Verlockende Hilfe: Welche Rolle künstliche Intelligenz in der Game-Design-Ausbildung spielt

Ob Coding, Artwork oder Gameplay-Konzepte, ob QA, Narrative Design oder Synchronisierung: Künstliche Intelligenz kommt in immer mehr Bereichen der Spieleentwicklung zum Einsatz. Für Hochschulen mit Game-Design-Ausbildung ist das eine Herausforderung: Sie stehen vor der Frage, wie sie Generative AI in ihren Lehrbetrieb einbauen. Wir haben mit Bildungsfachleuten darüber gesprochen, wie diese Integration konkret aussehen kann.
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Sie fühlen der Branche auf den Zahn: Alljährlich veröffentlichen die Organisatoren der Game Developers Conference einen Report, der neue Trends und Entwicklungen abbildet. Der „State of the Game Industry Survey“ wird traditionell zwei Monate vor Beginn der GDC veröffentlicht und in den Branchenmedien dann stets intensiv rezipiert. Im Januar 2024 veröffentlichte die GDC ihren Report für 2024, für den sie mehr als 3.000 EntwicklerInnen befragt hatte. Spannendes Ergebnis: Immerhin 31 Prozent der Befragten gaben an, Generative AI für ihre Arbeit zu nutzen. 18 Prozent sagten, sie täten das noch nicht selbst, erlebten den KI-Einsatz aber bei ihren KollegInnen. Der Studie zufolge kommt KI besonders häufig in Management und Finanzwesen, Marketing, PR und Production zum Einsatz. Etwas zurückhaltender zeigen sich die Befragten in Anwendungsbereichen wie Narration, Game Art, Audio und QA – aber auch in diesen Feldern werde Generative AI immer häufiger genutzt. Besonders die rechtlichen Fragen der KI-Nutzung – Stichwort: Urheberrecht – mögen längst nicht vollständig geklärt sein. Dass die Games-Branche KI generell immer stärker nutzt, ist jedenfalls nicht zu übersehen.

Grundlegende Bildungsziele
Wie aber reagieren deutsche Hochschulen und Privatakademien auf die sich ändernden Bedingungen? Wie bauen sie das Thema KI in Game-Design-Studiengänge und artverwandte Fächer ein, um als Ausbildungsstätten relevant zu bleiben? Die grundlegenden Bildungsziele der Einrichtungen sind ja fest in den Curricula verankert – und müssen irgendwie mit der äußerst dynamischen Entwicklung der KI-Technologien in Einklang gebracht werden. Wir haben mit drei Experten darüber gesprochen, wie das gehandhabt werden kann – und wie es bereits konkret gehandhabt wird.

Sylvius Lack ist Professor für Design mit dem Schwerpunkt Game-Design; er lehrt an der Mediadesign Hochschule (mdh) in Berlin. Die inhaltlichen Schwerpunkte des studierten Toningenieurs und früheren Spieleentwicklers sind Level Design, Concepting und Production. Seine Lehrtätigkeit begann Lack bereits vor 25 Jahren an der Berliner Games Academy, die heute eine hundertprozentige Tochter der mdh ist; insofern ist Lack einer der dienstältesten Games-Dozenten im deutschsprachigen Raum. „Natürlich werden KI-Tools an unserer Hochschule genutzt“, betont der Experte. „Wir diskutieren viel darüber, sowohl mit den Lehrenden als auch mit den Studierenden.“ Momentan will die mdh KI als eine Quelle unter vielen behandeln, so Lack. KI-Werkzeuge müssen von den Studierenden also als Quelle genannt werden, wenn daraus beispielsweise Texte entstehen. „Die Bewertung der studentischen Arbeit richtet sich dann immer nach der Schöpfungshöhe“, erläutert Lack. „Wenn sich jemand also von der KI ein Stückchen Code geben lässt, dann möchten wir, dass dieses Stückchen Code als Quelle dokumentiert wird.“

 

Natürlich werden KI-Tools an unserer Hochschule genutzt

 

Workflows dokumentieren
Generell könne man die Nutzung von KI „nicht verbieten und das Rad zurückdrehen“, so der Professor. „Wir ermutigen unsere Studierenden, sie zu benutzen, zum Beispiel in einem Kurs für Concept Art.“ In einem solchen Kurs würden verschiedene Workflows dokumentiert, berichtet Lack. „Ein Workflow, der jetzt neu hinzugekommen ist, ist die Nutzung KI-generierter Bilder für Concept Art.“ Hier gelte es, „informierte, gut überlegte, klare Design-Entscheidungen zu treffen“ – und zwar im Sinne einer angemessenen Schöpfungshöhe. Denn schließlich würden die KI-Erzeugnisse nur in den allerseltensten Fällen auf Anhieb funktionieren, so Lack. „Sie müssen be- und überarbeitet werden, um dem jeweiligen Design-Ziel gerecht zu werden. Diese Schöpfungshöhe muss dokumentiert werden.“ Daran werde dann die eigentliche persönliche Leistung der Studierenden gemessen: „Das Weglassen von Quellenangaben wäre Betrug.“

So verlockend der KI-Einsatz auch sein mag: Lack zufolge haben sich die eigentlichen Kompetenzen, die Kunstschaffende benötigen, mit der Zeit gar nicht so sehr geändert. „Eine Kompetenz besteht darin, das Artwork zu gestalten, das zu einem bestimmten Projekt passt“, erläutert er. „Es soll technisch, gestalterisch und inhaltlich genau das Produkt und die Vision abbilden, die gesucht werden.“ Bei Design-Aufträgen hätten die Kunden häufig nur sehr vage Vorstellungen davon, was sie brauchen und wie dies umzusetzen sei. „Deshalb haben wir den langen Prozess des Entwickelns von Ideen, der Ideation.“ Genau in diesem Prozess gebe es jedoch nun „massive Veränderungen durch KI“, berichtet Lack. „Früher hätte man vielleicht einen Junior Artist zwei bis drei Wochen daran gesetzt, verschiedene Konzepte für ein Artwork auszuarbeiten“, erläutert er. „Jetzt wird ein Senior Artist einen Tag daran gesetzt, KI-generierte Bilder zu retuschieren und ihnen den letzten Schliff zu verpassen.“ Im Arbeitsprozess gehe es auch um das Pareto-Prinzip, erklärt Lack. Das Prinzip besagt, dass 80 Prozent der Ergebnisse mit 20 Prozent des Gesamtaufwands erreicht werden – und dass die verbleibenden 20 Prozent mit 80 Prozent Gesamtaufwand die meiste Arbeit machen. „Ich denke, dass KI den Menschen sehr viel von der Arbeit am 80-Prozent-Sockel abnehmen wird, von dieser mühseligen Kleinarbeit“, so der Experte. „Das sorgt natürlich für einen gewissen Anpassungsdruck. Niederqualifizierte Arbeiten werden tendenziell wegfallen, deshalb sind die Menschen gefordert, sich höher zu qualifizieren.“ Genau das hat dann auch Auswirkungen auf die Inhalte der Hochschulausbildung.

Abkürzung per Midjourney
Auch an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) ist KI bereits Teil der Games-Studiengänge. „Die Nutzung von KI-Tools muss man gar nicht in die Studienpläne reinschreiben“, sagt Ralf Hebecker. „Die Lehrkräfte und Studierenden benutzen das von sich aus.“ Hebecker ist seit zwölf Jahren Professor für Game-Design und Game-Produktion an der HAW – und beobachtet mit Interesse, wie die Studierenden die neuen Tools nutzen. „Im Bachelor-Studiengang haben wir einen Game-Design-Kurs für Medieninformatik-Studierende“, berichtet Hebecker. Das seien meist keine Artists oder DesignerInnen, „sondern Leute, die Spaß an der Entwicklung von Gaming-Ideen haben“. Früher hätten sich die KursteilnehmerInnen das passende Artwork von DesigerInnen geholt oder im Netz gefunden, so Hebecker. „Inzwischen nutzen sie dafür aber Midjourney und andere KI-Tools. Die Ergebnisse sind oft besser als das, was man in manchen Design-Studiengängen so sieht.“ Diese Praxis verfolgt Hebecker allerdings mit gemischten Gefühlen. „Die zunehmende Nutzung von KI-Tools trifft gerade auch Kreativschaffende – zum Beispiel IllustratorInnen –, die ohnehin mit ihrer Arbeit oft am Rande des Existenzminimums entlanglaufen“, gibt er zu bedenken. „Ich habe das Gefühl, dass auch viele Developerinnen und CoderInnen noch nicht wirklich realisiert haben, wie hart sie die Entwicklung der KI-Tools treffen wird.“

Gleichwohl glaubt Hebecker, dass KI längst nicht alle Aufgaben der Spieleproduktion übernehmen kann. „KI-Systeme sind super darin, etwas neu zusammenzumixen oder fiebrig zusammenzuträumen“, sagt er. „Aber sie sind sehr schlecht darin, neue Ideen zu entwickeln. Das machen dann nach wie vor die Artists, DesignerInnen und DeveloperInnen.“ Aus Sicht von Hebecker muss es nach wie vor jemanden geben, der KI-Erzeugnissen einen Wert beimisst, sie kuratiert oder auswählt – ähnlich sieht das ja auch Kollege Lack. Diese Tätigkeit könne allerdings auch etwas undankbar sein, sagt Hebecker: „Man wird dadurch gewissermaßen zum Endmaschinisten. Meine Idee von Kreation ist das nicht.“ Die HAW bietet jedenfalls auch Kurse für Medienethik und Medienphilosophie an, in denen die KI-Nutzung kritisch reflektiert wird.

Nichts vorenthalten
Thomas Bedenk ist davon überzeugt, dass man Studierenden die KI-Tools nicht vorenthalten sollte: „Das ist das Falscheste, was man machen kann.“ Bedenk ist ein Veteran der Games-Branche: Der diplo­mierte Mediendesigner leitete von 2008 bis 2015 das Berliner Studio Brightside Games und war anschließend VP Extended Reality bei Endava/Exozet. Bedenk, der heute als freiberuflicher Berater arbeitet, war zudem Dozent an mehreren Hochschulen und gestaltete dort auch die Lehrpläne mit. „Ich bin ein Freund einer sehr fundierten Grundausbildung“, sagt der Experte. „Das heißt: Ich muss über KI Bescheid wissen, ich muss als Programmierer über Game-Design Bescheid wissen – und umgekehrt auch als Game-Designer über Programmierung.“ Dies gelte übrigens auch für die Ausbildung zum Artist, sagt Bedenk: „Ich muss viel über gutes UX und über die Psychologie des Menschen wissen. Alles, was ich darüber lerne, hilft mir perspektivisch.“ Diese fundierte Grundausbildung stehe jedoch keineswegs im Widerspruch zur Beschäftigung mit KI, betont Bedenk. Zwar sei die schöpferische Leistung von Menschen ein hohes Gut und dürfe nicht verramscht werden. Fakt sei aber, dass KI-Modelle in der Games-Branche immer häufiger zum Einsatz kämen. „Man sollte möglichst viel über sie wissen, um sich auf die Zukunft der Branche einstellen zu können“, sagt Bedenk. „Natürlich wird es noch Verteilungskämpfe und Regulierung geben. Schon jetzt muss man sich aber mit KI beschäftigen und die Studierenden darüber aufklären.“

 

Nur so kannst du übertragbares Wissen schaffen

 

Wie kann diese Beschäftigung mit KI also konkret aussehen? Bedenk plädiert dafür, die einzelnen Tools vor allem im Rahmen von Projekten zu erkunden. „Wenn du motivierte Studierende hast, dann werden die sich schon selbst in ein KI-Tool einarbeiten und damit experimentieren“, sagt er. „Es ist wichtig, ihnen dafür in der Projektarbeit genügend Freiraum zu lassen.“ Man könne zum Beispiel auch einen Blockkurs in den Lehrplan einbauen, um die Funktionsweise von Large Language Models zu vermitteln. „Natürlich immer in einer Sprache, die leicht verständlich ist.“ Es bringe ja nichts, „da einen Superwissenschaftler als Dozenten zu haben, der nur in kryptischen Sätzen spricht und dem man inhaltlich nicht folgen kann“, so Bedenk. Grundsätzlich sei sehr wichtig, beim Thema KI eine gute Balance zu finden. „Viele Studierende wollen natürlich sehr schnell etwas vorzeigen können“, beobachtet der Experte. „Je nach Kontext kann es Menschen schwerfallen, abstraktere Themen aufzunehmen, die erst später wirklich hilfreich sind.“ Entscheidend sei also, eine Balance zwischen dem „Jetzt machen wir mal was“ und dem nötigen Grundlagenwissen zu schaffen.

Geringe Halbwertszeit
Hinzu kommt, wie rasant die KI-Revolution vonstatten geht. „KI-Tools entwickeln sich noch schneller weiter als die anderen Produktionsmittel für Games“, sagt Bedenk. Es sei also sehr wichtig, immer wieder zu hinterfragen, was man den Studierenden überhaupt gerade beibringen wolle. Einen solchen Aktualitätsdruck habe es an Games-Akademien aber schon immer gegeben, erklärt Bedenk. „Die Akademien mussten schon immer darauf achten, technisch auf dem neuesten Stand zu sein.“ Weil die KI-Entwicklung aber besonders rasant sei, könne es durchaus vorkommen, „dass die Tools, die du im ersten Semester verwendest, im vierten Semester schon gar nicht mehr existieren“. Statt solcher kurzlebigen Lehrinhalte sollten Akademien deshalb verstärkt die gesellschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen der KI-Nutzung aufzeigen, fordert Bedenk. Man müsse veranschaulichen, was KI gut könne – und was eben eher nicht so gut. „Nur so kannst du übertragbares Wissen schaffen und die Studierenden auf die Zukunft vorbereiten“, sagt Bedenk. Gelinge es einer Akademie oder Hochschule, den nötigen Mehrwert in der Ausbildung zu schaffen, dann werde sie durch die KI-Revolution auch nicht obsolet. „Anders sieht es aus, wenn man Studierenden über Jahre hinweg immer nur die selben, veralteten Tools beibringt“, warnt Bedenk.

Ralf Hebecker glaubt, dass die KI-Umwälzungen die staatlichen Fachhochschulen nicht ganz so hart treffen werden. „Ich glaube aber, dass sich manche privaten Hochschulen ganz schön umschauen müssen, wenn sie sehr anwendungsorientiert sind“, sagt er. „Sie punkten ja unter anderem damit, dass sie nah an den Softwares und an der Praxis sind.“ Stichwort Praxis: Eine Ausbildung zum Prompt Engineer hält Hebecker beispielsweise für zu kurz gedacht. „Dieses Prompten ist eine sehr robotische Idee, nach dem Motto: ‚Erzeuge mir ein Bild von Guybrush Threepwood im Electropunk-Look.‘“ Was sich Hebecker stattdessen wünscht, ist „ein schlauer Assistent, der meine Ideen umsetzt – also zum Beispiel ein Game wie GTA im Lego-Look. Um die Details will ich mich dann vielleicht nur noch begrenzt kümmern.“ Die Frage, wie KI künftig die Game-Design-Ausbildung beeinflusst, kann also munter weiterdiskutiert werden. (Achim Fehrenbach)

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