Qualmende Schicksalsberge, grunzende Orks, (leider nicht ganz so) große Schlachten, flammende Dämonen, riesige unterirdische Zwergenstädte, jede Menge magischer Mysterien sowie auf CGI-Hochglanz polierte Fantasy-Schauwerte. Ach ja, und dann war da natürlich noch die Frage, die bis zu ihrer Auflösung im Staffel-Finale Millionen Fantasy-Fans rund um den Globus beschäftigte: Wo und wer ist Sauron? Vorsichtiger Spoiler: Der bärtige Hippie im HOBBIT-Hanf-Teppich ist es nicht!
Mehr als eine halbe Milliarde Dollar hat angeblich allein die ersten Staffel von amazons „Ringe der Macht“-Serie gekostet – und damit sollten die über-produzierten acht Folgen dessen, was bald ein langlebiges Streaming-Franchise werden könnte, genug Raum für Begeisterung bieten. Und mehr als genug Angriffsfläche für solche Debatten, die nichts mit Hautfarbe, Geschlecht oder Sexualität der Bewohner von Mittelerde zu tun haben. Und ja, tatsächlich regen sich viele eingefleischte Fans der literarischen Vorlage zum Beispiel darüber auf, dass amazons Autoren das sich eigentlich über viele Jahrhunderte erstreckende „zweite Zeitalter“ auf einige wenige Jahre eindampfen könnten. Oder darüber, dass drei offensichtlich winzige Schiffe angeblich ein ganzes Heer nebst dazugehöriger Rösser und Feldlager transportieren. Oder man allgemein extrem freizügig bis willkürlich im Hintergrundmaterial des verblichenen Oxford-Professors Tolkien herum mäandert.
amazon hat den Tempel mit Schuhen betreten
Dabei kommt das gar nicht mal so unerwartet: Weil der Internet-Riese bei Peter Jackson die Rechte an den „Herr der Ringe“-Büchern und „Der Hobbit“ gekauft hat, sich Neuverfilmungen dieser Stoffe aber nach Absprache mit Tolkiens Erben in nächster Zeit auszuschließen scheinen, bleiben für eine Streaming-Serie allein die knappen Anhänge aus dem dritten Buch. Also nur etwa hundert, extrem vage gehaltene Seiten voller Zeittafeln, Tabellen, Gedichte, Kalender und Stammbäume. Ohne die Unterstützung ausführlicherer Werke wie „Nachrichten aus Mittelerde“ oder dem „Silmarillion“. Kein Wunder, dass man bei amazon äußerst kreativ vorgehen musste, um die zahlreichen Leerstellen zu füllen, die mit den eigenen, löcherigen Lizenzrechten und Tolkiens Vorlage einhergehen – denn so ausführlich der Schöpfer von Mittelerde auch war, wirklich beenden konnte er sein Werk nie. Als Resultat ist die Serie ein nicht selten langatmiges Flickwerk voller Logiklöcher, das den waghalsigen Spagat zwischen bekannten Motiven und solchen Figuren versucht, die in den Filmen nur als Mythos aus längst vergangenen Tagen vorkommen. Potential für Meckereien, die zumindest nicht völlig aus der Luft gegriffen sind, gibt es demnach jede Menge. Allerdings hat sich ein Großteil der Community für einen anderen Stein des Anstoßes entschieden: dunkelhäutige oder schwarze Elben und Zwerge. Das sind die WAHREN Aufreger, die uns „Der Herr der Ringe“ in den 2020ern beschert. Vorausgesetzt, man entscheidet sich ganz bewusst dafür, sich darüber aufzuregen. Denn man könnte es ja auch einfach lassen – und sich zum Beispiel für People of Color freuen, weil sie ENDLICH auch einmal zum illustren Kreis der Fantasy-Helden gehören dürfen.
Ich bin ja nicht rassistisch, ABER…
Während manch einer der „Kritiker“ mit fast schon entwaffnender Ehrlichkeit offen rassistisch ist, versteigen sich die meisten in bemühten Erklärungen, von denen viele mit so etwas wie „Ich bin ja nicht rassistisch, ABER…“ anfangen: „Ich bin ja nicht rassistisch, aber bei Tolkien gibt es nun mal keine schwarzen Elben oder Zwerge!“, ist ein gängiges Pseudo-Argument der fantastischen „White Heroes matter!“-Front. Ebenfalls beliebt: „Ich bin ja nicht rassistisch, aber Elben kommen nun mal aus dem Norden und Zwerge leben unter der Erde – die können doch gar nicht schwarz sein!“ Und für Diversitäts-Versteher, die trotzdem lieber in ihrer Weißbrot-Bubble verharren wollen: „Ich bin ja nicht rassistisch, aber wenn sie Gleichberechtigung für alle bieten möchten, dann sollten sie dafür ein neues Format entwickeln und Mittelerde bitte in Ruhe lassen!“
Gegenargumente. Stöhn
Sollen wir uns überhaupt noch die Mühe machen, hierfür Gegenargumente zu finden? Na schön: Wir könnten z.B. anführen, dass Tolkien seine Charaktere und Völker nie sonderlich ausführlich beschrieben hat – sie waren ganz einfach da. Ergo: Hinweise auf die Hautfarbe von Elben, Zwergen, Orks & Co.? Fehlanzeige. Wir könnten außerdem darauf verweisen, dass Elben nicht aus dem Norden, sondern bei Tolkien aus einer Art Licht-Reich stammen (Valinor), das an keine festen Naturgesetze gebunden zu sein scheint. Dort wurden sie als Abkömmlinge eines alten Göttergeschlechts geschaffen und könnten theoretisch genauso gut grün-gelb gestreift sein wie schwarz oder weiß. Übrigens hat Tolkien auch nie geschrieben, dass Elben spitze Ohren haben – in Ralph Bakshis „Herr der Ringe“-Trickfilm von 1978 haben sie deshalb auch prompt runde Ohrmuscheln. Trotzdem werden animalische Lauschlappen an ihren Köpfen allgemein akzeptiert. Warum eigentlich? Zwerge wiederum leben nicht ALLE unter der Erde – und wer sagt denn, dass sie oder Elben sich nicht mit Menschen dunkler Hautfarbe fortpflanzen könnten? Einen prominenten Halb-Elben gibt es immerhin – Elrond, den späteren Herrn von Bruchtal und seine ebenfalls halb-elbischen Eltern.
Und mal ehrlich: Warum zum Teufel erklären wir das überhaupt – immerhin geht es hier um FANTASY! Und genau – was ist denn eigentlich mit diesem Teufel los? Ist der jetzt schwarz oder weiß? Und dürfte er als eher … äh … metaphysische Gestalt nicht eigentlich beides sein? Je nachdem, wo und bei wem er gerade auftaucht? Nein, nein – ruhig Blut – NATÜRLICH ist Luzifer weiß! Er wird nämlich von Tom Ellis gespielt, leitet einen exklusiven Nachtclub in L.A. und wird dabei – selbstverständlich – von der schwarzen Dämonin Mazikeen (Lesley-Ann Brandt) beschützt. Und er liebt zum Glück eine weiße Frau – Chloe Decker, deren Schauspielerin auch noch den arisch kompatiblen Namen Lauren GERMAN trägt. Puh, da haben wir ja nochmal Glück gehabt!
Und wenn sich der Autor dieses Beitrags früher mit seinen fünf bis 50 Fantasy-Freunden zusammengefunden hat, um gemeinsam „MERS“, das Pen-and-Paper-„MittelErde-RollenSpiel“ zu zelebrieren, dann mussten People of Color natürlich draußen bleiben – ist doch klar! Oder man hat sie dazu verdonnert, Haradrim und Ostlinge zu spielen – verbriefte menschliche „People of Color“ in Tolkiens Welt, die natürlich Seite an Seite mit Saurons Orks kämpfen. Billiges Schlachtvieh für Mordor gewissermaßen – so, wie es sich aus der Perspektive eines Autors, der im spät-kolonialistischen Großbritannien aufgewachsen ist, vielleicht gehört.
Am Ende nur billiges Schlachtvieh für Mordor
Heile Weißbrot-Welt
Kurzum: All das stinkt selbst dann penetrant nach „Ich mach mir meine Weißbrot-Welt, wie sie mir gefällt!“, wenn man die offensichtlichen Rassisten mal außen vorlässt – also all jene selbsternannten Mittelerde-Spezialisten, in deren Profilen man alle paar Einträge über Liebesgrüße an Trump, geteilte AfD-Beiträge, „Ausländer raus!“-Parolen und Todeswünsche für Robert Habeck stolpert. Wer nicht ins Lager der ungeschminkten Extremisten gehört, der ist vielleicht weder offen noch bewusst rassistisch – aber er weigert sich doch hartnäckig, sich auf ein Thema einzulassen, dass ihm einfach unbequem ist. Weil er dann vielleicht zugeben müsste, dass für ihn andere Hautfarben und Ethnien vor allem dann ok sind, wie sie ihm nicht unbequem werden. Zum Beispiel, weil er sich mit ihnen die Arbeitsstelle teilen muss oder sie zu sehr von „seinen“ Steuergeldern profitieren. Denn Demokratie geht natürlich nur so lange in Ordnung, wenn man vor allem selber etwas davon hat. Und wer es noch weniger eng sieht, der hat vielleicht einfach Schwierigkeiten damit, einer kulturellen Strömung zu entkommen, die uns über Jahrzehnte geprägt und vermutlich fast jeden von uns zumindest ein ganz klein bisschen rassistisch, sexistisch und homophob gemacht hat – ohne, dass wir es selber überhaupt mitbekommen würden.
Zugegeben: Nun gibt es in Deutschland zwar kaum die Sorte offenen und Gewalt-fokussierten Alltags-Rassismus, wie man ihn zum Beispiel aus den USA kennt. Hier muss man als dunkel Pigmentierter vergleichsweise wenig Angst davor haben, sich bei einer Verkehrskontrolle eine Kugel einzufangen. Aber ja, auch hier gibt es strukturellen Rassismus – oder Sexismus. Sogar dann, wenn man die Fraktion der AfD-Wähler, Putin-Beschmuser und allzu eifrigen Fahnen-Schwenker außen vorlässt. Das hat mit Jahrzehnte-währender Prägung zu tun, aber vor allem ist es Bequemlichkeit. Die gleiche schnöde Bequemlichkeit, die viele von uns nach bald drei Jahren Corona noch immer auf Abstand pfeifen lässt und dazu verführt, die Maske selbst dann stecken zu lassen, wenn die Inzidenz jenseits der Tausender-Marke galoppiert und sogar die Viren schon niesen.
Ja, Wokeness nervt manchmal ganz schön. Weil sie uns ständig aus unserer Komfortzone stößt und uns dabei etwas zu unterstellen scheint, von dem wir zumindest glauben, es gar nicht zu sein. Aber wäre es denn so furchtbar, uns dahingehend stärker zu hinterfragen – auch auf die Gefahr hin, dass wir dabei Dinge über uns selber erfahren, die uns nicht gefallen? Immerhin sind solche Konfrontationen mit uns selbst die Voraussetzung für Veränderung und – idealerweise – sogar Verbesserung. Und ja, manchmal würde es die Debatte entschärfen, wenn die Diversität in vielen Formaten nicht so dermaßen erzwungen wirken würde. Wenn sich Showrunner und Autoren die Mühe machten, etwas zu erklären, das zunächst nicht „natürlich“ wirkt. Auf der anderen Seite würde diese Art von Erklärung aber exakt diejenigen ausschließen, die man dadurch ja eigentlich ins Boot holen möchte. Weil man sie dadurch als absolute Ausnahme deklarieren würde. Frei nach dem Motto: „Wir haben hier einen Schwarzen eingebaut, damit Du Dich wohler fühlen darfst. Aber wir müssen es natürlich erst den ganzen Weißen erklären, die uns als Zuschauer wichtiger sind. Weil es eine Ausnahme bleiben wird und Du in Wirklichkeit eben doch nicht dazu gehörst!“
In Wirklichkeit gehörst Du eben doch nicht dazu!
Zu aufdringlich inklusiv?
Zugegeben: Die manchmal vielleicht etwas aufdringliche Inklusions- und Diversitäts-Politik von Streaming-Diensten und den großen Hollywood-Studios wird nicht in erster Linie aus reiner Menschenfreundlichkeit, sondern vielmehr aus geschäftlichen Gesichtspunkten vollzogen. Weil Frauen, People of Color und ja, mittlerweile auch die LGBT-Community eben eine ernstzunehmende Zielgruppe darstellen, mit der man es sich – wenn man sie schon nicht explizit anspricht – zumindest nicht völlig verscherzen will. Doch ganz gleich, aus welchen Motiven man diese Zielgruppe zunehmend in die Gestaltung seiner Inhalte einbezieht, so war dieser Schritt doch lange überfällig. Und zeugt zumindest von einem Mut seitens der Content-Bereitsteller, den unsere Games-Branche leider noch viel zu oft vermissen lässt: Schwarze oder weibliche Spiele-Helden gibt es inzwischen auch jede Menge – aber die für viele Spiele-Stories nach wie vor extreme Stereotypisierung und Sexualisierung ihrer Protagonisten ist dabei nicht unbedingt hilfreich. Beispiele wie die von psychischen Problemen belastete Adventure-Keltin Senua in „Hellblade“ oder die junge Amicia de Rune aus „A Plague Tale: Innocence“ sind hervorragende Beispiele für starke weibliche Figuren aus kleineren Spiele-Entwicklungen. Naughty Dogs homosexuelle „Last of Us 2“-Heldin Ellie wiederum für eine spielbare Dame, die sich nicht den üblichen Rollen-Klischees der Games-Vermarktung beugt und dabei tatsächlich aus dem Blockbuster-Feld stammt. Und ja – für letztere gab es zwar eine Menge Gegenwind, aber das dadurch von Naughty Dog ausgesendete Signal war ebenso richtig wie wichtig.
Dass man mit derartigen Motiven auch in großen Multiplayer-Spielen Erfolg haben kann, beweist das von Respawn entwickelte und Electronic Arts vertriebene „Apex Legends“: In dem erfolgreichen Battle-Royale-Spiel sind endlich mal weiße Hetero-Helden die Randgruppe. Inzwischen zeigt das niederländische Studio Guerilla Games mit seiner „Horizon Forbidden West“-Protagonistin Aloy, dass Spiele-Heldinnen attraktiv, sympathisch und neu-steinzeitlich modebewusst sein können, ohne sich dabei erotisch anzubiedern. Nach Kritik an unnatürlichen Proportionen und einer allzu überirdischen Physiognomie im ersten Teil wollte man die Maschinen-Zähmerin für den Nachfolger nämlich auf ein realistischeres Erscheinungsbild „downgraden“. Oder war es vielleicht doch eher ein Upgrade? Immerhin wirkt die Dame dadurch jetzt weniger künstlich. Inzwischen wird ihr neues Erscheinungsbild auch weitestgehend akzeptiert – aber anfangs war das Geschrei wegen angeblich erzwungener Wokeness groß.
Der plumpen Drallheit trauriger Höhepunkt
Ob sich die Sexualisierung von weiblichen Spielfiguren vor allem dank der Entwickler oder einer einsichtigeren Kundschaft verbessert hat, sei mal dahingestellt – festzustehen scheint, dass die Eskalation explodierender Polygon-Brüste und gefährlich unverhüllter 3D-Tatsachen in den Jahren von 1990 bis 2005 ihren Höhepunkt erreicht hatte. Behauptet zumindest eine 2016er-Studie der Universität von Indiana, in der 571 im Zeitraum von 1984 bis 2014 veröffentlichte Spiele berücksichtigt wurden. Die wenig rühmliche Hochphase begann demnach mit dem allmählichen Aufstieg von 3D-Grafik sowie der damit einhergehenden, zunehmend cineastischeren Inszenierung der Spiele. Und endete langsam, als 3D-Figuren endlich einen Detailgrad erreicht hatten, der eine realistischere und weniger stereotype Abbildung nahelegte.
Trotzdem haben wir bis zu Gleichberechtigung und fairer Diversität in Spielen noch einen weiten Weg vor uns: Laut einer durch den US-Branchen-Verband ESA ausgeführten Erhebung von 2022 sind zwar 48 Prozent aller US-Gamer in Wahrheit Gamerinnen und immerhin 29 Prozent People of Color – aber gerade mal 23,7 Prozent aller in den Staaten arbeitenden Entwickler sind Frauen. Eine Studie der Uni Sheffield wiederum legt nahe, dass zum Beispiel nur knapp zehn Prozent aller in Großbritannien beschäftigten Entwickler schwarz, asiatisch oder Vertreter „anderer Ethnien“ sind. Zugegeben: Das entspricht etwa dem Prozentsatz, den schwarze (rund zwei Mio.) und asiatische Mitbürger (knapp viereinhalb Mio.) umgelegt auf 67,2 Mio. Menschen in Großbritannien ausmachen. Trotzdem trägt die niedrige Repräsentation weniger stark vertretener Ethnien oder – mindestens genauso absurd – Frauen in den Spiele-Studios dieser Welt nicht unbedingt dazu bei, diversere oder einfach nur weiblichere Spiele zu entwickeln. Bei einem Planeten, auf dem nur ganz knapp weniger als die Hälfte aller Bewohner zwei X-Chromosomen hat und Weiße klar in der Minderheit sind, erscheinen Bleichgesichter mit Aufblas-Muskeln oder Atombusen als eine wenig gute oder zumindest wenig soziale Idee.
Natürlich ist nichts falsch daran, sich eine Weile in seiner eigenen Bubble wohl zu fühlen und sich dabei auf Bubble-Produkte zu fokussieren, solange wir niemanden außerhalb dieser Blase damit verletzen. Aber wir leben nun mal in einer globalisierten Gesellschaft und in einer globalisierten Branche, in der es unausweichlich ist, dass die einzelnen Blasen miteinander in Kontakt kommen. UND: Inklusion ist nicht nicht nur geschäftlich praktisch – sie ist vor allem ethisch richtig. Und angesichts Jahrhunderte währender Verfolgung, Versklavung und / oder Diskriminierung derjenigen Randgruppen, die eigentlich nie welche waren, erscheinen ein dunkelhäutiger Elb, eine schwarze Zwergen-Frau sowie eine schwarze kleine Meerjungfrau als ein vertretbares „Opfer“, oder?
Und am Ende sind es all die mehr oder weniger rassistischen bis manchmal einfach nur ignoranten Positionen, die verdeutlichen, wie tief das Problem noch immer sitzt. Und wie sehr wir diese Debatte und unbequeme, manchmal sogar plumpe Vorreiter brauchen, die sie ins Rollen bringen. Je provokanter, desto besser. (rb)