Spiele-Lokalisierungen: Aber bitte auf Deutsch!

Deutsche Sprachausgabe und Texte, angepasste Menüs und vieles mehr: Die Lokalisierung von Computer- und Videospielen ist technisch aufwendig und kostenintensiv. Wissen Spielerinnen und Spieler diese Strapazen überhaupt zu schätzen oder ist die Anpassung von Produkten an den deutschen Markt ein reines Luxusproblem?
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© Robert Kneschke/stock.adobe.com
© Robert Kneschke/stock.adobe.com

Deutschland ist ein Land der Computer- und Videospiele. Das Jahr 2020 bescherte der Gamesbranche laut der der Marktforschungsunternehmen GfK und App Annie einen Rekordumsatz von 8,5 Milliarden Euro. Das ist ein Zuwachs von 32 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, sicherlich auch der Corona-Pandemie geschuldet. 1,1 Milliarden Euro flossen dabei in den Kauf neuer Software und 3,5 Milliarden Euro in den von Gaming-Peripherie. Deutsche Spielerinnen und Spieler investieren gerne in ihr Hobby. Da scheint eine entsprechende Anpassung der veröffentlichten Spiele an den deutschen Markt nur ein logischer Schritt zu sein. Aber ist das Lokalisieren von Games wirklich notwendig? Schließlich spricht die Welt doch Englisch, und andere Medien wie Filme sind im Original meist ohnehin viel besser. IGM hat bei Branchen-Insidern nachgefragt.

Ein klares "Ja" zur deutschen Sprache
Tim Westphal, Senior Communications Manager GSA bei Koch Media, ist ein Befürworter der Lokalisierung von Computer- und Videospielen. Bildschirmtexte, Menüführung und Sprachausgabe müssen seiner Ansicht nach auf Deutsch angeboten werden, um eine möglichst große Zielgruppe zu erreichen. Ihm geht es vor allem um Zugänglichkeit und darum, dass Jung und Alt Spiele erleben und verstehen können. Durch eine gelungene Lokalisierung verbessere man seiner Ansicht nach nicht nur den Spielspaß, sondern erweitere auch die mögliche Käuferschaft.

Eine möglichst große Zielgruppe erreichen

Diesen Aspekt untermauert Stefan Dinger, Head of Localisation bei Ubisoft Blue Byte, mit Daten einer eigens zum Thema durchgeführten Umfrage. Demnach spielt eine überwiegende Mehrheit der Ubisoft-Gamer in ihrer eigenen Landessprache. Immer wieder erhält das Team positive Rückmeldungen für die Übersetzungen der Spiele. "Einige Teilnehmer und Teilnehmerinnen an diesen Umfragen geben sogar an, dass sie ein Spiel nur dann kaufen würden, wenn es auf Deutsch spielbar sei. Auch eine Mischung aus Originalsprache mit deutschen Untertiteln ist nicht ideal, da sie sich negativ auf die Immersion auswirken kann", betont Dinger. Gerade in Zeiten, in denen Barrierefreiheit und Inklusion in Spielen an Bedeutung gewinnen, wäre es der falsche Schritt, auf die Lokalisierung zu verzichten, da sie Menschen, die vielleicht nicht so gut Englisch sprechen, den Zugang zu Spielen erst ermöglicht.

Lokalisierung als Teil von Marketing und PR-Arbeit
Lokalisierte Texte und Sprachausgabe sind bereits Monate vor Erscheinen ein wichtiges Verkaufsargument. Marketing-, Social-Media- und PR-Kommunikation müssen im Idealfall bereits frühzeitig auf die deutsche Übersetzung umgeschaltet werden. "Für mich ist es beispielsweise sehr wichtig, dass in einem neuen Trailer für unser größtenteils deutschsprachiges Vertriebsgebiet auch deutsche Texte enthalten sind. Videos sind ein sehr schnelles Medium. Entsprechend direkt benötigst du einen Zugang dazu, und dieser erfolgt beim Publikum am besten über die Sprache", betont Tim Westphal im Video-Interview mit IGM. Die wichtigsten Unique-Selling-Points und Begrifflichkeiten müssten hier als Erstes genannt werden. Gibt es für einen Titel beispielsweise aus Budgetgründen keinen Trailer, drängt Westphal zumindest darauf, dass auf den Screenshots die deutschen Menüs oder die Benutzeroberfläche abgebildet sind. "So sehen User die Übersetzung. Für viele ist die Lokalisierung weiterhin ein Kaufkriterium", fasst Westphal seinen Punkt zusammen.

Trotzdem stellt das "Eindeutschen" eine große Herausforderung im Hinblick auf die Veröffentlichung dar. Schließlich müssen in Pressemitteilungen und Trailern verwendete Fachbegriffe auch mit dem späteren Produkt übereinstimmen. Marco Süß, Senior PR Manager bei Bandai Namco Entertainment Deutschland, erklärt im Interview die Prozesse dahinter: "Es gibt intern eine Wiki. Dabei handelt es sich um eine Art Bibel zu jedem Spiel. Darin steht, wie die internen Übersetzer bestimmte Spielelemente übersetzt haben. Diese Aufgabe übernimmt stets ein eigenes Team beziehungsweise eine Agentur. Uns ist es wichtig, dass es auch bei der Übersetzung einen roten Faden gibt, der sich durch unsere Kommunikation bis ins Spiel durchzieht."

Lokalisierung wichtig für die Presse?
Eine gelungene Lokalisierung hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab: sinnvoll übersetzten Texten und den zu den Charakteren passenden Sprechern, aber auch optimierten Bildschirmtexten. Christian Dörre, Redakteur bei Computec Media, setzt sich bei der Berichterstattung über aktuelle Computer- und Videospiele seit acht Jahren täglich mit guten und schlechten Lokalisierungen auseinander. Eine gelungene Anpassung ist für ihn ebenso Teil des Spielerlebnisses wie die Grafik oder die Spielbarkeit: "Man merkt relativ schnell, ob ein Spiel hinsichtlich der Übertragung ins Deutsche rund läuft. Eine misslungene Lokalisierung führt natürlich zu einer Abwertung. Wie stark diese ausfällt, hängt davon ab, wie negativ sich die Lokalisierung auf das Spielerlebnis auswirkt."

Bei kleineren Übersetzungsfehlern in textlastigen Spielen wie dem kürzlich erschienenen "Lost Judgment" drückt er nochmal ein Auge zu, erwähnt es aber im Text. Unprofessionell eingesprochene deutsche Texte allerdings können für den Journalisten ein absoluter "Atmosphäre-Killer" sein und ziehen deutliche Kritik mitsamt Abwertung nach sich. "Das Medium Videospiel lebt schließlich von Immersion. Wird diese durch eine lausige Lokalisierung kaputtgemacht, ist das ein großes Problem."

Allerdings bestätigt er auch, dass die Spieleindustrie im Bereich Lokalisierung viel professioneller geworden ist. Inzwischen wissen Entwickler und Publisher um die Bedeutung einer guten Lokalisierung und investieren entsprechend Zeit, Geld und Aufwand. Das honoriert nicht nur die Presse, sondern auch die Community: "Vor allem Sony und Ubisoft werden hinsichtlich der Lokalisierung immer wieder gelobt, obwohl beide Publisher sonst von Spielern in anderen Bereichen viel Kritik abbekommen. Die User wissen mittlerweile, dass sie ein Ubisoft- oder Sony-Spiel beinahe blind kaufen können und es auf jeden Fall ordentlich lokalisiert wurde. Die Lokalisierung allein macht sicherlich nicht den Erfolg eines Spiels aus, trägt aber definitiv dazu bei."

Auch Koch-Media-Mitarbeiter Tim Westphal erhält immer wieder Presseanfragen, die explizit auf die Lokalisierung abzielen. "Für bestimmte Pressekontakte ist die Lokalisierung ein Qualitätsmerkmal. Will ich ein Spiel auf dem deutschen Markt verkaufen, dann sollte ich auch deutsche Sprachausgabe und Texte anbieten. Ansonsten verwehrt man Kindern und im Englischen nicht entsprechend geschulten Menschen den Zugang zu diesem Medium und vor allem zu wesentlichen Teilen der Handlung. Im Extremfall bereitet man diesen sogar Verständnisprobleme bei der Bedienung eines Spiels." Die Qualität der Übersetzung kann sowohl bei Spielern, Redakteuren aber auch für Handelspartner einen Unterschied ausmachen, sagt Westphal. "Wir bekommen natürlich immer wieder mal entsprechendes Feedback aus unterschiedlichen Richtungen. Es gibt gute und schlechte Lokalisierungen. Und eine gute Übersetzung kann das Spielerlebnis tatsächlich noch einmal anheben." Westphal arbeitete zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn auf Projektbasis selbst in der Lokalisierung für Effective Media und weiß entsprechend um die Unterschiede, die eine stimmige Anpassung machen kann. Zugleich aber betont er auch, dass mit der Lokalisierung große technische Herausforderungen einhergehen.

Darf es ein wenig Englisch sein?
Dass fehlende deutsche Sprachausgabe kein komplettes Ausschlusskriterium für viele Käufer ist, zeigen etwa die Spiele von Rockstar Games. "Red Dead Redemption 2" oder "Grand Theft Auto 5" waren auch in Deutschland Kassenschlager und verkauften sich millionenfach. Allerdings gab es speziell im Falle des Western-Abenteuers "Red Dead Redemption 2" auch viele kritische Stimmen, die deutsche Sprachausgabe forderten – zusätzlich zu den optionalen deutschen Untertiteln. Christian Dörre führt dies auch auf die gestiegenen Erwartungen und Ansprüche der Käufer zurück: "Zu PlayStation-2-Zeiten habe ich niemanden motzen gehört, dass es keine deutsche Sprachausgabe in GTA: Vice City oder GTA: San Andreas gab. Mittlerweile ist eine deutsche Sprachausgabe aber fast schon Standard. Dementsprechend wird sie auch bei Spielen von Rockstar Games lauter eingefordert als früher."

Stefan Dinger führt diese Ansprüche auch auf die mediale Erziehung der Deutschen zurück. Schließlich sei Deutschland im Gegensatz zu etwa den Niederlanden oder den skandinavischen Ländern ein traditionelles Synchronisationsland. "Seit jeher ist das deutsche Publikum daran gewöhnt, Filme in synchronisierter Fassung zu sehen. Entsprechend hoch sind die Qualitätsansprüche an die Synchronisierung und entsprechend breit gefächert ist das Angebot an professionellen Synchronsprecherinnen und -Sprechern. Bei internen Umfragen unter Ubisoft-Usern sind es vor allem die deutschen Spielerinnen und Spieler, die sich beschweren, wenn Aufnahmen einmal nicht hundertprozentig lippensynchron sind. Dies liegt nicht unbedingt an der Qualität der Aufnahmen, sondern ist zumeist auf technische Einschränkungen zurückzuführen."

Das Übersetzen und Einpflegen der deutschen Sprache in Ton und Text ist ein aufwendiges Geschäft. Schließlich sind deutsche Texte bei einer Übersetzung 30 Prozent länger als ihre englische Vorlage. Dies kann eben zu mangelnder Lippensynchronität führen, aber auch zu unschönen Fehlern bei Textboxen oder im schlimmsten Fall zu kryptischen Abkürzungen, erklärt Stefan Dinger. Entsprechend sorgfältig müsse man bei der Lokalisierung vorgehen und beispielsweise die deutschen Text bereits für die Sprachaufnahmen kürzen, da die Zeiten im Tonstudio begrenzt sind. Die Ansprüche der Community und der Presse an das fertige Produkt sind über die Jahre gestiegen.

Japanische Spiele als Ausnahme?
Allerdings gibt es auch Ausnahmen dieser vermeintlichen Lokalisierungspflicht: nämlich für japanische Titel, die ihren Weg nach Europa geschafft haben. Für Games wie das Anime-Abenteuer "Dragon Ball Z: Kakarot" oder das im September 2021 veröffentlichte Action-Rollenspiel "Tales of Arise" verzichten weite Teil der Community gerne auf eine deutsche Sprachausgabe, fordern aber im Gegenzug den japanischen Originalton zusätzlich zur englischen Übersetzung. Marco Süß führt diese Problematik im Gespräch aus: "Wir möchten natürlich eine vollständige Lokalisierung anbieten und arbeiten daran. Die Problematik ist: Welchen Sprecher nimmst du und ist dieser verfügbar? Wird also etwa Son Goku aus Dragon Ball Z nicht vom Originalsprecher gesprochen, ist das für weite Teile der Community ein No-Go. Deshalb veröffentlicht Bandai Namco Entertainment Anime-Spiele in Deutschland mit deutschen Bildschirmtexten sowie englischer und japanischer Sprachausgabe." Dem Kern der Käuferschaft ist es am wichtigsten, dass das Endprodukt nah am Original ist, nur ein geringer Teil fordert deutsche Sprachausgabe wirklich ein.
 

Welchen Sprecher nimmst du und ist dieser verfügbar?

 
Christian Dörre bestätigt dies und erkennt die Priorisierung auch bei den Leserinnen und Lesern der Formate von Computec Media: "Interessanterweise merkt man aber auch bei unseren Usern, dass sie gerade bei Nischenspielen – vor allem aus Japan – etwas milder gestimmt sind. Da sind die Spielerinnen und Spieler dann oft einfach nur froh, dass etwa bestimmte J-RPGs überhaupt nach Deutschland kommen." Als Beispiel zieht Dörre die "Yakuza"-Serie heran, die lange Zeit nur als Import erhältlich war. "Als die Spiele von Ryu Ga Gotoku Studio endlich zumindest mit englischer Sprachausgabe mit deutschen Texten erschienen, freuten sich einige Spieler, aber niemand forderte, dass auch eine deutsche Vertonung dabei sein müsse. In der Nische ist man gnädig, während bei Triple-A-Produktionen von Rockstar oder Sony eine hundertprozentige, professionelle Lokalisierung vorausgesetzt wird", führt er weiter aus.

Vielen eingeschworenen Fans scheint in dieser Nische die Nähe zum Original und zum Ursprungsland wichtiger zu sein als der eigene Komfort der deutschen Sprachausgabe. Deutsche Texte und englische Sprachausgabe sollten dann aber schon implementiert sein, um eine möglichst breite Zielgruppe zu erreichen. Im Mainstream jedoch sieht die Sache anders aus: Dort ist die lokalisierte Version eines Spiels Teil des Services am Kunden. (ob/bpf)

IGM 14/21
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