Die Twin Otter ist ein echter Star. Fans lieben das kleine Flugzeug für seine Vielseitigkeit: Es kann auf Asphalt-Runways, Wasser, Watt, Sand, Eis und Schnee landen – und kommt deswegen sowohl in den Tropen wie auch in Polargebieten zum Einsatz. Im User-Forum von Aerosoft ist die „Twotter“ – wie sie auch liebevoll genannt wird – ein vieldiskutiertes Thema: Die Simulationsspezialisten aus Paderborn entwickeln gerade einen DLC für den Microsoft Flight Simulator – und schildern im Forum detailliert dessen Umsetzung. Der Thread, im September 2020 angelegt, umfasst mittlerweile gut 1500 Einträge: Diskutiert werden Flugeigenschaften, Controller-Mapping und kleinste optische Details. Mit anderen Worten: Die Community ist voll dabei – und kann den Start des DLC kaum erwarten.
Dass eine Community so rege und konstruktiv diskutiert, ist keinesfalls eine Selbstverständlichkeit. In schlecht moderierten Foren herrscht häufig eine giftige Atmosphäre (Fachbegriff: „toxicity“), die alteingesessene User vergrault und neue User abstößt. Natürlich hängt die vorherrschende Stimmung in der Community auch von anderen Faktoren ab, zum Beispiel von Spielgenre und Altersstruktur. Doch gutes Community-Management ist eigentlich in jedem Marktsegment möglich, wenn der Betreiber seine Kundschaft mit viel Herzblut pflegt. Bei Aerosoft arbeitet ein halbes Dutzend Community-Manager daran, das Forum zu einem angenehmen, informativen Ort zu machen. Und auch sonst investiert Aerosoft einiges in Kundenbindung und Kundenakquise: „The Simulation Company“ ist nicht nur in Fachzeitschriften und Social-Media-Kanälen präsent, sondern veranstaltet auch jährlich die „NextSim“ – einen Stream im Rahmen der gamescom. Bei der „NextSim21“ stellte Aerosoft nicht weniger als 16 Produktneuheiten vor – vom Autobahnpolizei Simulator 3 über den Offroad-Trucksimulator Heavy Duty Challenge bis hin zur humorvollen Aufbau-Simulation Zombie Cure Lab.
Aufmerksamkeit und Hingabe
2021 – im 30. Jahr seines Bestehens – zählt Aerosoft längst zu den weltweit führenden Simulationsspezialisten. Schon im Vorjahr konnte die Firma ihren Umsatz mehr als verdoppeln: Die wichtigsten Umsatztreiber waren dabei der exklusive Handelsvertrieb des Microsoft Flight Simulator, die exklusive Vermarktung von Flugsimulation-Steuergeräten und auch die Expansion auf Konsolen. Am Simulationsmarkt ist Aerosoft sehr solide und breit aufgestellt, sieht aber keinen Grund, sich auf den Lorbeeren auszuruhen – im Gegenteil: Das tägliche Kunden-Management erfordert viel Aufmerksamkeit und Hingabe – speziell in Zeiten von Corona. Doch wie genau erreicht Aerosoft Fans von Simulationen? Wo liegen die größten Herausforderungen, welche Bereiche werden ausgebaut? Geschäftsführer Winfried Diekmann sieht Kommunikation als zentralen Baustein der Kundenbindung: „Da Aerosoft aus der Flugsimulation kommt, war es für uns immer wichtig, mit Communities zu arbeiten und diese zu unterstützen und aufzubauen.“ Diese Erfahrung habe Aerosoft auch in der Corona-Zeit geholfen, bei den Kunden online sehr präsent zu sein. „Hier arbeitet unsere Marketing-Abteilung sehr eng mit dem E-Commerce und den Community-Managern zusammen“, berichtet Diekmann. „Das garantiert uns eine gute Reichweite und stellt sicher, dass unsere Kunden kompetente Ansprechpartner haben.“
Doch wie sieht die Aerosoft-Zielgruppe eigentlich konkret aus? Schließlich ist die Demografie der Community mitentscheidend für die Art und Weise, wie ein Unternehmen mit seinen Usern kommuniziert. „Der typische Aerosoft-Kunde ist zu 90 bis 95 Prozent männlich“, sagt Diekmann. „Das verbindet all unsere Produkte.“ Bei den Flug- und Bahnsimulationen liege der Altersdurchschnitt recht hoch, nämlich bei knapp 50 Jahren. „Bei anderen Simulationsspielen sind die Spieler oft aber auch viel jünger. Hier liegt das Durchschnittsalter eher bei 30 Jahren.“ Für Flugsimulationen seien physische Events nahezu unentbehrlich, so Diekmann – denn bei Veranstaltungen wie der AERO in Friedrichshafen, dem FS Weekend in Lelystad oder der FS Expo in den USA könne man auch die Hardware präsentieren, die Aerosoft mittlerweile breitflächig im Sortiment habe. Prominente Beispiele sind das Honeycomb Yoke und der Honeycomb Throttle, zwei Steuergeräte für den MSFS. „Bei Hardware ist das Haptische schon sehr wichtig“, betont der Aerosoft-CEO. „Der Kunde möchte merken, wie sich die Hardware anfühlt und wie sie verarbeitet ist. Das ist virtuell nur sehr schlecht zu vermitteln.“ Bei Messeauftritten investiert Aerosoft dann auch in möglichst realistische Mock-ups, um die Besucher anzulocken. Aktuelles Beispiel ist der Aerosoft-Auftritt bei der Poznan Game Arena (PGA, 22.-24. Oktober) in Polen – einem der wenigen physischen Events, die im Pandemie-Jahr 2021 unter 3G-Bedingungen stattfinden konnte. Bei der PGA hatte Aerosoft einen beweglichen Truck-Simulator aufgebaut, um sein kommendes Simulations-Game Heavy Duty Challenge (HDC) zu präsentieren. „Hier war das Interesse sehr hoch und das Entwicklerstudio Nano Games erhielt sogar den PGA Award für sein Spiel“, freut sich Diekmann. Neben physischen Events sei auch kompetente Berichterstattung sehr wichtig, um den Kunden die Hardware-Eigenschaften gebührend zu vermitteln. JournalistInnen und Influencer würden „sozusagen die Finger der Kunden ersetzen, indem sie neutral beschreiben, wie sie die Hardware wahrnehmen“. Also zum Beispiel Handling, Verarbeitung und Zusammenspiel mit der Software.
Wir zeigen den Leuten, woran wir arbeiten
Offene Kommunikation
Bevor wir uns aber dem Thema „Influencer“ widmen, besuchen wir zunächst das Aerosoft-Forum. Community-Manager Mathijs Kok ist dort bereits seit 2003 aktiv: Der Niederländer hat sage und schreibe 42.512 Foren-Beiträge verfasst (Stand: 30. November). Drei Dinge seien für seine Arbeit besonders wichtig, so der Community-Veteran. An erster Stelle stehe der Hardcore-Support, der „die KundInnen einfach unterstützt, wenn sie Fragen haben. Das muss immer an erster Stelle stehen. Diese Leute haben Geld bezahlt und müssen das Produkt verwenden können“. Eine weitere Hauptaufgabe sei, die KundInnen über neue Produkte zu informieren, erläutert Kok: „Das geschieht in Zusammenarbeit mit unserer Marketing-Abteilung. Wir zeigen den Leuten, woran wir arbeiten, welche Ideen wir haben.“ Aerosoft versuche in dieser Hinsicht sehr offen zu sein, betont der Community-Manager: „Wir haben das Jahr 2021 – und wenn man nichts zu verbergen hat, sollte man so nahbar wie möglich sein. Wir bekommen dadurch auch eine sehr gute Vorstellung davon, was die KundInnen erwarten.“ Die dritte Hauptaufgabe des Community-Managements ist, für einen wohligen Online-Tummelplatz zu sorgen. Oder wie Kok es ausdrückt: „Einen Ort zu erschaffen, an dem sich die Menschen glücklich und geschützt fühlen.“ Dafür löschen die CMs gemeine Posts, blockieren Spam und Trolle – und sorgen dafür, dass die Foristen für ihre Teilnahme belohnt werden. „Wir sehen unser Forum als einen Ort, an dem sich unsere KundInnen und Freunde treffen“, sagt Kok. Um all dies zu leisten, sei ein sehr solides Team vonnöten. „Die Arbeit ist nicht immer schön und die KundInnen nicht immer nett, was durchaus frustrierend sein kann. Man muss sich also gegenseitig unterstützen und aushelfen. Deshalb verbringe ich viel Zeit damit, dass die KundInnen miteinander reden und Spaß haben.“ Alle Moderatoren des Aerosoft-Forums arbeiten im Übrigen von zu Hause aus, stehen aber in täglichem Kontakt mit den Projektleitern. So lassen sich neue Produktinfos kontinuierlich kommunizieren – und auch das Feedback der User bei der Produktentwicklung berücksichtigen.
Das Aerosoft-Forum ist in diverse Hauptstränge untergliedert – dazu zählen Bereiche für allgemeine Fragen, aber auch für alle wichtigen Simulationen. Am meisten los sei definitiv im Preview-Bereich, berichtet Mathijs Kok – und nennt als Paradebeispiel besagten Twin-Otter-Thread. Auch die Support-Foren seien nach Produktveröffentlichungen immer sehr aktiv. Entwickler bekämen im Aerosoft-Forum die Möglichkeit, bestimmte Features im Detail vorzustellen, sagt Kok. Als Beispiel nennt er den Thread über „AI Aircraft Traffic Density“, also die Diskussion darüber, wie viele Flugzeuge die KI auf bestimmte Flugplätze loslassen sollte. Seine Arbeit bezeichnet Kok als „hochgradig abwechslungsreich“. Es sei zwar hin und wieder etwas anstrengend, wenn Foristen Fragen posten, anstatt im Forum oder Handbuch nach bereits vorhandenen Antworten zu suchen. Diese Redundanz sei aber ok, so der CM. „KundInnen, die mit dem Unternehmen kommunizieren, bleiben sehr viel wahrscheinlicher auch KundInnen. Ich sehe unsere Foren nicht nur als Support, sondern auch als Teil des Marketings. Wir bekommen da auch viele Anfragen nach dem Motto: ‚Realisiert diesen oder jenen Flughafen, Bus, Zug und so weiter.‘“ Viele User würden das Forum auch einfach nutzen, um die Entwicklerteams zu loben, freut sich Kok. „Sie bedanken sich, wenn wir einen Fehler beheben. Oder sie zeigen uns, wie etwas auf ihrem jeweiligen System aussieht.“ Support in externen Foren versucht Aerosoft übrigens zu vermeiden – laut Kok ist es sehr schwierig, die dortigen Anfragen zu managen. „Aber natürlich verfolgen wir täglich, was in den Foren auf Avsim und Flightsimulator.com los ist“, sagt er. „Auch Reddit wird immer einflussreicher.“ Mit seiner Arbeit versucht Kok, die User „so glücklich wie möglich zu machen. Aerosoft versucht immer, langfristige KundInnen zu gewinnen – und nicht nur ein Produkt zu verkaufen“.
User so glücklich wie möglich machen
Kommunikation als Wechselspiel
Das Forum ist für Aerosoft-KundInnen der zentrale Anlaufpunkt. Viele User erreicht die Firma jedoch auch über Social Media. „Priorität haben – aufgrund der hohen Nutzerzahl – immer noch Facebook, Twitter und Youtube“, berichtet Marketing-Managerin Lilly Bickmann. „Instagram nutzen wir auch für schöne Screenshots oder Videos, die einen Einblick ins Spiel geben.“ Eine sehr wichtige Plattform sei auch Discord, so Bickmann: „Nirgendwo sonst hat man die Chance, in so engem Kontakt mit der Community zu sein.“ Für Spiele mit jüngeren Zielgruppen nutze man neuerdings auch Tiktok, so Bickmann: „Allerdings sind wir da noch in den Anfängen.“ Grundsätzlich sei wichtig, die Kommunikation mit den Usern als Wechselspiel zu betrachten. „Wir versuchen auf jeden Fall, täglich auf alle Kommentare und Nachrichten auf all unseren Social-Media-Kanälen einzugehen“, so Bickmann. „Auch, wenn die Fragen sich oft doppeln, ist es immer wichtig, diese stets freundlich zu beantworten. Denn nur ein zufriedener Kunde ist ein Kunde, der wieder kauft.“
Um Fans und Neukunden zu erreichen, arbeitet Aerosoft eng mit diversen Influencern zusammen. „Sie liefern uns einen guten Einblick, was die Community möchte und was ihr wichtig ist“, sagt Bickmann. Zur NextSim21 lud Aerosoft mehrere Influencer ins Headquarter am Flughafen Paderborn-Lippstadt ein: Sie tauschten sich dort mit den Entwicklern aus, welche natürlich auch im gut dreistündigen Stream Rede und Antwort standen. Zu Gast war unter anderem Ansgar Blauth, der einen der einflussreichsten Youtube-Kanäle für Simulationsfans im deutschsprachigen Raum betreibt: Derzeit hat nordrheintvplay knapp 440.000 AbonnentInnen. Ebenfalls auf dem NextSim-Podium saß der deutschstämmige TheNorthernAlex, der in seinem englischsprachigen Youtube-Kanal rund 160.000 Subscriber versammelt. Auch die bekannten Streamer h0mer und SachsenLetsPlayer waren vor Ort und führten Interviews. Bickmann berichtet, Aerosoft arbeite intensiv mit diesen Influencern zusammen, „indem wir sie bei Gewinnspielen unterstützen, ihnen im Vorhinein Keys zur Verfügung stellen, Interviews und Videos in Zusammenarbeit mit den Entwicklern anbieten, sowie auch auf ihr Feedback eingehen und dieses zu schätzen wissen“. Egal ob nun Truck-, Bus-, Berufs-, Flugsimulation oder sogar Tycoons: Ziel der Zusammenarbeit mit den Influencern sei immer, „eine Community anzusprechen, die nicht nur an Simulationen generell, sondern auch an der entsprechenden Thematik interessiert ist“. Anders formuliert: Neben Flusi-Fans will Aerosoft auch passionierte Echtweltflieger mit ins Boot ... pardon: an Bord ... holen. Wobei die genannten Gruppen natürlich eine große Schnittmenge aufweisen.
Fazit: Für nachhaltige KundInnenbindung ist eine sorgfältige und aufwendige Community-Pflege unerlässlich – und das am besten auf verschiedenen Kanälen. (Achim Fehrenbach)