Goldschürfer: Beispiele für Indie-Publishing in Deutschland

Indie-Publisher sind so etwas wie die Goldschürfer unter den Spielefirmen: Sie stehen knietief im Fluss der Indie-Games und sieben den abgelagerten Sand – immer auf der Suche nach glänzenden Indie-Nuggets. Mit anderen Worten: Sie sind Kuratoren, die Nischentitel auswählen und publizieren – und ihnen damit ein Gütesiegel aufprägen. In Deutschland wächst die Zahl der Indie-Publisher kontinuierlich, wobei sich ihre Herangehensweisen teils stark unterscheiden. Wir stellen beispielhaft drei deutsche Indie-Publisher vor: ihr Portfolio, ihre Services und Distributionskanäle.
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© A Stockphoto/stock.adobe.com
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Was ist eigentlich ein Indie-Game? Diese Frage sollten wir kurz klären, bevor wir uns mit Indie-Publishern beschäftigen. Tatsächlich ist "indie" bzw. "independent" ein recht schwammiger Begriff. "Es gibt keine wissenschaftlich gültige Definition – und auch die oft gewählten Kriterien wie Größe, Finanzierung und ästhetischer Anspruch hinken häufig", sagt André Bernhardt von "Indie Advisor & Company", der Spielefirmen und Publisher berät. An der Team-Größe von Entwicklerstudios lässt sich der Begriff beispielsweise kaum festmachen: Ob man mit 10 Leuten noch "indie", mit elf Leuten aber schon nicht mehr "indie" ist, sei doch eine völlig willkürlich Festlegung, sagt Bernhardt. Auch ob ein Projekt nur aus eigenen Mitteln, durch Crowdfunding oder Investoren- und Publisher-Gelder finanziert werde, sei dafür letztendlich nicht entscheidend. Stattdessen wählt Bernhardt eine vorwiegend inhaltlich-gestalterische Definition: "Indie-Teams müssen kreative und rechtliche Freiheiten haben, zu tun, was sie tun wollen – und zudem über eine kreative Vision sowie unternehmerische Denke verfügen." Dass Indie-Games von Kleinstteams in der Garage programmiert werden und möglichst pixelig-exzentrisch daherkommen, am besten mit einem irrlichternden Flöten-Soundtrack: Das ist zum Klischee geronnene Indie-Urzeit. Was bleibt, ist der Wille, ein Projekt auch abseits des Blockbuster-Mainstreams zu produzieren – wobei diese Nische durchaus lukrativ sein kann.

Eine Frage der Perspektive
"Indie-Publisher" sind also Spieleverlage, die genau solche Projekte fördern und veröffentlichen. Verschiedentlich wird für sie auch der Begriff "Boutique-Publisher" verwendet, was zumindest die Consumer-Sicht ganz gut beschreibt. Schließlich ist eine Boutique (im Einzelhandel) ein kleines Ladengeschäft, das keiner Kette angehört – und das einer klar definierten Zielgruppe ein eng umgrenztes, teils exklusives Sortiment bietet: Ein Ort also, an den KundInnen immer wieder zurückkehren, weil sie verlässliche Empfehlungen suchen. Genau das leisten "Boutique-Publisher" ja auch, indem sie die Goldnuggets aus dem Strom zahlloser Indie-Projekte fischen. Aus Anbietersicht greift der Begriff allerdings etwas zu kurz, weil es inzwischen ganz unterschiedliche Arten von Indie-Publishing gibt. Da wären zum Beispiel die Spieleverlage, die ausschließlich Titel externer Studios publizieren – aber eben auch Verlage, die parallel Inhouse-Development betreiben. Außerdem entdecken immer mehr AAA-Publisher die Indie-Nische für sich – ob nun mit den "Playstation Indies", "ID@Xbox", den "EA Originals" oder der "Ubisoft Indie Series". Der deutsche Publisher und Distributor Koch Media betreibt mittlerweile ein eigenes Indie-Label namens "Ravenscourt" – und auch das große deutsche Entwicklerstudio Deck 13 integriert mit "Spotlight" zunehmend Indie-Games in sein Portfolio. Eine Firma wie astragon (vgl. IGM 10/2021) setzt ihren Portfolio-Schwerpunkt zwar auf bewährte Simulationsreihen wie den Landwirtschafts-Simulator, ist aber ebenfalls verstärkt im Indie-Bereich aktiv – zum Beispiel mit Among Us oder CrisTales. Dass "indie" auch innerhalb des Simulations-Genres stattfindet, zeigt die Firma Aerosoft: Sie veröffentlicht eben nicht nur Sim-Blockbuster, sondern auch Indie-Titel wie Megaquarium oder Grand Casino Tycoon.

Im vorliegenden Artikel soll es nun allerdings um deutsche Firmen gehen, die sich auf Indie-Games im Bernhardtschen Sinne spezialisiert haben: Also auf Verlage mit breit gestreuten Portfolios, die vorwiegend aus Nischentiteln bestehen. Ihr Ausgangspunkt und ihre Herangehensweise ist dabei allerdings sehr unterschiedlich. Mixtvision aus München zum Beispiel ist ein inhabergeführtes Medienhaus mit den Bereichen "Verlag", "Film + TV" sowie "Games", das seinen Fokus (laut Eigenbeschreibung) auf "bewegende Geschichten in allen Medien" legt. "Die Wurzeln von Mixtvision liegen im klassischen Buchverlag, jedoch wurden die Bücher schon früh um digitale Medienformate ergänzt, etwa um Bilderbuch-Filme oder um besondere E-Books", erzählt Alexandra Palme, die Marketing und PR verantwortet. In den Games-Bereich stieß Mixtvision mit Produktion und Publishing von Mobile Apps für Kinder vor – etwa mit Die Biene Maja: Blumenparty (2013) oder Oh, wie schön ist Panama (2015). Indie-Games im eigentlichen Sinne hat Mixtvision seit 2018 im Portfolio – da nämlich veröffentlichte der Verlag das Spiel FAR: Lone Sails des Schweizer Indie-Studios Okomotive. "Erstmalig haben wir dabei ein Game herausgebracht, das eine ältere Zielgruppe adressiert – und schlussendlich eine Genre-Perle veröffentlicht, die vielfach ausgezeichnet wurde und sowohl bei der Kritik als auch beim Publikum einen Nerv traf", freut sich Palme. Es folgten der Noir-Detective-Thriller Interrogation: You will be deceived des rumänischen Studios Critique Gaming (2019) sowie Minute of Islands, ein preisgekröntes Adventure von Studio Fizbin (2021). Gerade erst veröffentlicht hat Mixtvision das Sidescroller-Rätselspiel A Juggler's Tale von Kaleidoscube (Release: 29.9.). Kommende Highlights sind die Rätselspiele Onde und White Shadows – genaue Release-Termine stehen für sie allerdings noch nicht fest.
 

Die Möglichkeit, bei neuen Titeln ein begründetes Veto einzulegen

 
Starke Geschichten
Beim Portfolio setzt Mixtvision auf erzählerische und bewegende Inhalte, erläutert Alexandra Palme. "Wir glauben, dass wir Menschen sowohl auf gesellschaftlicher als auch auf individueller Ebene starke Geschichten und tiefgründige Erfahrungen brauchen, um die Welt besser verstehen zu können und Empathie zu entwickeln." Der Fokus liege auf Games, die nicht nur Botschaften, sondern auch Erkenntnisse vermittelten. "Dabei sollte eine starke Verbindung zwischen Gameplay und Narration bestehen, um dem Medium gerecht zu werden und im Idealfall Gedanken und Gefühle anzuregen", betont Palme. "Darüber hinaus legen wir ein großes Augenmerk auf außergewöhnliche Art Direction." Als kleiner Publisher müsse Mixtvision besonders selektiv vorgehen – man habe schlichtweg nicht die Kapazitäten, jedes Jahr eine große Anzahl an Titeln zu veröffentlichen. "Dafür konzentrieren wir uns bei einer Zusammenarbeit mit voller Kraft auf jeden einzelnen Titel", so Palme weiter. "Bei der Auswahl spielt nicht nur die Qualität des Spiels eine entscheidende Rolle, sondern auch eine gute Beziehung zum Entwicklerteam. In der Regel arbeitet man mindestens über mehrere Monate, manchmal auch über mehrere Jahre hinweg eng zusammen. Damit das funktioniert, ist ein vertrauensvolles Verhältnis entscheidend." Mixtvision arbeitet sowohl mit etablierten als auch mit aufstrebenden Studios zusammen, die gerade erst ihren Debüt-Titel entwickeln. "Auch Co-Publishing-Modelle sind möglich, bei denen die Partner ihre jeweiligen Stärken einbringen", sagt Palme – und nennt als Beispiel White Shadows (Monokel), das in Zusammenarbeit mit Headup veröffentlicht wird.

Tatsächlich ist Headup einer der ältesten und bekanntesten deutschen Indie-Publisher. Die Firma aus Düren hat sich seit ihrer Gründung im Jahre 2009 mit zahlreichen Veröffentlichungen einen Namen gemacht – zum Beispiel mit The Inner World, Trüberbrook und Bridge Constructor: Portal. Anfang des Jahres wurde Headup von der schwedischen Thunderful Group übernommen, die mit Thunderful Publishing selbst einen Spiele-Publisher betreibt (vgl. IGM 12/2021). Headup hat für die kommenden Monate erneut einige Highlights in petto, berichtet PR-Manager Gregor Ebert. "Die wichtigsten Titel bei Headup sind aktuell der First-Person Mystery-Shooter Industria [VÖ 30.9.], der düstere 2.5D-Plattformer White Shadows und die Weiterentwicklung beziehungsweise später der Full Release unserer ersten Inhouse-Produktion Tinkertown – ein prozedurales Multiplayer-Sandbox-Rollenspiel im Pixel-Look." Bei  der Suche nach neuen Portfolio-Perlen setzt der Publisher unterschiedliche Kriterien an – Ebert nennt grafisches und spielerisches Potenzial, aber auch das berühmte "Bauchgefühl". Angesichts wachsender Konkurrenz werde aber auch der potenzielle finanzielle Erfolg immer wichtiger: "Hier spielen dann zum Beispiel Trends eine Rolle, wie etwa mit Tinkertown ein erster Vorstoß in eine langfristigere Games-as-a-Service-Richtung, die den Spielern viele kreative Möglichkeiten und Online-Funktionalitäten bietet." Lizenzen seien hilfreich, wenn man globale Aufmerksamkeit erzielen wolle – zum Beispiel mit Bridge Constructor Portal. "Generell werden potenzielle Titel natürlich weiterhin auf optische und spielerische Kriterien beziehungsweise auf ihre USPs geprüft", so Ebert. Und natürlich mit besagtem Bauchgefühl begutachtet. "Egal wie viel Potenzial ein Spiel hat, das Entwicklerteam muss uns sympathisch sein und zu Headup passen", betont der PR-Mann. "Zudem gab es in der Vergangenheit stets für das gesamte Headup-Team die Möglichkeit, bei neuen Titeln ein begründetes Veto einzulegen."

Breite Unterstützung
Doch welche Vorteile genießen Studios überhaupt, wenn sie mit Headup kooperieren? "Generell nehmen wir EntwicklerInnen im Vergleich zum Self-Publishing durch zusätzliche Manpower eine Menge Arbeit ab und unterstützen sie", berichtet Ebert. "Sei es bei der Vermarktung, bei der QA oder etwa beim Anlegen eines Spiels auf den diversen Verkaufs-Plattformen." Gerade neuen Studios unterliefen hierbei häufig Fehler, die Headup dank seiner Erfahrung vermeiden helfe. "So haben die EntwicklerInnen mehr Zeit, sich voll und ganz auf die Fertigstellung ihres Spiels zu konzentrieren", sagt Ebert. Als Publisher helfe man den Studios auch, die Flut der Anfragen von Pressevertretern, Influencern sowie Scammern (!) zu bewältigen. Dazu komme natürlich auch die finanzielle Unterstützung und die Vermittlung von Kontakten, etwa zu First-Partys, Agenturen und Event-Veranstaltern. "Auch die Langzeitvorteile sollten nicht vergessen werden", sagt Ebert. "Auf dem heutigen, sehr überfüllten Spielemarkt sind Wishlist-Einträge und wiederkehrende Sales sehr wichtig geworden. Allein dafür haben wir mit Julian Broich einen erfahrenen Sales Manager, der stets über bestehende Optionen auf dem Laufenden ist und so schon weit im Voraus planen, buchen und vorbereiten kann."

Noch ganz frisch im Publishing-Business ist die Hamburger Firma Moon­eye Studios: Erst Anfang 2021 startete sie ihr eigenes Publishing-Label Mooneye Indies. "Vorher waren wir reine Entwickler und haben vor allem an unserem Spiel Lost Ember gearbeitet, das wir aber auch schon selbst gepublisht haben", berichtet CEO Tobias Graff. "Nach dem Release von Lost Ember haben wir dann angefangen, auch mit externen Studios zu sprechen und andere Spiele zu publishen. Das erste war dabei Haven Park im August 2021." Der entspannte Mix aus Parkmanagement und Erkundung ist auf Switch, Steam und anderen Download-Plattformen verfügbar. Laut Graff steckt Mooneye gerade mitten in den Vorbereitungen für den nächsten Release, der aber noch nicht offiziell ist. Für 2022 suche man jedenfalls nach neuen Publishing-Projekten.

Schnelle Wandlung
Doch warum ist Mooneye so schnell vom reinen Entwickler zum Entwickler und Publisher geworden? "Uns ist vor allem wichtig, gerade jungen Studios beim Release ihrer Spiele in allen Bereichen unter die Arme zu greifen", so Graff. "Wir sind selbst als Entwicklerstudio gestartet und kennen die größten Sorgen und Probleme, die wir damals hatten – und wollen nun anderen Studios in genau diesen Bereichen helfen." Eine angenehm lockere Zusammenarbeit sei dabei sehr wichtig, betont der CEO. Zudem müsse Mooneye seine Ressourcen als nur vierköpfiges Team besonders effizient nutzen: "Dabei ist die wichtigste Frage, die wir uns bei der Auswahl von Spielen stellen: Würde unsere bestehende Community dieses Spiel mögen? Gemütliche und entspannte Spiele oder Spiele mit einem Fokus auf eine atmosphärische Erzählung liegen dabei ganz weit vorne." Grundsätzlich hilft Mooneye als Publisher bei Finanzierung und Marketing, aber auch bei Entwicklung und Portierungen. "Außerdem kümmern wir uns um Bereiche, die meist ausgelagert werden und viel Kommunikationsaufwand benötigen – wie QA oder Lokalisierung", sagt Graff.
 

Würde unsere bestehende Community dieses Spiel mögen?

 
Die allermeisten Indie-Games erscheinen heutzutage rein digital: Allein auf Steam sind es rund 10.000 pro Jahr. Wie wichtig ist da eigentlich der stationäre Handel, speziell für Indie-Publisher wie Mooneye? "Der physische Vertrieb ist natürlich allein deswegen interessant für viele Indie-Studios, weil es ein extrem schönes Gefühl ist, das eigene Spiel tatsächlich in den Händen zu halten", gibt Graff zu bedenken. "Finanziell macht es meist allerdings wenig Sinn, da der physische Handel gerade bei kleineren Spielen häufig nur einen kleinen Teil der gesamten Verkaufszahlen ausmacht, die Kosten aber gleichzeitig enorm in die Höhe treibt." Eine Ausnahme seien Collector's Editions, die bei Edelfans nach wie vor große Begeisterung erzeugten – auch im Indie-Bereich. "Ob man physische Versionen anbietet, muss man da einfach individuell je nach Spiel entscheiden", so Graffs Fazit. Derweil steht Mixtvision physischen Releases "als haptische Ergänzung" grundsätzlich positiv gegenüber, sagt Alexandra Palme. Allerdings sei die Zielgruppe so spitz, dass Standard-Editionen im stationären Handel nur eine untergeordnete Rolle spielten. "Wir setzen stattdessen auf die Zusammenarbeit mit Partnern, die spezielle Sammler-Ausgaben von bereits erschienenen Titeln produzieren und online weltweit vertreiben", resümiert Palme.

Schöne Boxen
Gregor Ebert sieht den stationären Vertrieb der Headup-Titel nur noch als Nischenmarkt. "Nichtsdestotrotz sind wir für tolle Collector's Editions von Indie-Games bekannt und lieben nach wie vor schöne physische Boxen", betont er. So kooperiere man mit Firmen, die auf limitierte Sammlerboxen spezialisiert seien. "Wir haben unter anderem bereits mit Limited Run Games gearbeitet oder auch mit unserer Schwesterfirma Gamefairy, über die wir ebenfalls hochwertige, limitierte Collector's Editions von Indie-Games anbieten", berichtet Ebert. "So bleiben wir unserem guten Ruf als Publisher solcher physischen Editionen treu. Ein Blick lohnt sich!" Womit er definitiv recht hat. (Achim Fehrenbach)

IGM 13/21
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