release mit Ware bestückt werden." MediaMarktSaturn selbst informiert seine KundInnen am PoS auch über monatliche Vorverkaufsflyer. "Diese liegen als Handzettel in den Märkten aus und beinhalten die interessantesten Titel, inklusive Hinweise auf etwaige Vorbestellboni", so die Sprecherin. "In den Online-Shops werden die Flyer ebenfalls abgebildet."

Sony unterstützt uns immer sehr gut mit Aufstellern und Fahnen

Der Fachhändler SK GameNatiX aus Trier nutzt Pre-order-Games als Blickfang. "Die kann man schön im Regal präsentieren", sagt Inhaber Stefan Kimmlingen. "Die Kunden können sich die Box schnappen und damit zur Kasse kommen – und dann mit dieser Pre-order-Box vorbestellen. Manchmal sind in den Boxen auch schon Codes drin. Das ist eine optimale Geschichte." Mit der Regalpräsentation könne man auch bei jenen KundInnnen Aufmerksamkeit wecken, die eigentlich gar keine Vorbestellung geplant hätten. Neben Boxen seien auch Heftchen als Blickfang möglich. Kimmlingen wünscht sich da seitens der Industrie noch mehr Kreativität – und generell auch mehr Titel mit Vorbestellboxen. "Es geht ja auch darum, ein Bedürfnis zu wecken", betont er. "Das machen wir als Händler praktisch selbst, indem wir Werbung machen. Bei Fifa 21 sind die Vorbestellungen momentan noch extrem verhalten. Das macht mir ein bisschen Sorgen, und da muss ich selbst tätig werden, weil ich von Electronic Arts bisher keine Poster oder ähnliches bekommen habe. Der Release rückt immer näher. Also drucke ich selbst Poster und hänge sie an der Kasse aus, damit die Leute auf den Release aufmerksam werden."

Displays und Poster
Die Publisher dürften sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen, fordert Kimmlingen: "Ich habe nichts dagegen, selbst Werbung zu machen. Aber es wäre natürlich schon gut, wenn uns Electronic Arts zu Fifa 21 verkaufsfördernde Mittel bereitstellen würde. Andernfalls wird das Spiel weit hinter den Verkaufszahlen des Vorgängers zurückbleiben." Als Vorbild nennt Kimmlingen die Firma Sony: "Die unterstützt uns immer sehr gut mit Aufstellern und Fahnen. Wir haben 1,80 Meter hohe Stoffposter zu TLoU2 erhalten, die wir ins Schaufenster hängen konnten." Ubisoft wiederum habe ein interaktives Display mit großem LED-Bildschirm zur Verfügung gestellt: "Darauf läuft dann Werbung, ohne dass wir uns darum kümmern müssen", so Kimmlingen. "Ubisoft betreibt da schon eine Menge Aufwand. Allerdings erhält längst nicht jeder Händler ein solches Display."

Kimmlingen fände es großartig, wenn Publisher mehr Pre-order-Material bereitstellen würden. Auch eine einheitliche Versionspolitik würde er natürlich begrüßen, um den Beratungsaufwand und Enttäuschungen bei KundInnen zu minimieren. "Es wird aber immer exklusive Versionen für bestimmte Händler geben", so Kimmlingen. "Da sind wir als Indie-Händler natürlich benachteiligt. Aber das ist eben so. Ich kann der Industrie auch keinen großen Vorwurf machen. Amazon ist einfach eine andere Hausnummer als wir." Dennoch sollten die Publisher genau hinhören, wenn Fachhändler wie Kimmlingen ihnen Tipps geben. Denn schließlich sind diese Händler so nah an der Player-Basis wie sonst niemand. (Achim Fehrenbach)

IGM 12/20
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