Der 14. September war kein guter Tag für App Annie. Da nämlich gab die US-Börsenaufsicht SEC bekannt, dass der Anbieter von Mobilmarktdaten eine Strafe von 10 Millionen US-Dollar zahlen muss. Die Begründung: Wertpapierbetrug. App Annie und ihr früherer CEO Bertrand Schmitt hätten zwischen Ende 2014 und Mitte 2018 vertrauliche Kundendaten genutzt, um Prognosen an Dritte zu verkaufen – und diese dann auch noch ermutigt, auf Basis der Daten Aktiengeschäfte zu tätigen. Das Echo ließ nicht lange auf sich warten. In seinem Newsletter nannte SuperData-Gründer Joost van Dreunen das Handeln von App Annie "einen riesigen Bärendienst an der Integrität der wohlmeinenden und hart arbeitenden Analysten da draußen, die Dichtung von Wahrheit zu trennen versuchen". Die Spielebranche – und die Entertainment-Branche insgesamt – seien ein gewaltiges Pokerspiel, in dem jeder herauszufinden versuche, was der andere auf der Hand habe – aber niemand diese Informationen teilen wolle. "Die Vermittler, die dieses Vakuum zu füllen versuchen, spielen eine entscheidende Rolle", so van Dreunen. "Eine Rolle, die jetzt noch schwieriger geworden ist."
Ein riesiger Bärendienst
Kritische Beobachtung
Van Dreunen trifft den Nagel auf den Kopf: Die Games-Marktforschung kann eine Glaubwürdigkeitskrise so gar nicht gebrauchen – weil ihre Arbeit ohnehin schon häufig angezweifelt wird. Gelten die Daten eines Anbieters nicht mehr als verlässlich, dann suchen sich die Kunden eben einen anderen Anbieter – der aber dann auch wieder unter höchst kritischer Beobachtung steht. Beim Umgang mit Marktzahlen vorsichtig zu sein, ist natürlich keineswegs falsch. Aber zum einen wollen Kunden nicht ständig Marktdaten mit anderen Quellen vergleichen – und zum anderen wollen Anbieter nicht ständig unter Rechtfertigungsdruck stehen. Die App-Annie-Verfehlungen liegen zwar schon ein Weilchen zurück – aber sie haben das Leben der anderen Business-Intelligence-Firmen keineswegs einfacher gemacht, im Gegenteil.
Immerhin: Wer als Kunde nach Marktdaten und Analysen sucht, hat heutzutage eine große Auswahl. Welche Quellen besonders relevant sind, hängt natürlich vom Marktteilnehmer selbst ab: Ein Publisher von bereits etablierten AAA-Titeln wird andere Daten benötigen als ein Indie-Developer, der gerade nach einer Marktnische sucht; ein Hardware-Hersteller mit Schwerpunkt Europa braucht andere Zahlen als einer, der den chinesischen Markt erschließen möchte. Kurz gesagt: Bei der Wahl der passenden Datenquellen kommt es auf die Perspektive an – und natürlich auch auf das nötige Kleingeld. Viele BI-Firmen stellen einen Teil ihrer Daten kostenlos zur Verfügung – zum Beispiel Markttrends und Reports. Das soll potenzielle Kunden anlocken, die dann auch bereit sind, für detaillierte Datenabfragen zu zahlen. "Bei Metriken kommt normalerweise ein Abo-Modell zum Einsatz", sagte Stéphane Rappeneau im IGM-Interview der vergangenen Ausgabe. "Man zahlt monatlich oder jährlich einen bestimmten Betrag, der auch von der Anzahl der bezogenen Module abhängt." Große Marktforschungsunternehmen wie Nielsen oder Niko Partners hätten maßgeschneiderte Produkte mit individueller Preisgestaltung. Und "eine recht gute und gründliche Marktstudie kann zwischen 50.000 und 100.000 US-Dollar kosten", berichtet Rappeneau. Kleinere Indie-Studios können sich das nicht leisten – weswegen Rappeneau, im Hauptberuf Investment-Experte bei der Société Générale, eine eigene Marktübersicht angefertigt hat. Die Studie ("Video Game Market Business Intelligence", pdf online abrufbar) vergleicht rund 40 BI-Plattformen, die Daten und/oder Analysen aus dem Spielemarkt bereitstellen. Ergänzt wird sie um ein detailliertes Online-Spreadsheet, das Rappeneau aktuell hält – eine gute Sache!
Für uns sind diese Daten essenziell
Verbandsdaten-Jonglage
Bevor wir uns nun die unterschiedlichen Datenquellen anschauen, werfen wir noch kurz einen Blick auf die Website des game. Denn immerhin publiziert der Bundesverband recht häufig neue Studien und Charts, die auf unterschiedlichen Datenquellen beruhen. Die Publikationen sollen nicht nur die Branche informieren, sondern natürlich auch die allgemeine Öffentlichkeit – zum Beispiel dann, wenn es um das Wachstum des deutschen Spielemarktes geht. Bei seinen Jahresreports setzt der game beispielsweise stark auf die Gesellschaft für Konsumforschung: Als Quellen nennt er das GfK Consumer Panel, GfK Entertainment und GfK POS Measurement. Verkaufszahlen von Mobile Games und Zahlen zu In-App-Purchases bezieht der Verband derweil von App Annie. Beim game Sales Award wiederum setzt der game auf die aktuellen Verkaufszahlen, die GfK Entertainment liefert. Eigens erhobene Daten fließen in gleich mehrere Publikationen ein: Das "Branchenbarometer" basiert auf Mitgliederbefragungen, das Online-Verzeichnis gamesmap.de speist sich aus "Branchenbeobachtungen und -recherchen" sowie entsprechenden "Hochrechnungen und Expertenbefragungen". Wie die genau designt sind, wird allerdings nicht verraten. In jedem Fall dürften die zahlreichen Datenerhebungen und Studienbeauftragungen die game-Mitglieder (mittelbar) ein hübsches Sümmchen Geld kosten ...
Im vorliegenden Artikel liefern wir nun aber einen kompakten Überblick über sonstige Datenquellen. Die haben wir nicht einfach aufgelistet, sondern nach Themen sortiert. Will heißen: Manche Analysten sind auf Digital Sales spezialisiert, andere auf Gaming-Hardware, wieder andere auf E-Sport-Trends oder den asiatischen Markt. Dass es dabei Überlappungen gibt, versteht sich von selbst. Hier also die thematische Auswahl.
Retail-Verkaufszahlen
Diese Zahlen sind natürlich hoch relevant für die Planungen der Hersteller. Doch wie gelangen sie eigentlich zu denen? NBG-Chef Markus Biehl berichtet, dass Händler meist wöchentlich Zahlen zur Verfügung stellen – häufig am Montag oder Dienstag der nachfolgenden Woche. NBG fasst diese Zahlen dann zusammen und leitet sie an die kooperierenden Hersteller weiter. Die wichtigsten Kennziffern seien die Ausliefermenge, der Handelsbestand und die durchverkauften Produkte, so Biehl. "Für uns sind diese Daten essenziell, weil darauf unsere gesamten Produktionsabläufe basieren. Und man erkennt auch wirklich gut Nachfragetrends. Auch für die Kampagnen-Planung und -Bewertung sind diese Zahlen unerlässlich." Ergänzend bezieht NBG Marktdaten und Trend-Berichte von Sparkers (Game Sales Data). Die dienen dann unter anderem dem Abgleich mit den eigenen Zahlen.
Konsolenmarkt
Wie sagte Stéphane Rappeneau schon im IGM-Interview? "Der Konsolenmarkt ist die größte Black Box." Der Grund ist, dass die Betreiber weitgehend hermetische Walled Gardens errichtet haben, aus denen kaum Daten nach draußen dringen – im Grunde genommen haben also nur Konsolenbetreiber und Publisher verlässliche Zahlen. Ein wenig Einblick bietet immerhin der Buzz Tracker "Gamespot 50": Der ist zwar methodologisch undurchsichtig und nur auf die Gamespot-Websites beschränkt, zeigt aber immerhin bestimmte Trends und (zu vermeidende) Release-Windows. Einen ähnlichen Service bietet ICO Partners mit seinem Switch-Newsletter, der Trends auf der Nintendo-Konsole verdeutlicht.
PC-Markt
Einer der besten Kenner des Spielemarkts ist Simon Carless. Früher organisierte er die Game Developers Conference und das Independent Games Festival, heute betreibt er mit GameDiscoverCo seine eigene Beratungsplattform. Carless bietet dort unter anderem einen Gratis-Newsletter mit pointiert geschriebenen Analysen. Wer mehr will, kann ein Abo für In-Depth-Analysen abschließen oder sich gleich direkt beraten lassen. Ebenfalls sehr hilfreich ist die Seite Steam 250: Sie liefert gratis (!) nach Filtern sortierte Rankings der 250 umsatzstärksten Steam-Games – womit dann auch schon die wesentlichen Steam-Player abgedeckt sind. VG Insights bietet – teils gratis – Statistiken zu den am besten laufenden Genres. Und das auf sehr übersichtliche Art und Weise.
Mobile Games
Hier ist App Annie – trotz des Skandals – auch weiterhin die Anlaufstelle Nummer eins. Gemessen werden unter anderem die Verkaufszahlen, die In-App-Purchases und die User Retention. Kunden können sich sehr umfassend zu bestimmten Teilmärkten informieren lassen – allerdings auch zu entsprechenden Preisen. Ein weiterer Anbieter von Mobile-Games-Daten ist die Firma Sensor Tower.
Globaler und regionaler Spielemarkt
Newzoo ist eine der ersten Anlaufstellen, was Weltmarktdaten und globale Trends betrifft. Allerdings neigt sie etwas dazu, bestimmte Segmente zu überschätzen – zum Beispiel das Wachstum von VR. Dennoch werden Newzoo-Daten von zahlreichen Investoren als Orientierungshilfe genutzt. Auf der Website gibt es auch einige Gratis-Reports, etwa zum Wachstum des Mobile-Markts. Bei europäischen Marktdaten ist die GfK recht stark, bei nordamerikanischen die Kooperation aus Nielsen und NPD. Allerdings mit gesalzenen Preisen.
Asien
Der Spezialist für China und andere Teilmärkte ist die Firma Niko Partners. Stéphane Rappeneau beschreibt sie als "extrem zuverlässig und in der Zusammenarbeit sehr angenehm." Der Social Community Manager von Niko Partners (@Zhugeex auf Twitter) ist einer der führenden Game-Influencer weltweit. Niko Partners erstellt zudem einen wöchentlichen Gratis-Newsletter, in dem es unter anderem um Themen wie Regulierung, E-Sport und Streaming geht – vor allem in Korea und China.
E-Sport
Apropos digitaler Sport: Hier ist neben Newzoo auch der Anbieter Sully Gnome zu empfehlen. Sully Gnome durchforstet vor allem die Streaming-Plattform Twitch – und liefert damit wertvolle Einblicke in besonders trendige E-Sport-Titel.
Dies war nur ein kurzer Überblick der vielfältigen Datenquellen, die es für den Spielemarkt gibt. Weitere Infos und Trend-Reports gibt es beispielsweise unter twitter.com/StefRappeneau. (Achim Fehrenbach)