Julian Riedlbauer, GP Bullhound: „Die aktuelle Konsolidierungswelle wird weitergehen“

Julian Riedlbauer ist ein Experte für Mergers & Acquisitions, kurz: M&A. Seit bald zwei Jahrzehnten begleitet er die deutsche Tech-Szene – und ist mittendrin, wenn aufstrebende Player ihre Konkurrenz schlucken oder Wachstumsfinanzierungen verhandeln. Seit 2012 ist Riedlbauer Partner und Leiter der DACH-Aktivitäten von GP Bullhound, einer internationalen Technologie-M&A-Beratung und -Investment­bank mit Büro in Berlin, zu deren Kunden Tech-Firmen, GründerInnen und Investoren zählen. GP Bullhound hat sich unter anderem auf die Beratung von Spielefirmen bei Finanzierungsrunden und Übernahmen spezialisiert – und schon etliche Deals erfolgreich eingefädelt. Im Interview spricht Riedlbauer über Akquisitionsprozesse, Portfolio-Strategien und die Ergiebigkeit des deutschen Spielemarkts.
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Julian Riedlbauer, GP Bullhound

IGM: Herr Riedlbauer, führende Wirtschaftsinstitute prognostizieren eine Rezession. Ist damit die große Akquisitionswelle der Games-Branche auch schon wieder vorbei?

Julian Riedlbauer: Die aktuelle Marktphase ist natürlich von Bewertungsrückgängen geprägt. Die Stimmung bei M&A-Transaktionen ist folglich etwas gedämpft. Die Games-Branche hat aber nicht so stark gelitten wie andere Technologie- und Digitalsektoren. Die Embracer Group ist lange nicht so stark abgestürzt wie Shopify – um nur ein Beispiel zu nennen. Natürlich ist die Branche bewertungsmäßig unter Druck. Und natürlich überlegen sich Verkäufer jetzt genauer, ob sie in diesem aktuellen Marktumfeld verkaufen sollen – oder ob sie lieber warten, bis die Bewertungen wieder besser sind. Aber die Games-Branche ist eine große Branche, die immer schon stark von Konsolidierung gelebt hat. Die aktuelle Konsolidierungswelle wird weitergehen – jedoch mit leicht angezogener Bremse.

IGM: Die Leute haben in der Pandemie mehr Geld für Games ausgegeben. Geben sie jetzt wieder weniger dafür aus, weil die Lebenshaltungskosten steigen?

Riedlbauer: Ja, das starke Umsatzwachstum ist abgeflacht. Der Umsatzrückgang hat andere Handelsbereiche aber sehr viel stärker getroffen. Zum Beispiel war der E-Commerce-Sektor ein großer Pandemie-Gewinner – aber 2022 verzeichnen viele Online-Shops Umsatz­rückgänge. Auch der Markt für Videokonferenz-Systeme hat sehr viel stärkere Bewertungs- und Umsatzrückgänge zu verzeichnen als der Spielemarkt. Die Games-Branche hält sich – im Vergleich zum gesamten Digitalmarkt – sehr wacker.

 

Natürlich ist die Branche bewertungsmäßig unter Druck

 

IGM: Wird der Spielemarkt also auch die prognostizierte Rezession verkraften?

Riedlbauer: Was die Konsumentenausgaben in einer möglichen Rezession betrifft, so glaube ich, dass sich der Spielemarkt als relativ robust erweisen wird. Videospiele sind immer noch ein vergleichsweise preiswertes Vergnügen – ein Kinoabend oder ein Abend im Restaurant kostet ein Vielfaches! Nimmt man die „Ausgaben pro Entertainment-Stunde“ als Maßstab, dann sind Games auch preiswerter als manch andere Medien. Ein guter Film kostet bei Amazon Prime zwischen 4,99 und 8,99 Euro und läuft dann 90 Minuten. Bei einem Game kostet die Stunde Entertainment meistens weniger.

IGM: Blicken wir zurück auf das Frühjahr. Da ging es bei M&A Schlag auf Schlag: Microsoft kaufte Activision Blizzard, Sony übernahm Bungie und Take-Two schnappte sich Zynga. Wie sinnvoll waren die Deals aus Ihrer Sicht?

Riedlbauer: Der Betrachtungszeitraum ist noch zu kurz, um das wirklich beurteilen zu können. Es dauert viel länger als ein halbes Jahr, bis solche Milliardenakquisitionen von allen Regulierungsbehörden genehmigt werden, bis die Unternehmen verschmelzen und ihre Synergien tatsächlich nutzen. Eine neutrale Bewertung der Akquisitionen kann erst dann stattfinden, wenn das erste gemeinsame, voll konsolidierte Geschäftsjahr vorüber ist. Im zweiten Geschäftsjahr werden die Synergien dann noch stärker genutzt. Man braucht also mindestens ein Jahr als Betrachtungszeitraum – eher sogar zwei.

IGM: Übernahme ist auch nicht gleich Übernahme ...

Riedlbauer: Ja, denn es sind wirklich komplexe Firmen, die da zusammengeführt werden. Manche Firmen bleiben nach ihrer Übernahme auch weitgehend autonom. Im Januar haben wir zum Beispiel die Firma astragon Entertainment bei ihrem Verkauf an Team17 mit einem Deal-Volumen von 100 Mio. Euro unterstützt. Astragon kann sich aber auch nach der Übernahme nahezu eigenständig weiterentwickeln. Es gibt zwar Synergien beim weltweiten Vertrieb und im Finanzbereich, zum Beispiel beim Cash-Pooling – aber es herrscht auch eine vergleichsweise große Unabhängigkeit. Andere Firmen werden stärker miteinander verflochten und die Synergien werden dann auch deutlicher genutzt. Man kann das aber erst bewerten, nachdem es umgesetzt wurde und seine Wirkung entfalten kann – und das dauert seine Zeit.

IGM: Wie läuft eine Akquisition denn grundsätzlich ab?

Riedlbauer: Der gesamte Prozess dauert zwischen sechs und neun Monate. Davon sind zwei Monate Vorbereitungszeit, die bei Bedarf auf vier bis sechs Wochen verkürzt werden können. In dieser Zeit erstellen wir zusammen mit dem Verkäufer ein Verkaufsprospekt, das aus mehreren Teilen besteht: einem Information Memorandum – das ist eine Art umfassendes Firmen-Verkaufsexposé –, einem detaillierten Business-Plan, einer KPI-Analyse, einer Zukunftsstory und Synergie-Ideen je Käufersegment oder sogar pro Käufer. In diesem Zeitraum erstellen wir auch die sogenannte Longlist, also die Liste möglicher Käufer.

IGM: Wie geht es dann weiter?

Riedlbauer: Dann beginnt zum Beispiel ein sogenannter Dual-Track-Prozess, bei dem man mit Private-Equity-Investoren und mit Strategen parallel spricht. Es gibt aber auch reine Exit-Prozesse, in denen man ganz gezielt nur mit Strategen sprechen möchte. Die möglichen Käufer werden dann von uns, dem M&A-Berater des Verkäufers, kontaktiert. Typischerweise sprechen wir pro Projekt zwischen 30 und 60 mögliche Käufer an. Wir klären dann die ersten Fragen und holen eine Vertraulichkeitserklärung ein. Anschließend schicken wir den potenziellen Käufern den bereits erwähnten Verkaufsprospekt und weitere Unterlagen.

 

Zwischen 30 und 60 mögliche Käufer

 

IGM: Das alles lesen die sich dann gründlichst durch ...

Riedlbauer: Genau. Sobald ein potenzieller Käufer das Infopaket gesichtet und sein Interesse bestätigt hat, findet eine Firmenpräsentation statt. Die umfasst – je nach Komplexität der Transaktion und Tiefe der Synergie-Diskussionen – ein bis drei Meetings. Der potenzielle Käufer soll ein klares Bild vom Unternehmen bekommen – und auch von den möglichen Synergien nach einem Kauf. Das Gleiche macht man auch mit den Finanzinvestoren. Und dann bittet man die potenziellen Käufer, ein Angebot abzugeben – ein sogenanntes „unverbindliches indikatives Angebot“. Wenn man den Verkaufsprozess gut synchronisiert, erhält man alle Angebote bis zur festgelegten Deadline. Dann werden die Angebote gesichtet – und die Verhandlungen beginnen.

IGM: Wie laufen die Verhandlungen ab?

Riedlbauer: Man verhandelt erst die Angebote nach und entscheidet dann zunächst, ob man mit einem oder mehreren möglichen Käufern in die „Unterlagenprüfung“ geht. Das ist die sogenannte Due Diligence. Es wird ein Term Sheet abgeschlossen, in dem man sich auf die Grundzüge der Transaktion einigt. Und dann werden die Unterlagen des Verkäufers durch den Käufer und seine Berater geprüft. Das umfasst typischerweise eine Technology Due Diligence, eine Commercial Due Diligence, eine Financial Due Diligence und eine rechtliche Due Diligence inklusive Prüfung der Markenrechte beziehungsweise IP.

IGM: Worum geht es beispielsweise bei Letzterer?

Riedlbauer: Die rechtliche Due Diligence beleuchtet eine ganze Reihe von Aspekten: Ob die Verkäufer wirklich Inhaber der Firmenanteile sind, ob die Rechte für die Spiele bei der Firma liegen, ob das alles richtig bei den Entwicklerstudios beauftragt ist, ob die Verträge halten und ob es zum Beispiel Klauseln gibt, nach denen der Vertrag gekündigt werden kann, wenn ein Eigentümerwechsel stattfindet. Die gesamte Prüfung dauert ungefähr sechs bis acht Wochen, danach geben die Kaufinteressenten eine Bestätigung ihrer Angebote ab. Das Ganze nennt sich „Confirmative Offer“, ist also ein bestätigtes Angebot. Auf dieser Basis entscheidet der Verkäufer dann, mit wem er in die Abschlussphase geht, den Kaufvertrag verhandelt und die Transaktion abschließt.

IGM: Klingt langwierig ...

Riedlbauer: Die Vorbereitungsphase dauert rund zwei Monate, die Ansprachephase und die Term-Sheet-Verhandlungen dauern sechs bis acht Wochen. Die letzten acht Wochen braucht man für die Unterlagenprüfung, die Vertragsverhandlungen und den Abschluss der Transaktion. Alles in allem ist man dann bei sechs Monaten. Die Vorbereitung kann ein paar Wochen länger oder kürzer dauern. Vielleicht wird auch die Due Diligence in vier oder sechs statt in acht Wochen abgeschlossen. Aber auch das kann länger dauern, wenn alle Kaufinteressenten noch mehrmals über mögliche Synergien und eine gemeinsame Planung sprechen wollen. Im Durchschnitt sind es also sechs Monate. Wenn es ganz schnell gehen muss, kann der Prozess auf vier Monate komprimiert werden. Längere Akquisitionen können bis zu neun Monate dauern.

 

Klare Berührungsängste

 

IGM: Klingt nach einer Menge Hürden, an denen der Verkauf scheitern kann. Was sind da für GP Bullhound die größten Herausforderungen?

Riedlbauer: Es kann passieren, dass das Unternehmen während der Transaktionsphase seine Geschäftsziele, also sein Budget, nicht erreicht. Bei der Käuferansprache und in den weiterführenden Unterlagen gibt man nämlich immer eine Geschäftsplanung ab. Von der Ansprache bis zum Abschluss können aber durchaus fünf bis neun Monate verstreichen. Es kann durchaus vorkommen, dass sich das Unternehmen in diesem Zeitraum nicht so entwickelt wie geplant – zum Beispiel, wenn ein Release sich verschiebt oder ein wichtiges Game floppt. Dann besteht ein sehr hohes Risiko, dass die potenziellen Käufer ans Aussteigen oder an eine Bewertungsreduktion denken, weil sie sich sagen: „Wenn das Unternehmen nicht mal vier oder sechs Monate vorausplanen kann, dann führt das die vorgelegte Dreijahres- oder Fünfjahresplanung ad absurdum.“ Die Käufer verhandeln dann entweder nach – oder sie sagen die Transaktion einfach ab.

IGM: Nun gilt die Games-Branche bekanntermaßen als Hochrisikobranche, weil der Geschäftserfolg oft sehr stark von einzelnen Spielen abhängt. Investoren brauchen also per se ein großes Maß an Leidensfähigkeit ...

Riedlbauer: Ich möchte differenziert antworten. Finanzinvestoren – also Private-Equity-Investoren – haben klare Berührungsängste gegenüber der Games-Industrie. Entsprechend tätigen sie nur wenige Übernahmen und Käufe. Strategische Käufer hingegen haben weniger Vorbehalte, weil sie das Games-Geschäft sehr viel besser beleuchten können als Finanzinvestoren, die keine Branchen-Insider sind. In anderen Branchen ist das anders. Im Software-Bereich beispielsweise kaufen große Private-Equity-Fonds sogar börsennotierte Firmen – um sie vom Markt zu nehmen, weiterzuentwickeln und fünf Jahre später wieder an die Börse zu bringen. So etwas gibt es in der Games-Branche selten.

IGM: Angesichts diverser Studio-Pleiten könnte man als Investor schon auf die Idee kommen, sein Geld lieber anderswo anzulegen ...

Riedlbauer: Ja, aber ich persönlich bin davon überzeugt, dass sich ein Games-Unternehmen ganz gut absichern kann – wenn es sich breit aufstellt und nicht nur von einem Titel abhängig macht. In einem breiten Portfolio wird der eine Titel ein Hit, der andere ein Flop – und das nivelliert sich dann. Ist man hingegen eine One-Product- oder One-IP-Company, dann wird es schon schwieriger. Man erlebt immer wieder, dass Firmen mit einem einzelnen Hit sehr groß geworden sind – zum Beispiel Goodgame Studios, Rovio mit Angry Birds oder Bigpoint. Und dass sie sich danach schwer getan haben, diesen Erfolg zu wiederholen – und in andere Bereiche hineinzuwachsen.

IGM: Sie erwähnten ja bereits die Embracer Group. Die setzt auf sehr viele kleine und mittelgroße Studios ...

Riedlbauer: An der Entwicklung des Börsenkurses sieht man: Embracer hat sich – im Vergleich zum Markt – relativ wacker gehalten, der Aktienkurs hat in einem Jahr etwa 30 Prozent verloren. Es gibt viele andere Firmen im Digitalbereich, deren Aktien deutlich mehr verloren haben. Embracer hat sich ein Portfolio aufgebaut und eine breite Umsatzbasis geschaffen. Das schmälert natürlich die Chance, sein Geschäft schnell zu verdoppeln oder zu verdreifachen. Man setzt nicht alles auf eine Karte beziehungsweise auf ein Spiel, das unbedingt ein Hit werden muss. Die Ausschläge nach unten und oben sind folglich nicht so groß.

 

Die chinesischen Firmen sind weiter an Übernahmen interessiert

 

IGM: Hat die Strategie noch weitere Vorteile?

Riedlbauer: Wenn ein großes Unternehmen ein kleineres Studio oder einen kleineren IP-Inhaber kauft, dann kann man natürlich mit dem Geld der Konzerngruppe die Entwicklung beschleunigen und verbessern. Der Käufer setzt also erstens mehr Energie frei, weil er mehr Finanzmittel und Finanzierungspotenzial hat. Zweitens kann er Spiele, die vielleicht ursprünglich nur in einer bestimmten Region vermarktet wurden, mit der konzerneigenen Vermarktungsmaschinerie und Reichweite weltweit publishen. Dadurch hat der Käufer natürlich ein schönes und signifikantes Synergie-und Upside-Potenzial. Außerdem können kleine Spielefirmen vergleichsweise günstig gekauft werden, weil der Wettbewerb um sie geringer ist. Es gibt schon das eine oder andere Unternehmen, das versucht, solche kleineren Firmen günstiger einzusammeln. Das hat zum Beispiel die Gruppe Gamigo / Media and Games Invest als ihre Strategie festgelegt. Und auf dieser Wiese wächst auch Phoenix Games von dem ehemaligen Gameforge-Manager und -Anteilseigner Klaas Kersting. Ein weiteres Beispiel ist das Unternehmen Homa Games aus Frankreich, das kleine Firmen kauft und dann mit Finanzmitteln und Publishing-Power groß macht. Kürzlich hat Homa Games substanziell Finanzierung aufgenommen – und kann jetzt die nächsten Akquisitionen in Angriff nehmen.

IGM: Blicken wir nach China. Wie wahrscheinlich sind derzeit große Übernahmen durch chinesische Firmen?

Riedlbauer: Die chinesischen Firmen sind auch weiterhin an Übernahmen interessiert. Natürlich haben sie schon einige große Übernahmen getätigt – aber ich glaube, dass sie weiter als Käufer aktiv bleiben. Die Bewertungen waren in China historisch relativ hoch. Dadurch ist ziemlich viel Geld im Markt – und das eröffnet natürlich die Möglichkeit zu weiteren Übernahmen.

IGM: Verfolgen sie dabei andere Strategien als die Europäer?

Riedlbauer: Mein Eindruck ist, dass die chinesischen Firmen eher große Akquisitionen tätigen – und die Europäer eher kleinere, die sie dann konsolidieren und groß machen. Die von chinesischen Firmen akquirierten Anbieter laufen oft vergleichsweise unabhängig weiter, wobei natürlich Synergien und Publishing-Möglichkeiten in Asien genutzt werden. Aber grundsätzlich werden eher große Firmen gekauft – so wie 2016 die Supercell-Übernahme durch Tencent. Das war natürlich ein riesiger Deal – und wie man hört, entwickelt sich Supercell auch weiterhin gut.

IGM: Sind EA und Ubisoft heiße Übernahmekandidaten?

Riedlbauer: Ausgeschlossen ist da nichts. Natürlich sind die Aktienkurse dieser Firmen teilweise stark zurückgegangen, was die Möglichkeit einer Übernahme erhöht. Für M&A-Berater wie uns ist es toll, dass die Märkte weiter in Bewegung sind – und dass die Übernahmewelle weitergehen kann.

IGM: GP Bullhound hat unter anderem InnoGames beim Verkauf an die Modern Times Group beraten – das war im Jahr 2016. Wie ergiebig ist der deutsche Markt aus M&A-Sicht heute?

Riedlbauer: Viele große Verkäufe wurden schon getätigt. Wir haben damals InnoGames und dieses Jahr astragon bei ihren Verkäufen beraten, Wooga wurde vor langer Zeit verkauft, Gamigo ging in Media and Games Invest auf und ging selbst an die Börse. Goodgame wurde von der Stillfront Group übernommen und Koch Media von Embracer. Natürlich sind noch ein paar große deutsche Firmen übrig, zum Beispiel Crytek. Travian Games scheint weiter in Gründerbesitz zu sein und hegt offenbar keine Verkaufsabsichten – wobei so etwas natürlich auch unter dem Radar laufen kann. Upjers ist ebenfalls noch in Gründerbesitz. Gameforge ist ein wirklich großer Anbieter. Aber aus dessen Umfeld hört man, dass Gründer und Hauptaktionär Alexander Rösner schon so wohlhabend ist, dass er Gameforge nicht wegen des Geldes, sondern aus Leidenschaft weiterführt – und deshalb auch keine Verkaufsabsichten hegen soll.

IGM: Wie sieht es bei den mittelgroßen und kleineren Firmen aus?

Riedlbauer: 2021 haben wir Exit Games aus Hamburg bei einem Investment und Teilverkauf an die in den USA börsennotierte Skillz-Gruppe beraten. Exit Games ist eine sehr spannende Firma mit einer eigenen Game Engine, die auch Multiplayer-Games und Business-Lösungen für VR entwickelt. Das sind Vollblutunternehmer – und deshalb rechne ich auch nicht damit, dass das Unternehmen Exit Games kurzfristig verkauft werden wird. Insofern fehlen in Deutschland momentan schon ein bisschen die großen, spannenden Übernahmeziele.

IGM: In welchen Bereichen können denn große Firmen nachwachsen? Der Mobile-Games-Anbieter Kolibri Games wuchs ja sehr schnell und wurde dann von Ubisoft übernommen ...

Riedlbauer: Es gibt immer wieder Nischen und Segmente, in denen neue Firmen entstehen und auch groß werden. Das ist aber nicht systematisierbar und auch nur bedingt planbar. Es gibt tatsächlich ein paar spannende Firmen, die schnell weiter wachsen könnten. Wann die dann aber zum Verkauf kommen, ist reine Spekulation.

IGM: Blicken wir über den Tellerrand. Ist der deutsche Markt aus M&A-Sicht im internationalen Vergleich besonders statisch?

Riedlbauer: In gewisser Weise schon. In Skandinavien, England und Frankreich gibt es einige Firmen, die mit einer relativ hohen Bewertung an die Börse gegangen sind – und dort auch in der aktuellen Marktentwicklung immer noch ordentlich bewertet sind. Zum Beispiel Stillfront und Embracer in Skandinavien, Team17 in England und Focus Entertainment in Frankreich. Solche Unternehmen kommen dort in einer mittleren Größenordnung an die Börse. Das ist in Deutschland nicht möglich, weil die deutsche Börse mittelgroße Firmen nicht wirklich gut aufnimmt und nicht hoch bewertet. Das hat man hierzulande leider verpasst – und das ist ein klarer Standortnachteil. Denn ein börsennotierter Konzern wie die Embracer Group hat mit seinen Aktien eine Akquisitionswährung, kann relativ einfach Geld über Kapitalerhöhungen aufnehmen und andere Firmen kaufen. So etwas lässt sich in Deutschland nur schwer realisieren.

IGM: Sind die Aufnahmekriterien in Deutschland zu restriktiv?

Riedlbauer: Zum einen sind die Aufnahmekriterien etwas härter, zum anderen sind aber auch die Investoren sehr vorsichtig. So etwas lebt natürlich von Angebot und Nachfrage – und wenn die deutschen Investoren an der Börse zu vorsichtig sind, dann ist es schwierig, eine Firma an die Börse zu bringen.

 

Ein klarer Standortnachteil

 

IGM: Momentan ist viel vom Metaverse die Rede. Was kann das in puncto M&A bewegen?

Riedlbauer: Das Metaverse ist ein Treiber, der den Kauf von Gaming-Firmen auch für Nicht-Gaming-Firmen interessant macht. Die potenziellen Käufer gehen davon aus, dass Gaming ein Teil des Metaverse sein wird. Offen ist allerdings, aus welcher Ecke das Metaverse kommen wird – und auch, wer dann die führende Plattform sein wird. Vielleicht wird es so etwas sein wie Decentraland, das auf Blockchain-Technologie basiert, vielleicht wird es sich aus Facebook heraus entwickeln – oder aus einem der großen Online-Games, zum Beispiel Fortnite. Wenn man vom Metaverse spricht, sind natürlich auch Anbieter wie Roblox oder Unity interessant. Insofern gibt es durchaus eine Tendenz zu M&A in diesem Segment.

IGM: Eine Tendenz – oder vielleicht schon einen Trend?

Riedlbauer: Wir stehen mit dem Metaverse immer noch ganz am Anfang. Es gibt noch keinen eindeutigen Trend, dass Tech-Companies jetzt Spielefirmen kaufen, um mit ihnen das Metaverse zu realisieren. Es wird da aber sicher künftig Partnerschaften und auch Übernahmen geben. Meta zum Beispiel ist schon recht aktiv in diesem Segment: Allein in den letzten zwei Jahren hat es sechs führende VR-Entwicklungsstudios aufgekauft, darunter das Studio hinter dem Über-VR-Hit Beat Saber. Bei der Übernahme der zweitgrößten Fitness-VR-App Supernatural für rund 400 Millionen US-Dollar soll nach Medienberichten der Kaufprozess derzeit von der FTC blockiert werden. Es tut sich also viel in der Games-, VR- und AR-Branche. (Achim Fehrenbach)

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